oder Adagio innerhalb der ganzen Symphonie; es ist mehr Ruhe, Sammlung, Zuständlichkeit, Klarheit und daher auch mehr melodiöse Helligkeit in ihm, aber allerdings eine Ruhe, die hier noch der Erregtheit untergeordnet bleibt und erst im Andante ganz für sich hervortritt. Auch das Andante, wenn es gedankenvoller ist und nicht etwa leichtes Rondo oder Variationsstück ist, führt die Tonbewegung von einer Empfindung zur andern fort, welche Resultat der erstern ist; ein Gefühl gebiert immer ein zweites, weil jedes Gefühl ein Zustand ist, dessen Verhältniß zum ganzen Leben und Sein der Ichheit abermals für sie Ursache und Gegenstand eigenen weitern Fühlens wird. Selbst der Tanzsatz zeigt keine blinde, taumelnde Erregtheit, er braust zuerst voll und unruhig einher, aber er erweicht und sammelt sich im Trio, obwohl er dessen nicht nothwendig bedarf, wenn er selbst schon ernstern Ton und Charakter angenommen hat. Der Schlußsatz, wenn er einfacherer Natur ist (§. 815, 1), kann die Gliederung in zwei gleich wichtige Hauptgedanken am ehesten entbehren, weil in ihm die Gefühlserregtheit bereits in dem Stadium der Vereinfachung, der leichter, gegensatzloser werdenden Bewegt- heit angekommen ist, er kann sich mit der Rondoform begnügen, wogegen der concretere Schlußsatz, in welchem noch einmal Erregung, Streben und Kampf auf den Schauplatz tritt, den zweiten Hauptgedanken wiederum wesentlicher bedarf, um an ihm ein Element beruhigterer Bewegung zu haben, das vom Ganzen den Charakter einseitiger Erregtheit ferne hält. Musikalisch kann freilich der zweite Hauptgedanke auch ganz oder theilweise aus Elementen des ersten, des Hauptmotivs, herausgebildet sein, aber es thut dieß dem entschiedenen Contrast, in welchem er zum ersten Gedanken steht, und der Bedeutung, die er hiemit im Ganzen hat, keinen Eintrag, wie dieß namentlich an dem Beispiel des zweiten Hauptgedankens im ersten Satz der Cmoll-Symphonie so klar ersichtlich ist. Warum er in der Regel melodischer, figurenärmer, durchsichtiger, liedartiger ist als der alle Orchester- kräfte in Bewegung setzende erste Gedanke mit seinen Nebensätzen, ergibt sich von selbst aus seinem Zweck und Charakter; er verhält sich zu jenem wie die Melodie zu undurchsichtigern Harmoniegeweben (S. 923), die Tonbe- wegung öffnet, erhellt, vereinfacht sich in ihm, und daher finden namentlich auch die Soloinstrumente, besonders die weichern Blasorgane, eben an diesem Orte hauptsächlich ihre charakteristische Verwendung. -- Die speziellere Gliederung der Hauptsätze, z. B. das Gesetz, daß ein Hauptsatz die Theilung in zwei Hauptgedanken innerhalb seiner selbst abbildlich wiederholen kann, muß die Aesthetik der Musikwissenschaft überlassen; wie in der rhythmischen, so kann auch in der Gedankengliederung eine Vielfachheit symmetrischer Sub- sumtion kleinerer Theile unter größere stattfinden, die genauer apriorischer Bestimmung nicht unterliegt und nur an der Forderung ihre Grenze hat, daß das Ganze dadurch nicht in zu viele kleine Theile und Theile von Theilen
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oder Adagio innerhalb der ganzen Symphonie; es iſt mehr Ruhe, Sammlung, Zuſtändlichkeit, Klarheit und daher auch mehr melodiöſe Helligkeit in ihm, aber allerdings eine Ruhe, die hier noch der Erregtheit untergeordnet bleibt und erſt im Andante ganz für ſich hervortritt. Auch das Andante, wenn es gedankenvoller iſt und nicht etwa leichtes Rondo oder Variationsſtück iſt, führt die Tonbewegung von einer Empfindung zur andern fort, welche Reſultat der erſtern iſt; ein Gefühl gebiert immer ein zweites, weil jedes Gefühl ein Zuſtand iſt, deſſen Verhältniß zum ganzen Leben und Sein der Ichheit abermals für ſie Urſache und Gegenſtand eigenen weitern Fühlens wird. Selbſt der Tanzſatz zeigt keine blinde, taumelnde Erregtheit, er braust zuerſt voll und unruhig einher, aber er erweicht und ſammelt ſich im Trio, obwohl er deſſen nicht nothwendig bedarf, wenn er ſelbſt ſchon ernſtern Ton und Charakter angenommen hat. Der Schlußſatz, wenn er einfacherer Natur iſt (§. 