und das bekannte Wort Fr. Schlegel's angeführt, sie sei eine gefrorne Musik (§. 557, Anm. 1.) Nicht scheint die Natur zweier Künste entgegengesetzter, als die der Baukunst und Tonkunst: dort die spröde, bewegungslose, schwere Materie, in ihrer Schwere geltend, die unorganische Natur, der Raum, hier der körperlose Ton, der nur Leben und Bewegung ist, die Zeit, das fühlende Herz, dort die objectivste unter den objectiven Künsten, hier die schlechthin subjective Kunst. Das Merkwürdige ist die innige Verwandtschaft gerade bei der Härte dieses Unterschieds. Dieselbe liegt nun vor Allem in dem Charakter der Allgemeinheit, der beide Künste von allen andern als solchen unterscheidet, welche eine geschlossene Lebensgestalt, ein Inneres mit seinem individuellen Körper geben, wogegen jene nur ein allgemeines Medium durch das Netz abstracter Ordnungen durchziehen. Da die feste Gestaltung im Sichtbaren oder innerlich Vorgestellten den Aether des Allgemeinen in ein- zelne, abgegrenzte Welten zersprengt, so sind Baukunst und Musik, wie wir es von der letzteren schon in §. 764 ausgesprochen haben, in gewissem Sinn Künste des Ideals im engeren Sinne des Worts, des reinen Aufschwungs an sich, der Idee, die noch nicht in die Gegensätze des Lebens sich versenkt. In diesem Sinne stellt Solger beide Künste symmetrisch neben die Plastik und Malerei: die Baukunst tritt neben jene, die Musik neben diese, wie eine noch körperlose Seele neben ihre körperliche Verdichtung. Wir werden darauf zurückkommen, eine Seite dieser Auffassung beibehalten, die andere verändern und wesentlich ergänzen. Die Natur der reinen Allgemeinheit in diesen Künsten liegt nun näher darin, daß sie Künste der bloßen Stimmung sind: Künste des Ideals in dem Sinn, daß sie die ideale Stimmung über- haupt darstellen. Es ist gezeigt worden, wie die Baukunst von dem Inhalt, der ihr Inneres in concreter Form erfüllen soll, die Stimmungsseite ab- löst und symbolisch andeutend für sich darstellt; ist sie dadurch, daß sie die Stimmung in der harten Materie krystallisirt, gefrorne Musik, so kann man die Musik, welche dieses Band löst, aufgethaute Baukunst nennen. Schlagend zeigt sich die Verwandtschaft in den verschiedenen Seiten des Systems der Kunstformen: das Quantitative als Takt offenbart sich analog in dem regelmäßig Wiederkehrenden der Säulenabstände, der theilenden Ein- rahmung durch umsäumende Glieder, das Qualitative, Höhe und Tiefe und die Bewegung der Melodie, in den auf Grundlage fester Gesetze frei wechseln- den Unterschieden der architektonischen Erstreckungen nach Höhe, Breite, Länge, der Rhythmus der Composition in der Anordnung dieser Verhältnisse zu den großen Gegensätzen der structiven Hauptglieder und ihrer Verbindung; die Harmonie als gleichzeitiges Ertönen verschiedener Stimmen und Melodieen sieht man klar sich ausbilden, wo der einfache antike Bau zur organisch geeinigten Gruppe wird im mehrschiffigen, kreuzförmigen Bau, dessen Wölbungen als reichere Accorde die reicher gegliederte Mannigfaltigkeit zu-
und das bekannte Wort Fr. Schlegel’s angeführt, ſie ſei eine gefrorne Muſik (§. 557, Anm. 1.) Nicht ſcheint die Natur zweier Künſte entgegengeſetzter, als die der Baukunſt und Tonkunſt: dort die ſpröde, bewegungsloſe, ſchwere Materie, in ihrer Schwere geltend, die unorganiſche Natur, der Raum, hier der körperloſe Ton, der nur Leben und Bewegung iſt, die Zeit, das fühlende Herz, dort die objectivſte unter den objectiven Künſten, hier die ſchlechthin ſubjective Kunſt. Das Merkwürdige iſt die innige Verwandtſchaft gerade bei der Härte dieſes Unterſchieds. Dieſelbe liegt nun vor Allem in dem Charakter der Allgemeinheit, der beide Künſte von allen andern als ſolchen unterſcheidet, welche eine geſchloſſene Lebensgeſtalt, ein Inneres mit ſeinem individuellen Körper geben, wogegen jene nur ein allgemeines Medium durch das Netz abſtracter Ordnungen durchziehen. Da die feſte Geſtaltung im Sichtbaren oder innerlich Vorgeſtellten den Aether des Allgemeinen in ein- zelne, abgegrenzte Welten zerſprengt, ſo ſind Baukunſt und Muſik, wie wir es von der letzteren ſchon in §. 