sammenfassen. Diese Analogieen ließen sich leicht vermehren, allein man darf nun nicht übersehen, wie der tiefe Unterschied der Grundform beider Künste sich gerade auch in der Seite der Verwandtschaft selbst geltend macht: die Musik als Kunst der fühlenden Subjectivität verhält sich zur Baukunst wie eine unendliche zu einer armen Welt; jene in ihrer höchsten, monu- mentalen Thätigkeit gibt zwar immer eine Ahnung des Absoluten als der weltbauenden Kraft, aber nur sparsam kann sie dieß Grundgefühl in unter- schiedene Stimmungstöne auseinanderlegen, die ganze Geschichte der Bau- kunst befaßt sich in wenigen Hauptmodificationen; die Musik erregt, wie wir gesehen, auch eine Ahnung des Sichtbaren und weltbauender, räumlich ordnender Weltkräfte, aber nur, um über diese Ahnung fortzuführen zu der höchst concreten Einheit alles Lebens in der geistigen Unendlichkeit des menschlichen Innern, das in der warmen Gegenwart seiner vertieften Innig- keit nur eine ferne Reminiscenz der Planetenbauenden Urthätigkeit der Welt- kraft bewahrt. Allerdings wird die Vorstellung eines idealen Weltbaus in der Baukunst zugleich dunkel symbolisches Bild eines idealen Baues der menschlichen Gesellschaft. Dieß ethisch politische Element wirkt in die Musik entfernter herein, als in die Architektur; die musikalischen Genien als Reprä- sentanten ihrer Zeit nach der politisch geschichtlichen Seite zu betrachten, hat etwas Schwieriges und verführt leicht zu gesuchtem Symbolisiren. Die Musik aber ist überhaupt auch an sich nicht mehr symbolisch wie die Bau- kunst; die Kunstform der Tonwelt spricht das Innere unmittelbar und direct aus: ein neuer Beweis dafür, wie wesentlich es ist, die Schwingungsver- hältnisse als im Innern des Gefühlslebens angelegt zu betrachten und dieser dunkeln Quelle nachzuspüren. Wenn aber die Tonkunst weniger nach dem Weltgeschichtlichen hinweist, so entfaltet sie dagegen das subjective Leben als rein Menschliches in einer Unendlichkeit des Reichthums, welcher der Baukunst ganz verschlossen ist. Und daraus folgt dann, daß sie in dem Architekturähnlichen Rahmen ihrer mathematischen Grundlagen einen schlecht- hin weiteren Spielraum hat; sie kennt so, wie die Baukunst, kein Gesetz der Regelmäßigkeit und Symmetrie; entspricht z. B. der Takt den Säulen- abständen, so wogt ja zwischen seinen Einschnitten die Melodie frei in unendlichem Wechsel der zwischen sie eingegrenzten Töne, während in der Baukunst um die Säulenaxen, welche eigentlich die Takt-Theilung dar- stellen, die ästhetische Form zwar als Säule sich ansammelt, aber in gleicher Wiederholung und mit leeren Zwischenräumen. Sucht man die Symmetrie in den parallel sich entsprechenden Wiederholungen gewisser Sätze in der musikalischen Composition, so sind sich doch diese niemals abstract gleich, sondern unterscheiden sich wie Frage und Antwort, Einfaches und reich Entwickeltes, Sehnsucht und Befriedigung u. s. w. Kurz hier schwebt ein freier Geist zwischen den gleichen Ordnungen der Marksteine hin, dort sind
ſammenfaſſen. Dieſe Analogieen ließen ſich leicht vermehren, allein man darf nun nicht überſehen, wie der tiefe Unterſchied der Grundform beider Künſte ſich gerade auch in der Seite der Verwandtſchaft ſelbſt geltend macht: die Muſik als Kunſt der fühlenden Subjectivität verhält ſich zur Baukunſt wie eine unendliche zu einer armen Welt; jene in ihrer höchſten, monu- mentalen Thätigkeit gibt zwar immer eine Ahnung des Abſoluten als der weltbauenden Kraft, aber nur ſparſam kann ſie dieß Grundgefühl in unter- ſchiedene Stimmungstöne auseinanderlegen, die ganze Geſchichte der Bau- kunſt befaßt ſich in wenigen Hauptmodificationen; die Muſik erregt, wie wir geſehen, auch eine Ahnung des Sichtbaren und weltbauender, räumlich ordnender Weltkräfte, aber nur, um über dieſe Ahnung fortzuführen zu der höchſt concreten Einheit alles Lebens in der geiſtigen Unendlichkeit des menſchlichen Innern, das in der warmen Gegenwart ſeiner vertieften Innig- keit nur eine ferne Reminiſcenz der Planetenbauenden Urthätigkeit der Welt- kraft bewahrt. Allerdings wird die Vorſtellung eines idealen Weltbaus in der Baukunſt zugleich dunkel ſymboliſches Bild eines idealen Baues der menſchlichen Geſellſchaft. Dieß ethiſch politiſche Element wirkt in die Muſik entfernter herein, als in die Architektur; die muſikaliſchen Genien als Reprä- ſentanten ihrer Zeit nach der politiſch geſchichtlichen Seite zu betrachten, hat etwas Schwieriges und verführt leicht zu geſuchtem Symboliſiren. Die Muſik aber iſt überhaupt auch an ſich nicht mehr ſymboliſch wie die Bau- kunſt; die Kunſtform der Tonwelt ſpricht das Innere unmittelbar und direct aus: