berechtigter Gewalten beruht, -- eine Ehe zur linken Hand" (Hanslick a. a. O. S. 28, 31). Die bloße Instrumentalmusik dagegen gibt das Gefühl in seiner Reinheit, d. h. in seiner Bewußtlosigkeit; ebendarum aber ist auch der tiefe Mangel des Gefühls der ihrige, und wie der Geist in diese leben- dige Mitte seiner Formen immer wieder untertaucht und immer wieder aus dem dunkeln Grund an's Licht, zur Deutlichkeit der Dinge ringt, so will mitten im befriedigten Hinschwimmen auf ihren Wogen jeden Moment ein Reiz entstehen, nun wieder an's Land zu treten und den festen Inhalt, der immer am fernen Saum hinzuschweben scheint, zu erkennen: ein Gefühl eines ungelösten Räthsels, ein Gang wie durch einen ägyptischen Tempel von Vorhof zu Vorhof ohne ein Anlangen bei einem Kerne, der die Be- wegung abschlöße; ein Entzücken, aber mit Schwindel. Dieser Eindruck gleicht jenem, den die einseitige höchste Ausbildung des Colorits in der Malerei mit sich führt, die wir eine gefährliche Spitze genannt haben: man sehnt sich nach dem festen Boden der Zeichnung, der bestimmteren Geltung des Objects. Auch würden nimmermehr alle Tiefen des Gefühls sich entfalten ohne das begleitende Bewußtsein. An bestimmten Gegenständen erst schießt der ganze Reichthum der Gefühlswelt auf. Wie er aufschießt, so ertränkt sich freilich alsbald die Bestimmtheit des Objects wieder in den Bebungen des Gefühls, aber nur um abermals durch bestimmt aufgezeigte Situation zu neuen Entfaltungen erregt zu werden. Dieß Verhältniß haben wir vorbereitet in §. 749, Anm., wo gesagt ist, daß das Gefühl durch das begleitende Bewußtsein sich stetig bereichert. Sucht man nun von diesem Herüber und Hinüber zwischen selbständiger und unselbständiger Musik bei dem Gedanken auszuruhen, daß eine Vereinigung beider das Wahre sein werde, so hat man in dieser allerdings die reichste Gestalt der Musik. Jene concrete Fülle und Vielseitigkeit des Gefühls (vergl. §. 757) kann eine reichere Verwirklichung nicht finden: der Gesang ist jetzt der Kern des Gefühls, selbst schon vieltönig und einen Reichthum unterschiedener Formen in dem Einen Gefühle darstellend, die Instrumentalmusik ist sein noch reicherer Wiederhall, der uns bald wie ein Wiederklingen unserer Empfindung in der Landschaft, im weiten All, bald als ein unendlich sich verdoppelndes Echo in der Menschenbrust gemahnt. Allein in der That ist darin jenes incon- gruente Verhältniß von Wort und Ton, das zunächst im Gesang allein vor uns stand, nicht gelöst, sondern durch die verdoppelte Macht der Musik nur noch erschwert, ihr durch so viel Gewicht verstärkter Schwung droht den Text hinfortzureißen, zu überfluthen und wenn sich hier wieder die Aufforderung darzubieten scheint, daß die Musik um so enger an diesen gebunden werde, so steht dem entgegen, daß sie dadurch gefesselt den ver- mehrten Reichthum ihrer Mittel nicht zu seiner ganzen Entfaltung bringen könnte. -- Diese ganze Amphibolie im Verhältnisse zwischen Vocal- und
berechtigter Gewalten beruht, — eine Ehe zur linken Hand“ (Hanslick a. a. O. S. 28, 31). Die bloße Inſtrumentalmuſik dagegen gibt das Gefühl in ſeiner Reinheit, d. h. in ſeiner Bewußtloſigkeit; ebendarum aber iſt auch der tiefe Mangel des Gefühls der ihrige, und wie der Geiſt in dieſe leben- dige Mitte ſeiner Formen immer wieder untertaucht und immer wieder aus dem dunkeln Grund an’s Licht, zur Deutlichkeit der Dinge ringt, ſo will mitten im befriedigten Hinſchwimmen auf ihren Wogen jeden Moment ein Reiz entſtehen, nun wieder an’s Land zu treten und den feſten Inhalt, der immer am fernen Saum hinzuſchweben ſcheint, zu erkennen: ein Gefühl eines ungelösten Räthſels, ein Gang wie durch einen ägyptiſchen Tempel von Vorhof zu Vorhof ohne ein Anlangen bei einem Kerne, der die Be- wegung abſchlöße; ein Entzücken, aber mit Schwindel. Dieſer Eindruck gleicht jenem, den die einſeitige höchſte Ausbildung des Colorits in der Malerei mit ſich führt, die wir eine gefährliche Spitze genannt haben: man ſehnt ſich nach dem feſten Boden der Zeichnung, der beſtimmteren Geltung des Objects. Auch würden nimmermehr alle Tiefen des Gefühls ſich entfalten ohne das begleitende Bewußtſein. An beſtimmten Gegenſtänden erſt ſchießt der ganze Reichthum der Gefühlswelt auf. Wie er aufſchießt, ſo ertränkt ſich freilich alsbald die Beſtimmtheit des Objects wieder in den Bebungen des Gefühls, aber nur um abermals durch beſtimmt aufgezeigte Situation zu neuen Entfaltungen erregt zu werden. Dieß Verhältniß haben wir vorbereitet in §. 