die Gesammtbewegung ist, desto höher der Ton. Soll ein Ton dem Ohre überhaupt noch wahrnehmbar sein, so dürfen nach neuern Untersuchungen auf die Secunde nicht weniger als 8 und nicht mehr als 24000 (nach Andern 36000) Schwingungen treffen; faßlich aber, d. h. nach Tiefe und Höhe genau bestimmbar, ist der Ton nur zwischen den Grenzen von 16 Schwingungen und ungefähr 8500 Schwingungen in der Secunde (wobei unter einer Schwingung hier die doppelte Zurücklegung des kleinen Wegs verstanden ist, den die Theilchen des Körpers in abwechselnd entgegengesetzter Richtung beschreiben); das jetzt gewöhnliche Tonsystem geht über die Grenzen von 16 und 4200 nicht leicht hinaus; Zahlen, immer noch weit genug von einander entfernt, um nicht nur einer großen Zahl von Einzeltönen zwischen sich Raum, sondern auch diese Einzeltöne sich selbst wiederum zu verschieden- artigen, dem obersten und untersten klaren Tone näher oder ferner liegen- den, "hohen, tiefen und mittlern" Tongebieten sich gruppiren zu lassen.
2. Die Höhenunterschiede zwischen den Einzeltönen (die Intervalle der Töne) bestimmen sich nach dem Verhältniß ihrer Schwingungsgeschwindig- keiten zu einander; dieses Verhältniß faßt (§. 762. Anm.) das Gefühl mittelst unbewußten Vergleichens auf und erhält so den bestimmten Eindruck der größern oder kleinern Distanz zwischen beiden. Anzunehmen ist übrigens, daß dieses Wahrnehmen der Höhe und Tiefe des Tons zugleich unterstützt ist durch das qualitative, dynamische Moment der verschiedenen, mehr oder weniger scharfen Einwirkung, welche das Gehörorgan von den verschiedenen Tonschwingungen erfährt. Die Alten wußten, weit richtiger als wir, nichts von "hohen und tiefen," sondern von "scharfen," akuten und "schweren" (stumpfen, dumpfen, weniger beweglichen) Tönen; in der That, "höher und tiefer" sind nur uneigentliche, auf das Liegen aller Töne in Einer stetigen Scale zwar passend hinweisende, aber doch blos bildliche, zufällige Bezeichnungen. Die schnelle Vibration des tönenden Körpers ver- setzt auch das Gehörorgan in eine schnellere, gereiztere, schärfer ein- schneidende Bewegung als die langsame (daher denn auch die "hohen" Töne auf das Nervensystem angreifender wirken als die mehr breiten, ruhigen Töne der tiefern Lagen). Bei langsamer Schwingung steht der Körper seinem Zustande der Ruhe, in welchem er tonlos ist, d. h. der Ton- losigkeit selbst noch näher, und der Ton behält daher, je "tiefer" er ist, desto mehr den Charakter geringerer Erregung der Elasticität, geringerer Schärfung des Klanges, womit auch der noch mehr materielle und elemen- tarische, weniger distincte, dem dunkeln Tiefen vergleichbare Laut dieser Töne zusammenhängt. Je schneller aber die Schwingung, je rascher der elastische Körper aus dem Gleichgewicht seiner Theile gerissen wird, je krampfhafter er in sich zusammenzittert, desto mehr empfängt auch die Empfindung den Eindruck eines verschärften, verdünnten, sich mehr und mehr zuspitzenden
die Geſammtbewegung iſt, deſto höher der Ton. Soll ein Ton dem Ohre überhaupt noch wahrnehmbar ſein, ſo dürfen nach neuern Unterſuchungen auf die Secunde nicht weniger als 8 und nicht mehr als 24000 (nach Andern 36000) Schwingungen treffen; faßlich aber, d. h. nach Tiefe und Höhe genau beſtimmbar, iſt der Ton nur zwiſchen den Grenzen von 16 Schwingungen und ungefähr 8500 Schwingungen in der Secunde (wobei unter einer Schwingung hier die doppelte Zurücklegung des kleinen Wegs verſtanden iſt, den die Theilchen des Körpers in abwechſelnd entgegengeſetzter Richtung beſchreiben); das jetzt gewöhnliche Tonſyſtem geht über die Grenzen von 16 und 4200 nicht leicht hinaus; Zahlen, immer noch weit genug von einander entfernt, um nicht nur einer großen Zahl von Einzeltönen zwiſchen ſich Raum, ſondern auch dieſe Einzeltöne ſich ſelbſt wiederum zu verſchieden- artigen, dem oberſten und unterſten klaren Tone näher oder ferner liegen- den, „hohen, tiefen und mittlern“ Tongebieten ſich gruppiren zu laſſen.