ein neuer Beweis dafür, wie weſentlich es iſt, die Schwingungsver- hältniſſe als im Innern des Gefühlslebens angelegt zu betrachten und dieſer dunkeln Quelle nachzuſpüren. Wenn aber die Tonkunſt weniger nach dem Weltgeſchichtlichen hinweist, ſo entfaltet ſie dagegen das ſubjective Leben als rein Menſchliches in einer Unendlichkeit des Reichthums, welcher der Baukunſt ganz verſchloſſen iſt. Und daraus folgt dann, daß ſie in dem Architekturähnlichen Rahmen ihrer mathematiſchen Grundlagen einen ſchlecht- hin weiteren Spielraum hat; ſie kennt ſo, wie die Baukunſt, kein Geſetz der Regelmäßigkeit und Symmetrie; entſpricht z. B. der Takt den Säulen- abſtänden, ſo wogt ja zwiſchen ſeinen Einſchnitten die Melodie frei in unendlichem Wechſel der zwiſchen ſie eingegrenzten Töne, während in der Baukunſt um die Säulenaxen, welche eigentlich die Takt-Theilung dar- ſtellen, die äſthetiſche Form zwar als Säule ſich anſammelt, aber in gleicher Wiederholung und mit leeren Zwiſchenräumen. Sucht man die Symmetrie in den parallel ſich entſprechenden Wiederholungen gewiſſer Sätze in der muſikaliſchen Compoſition, ſo ſind ſich doch dieſe niemals abſtract gleich, ſondern unterſcheiden ſich wie Frage und Antwort, Einfaches und reich Entwickeltes, Sehnſucht und Befriedigung u. ſ. w. Kurz hier ſchwebt ein freier Geiſt zwiſchen den gleichen Ordnungen der Markſteine hin, dort ſind
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ſammenfaſſen. Dieſe Analogieen ließen ſich leicht vermehren, allein man
darf nun nicht überſehen, wie der tiefe Unterſchied der Grundform beider
Künſte ſich gerade auch in der Seite der Verwandtſchaft ſelbſt geltend macht:
die Muſik als Kunſt der fühlenden Subjectivität verhält ſich zur Baukunſt
wie eine unendliche zu einer armen Welt; jene in ihrer höchſten, monu-
mentalen Thätigkeit gibt zwar immer eine Ahnung des Abſoluten als der
weltbauenden Kraft, aber nur ſparſam kann ſie dieß Grundgefühl in unter-
ſchiedene Stimmungstöne auseinanderlegen, die ganze Geſchichte der Bau-
kunſt befaßt ſich in wenigen Hauptmodificationen; die Muſik erregt, wie
wir geſehen, auch eine Ahnung des Sichtbaren und weltbauender, räumlich
ordnender Weltkräfte, aber nur, um über dieſe Ahnung fortzuführen zu der
höchſt concreten Einheit alles Lebens in der geiſtigen Unendlichkeit des
menſchlichen Innern, das in der warmen Gegenwart ſeiner vertieften Innig-
keit nur eine ferne Reminiſcenz der Planetenbauenden Urthätigkeit der Welt-
kraft bewahrt. Allerdings wird die Vorſtellung eines idealen Weltbaus in
der Baukunſt zugleich dunkel ſymboliſches Bild eines idealen Baues der
menſchlichen Geſellſchaft. Dieß ethiſch politiſche Element wirkt in die Muſik
entfernter herein, als in die Architektur; die muſikaliſchen Genien als Reprä-
ſentanten ihrer Zeit nach der politiſch geſchichtlichen Seite zu betrachten, hat
etwas Schwieriges und verführt leicht zu geſuchtem Symboliſiren. Die
Muſik aber iſt überhaupt auch an ſich nicht mehr ſymboliſch wie die Bau-
kunſt; die Kunſtform der Tonwelt ſpricht das Innere unmittelbar und direct
aus: ein neuer Beweis dafür, wie weſentlich es iſt, die Schwingungsver-
hältniſſe als im Innern des Gefühlslebens angelegt zu betrachten und dieſer
dunkeln Quelle nachzuſpüren. Wenn aber die Tonkunſt weniger nach dem
Weltgeſchichtlichen hinweist, ſo entfaltet ſie dagegen das ſubjective Leben
als rein Menſchliches in einer Unendlichkeit des Reichthums, welcher der
Baukunſt ganz verſchloſſen iſt. Und daraus folgt dann, daß ſie in dem
Architekturähnlichen Rahmen ihrer mathematiſchen Grundlagen einen ſchlecht-
hin weiteren Spielraum hat; ſie kennt ſo, wie die Baukunſt, kein Geſetz
der Regelmäßigkeit und Symmetrie; entſpricht z. B. der Takt den Säulen-
abſtänden, ſo wogt ja zwiſchen ſeinen Einſchnitten die Melodie frei in
unendlichem Wechſel der zwiſchen ſie eingegrenzten Töne, während in der
Baukunſt um die Säulenaxen, welche eigentlich die Takt-Theilung dar-
ſtellen, die äſthetiſche Form zwar als Säule ſich anſammelt, aber in gleicher
Wiederholung und mit leeren Zwiſchenräumen. Sucht man die Symmetrie
in den parallel ſich entſprechenden Wiederholungen gewiſſer Sätze in der
muſikaliſchen Compoſition, ſo ſind ſich doch dieſe niemals abſtract gleich,
ſondern unterſcheiden ſich wie Frage und Antwort, Einfaches und reich
Entwickeltes, Sehnſucht und Befriedigung u. ſ. w. Kurz hier ſchwebt ein
freier Geiſt zwiſchen den gleichen Ordnungen der Markſteine hin, dort ſind
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 837. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/75>, abgerufen am 09.11.2024.
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