749, Anm., wo geſagt iſt, daß das Gefühl durch das begleitende Bewußtſein ſich ſtetig bereichert. Sucht man nun von dieſem Herüber und Hinüber zwiſchen ſelbſtändiger und unſelbſtändiger Muſik bei dem Gedanken auszuruhen, daß eine Vereinigung beider das Wahre ſein werde, ſo hat man in dieſer allerdings die reichſte Geſtalt der Muſik. Jene concrete Fülle und Vielſeitigkeit des Gefühls (vergl. §. 757) kann eine reichere Verwirklichung nicht finden: der Geſang iſt jetzt der Kern des Gefühls, ſelbſt ſchon vieltönig und einen Reichthum unterſchiedener Formen in dem Einen Gefühle darſtellend, die Inſtrumentalmuſik iſt ſein noch reicherer Wiederhall, der uns bald wie ein Wiederklingen unſerer Empfindung in der Landſchaft, im weiten All, bald als ein unendlich ſich verdoppelndes Echo in der Menſchenbruſt gemahnt. Allein in der That iſt darin jenes incon- gruente Verhältniß von Wort und Ton, das zunächſt im Geſang allein vor uns ſtand, nicht gelöst, ſondern durch die verdoppelte Macht der Muſik nur noch erſchwert, ihr durch ſo viel Gewicht verſtärkter Schwung droht den Text hinfortzureißen, zu überfluthen und wenn ſich hier wieder die Aufforderung darzubieten ſcheint, daß die Muſik um ſo enger an dieſen gebunden werde, ſo ſteht dem entgegen, daß ſie dadurch gefeſſelt den ver- mehrten Reichthum ihrer Mittel nicht zu ſeiner ganzen Entfaltung bringen könnte. — Dieſe ganze Amphibolie im Verhältniſſe zwiſchen Vocal- und
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berechtigter Gewalten beruht, — eine Ehe zur linken Hand“ (Hanslick a.
a. O. S. 28, 31). Die bloße Inſtrumentalmuſik dagegen gibt das Gefühl
in ſeiner Reinheit, d. h. in ſeiner Bewußtloſigkeit; ebendarum aber iſt auch
der tiefe Mangel des Gefühls der ihrige, und wie der Geiſt in dieſe leben-
dige Mitte ſeiner Formen immer wieder untertaucht und immer wieder aus
dem dunkeln Grund an’s Licht, zur Deutlichkeit der Dinge ringt, ſo will
mitten im befriedigten Hinſchwimmen auf ihren Wogen jeden Moment ein
Reiz entſtehen, nun wieder an’s Land zu treten und den feſten Inhalt, der
immer am fernen Saum hinzuſchweben ſcheint, zu erkennen: ein Gefühl
eines ungelösten Räthſels, ein Gang wie durch einen ägyptiſchen Tempel
von Vorhof zu Vorhof ohne ein Anlangen bei einem Kerne, der die Be-
wegung abſchlöße; ein Entzücken, aber mit Schwindel. Dieſer Eindruck
gleicht jenem, den die einſeitige höchſte Ausbildung des Colorits in der
Malerei mit ſich führt, die wir eine gefährliche Spitze genannt haben:
man ſehnt ſich nach dem feſten Boden der Zeichnung, der beſtimmteren
Geltung des Objects. Auch würden nimmermehr alle Tiefen des Gefühls
ſich entfalten ohne das begleitende Bewußtſein. An beſtimmten Gegenſtänden
erſt ſchießt der ganze Reichthum der Gefühlswelt auf. Wie er aufſchießt,
ſo ertränkt ſich freilich alsbald die Beſtimmtheit des Objects wieder in den
Bebungen des Gefühls, aber nur um abermals durch beſtimmt aufgezeigte
Situation zu neuen Entfaltungen erregt zu werden. Dieß Verhältniß haben
wir vorbereitet in §. 749, Anm., wo geſagt iſt, daß das Gefühl durch das
begleitende Bewußtſein ſich ſtetig bereichert. Sucht man nun von dieſem
Herüber und Hinüber zwiſchen ſelbſtändiger und unſelbſtändiger Muſik bei
dem Gedanken auszuruhen, daß eine Vereinigung beider das Wahre ſein
werde, ſo hat man in dieſer allerdings die reichſte Geſtalt der Muſik. Jene
concrete Fülle und Vielſeitigkeit des Gefühls (vergl. §. 757) kann eine reichere
Verwirklichung nicht finden: der Geſang iſt jetzt der Kern des Gefühls,
ſelbſt ſchon vieltönig und einen Reichthum unterſchiedener Formen in dem
Einen Gefühle darſtellend, die Inſtrumentalmuſik iſt ſein noch reicherer
Wiederhall, der uns bald wie ein Wiederklingen unſerer Empfindung in der
Landſchaft, im weiten All, bald als ein unendlich ſich verdoppelndes Echo
in der Menſchenbruſt gemahnt. Allein in der That iſt darin jenes incon-
gruente Verhältniß von Wort und Ton, das zunächſt im Geſang allein vor
uns ſtand, nicht gelöst, ſondern durch die verdoppelte Macht der Muſik
nur noch erſchwert, ihr durch ſo viel Gewicht verſtärkter Schwung droht
den Text hinfortzureißen, zu überfluthen und wenn ſich hier wieder die
Aufforderung darzubieten ſcheint, daß die Muſik um ſo enger an dieſen
gebunden werde, ſo ſteht dem entgegen, daß ſie dadurch gefeſſelt den ver-
mehrten Reichthum ihrer Mittel nicht zu ſeiner ganzen Entfaltung bringen
könnte. — Dieſe ganze Amphibolie im Verhältniſſe zwiſchen Vocal- und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 830. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/68>, abgerufen am 25.11.2024.
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