815, 1), kann die Gliederung in zwei gleich wichtige Hauptgedanken am eheſten entbehren, weil in ihm die Gefühlserregtheit bereits in dem Stadium der Vereinfachung, der leichter, gegenſatzloſer werdenden Bewegt- heit angekommen iſt, er kann ſich mit der Rondoform begnügen, wogegen der concretere Schlußſatz, in welchem noch einmal Erregung, Streben und Kampf auf den Schauplatz tritt, den zweiten Hauptgedanken wiederum weſentlicher bedarf, um an ihm ein Element beruhigterer Bewegung zu haben, das vom Ganzen den Charakter einſeitiger Erregtheit ferne hält. Muſikaliſch kann freilich der zweite Hauptgedanke auch ganz oder theilweiſe aus Elementen des erſten, des Hauptmotivs, herausgebildet ſein, aber es thut dieß dem entſchiedenen Contraſt, in welchem er zum erſten Gedanken ſteht, und der Bedeutung, die er hiemit im Ganzen hat, keinen Eintrag, wie dieß namentlich an dem Beiſpiel des zweiten Hauptgedankens im erſten Satz der Cmoll-Symphonie ſo klar erſichtlich iſt. Warum er in der Regel melodiſcher, figurenärmer, durchſichtiger, liedartiger iſt als der alle Orcheſter- kräfte in Bewegung ſetzende erſte Gedanke mit ſeinen Nebenſätzen, ergibt ſich von ſelbſt aus ſeinem Zweck und Charakter; er verhält ſich zu jenem wie die Melodie zu undurchſichtigern Harmoniegeweben (S. 923), die Tonbe- wegung öffnet, erhellt, vereinfacht ſich in ihm, und daher finden namentlich auch die Soloinſtrumente, beſonders die weichern Blasorgane, eben an dieſem Orte hauptſächlich ihre charakteriſtiſche Verwendung. — Die ſpeziellere Gliederung der Hauptſätze, z. B. das Geſetz, daß ein Hauptſatz die Theilung in zwei Hauptgedanken innerhalb ſeiner ſelbſt abbildlich wiederholen kann, muß die Aeſthetik der Muſikwiſſenſchaft überlaſſen; wie in der rhythmiſchen, ſo kann auch in der Gedankengliederung eine Vielfachheit ſymmetriſcher Sub- ſumtion kleinerer Theile unter größere ſtattfinden, die genauer aprioriſcher Beſtimmung nicht unterliegt und nur an der Forderung ihre Grenze hat, daß das Ganze dadurch nicht in zu viele kleine Theile und Theile von Theilen
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oder Adagio innerhalb der ganzen Symphonie; es iſt mehr Ruhe, Sammlung,
Zuſtändlichkeit, Klarheit und daher auch mehr melodiöſe Helligkeit in ihm,
aber allerdings eine Ruhe, die hier noch der Erregtheit untergeordnet bleibt
und erſt im Andante ganz für ſich hervortritt. Auch das Andante, wenn
es gedankenvoller iſt und nicht etwa leichtes Rondo oder Variationsſtück iſt,
führt die Tonbewegung von einer Empfindung zur andern fort, welche
Reſultat der erſtern iſt; ein Gefühl gebiert immer ein zweites, weil jedes
Gefühl ein Zuſtand iſt, deſſen Verhältniß zum ganzen Leben und Sein der
Ichheit abermals für ſie Urſache und Gegenſtand eigenen weitern Fühlens
wird. Selbſt der Tanzſatz zeigt keine blinde, taumelnde Erregtheit, er braust
zuerſt voll und unruhig einher, aber er erweicht und ſammelt ſich im Trio,
obwohl er deſſen nicht nothwendig bedarf, wenn er ſelbſt ſchon ernſtern Ton
und Charakter angenommen hat. Der Schlußſatz, wenn er einfacherer Natur
iſt (§. 815, 1), kann die Gliederung in zwei gleich wichtige Hauptgedanken
am eheſten entbehren, weil in ihm die Gefühlserregtheit bereits in dem
Stadium der Vereinfachung, der leichter, gegenſatzloſer werdenden Bewegt-
heit angekommen iſt, er kann ſich mit der Rondoform begnügen, wogegen
der concretere Schlußſatz, in welchem noch einmal Erregung, Streben und
Kampf auf den Schauplatz tritt, den zweiten Hauptgedanken wiederum
weſentlicher bedarf, um an ihm ein Element beruhigterer Bewegung zu
haben, das vom Ganzen den Charakter einſeitiger Erregtheit ferne hält.
Muſikaliſch kann freilich der zweite Hauptgedanke auch ganz oder theilweiſe
aus Elementen des erſten, des Hauptmotivs, herausgebildet ſein, aber es
thut dieß dem entſchiedenen Contraſt, in welchem er zum erſten Gedanken
ſteht, und der Bedeutung, die er hiemit im Ganzen hat, keinen Eintrag,
wie dieß namentlich an dem Beiſpiel des zweiten Hauptgedankens im erſten
Satz der Cmoll-Symphonie ſo klar erſichtlich iſt. Warum er in der Regel
melodiſcher, figurenärmer, durchſichtiger, liedartiger iſt als der alle Orcheſter-
kräfte in Bewegung ſetzende erſte Gedanke mit ſeinen Nebenſätzen, ergibt ſich
von ſelbſt aus ſeinem Zweck und Charakter; er verhält ſich zu jenem wie
die Melodie zu undurchſichtigern Harmoniegeweben (S. 923), die Tonbe-
wegung öffnet, erhellt, vereinfacht ſich in ihm, und daher finden namentlich
auch die Soloinſtrumente, beſonders die weichern Blasorgane, eben an
dieſem Orte hauptſächlich ihre charakteriſtiſche Verwendung. — Die ſpeziellere
Gliederung der Hauptſätze, z. B. das Geſetz, daß ein Hauptſatz die Theilung
in zwei Hauptgedanken innerhalb ſeiner ſelbſt abbildlich wiederholen kann,
muß die Aeſthetik der Muſikwiſſenſchaft überlaſſen; wie in der rhythmiſchen,
ſo kann auch in der Gedankengliederung eine Vielfachheit ſymmetriſcher Sub-
ſumtion kleinerer Theile unter größere ſtattfinden, die genauer aprioriſcher
Beſtimmung nicht unterliegt und nur an der Forderung ihre Grenze hat,
daß das Ganze dadurch nicht in zu viele kleine Theile und Theile von Theilen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1097. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/335>, abgerufen am 21.11.2024.
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