764 ausgeſprochen haben, in gewiſſem Sinn Künſte des Ideals im engeren Sinne des Worts, des reinen Aufſchwungs an ſich, der Idee, die noch nicht in die Gegenſätze des Lebens ſich verſenkt. In dieſem Sinne ſtellt Solger beide Künſte ſymmetriſch neben die Plaſtik und Malerei: die Baukunſt tritt neben jene, die Muſik neben dieſe, wie eine noch körperloſe Seele neben ihre körperliche Verdichtung. Wir werden darauf zurückkommen, eine Seite dieſer Auffaſſung beibehalten, die andere verändern und weſentlich ergänzen. Die Natur der reinen Allgemeinheit in dieſen Künſten liegt nun näher darin, daß ſie Künſte der bloßen Stimmung ſind: Künſte des Ideals in dem Sinn, daß ſie die ideale Stimmung über- haupt darſtellen. Es iſt gezeigt worden, wie die Baukunſt von dem Inhalt, der ihr Inneres in concreter Form erfüllen ſoll, die Stimmungsſeite ab- löst und ſymboliſch andeutend für ſich darſtellt; iſt ſie dadurch, daß ſie die Stimmung in der harten Materie kryſtalliſirt, gefrorne Muſik, ſo kann man die Muſik, welche dieſes Band löst, aufgethaute Baukunſt nennen. Schlagend zeigt ſich die Verwandtſchaft in den verſchiedenen Seiten des Syſtems der Kunſtformen: das Quantitative als Takt offenbart ſich analog in dem regelmäßig Wiederkehrenden der Säulenabſtände, der theilenden Ein- rahmung durch umſäumende Glieder, das Qualitative, Höhe und Tiefe und die Bewegung der Melodie, in den auf Grundlage feſter Geſetze frei wechſeln- den Unterſchieden der architektoniſchen Erſtreckungen nach Höhe, Breite, Länge, der Rhythmus der Compoſition in der Anordnung dieſer Verhältniſſe zu den großen Gegenſätzen der ſtructiven Hauptglieder und ihrer Verbindung; die Harmonie als gleichzeitiges Ertönen verſchiedener Stimmen und Melodieen ſieht man klar ſich ausbilden, wo der einfache antike Bau zur organiſch geeinigten Gruppe wird im mehrſchiffigen, kreuzförmigen Bau, deſſen Wölbungen als reichere Accorde die reicher gegliederte Mannigfaltigkeit zu-
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und das bekannte Wort Fr. Schlegel’s angeführt, ſie ſei eine gefrorne Muſik
(§. 557, Anm. 1.) Nicht ſcheint die Natur zweier Künſte entgegengeſetzter,
als die der Baukunſt und Tonkunſt: dort die ſpröde, bewegungsloſe, ſchwere
Materie, in ihrer Schwere geltend, die unorganiſche Natur, der Raum, hier
der körperloſe Ton, der nur Leben und Bewegung iſt, die Zeit, das fühlende
Herz, dort die objectivſte unter den objectiven Künſten, hier die ſchlechthin
ſubjective Kunſt. Das Merkwürdige iſt die innige Verwandtſchaft gerade
bei der Härte dieſes Unterſchieds. Dieſelbe liegt nun vor Allem in dem
Charakter der Allgemeinheit, der beide Künſte von allen andern als ſolchen
unterſcheidet, welche eine geſchloſſene Lebensgeſtalt, ein Inneres mit ſeinem
individuellen Körper geben, wogegen jene nur ein allgemeines Medium durch
das Netz abſtracter Ordnungen durchziehen. Da die feſte Geſtaltung im
Sichtbaren oder innerlich Vorgeſtellten den Aether des Allgemeinen in ein-
zelne, abgegrenzte Welten zerſprengt, ſo ſind Baukunſt und Muſik, wie wir
es von der letzteren ſchon in §. 764 ausgeſprochen haben, in gewiſſem Sinn
Künſte des Ideals im engeren Sinne des Worts, des reinen Aufſchwungs
an ſich, der Idee, die noch nicht in die Gegenſätze des Lebens ſich verſenkt.
In dieſem Sinne ſtellt Solger beide Künſte ſymmetriſch neben die Plaſtik
und Malerei: die Baukunſt tritt neben jene, die Muſik neben dieſe, wie
eine noch körperloſe Seele neben ihre körperliche Verdichtung. Wir werden
darauf zurückkommen, eine Seite dieſer Auffaſſung beibehalten, die andere
verändern und weſentlich ergänzen. Die Natur der reinen Allgemeinheit in
dieſen Künſten liegt nun näher darin, daß ſie Künſte der bloßen Stimmung
ſind: Künſte des Ideals in dem Sinn, daß ſie die ideale Stimmung über-
haupt darſtellen. Es iſt gezeigt worden, wie die Baukunſt von dem Inhalt,
der ihr Inneres in concreter Form erfüllen ſoll, die Stimmungsſeite ab-
löst und ſymboliſch andeutend für ſich darſtellt; iſt ſie dadurch, daß ſie die
Stimmung in der harten Materie kryſtalliſirt, gefrorne Muſik, ſo kann
man die Muſik, welche dieſes Band löst, aufgethaute Baukunſt nennen.
Schlagend zeigt ſich die Verwandtſchaft in den verſchiedenen Seiten des
Syſtems der Kunſtformen: das Quantitative als Takt offenbart ſich analog
in dem regelmäßig Wiederkehrenden der Säulenabſtände, der theilenden Ein-
rahmung durch umſäumende Glieder, das Qualitative, Höhe und Tiefe und
die Bewegung der Melodie, in den auf Grundlage feſter Geſetze frei wechſeln-
den Unterſchieden der architektoniſchen Erſtreckungen nach Höhe, Breite, Länge,
der Rhythmus der Compoſition in der Anordnung dieſer Verhältniſſe zu den
großen Gegenſätzen der ſtructiven Hauptglieder und ihrer Verbindung; die
Harmonie als gleichzeitiges Ertönen verſchiedener Stimmen und Melodieen
ſieht man klar ſich ausbilden, wo der einfache antike Bau zur organiſch
geeinigten Gruppe wird im mehrſchiffigen, kreuzförmigen Bau, deſſen
Wölbungen als reichere Accorde die reicher gegliederte Mannigfaltigkeit zu-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 836. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/74>, abgerufen am 25.11.2024.
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