nur das Einfachste erkennbar ist; es gibt nur Jamben und Trochäen, Nachahmung der reicher gegliederten antiken Maaße ist unmöglich. Die monoton wiederkehrende Zerhackung der rhythmischen Reihe im Alexandriner entspricht dem Geiste der witzigen antithetischen Zuspitzung, welcher der Nation eigen ist. -- Das Italienische trägt ungleich mehr Fähigkeit einer organischen Rhythmik in sich; es läßt im Wesentlichen der Stamm- sylbe die entschiedene Betonung und hat nicht alle Flexionen, Endungen verstümmelt. Die vielen Endungen mit zwei kurzen Sylben liefern neben dem herrschenden jambischen Tonfalle reichen anapästischen und daktylischen Stoff, stören aber die Anwendung des Spondäus, welcher ohnedieß der Verlust sehr vieler lateinischer Längen große Schwierigkeit bereitet. Diese Sprache ist aber durch die volle Klangschönheit, welche sie vor allen neueren auszeichnet, so entschieden nach der reichsten Ausbildung der musikalischen Seite in kunstreich verschlungenen Reimsystemen hingelenkt, daß auch sie das rhythmisch-metrische Verhältniß in jenem Zustande der Willkür, obwohl die- selbe nicht so tief greift, wie die französische, belassen hat. Aehnlich verhält es sich im Spanischen; unter den Versarten entspricht seinem gravitätischen Geiste vorzüglich der feierlich empfindungsreiche Trochäus, den sie, in kurzen Reihen Gewicht an Gewicht hängend, sich zu eigen gemacht hat. -- Die englische Sprache trägt als original deutsche, mit romanischem Zusatz nur mäßig gemischte, das Gesetz der Zusammenstimmung von Vers- und Wort- Accent durch ursprüngliche Natur und Neigung in sich. Anders aber verhält es sich mit der Fähigkeit, dieses Gesetz so zu verwenden, daß es zugleich metrische Geltung hat, d. h. Hebung und Senkung für Länge und Kürze gilt und so die antiken Versfüße nachgeahmt werden können. Das Eng- lische ist noch weit mehr, als das Deutsche, wo es rein blieb, der Neigung gefolgt, die Fülle der aus Abwandlung und Ableitung entspringenden End- sylben abzustoßen, in stumme e zu versenken; so ist es überreich an einsyl- bigen Wörtern und seine mehrsylbigen entbehren mit den volleren Endungen der prosodischen Mannigfaltigkeit. Hiemit mußte das metrische Gefühl sich abstumpfen, was sich namentlich auch darin zeigt, daß die Willkür im Gebrauche der Mittelzeiten ungleich größer ist, als im Deutschen. Ferner hat das gehobene Sprechen, die Declamation im Englischen eine stoßweise Bewegung, wodurch der Charakter einer Accentsprache sich noch verstärkt und gegen gesetzmäßige Verwendung der Accentverhältnisse als quantitiren- der sich ungleich mehr verhärtet, als das Deutsche. Noch durchgreifender wird der Accent durch die Stellung des Worts bedingt, der Wort-Accent durch den Sinn-Accent gekreuzt und auch dadurch eine wirkliche Durch- führung geordneter Längen und Kürzen gestört. Nun ist zwar das Metrische so weit eingedrungen, daß die Senkungen als Kürzen neben den Hebungen als Längen durch Zahl geregelt sind, aber die Versmaaße werden doch mehr
Vischer's Aesthetik. 4. Band. 81
