kann nur in Instrumentalwerken größern Umfangs, sowie daß er in Werken, deren einzelne Sätze bereits sehr in's Breite sich dehnen, passender wegge- lassen und etwa erst am Schluß durch einen heitern Endsatz ersetzt wird; auch muß er selbst immer eine untergeordnete Stelle einnehmen und somit seinen Umfang beschränken, wenn er den Schlußsatz nicht überflüssig machen, anticipiren, sein Interesse schmälern soll; man sieht z. B. aus Beethoven's Adur-Symphonie, welche fast extremen Mittel der Componist anwenden muß, um nach einem großartiger angelegten Satz in Tanzform auch noch dem Schlußsatz die ihm gebührende Bedeutsamkeit und Wirkungskraft zu verleihen. Ebenso ist klar, daß je nach Charakter des einzelnen Tonstücks die Formen auch noch anders modificirt, dem Andante ein Allegretto oder ein in gehaltenem Tempo vorwärtsschreitender Marsch von ernster Empfin- dung substituirt, daß ebenso der Satz in Tanzform durch ein Allegretto oder Aehnliches ersetzt oder in einen Satz mit gehobenem dreitheiligem Rhyth- mus, der gar nicht mehr tanzartig, sondern nur noch spezifisch gehobener Bewegungssatz ist, umgewandelt, oder der Schlußsatz ganz oder theilweise in lebendig erregter Marschform componirt werden, oder endlich ein Thema mit Variationen die Stelle eines oder mehrerer Hauptsätze des Ganzen, besonders des Andantesatzes, einnehmen kann. Aber die normale Form bleibt jene Dreiheit oder Vierheit von Sätzen, weil sie das unmittelbare Bild des Pulsschlags der Wirklichkeit des Lebens darstellt, dessen Veranschaulichung das Motiv und der Sinn und Zweck dieser ganzen Musikgattung von Anfang an ist und bleibt.
2. Die Unterschiede, zu welchen sich diese Musikgattung wiederum im Einzelnen besondert, ergeben sich aus den Bemerkungen früherer §§. über Solo-, Concert-, Orchestersatz. Das begleitete monodische Solo, beson- ders der Violine, ist bereits hinlänglichen Ausdrucks und hinreichender For- menmannigfaltigkeit fähig, um durch die Trias (oder Vierheit) von Sätzen sich hindurchzubewegen; es ist ein Monolog des Individuums, in welchem dieses sich darstellt als der Reihe nach zu den Stimmungen sich erhebend, niedersenkend und wieder erhebend, die zusammen in jener Trias sich aus- sprechen. Die Hauptaufgabe ist daher hier individuelle, subjectiv charak- teristische Gestaltung der Composition, ohne sich in's einseitig Subjective, Bizarre zu verlieren, und reicher, schöner Ausdruck, damit eben jener Ein- druck der sich selbst mittheilenden, ihr Empfinden darlegenden Individualität (§. 808) entstehe; sowohl um des Ausdrucks willen als zum Behuf der Vermeidung der Eintönigkeit, der das Einzelinstrument leicht verfällt, ist zugleich lebendiger Wechsel und Contrast der Gedanken und Formen der einzelnen Sätze gefordert, womit die Gelegenheit zu umfassender Darlegung der Eigenthümlichkeit des Instruments und der Virtuosität des Spiels von selbst gegeben ist (Bedingungen, die namentlich in Molique's Violincon-
kann nur in Inſtrumentalwerken größern Umfangs, ſowie daß er in Werken, deren einzelne Sätze bereits ſehr in’s Breite ſich dehnen, paſſender wegge- laſſen und etwa erſt am Schluß durch einen heitern Endſatz erſetzt wird; auch muß er ſelbſt immer eine untergeordnete Stelle einnehmen und ſomit ſeinen Umfang beſchränken, wenn er den Schlußſatz nicht überflüſſig machen, anticipiren, ſein Intereſſe ſchmälern ſoll; man ſieht z. B. aus Beethoven’s Adur-Symphonie, welche faſt extremen Mittel der Componiſt anwenden muß, um nach einem großartiger angelegten Satz in Tanzform auch noch dem Schlußſatz die ihm gebührende Bedeutſamkeit und Wirkungskraft zu verleihen. Ebenſo iſt klar, daß je nach Charakter des einzelnen Tonſtücks die Formen auch noch anders modificirt, dem Andante ein Allegretto oder ein in gehaltenem Tempo vorwärtsſchreitender Marſch von ernſter Empfin- dung ſubſtituirt, daß ebenſo der Satz in Tanzform durch ein Allegretto oder Aehnliches erſetzt oder in einen Satz mit gehobenem dreitheiligem Rhyth- mus, der gar nicht mehr tanzartig, ſondern nur noch ſpezifiſch gehobener Bewegungsſatz iſt, umgewandelt, oder der Schlußſatz ganz oder theilweiſe in lebendig erregter Marſchform componirt werden, oder endlich ein Thema mit Variationen die Stelle eines oder mehrerer Hauptſätze des Ganzen, beſonders des Andanteſatzes, einnehmen kann. Aber die normale Form bleibt jene Dreiheit oder Vierheit von Sätzen, weil ſie das unmittelbare Bild des Pulsſchlags der Wirklichkeit des Lebens darſtellt, deſſen Veranſchaulichung das Motiv und der Sinn und Zweck dieſer ganzen Muſikgattung von Anfang an iſt und bleibt.
