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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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gattungen desselben gegeben; er ist entweder einfacher, leicht und kräftig
belebter Endsatz, der die Bewegung des ersten Satzes wieder aufnimmt,
ihm selbst aber an innerem Gewicht und verschlungenem Bau nachsteht,
weil er im Gegensatz zur Ruhe und Gehemmtheit des zweiten eben das
Leichte, das Abwerfen aller Hemmung und Fessel, die ohne Störung und
Verwicklung geradlinigt dahinströmende, fröhlich und kräftig sich gehen
lassende, zu heiterem Schluß eilende Bewegung darstellt, oder ist der Schluß-
satz concreterer Natur, ein Bild des Kampfes, der das eine Mal bis zum
Ende anhält, so daß das Ganze nicht mit wirklicher Befriedigung (daher
z. B. in Moll, nicht in Dur) schließt, das andere Mal aber auch zum
Siege hindurchdringt, dessen fröhliche Feier in kräftigen, heitern, humoristisch
neckischen Sätzen das Ganze versöhnend zu Ende führt. -- Dieser Wechsel,
Contrast, Kampf, durch dessen Vergegenständlichung die Musik hier zum
Lebensbilde wird, kann sich in drei Sätzen vollständig verwirklichen, aber
auch noch ein vierter Satz eignet sich treffend dazu beizutragen, nämlich
ein Satz in Tanzform, sofern diese der unmittelbarste Ausdruck schwung-
reich sich hebender, von Freude beflügelter, in Lebenslust vergnügt sich
wiegender Empfindung ist; im Tanze wird am directesten die "Zuständlich-
keit", die Ruhe, der träge Unmuth negirt, der Tanz ist ja eben dieses Sich-
losreißen von der Indifferenz des Gleichgewichts, dieses Sichaufraffen,
Hineineilen in lebendige Bewegtheit. Ein dieser Form sich bedienender,
sie jedoch dem Charakter des Ganzen gemäß modificirender, mäßigender,
veredelnder Satz bietet sich am besten dazu dar, dem Adagio oder Andante
als seine Negation zu folgen und von ihm den Uebergang zu bilden zum
bewegten Schlußsatz, der, um das Ganze doch seinem gewichtigern Charakter
gemäß nicht gar zu leicht zu beschließen, nicht selbst Tanzform haben, sondern
sie nur als vorbereitende Einleitung sich voranstellen darf. Oft findet sich
der Satz in Tanzform sehr passend auch in Tonstücken, die mit Adagio
beginnen und mit Allegro schließen, als vermittelnder Zwischensatz zwischen
diesen beiden; sehr häufig nimmt er aber auch die Stelle nach dem ersten
Allegro ein und geht dem Andante vorher, sei es nun um die Bewegtheit
des ersten Satzes, der in diesen Fällen einen geringern Grad von Erregung
hat, höher zu steigern und so nach vollständiger Erschöpfung des Momentes
der Bewegung um so ruhiger und ungestörter den stillern Klängen des
Andante sich zu widmen, oder auch umgekehrt, um z. B. zwischen ein kraft-
voll bewegtes, schwerwiegendes Allegro und ein zartes, sanftes Andante
einen leichtern, das Herabsteigen zur Ruhe des Andante vermittelnden Ueber-
gang einzuschieben; doch normal ist diese Stellung nicht, sie hält das Be-
wegungsmoment zu lange in einseitiger Weise fest, was im einzelnen Falle
nur durch die hierauf angelegte Tendenz des ganzen Stücks modivirt sein
kann. Von selbst ergibt es sich, daß der Satz in Tanzform vorkommen

gattungen deſſelben gegeben; er iſt entweder einfacher, leicht und kräftig
belebter Endſatz, der die Bewegung des erſten Satzes wieder aufnimmt,
ihm ſelbſt aber an innerem Gewicht und verſchlungenem Bau nachſteht,
weil er im Gegenſatz zur Ruhe und Gehemmtheit des zweiten eben das
Leichte, das Abwerfen aller Hemmung und Feſſel, die ohne Störung und
Verwicklung geradlinigt dahinſtrömende, fröhlich und kräftig ſich gehen
laſſende, zu heiterem Schluß eilende Bewegung darſtellt, oder iſt der Schluß-
ſatz concreterer Natur, ein Bild des Kampfes, der das eine Mal bis zum
Ende anhält, ſo daß das Ganze nicht mit wirklicher Befriedigung (daher
z. B. in Moll, nicht in Dur) ſchließt, das andere Mal aber auch zum
Siege hindurchdringt, deſſen fröhliche Feier in kräftigen, heitern, humoriſtiſch
neckiſchen Sätzen das Ganze verſöhnend zu Ende führt. — Dieſer Wechſel,
Contraſt, Kampf, durch deſſen Vergegenſtändlichung die Muſik hier zum
Lebensbilde wird, kann ſich in drei Sätzen vollſtändig verwirklichen, aber
auch noch ein vierter Satz eignet ſich treffend dazu beizutragen, nämlich
ein Satz in Tanzform, ſofern dieſe der unmittelbarſte Ausdruck ſchwung-
reich ſich hebender, von Freude beflügelter, in Lebensluſt vergnügt ſich
wiegender Empfindung iſt; im Tanze wird am directeſten die „Zuſtändlich-
keit“, die Ruhe, der träge Unmuth negirt, der Tanz iſt ja eben dieſes Sich-
losreißen von der Indifferenz des Gleichgewichts, dieſes Sichaufraffen,
Hineineilen in lebendige Bewegtheit. Ein dieſer Form ſich bedienender,