nur das Einfachſte erkennbar iſt; es gibt nur Jamben und Trochäen, Nachahmung der reicher gegliederten antiken Maaße iſt unmöglich. Die monoton wiederkehrende Zerhackung der rhythmiſchen Reihe im Alexandriner entſpricht dem Geiſte der witzigen antithetiſchen Zuſpitzung, welcher der Nation eigen iſt. — Das Italieniſche trägt ungleich mehr Fähigkeit einer organiſchen Rhythmik in ſich; es läßt im Weſentlichen der Stamm- ſylbe die entſchiedene Betonung und hat nicht alle Flexionen, Endungen verſtümmelt. Die vielen Endungen mit zwei kurzen Sylben liefern neben dem herrſchenden jambiſchen Tonfalle reichen anapäſtiſchen und daktyliſchen Stoff, ſtören aber die Anwendung des Spondäus, welcher ohnedieß der Verluſt ſehr vieler lateiniſcher Längen große Schwierigkeit bereitet. Dieſe Sprache iſt aber durch die volle Klangſchönheit, welche ſie vor allen neueren auszeichnet, ſo entſchieden nach der reichſten Ausbildung der muſikaliſchen Seite in kunſtreich verſchlungenen Reimſyſtemen hingelenkt, daß auch ſie das rhythmiſch-metriſche Verhältniß in jenem Zuſtande der Willkür, obwohl die- ſelbe nicht ſo tief greift, wie die franzöſiſche, belaſſen hat. Aehnlich verhält es ſich im Spaniſchen; unter den Versarten entſpricht ſeinem gravitätiſchen Geiſte vorzüglich der feierlich empfindungsreiche Trochäus, den ſie, in kurzen Reihen Gewicht an Gewicht hängend, ſich zu eigen gemacht hat. — Die engliſche Sprache trägt als original deutſche, mit romaniſchem Zuſatz nur mäßig gemiſchte, das Geſetz der Zuſammenſtimmung von Vers- und Wort- Accent durch urſprüngliche Natur und Neigung in ſich. Anders aber verhält es ſich mit der Fähigkeit, dieſes Geſetz ſo zu verwenden, daß es zugleich metriſche Geltung hat, d. h. Hebung und Senkung für Länge und Kürze gilt und ſo die antiken Versfüße nachgeahmt werden können. Das Eng- liſche iſt noch weit mehr, als das Deutſche, wo es rein blieb, der Neigung gefolgt, die Fülle der aus Abwandlung und Ableitung entſpringenden End- ſylben abzuſtoßen, in ſtumme e zu verſenken; ſo iſt es überreich an einſyl- bigen Wörtern und ſeine mehrſylbigen entbehren mit den volleren Endungen der proſodiſchen Mannigfaltigkeit. Hiemit mußte das metriſche Gefühl ſich abſtumpfen, was ſich namentlich auch darin zeigt, daß die Willkür im Gebrauche der Mittelzeiten ungleich größer iſt, als im Deutſchen. Ferner hat das gehobene Sprechen, die Declamation im Engliſchen eine ſtoßweiſe Bewegung, wodurch der Charakter einer Accentſprache ſich noch verſtärkt und gegen geſetzmäßige Verwendung der Accentverhältniſſe als quantitiren- der ſich ungleich mehr verhärtet, als das Deutſche. Noch durchgreifender wird der Accent durch die Stellung des Worts bedingt, der Wort-Accent durch den Sinn-Accent gekreuzt und auch dadurch eine wirkliche Durch- führung geordneter Längen und Kürzen geſtört. Nun iſt zwar das Metriſche ſo weit eingedrungen, daß die Senkungen als Kürzen neben den Hebungen als Längen durch Zahl geregelt ſind, aber die Versmaaße werden doch mehr
Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 81
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0119"n="1255"/>
nur das Einfachſte erkennbar iſt; es gibt nur Jamben und Trochäen,<lb/>
Nachahmung der reicher gegliederten antiken Maaße iſt unmöglich. Die<lb/>
monoton wiederkehrende Zerhackung der rhythmiſchen Reihe im Alexandriner<lb/>