2. Die Unterſchiede, zu welchen ſich dieſe Muſikgattung wiederum im Einzelnen beſondert, ergeben ſich aus den Bemerkungen früherer §§. über Solo-, Concert-, Orcheſterſatz. Das begleitete monodiſche Solo, beſon- ders der Violine, iſt bereits hinlänglichen Ausdrucks und hinreichender For- menmannigfaltigkeit fähig, um durch die Trias (oder Vierheit) von Sätzen ſich hindurchzubewegen; es iſt ein Monolog des Individuums, in welchem dieſes ſich darſtellt als der Reihe nach zu den Stimmungen ſich erhebend, niederſenkend und wieder erhebend, die zuſammen in jener Trias ſich aus- ſprechen. Die Hauptaufgabe iſt daher hier individuelle, ſubjectiv charak- teriſtiſche Geſtaltung der Compoſition, ohne ſich in’s einſeitig Subjective, Bizarre zu verlieren, und reicher, ſchöner Ausdruck, damit eben jener Ein- druck der ſich ſelbſt mittheilenden, ihr Empfinden darlegenden Individualität (§. 808) entſtehe; ſowohl um des Ausdrucks willen als zum Behuf der Vermeidung der Eintönigkeit, der das Einzelinſtrument leicht verfällt, iſt zugleich lebendiger Wechſel und Contraſt der Gedanken und Formen der einzelnen Sätze gefordert, womit die Gelegenheit zu umfaſſender Darlegung der Eigenthümlichkeit des Inſtruments und der Virtuoſität des Spiels von ſelbſt gegeben iſt (Bedingungen, die namentlich in Molique’s Violincon-
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deren einzelne Sätze bereits ſehr in’s Breite ſich dehnen, paſſender wegge-
laſſen und etwa erſt am Schluß durch einen heitern Endſatz erſetzt wird;
auch muß er ſelbſt immer eine untergeordnete Stelle einnehmen und ſomit
ſeinen Umfang beſchränken, wenn er den Schlußſatz nicht überflüſſig machen,
anticipiren, ſein Intereſſe ſchmälern ſoll; man ſieht z. B. aus Beethoven’s
Adur-Symphonie, welche faſt extremen Mittel der Componiſt anwenden
muß, um nach einem großartiger angelegten Satz in Tanzform auch noch
dem Schlußſatz die ihm gebührende Bedeutſamkeit und Wirkungskraft zu
verleihen. Ebenſo iſt klar, daß je nach Charakter des einzelnen Tonſtücks
die Formen auch noch anders modificirt, dem Andante ein Allegretto oder
ein in gehaltenem Tempo vorwärtsſchreitender Marſch von ernſter Empfin-
dung ſubſtituirt, daß ebenſo der Satz in Tanzform durch ein Allegretto oder
Aehnliches erſetzt oder in einen Satz mit gehobenem dreitheiligem Rhyth-
mus, der gar nicht mehr tanzartig, ſondern nur noch ſpezifiſch gehobener
Bewegungsſatz iſt, umgewandelt, oder der Schlußſatz ganz oder theilweiſe
in lebendig erregter Marſchform componirt werden, oder endlich ein Thema
mit Variationen die Stelle eines oder mehrerer Hauptſätze des Ganzen,
beſonders des Andanteſatzes, einnehmen kann. Aber die normale Form bleibt
jene Dreiheit oder Vierheit von Sätzen, weil ſie das unmittelbare Bild des
Pulsſchlags der Wirklichkeit des Lebens darſtellt, deſſen Veranſchaulichung
das Motiv und der Sinn und Zweck dieſer ganzen Muſikgattung von
Anfang an iſt und bleibt.
2. Die Unterſchiede, zu welchen ſich dieſe Muſikgattung wiederum im
Einzelnen beſondert, ergeben ſich aus den Bemerkungen früherer §§. über
Solo-, Concert-, Orcheſterſatz. Das begleitete monodiſche Solo, beſon-
ders der Violine, iſt bereits hinlänglichen Ausdrucks und hinreichender For-
menmannigfaltigkeit fähig, um durch die Trias (oder Vierheit) von Sätzen
ſich hindurchzubewegen; es iſt ein Monolog des Individuums, in welchem
dieſes ſich darſtellt als der Reihe nach zu den Stimmungen ſich erhebend,
niederſenkend und wieder erhebend, die zuſammen in jener Trias ſich aus-
ſprechen. Die Hauptaufgabe iſt daher hier individuelle, ſubjectiv charak-
teriſtiſche Geſtaltung der Compoſition, ohne ſich in’s einſeitig Subjective,
Bizarre zu verlieren, und reicher, ſchöner Ausdruck, damit eben jener Ein-
druck der ſich ſelbſt mittheilenden, ihr Empfinden darlegenden Individualität
(§. 808) entſtehe; ſowohl um des Ausdrucks willen als zum Behuf der
Vermeidung der Eintönigkeit, der das Einzelinſtrument leicht verfällt, iſt
zugleich lebendiger Wechſel und Contraſt der Gedanken und Formen der
einzelnen Sätze gefordert, womit die Gelegenheit zu umfaſſender Darlegung
der Eigenthümlichkeit des Inſtruments und der Virtuoſität des Spiels von
ſelbſt gegeben iſt (Bedingungen, die namentlich in Molique’s Violincon-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1084. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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