ſie jedoch dem Charakter des Ganzen gemäß modificirender, mäßigender,
veredelnder Satz bietet ſich am beſten dazu dar, dem Adagio oder Andante
als ſeine Negation zu folgen und von ihm den Uebergang zu bilden zum
bewegten Schlußſatz, der, um das Ganze doch ſeinem gewichtigern Charakter
gemäß nicht gar zu leicht zu beſchließen, nicht ſelbſt Tanzform haben, ſondern
ſie nur als vorbereitende Einleitung ſich voranſtellen darf. Oft findet ſich
der Satz in Tanzform ſehr paſſend auch in Tonſtücken, die mit Adagio
beginnen und mit Allegro ſchließen, als vermittelnder Zwiſchenſatz zwiſchen
dieſen beiden; ſehr häufig nimmt er aber auch die Stelle nach dem erſten
Allegro ein und geht dem Andante vorher, ſei es nun um die Bewegtheit
des erſten Satzes, der in dieſen Fällen einen geringern Grad von Erregung
hat, höher zu ſteigern und ſo nach vollſtändiger Erſchöpfung des Momentes
der Bewegung um ſo ruhiger und ungeſtörter den ſtillern Klängen des
Andante ſich zu widmen, oder auch umgekehrt, um z. B. zwiſchen ein kraft-
voll bewegtes, ſchwerwiegendes Allegro und ein zartes, ſanftes Andante
einen leichtern, das Herabſteigen zur Ruhe des Andante vermittelnden Ueber-
gang einzuſchieben; doch normal iſt dieſe Stellung nicht, ſie hält das Be-
wegungsmoment zu lange in einſeitiger Weiſe feſt, was im einzelnen Falle
nur durch die hierauf angelegte Tendenz des ganzen Stücks modivirt ſein
kann. Von ſelbſt ergibt es ſich, daß der Satz in Tanzform vorkommen

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[1083/0321] gattungen deſſelben gegeben; er iſt entweder einfacher, leicht und kräftig belebter Endſatz, der die Bewegung des erſten Satzes wieder aufnimmt, ihm ſelbſt aber an innerem Gewicht und verſchlungenem Bau nachſteht, weil er im Gegenſatz zur Ruhe und Gehemmtheit des zweiten eben das Leichte, das Abwerfen aller Hemmung und Feſſel, die ohne Störung und Verwicklung geradlinigt dahinſtrömende, fröhlich und kräftig ſich gehen laſſende, zu heiterem Schluß eilende Bewegung darſtellt, oder iſt der Schluß- ſatz concreterer Natur, ein Bild des Kampfes, der das eine Mal bis zum Ende anhält, ſo daß das Ganze nicht mit wirklicher Befriedigung (daher z. B. in Moll, nicht in Dur) ſchließt, das andere Mal aber auch zum Siege hindurchdringt, deſſen fröhliche Feier in kräftigen, heitern, humoriſtiſch neckiſchen Sätzen das Ganze verſöhnend zu Ende führt. — Dieſer Wechſel, Contraſt, Kampf, durch deſſen Vergegenſtändlichung die Muſik hier zum Lebensbilde wird, kann ſich in drei Sätzen vollſtändig verwirklichen, aber auch noch ein vierter Satz eignet ſich treffend dazu beizutragen, nämlich ein Satz in Tanzform, ſofern dieſe der unmittelbarſte Ausdruck ſchwung- reich ſich hebender, von Freude beflügelter, in Lebensluſt vergnügt ſich wiegender Empfindung iſt; im Tanze wird am directeſten die „Zuſtändlich- keit“, die Ruhe, der träge Unmuth negirt, der Tanz iſt ja eben dieſes Sich- losreißen von der Indifferenz des Gleichgewichts, dieſes Sichaufraffen, Hineineilen in lebendige Bewegtheit. Ein dieſer Form ſich bedienender, ſie jedoch dem Charakter des Ganzen gemäß modificirender, mäßigender, veredelnder Satz bietet ſich am beſten dazu dar, dem Adagio oder Andante als ſeine Negation zu folgen und von ihm den Uebergang zu bilden zum bewegten Schlußſatz, der, um das Ganze doch ſeinem gewichtigern Charakter gemäß nicht gar zu leicht zu beſchließen, nicht ſelbſt Tanzform haben, ſondern ſie nur als vorbereitende Einleitung ſich voranſtellen darf. Oft findet ſich der Satz in Tanzform ſehr paſſend auch in Tonſtücken, die mit Adagio beginnen und mit Allegro ſchließen, als vermittelnder Zwiſchenſatz zwiſchen dieſen beiden; ſehr häufig nimmt er aber auch die Stelle nach dem erſten Allegro ein und geht dem Andante vorher, ſei es nun um die Bewegtheit des erſten Satzes, der in dieſen Fällen einen geringern Grad von Erregung hat, höher zu ſteigern und ſo nach vollſtändiger Erſchöpfung des Momentes der Bewegung um ſo ruhiger und ungeſtörter den ſtillern Klängen des Andante ſich zu widmen, oder auch umgekehrt, um z. B. zwiſchen ein kraft- voll bewegtes, ſchwerwiegendes Allegro und ein zartes, ſanftes Andante einen leichtern, das Herabſteigen zur Ruhe des Andante vermittelnden Ueber- gang einzuſchieben; doch normal iſt dieſe Stellung nicht, ſie hält das Be- wegungsmoment zu lange in einſeitiger Weiſe feſt, was im einzelnen Falle nur durch die hierauf angelegte Tendenz des ganzen Stücks modivirt ſein kann. Von ſelbſt ergibt es ſich, daß der Satz in Tanzform vorkommen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1083. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/321>, abgerufen am 22.11.2024.