entſpricht dem Geiſte der witzigen antithetiſchen Zuſpitzung, welcher der<lb/>
Nation eigen iſt. — Das <hirendition="#g">Italieniſche</hi> trägt ungleich mehr Fähigkeit<lb/>
einer organiſchen Rhythmik in ſich; es läßt im Weſentlichen der Stamm-<lb/>ſylbe die entſchiedene Betonung und hat nicht alle Flexionen, Endungen<lb/>
verſtümmelt. Die vielen Endungen mit zwei kurzen Sylben liefern neben<lb/>
dem herrſchenden jambiſchen Tonfalle reichen anapäſtiſchen und daktyliſchen<lb/>
Stoff, ſtören aber die Anwendung des Spondäus, welcher ohnedieß der<lb/>
Verluſt ſehr vieler lateiniſcher Längen große Schwierigkeit bereitet. Dieſe<lb/>
Sprache iſt aber durch die volle Klangſchönheit, welche ſie vor allen neueren<lb/>
auszeichnet, ſo entſchieden nach der reichſten Ausbildung der muſikaliſchen<lb/>
Seite in kunſtreich verſchlungenen Reimſyſtemen hingelenkt, daß auch ſie das<lb/>
rhythmiſch-metriſche Verhältniß in jenem Zuſtande der Willkür, obwohl die-<lb/>ſelbe nicht ſo tief greift, wie die franzöſiſche, belaſſen hat. Aehnlich verhält<lb/>
es ſich im <hirendition="#g">Spaniſchen</hi>; unter den Versarten entſpricht ſeinem gravitätiſchen<lb/>
Geiſte vorzüglich der feierlich empfindungsreiche Trochäus, den ſie, in kurzen<lb/>
Reihen Gewicht an Gewicht hängend, ſich zu eigen gemacht hat. — Die<lb/><hirendition="#g">engliſche</hi> Sprache trägt als original deutſche, mit romaniſchem Zuſatz nur<lb/>
mäßig gemiſchte, das Geſetz der Zuſammenſtimmung von Vers- und Wort-<lb/>
Accent durch urſprüngliche Natur und Neigung in ſich. Anders aber verhält<lb/>
es ſich mit der Fähigkeit, dieſes Geſetz ſo zu verwenden, daß es zugleich<lb/>
metriſche Geltung hat, d. h. Hebung und Senkung für Länge und Kürze<lb/>
gilt und ſo die antiken Versfüße nachgeahmt werden können. Das Eng-<lb/>
liſche iſt noch weit mehr, als das Deutſche, wo es rein blieb, der Neigung<lb/>
gefolgt, die Fülle der aus Abwandlung und Ableitung entſpringenden End-<lb/>ſylben abzuſtoßen, in ſtumme <hirendition="#aq">e</hi> zu verſenken; ſo iſt es überreich an einſyl-<lb/>
bigen Wörtern und ſeine mehrſylbigen entbehren mit den volleren Endungen<lb/>
der proſodiſchen Mannigfaltigkeit. Hiemit mußte das metriſche Gefühl ſich<lb/>
abſtumpfen, was ſich namentlich auch darin zeigt, daß die Willkür im<lb/>
Gebrauche der Mittelzeiten ungleich größer iſt, als im Deutſchen. Ferner<lb/>
hat das gehobene Sprechen, die Declamation im Engliſchen eine ſtoßweiſe<lb/>
Bewegung, wodurch der Charakter einer Accentſprache ſich noch verſtärkt<lb/>
und gegen geſetzmäßige Verwendung der Accentverhältniſſe als quantitiren-<lb/>
der ſich ungleich mehr verhärtet, als das Deutſche. Noch durchgreifender<lb/>
wird der Accent durch die Stellung des Worts bedingt, der Wort-Accent<lb/>
durch den Sinn-Accent gekreuzt und auch dadurch eine wirkliche Durch-<lb/>
führung geordneter Längen und Kürzen geſtört. Nun iſt zwar das Metriſche<lb/>ſo weit eingedrungen, daß die Senkungen als Kürzen neben den Hebungen<lb/>
als Längen durch Zahl geregelt ſind, aber die Versmaaße werden doch mehr</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Viſcher’s</hi> Aeſthetik. 4. Band. 81</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1255/0119]