2. Die Höhenunterſchiede zwiſchen den Einzeltönen (die Intervalle der Töne) beſtimmen ſich nach dem Verhältniß ihrer Schwingungsgeſchwindig- keiten zu einander; dieſes Verhältniß faßt (§. 762. Anm.) das Gefühl mittelſt unbewußten Vergleichens auf und erhält ſo den beſtimmten Eindruck der größern oder kleinern Diſtanz zwiſchen beiden. Anzunehmen iſt übrigens, daß dieſes Wahrnehmen der Höhe und Tiefe des Tons zugleich unterſtützt iſt durch das qualitative, dynamiſche Moment der verſchiedenen, mehr oder weniger ſcharfen Einwirkung, welche das Gehörorgan von den verſchiedenen Tonſchwingungen erfährt. Die Alten wußten, weit richtiger als wir, nichts von „hohen und tiefen,“ ſondern von „ſcharfen,“ akuten und „ſchweren“ (ſtumpfen, dumpfen, weniger beweglichen) Tönen; in der That, „höher und tiefer“ ſind nur uneigentliche, auf das Liegen aller Töne in Einer ſtetigen Scale zwar paſſend hinweiſende, aber doch blos bildliche, zufällige Bezeichnungen. Die ſchnelle Vibration des tönenden Körpers ver- ſetzt auch das Gehörorgan in eine ſchnellere, gereiztere, ſchärfer ein- ſchneidende Bewegung als die langſame (daher denn auch die „hohen“ Töne auf das Nervenſyſtem angreifender wirken als die mehr breiten, ruhigen Töne der tiefern Lagen). Bei langſamer Schwingung ſteht der Körper ſeinem Zuſtande der Ruhe, in welchem er tonlos iſt, d. h. der Ton- loſigkeit ſelbſt noch näher, und der Ton behält daher, je „tiefer“ er iſt, deſto mehr den Charakter geringerer Erregung der Elaſticität, geringerer Schärfung des Klanges, womit auch der noch mehr materielle und elemen- tariſche, weniger diſtincte, dem dunkeln Tiefen vergleichbare Laut dieſer Töne zuſammenhängt. Je ſchneller aber die Schwingung, je raſcher der elaſtiſche Körper aus dem Gleichgewicht ſeiner Theile geriſſen wird, je krampfhafter er in ſich zuſammenzittert, deſto mehr empfängt auch die Empfindung den Eindruck eines verſchärften, verdünnten, ſich mehr und mehr zuſpitzenden
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[848/0086]
die Geſammtbewegung iſt, deſto höher der Ton. Soll ein Ton dem Ohre
überhaupt noch wahrnehmbar ſein, ſo dürfen nach neuern Unterſuchungen
auf die Secunde nicht weniger als 8 und nicht mehr als 24000 (nach
Andern 36000) Schwingungen treffen; faßlich aber, d. h. nach Tiefe und
Höhe genau beſtimmbar, iſt der Ton nur zwiſchen den Grenzen von 16
Schwingungen und ungefähr 8500 Schwingungen in der Secunde (wobei
unter einer Schwingung hier die doppelte Zurücklegung des kleinen Wegs
verſtanden iſt, den die Theilchen des Körpers in abwechſelnd entgegengeſetzter
Richtung beſchreiben); das jetzt gewöhnliche Tonſyſtem geht über die Grenzen
von 16 und 4200 nicht leicht hinaus; Zahlen, immer noch weit genug von
einander entfernt, um nicht nur einer großen Zahl von Einzeltönen zwiſchen
ſich Raum, ſondern auch dieſe Einzeltöne ſich ſelbſt wiederum zu verſchieden-
artigen, dem oberſten und unterſten klaren Tone näher oder ferner liegen-
den, „hohen, tiefen und mittlern“ Tongebieten ſich gruppiren zu laſſen.
2. Die Höhenunterſchiede zwiſchen den Einzeltönen (die Intervalle der
Töne) beſtimmen ſich nach dem Verhältniß ihrer Schwingungsgeſchwindig-
keiten zu einander; dieſes Verhältniß faßt (§. 762. Anm.) das Gefühl
mittelſt unbewußten Vergleichens auf und erhält ſo den beſtimmten Eindruck
der größern oder kleinern Diſtanz zwiſchen beiden. Anzunehmen iſt übrigens,
daß dieſes Wahrnehmen der Höhe und Tiefe des Tons zugleich unterſtützt
iſt durch das qualitative, dynamiſche Moment der verſchiedenen,
mehr oder weniger ſcharfen Einwirkung, welche das Gehörorgan von den
verſchiedenen Tonſchwingungen erfährt. Die Alten wußten, weit richtiger
als wir, nichts von „hohen und tiefen,“ ſondern von „ſcharfen,“ akuten
und „ſchweren“ (ſtumpfen, dumpfen, weniger beweglichen) Tönen; in der
That, „höher und tiefer“ ſind nur uneigentliche, auf das Liegen aller Töne
in Einer ſtetigen Scale zwar paſſend hinweiſende, aber doch blos bildliche,
zufällige Bezeichnungen. Die ſchnelle Vibration des tönenden Körpers ver-
ſetzt auch das Gehörorgan in eine ſchnellere, gereiztere, ſchärfer ein-
ſchneidende Bewegung als die langſame (daher denn auch die „hohen“
Töne auf das Nervenſyſtem angreifender wirken als die mehr breiten,
ruhigen Töne der tiefern Lagen). Bei langſamer Schwingung ſteht der
Körper ſeinem Zuſtande der Ruhe, in welchem er tonlos iſt, d. h. der Ton-
loſigkeit ſelbſt noch näher, und der Ton behält daher, je „tiefer“ er iſt,
deſto mehr den Charakter geringerer Erregung der Elaſticität, geringerer
Schärfung des Klanges, womit auch der noch mehr materielle und elemen-
tariſche, weniger diſtincte, dem dunkeln Tiefen vergleichbare Laut dieſer Töne
zuſammenhängt. Je ſchneller aber die Schwingung, je raſcher der elaſtiſche
Körper aus dem Gleichgewicht ſeiner Theile geriſſen wird, je krampfhafter
er in ſich zuſammenzittert, deſto mehr empfängt auch die Empfindung den
Eindruck eines verſchärften, verdünnten, ſich mehr und mehr zuſpitzenden
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 848. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/86>, abgerufen am 26.11.2024.
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