nur das Einfachſte erkennbar iſt; es gibt nur Jamben und Trochäen,
Nachahmung der reicher gegliederten antiken Maaße iſt unmöglich. Die
monoton wiederkehrende Zerhackung der rhythmiſchen Reihe im Alexandriner
entſpricht dem Geiſte der witzigen antithetiſchen Zuſpitzung, welcher der
Nation eigen iſt. — Das Italieniſche trägt ungleich mehr Fähigkeit
einer organiſchen Rhythmik in ſich; es läßt im Weſentlichen der Stamm-
ſylbe die entſchiedene Betonung und hat nicht alle Flexionen, Endungen
verſtümmelt. Die vielen Endungen mit zwei kurzen Sylben liefern neben
dem herrſchenden jambiſchen Tonfalle reichen anapäſtiſchen und daktyliſchen
Stoff, ſtören aber die Anwendung des Spondäus, welcher ohnedieß der
Verluſt ſehr vieler lateiniſcher Längen große Schwierigkeit bereitet. Dieſe
Sprache iſt aber durch die volle Klangſchönheit, welche ſie vor allen neueren
auszeichnet, ſo entſchieden nach der reichſten Ausbildung der muſikaliſchen
Seite in kunſtreich verſchlungenen Reimſyſtemen hingelenkt, daß auch ſie das
rhythmiſch-metriſche Verhältniß in jenem Zuſtande der Willkür, obwohl die-
ſelbe nicht ſo tief greift, wie die franzöſiſche, belaſſen hat. Aehnlich verhält
es ſich im Spaniſchen; unter den Versarten entſpricht ſeinem gravitätiſchen
Geiſte vorzüglich der feierlich empfindungsreiche Trochäus, den ſie, in kurzen
Reihen Gewicht an Gewicht hängend, ſich zu eigen gemacht hat. — Die
engliſche Sprache trägt als original deutſche, mit romaniſchem Zuſatz nur
mäßig gemiſchte, das Geſetz der Zuſammenſtimmung von Vers- und Wort-
Accent durch urſprüngliche Natur und Neigung in ſich. Anders aber verhält
es ſich mit der Fähigkeit, dieſes Geſetz ſo zu verwenden, daß es zugleich
metriſche Geltung hat, d. h. Hebung und Senkung für Länge und Kürze
gilt und ſo die antiken Versfüße nachgeahmt werden können. Das Eng-
liſche iſt noch weit mehr, als das Deutſche, wo es rein blieb, der Neigung
gefolgt, die Fülle der aus Abwandlung und Ableitung entſpringenden End-
ſylben abzuſtoßen, in ſtumme e zu verſenken; ſo iſt es überreich an einſyl-
bigen Wörtern und ſeine mehrſylbigen entbehren mit den volleren Endungen
der proſodiſchen Mannigfaltigkeit. Hiemit mußte das metriſche Gefühl ſich
abſtumpfen, was ſich namentlich auch darin zeigt, daß die Willkür im
Gebrauche der Mittelzeiten ungleich größer iſt, als im Deutſchen. Ferner
hat das gehobene Sprechen, die Declamation im Engliſchen eine ſtoßweiſe
Bewegung, wodurch der Charakter einer Accentſprache ſich noch verſtärkt
und gegen geſetzmäßige Verwendung der Accentverhältniſſe als quantitiren-
der ſich ungleich mehr verhärtet, als das Deutſche. Noch durchgreifender
wird der Accent durch die Stellung des Worts bedingt, der Wort-Accent
durch den Sinn-Accent gekreuzt und auch dadurch eine wirkliche Durch-
führung geordneter Längen und Kürzen geſtört. Nun iſt zwar das Metriſche
ſo weit eingedrungen, daß die Senkungen als Kürzen neben den Hebungen
als Längen durch Zahl geregelt ſind, aber die Versmaaße werden doch mehr
Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 81
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/119>, abgerufen am 08.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.