dem Worte sich entzieht, und nun ist den Zuhörern vorgezeichnet, mit welcherlei Vorstellungen sie ihre Gemüthsbewegungen zu begleiten haben. Es ist zu §. 698 von der Landschaft, dem der Musik verwandtesten Zweige der Malerei, gesagt worden, das in ihr niedergelegte Gefühl lasse sich nicht recht in Worten ausdrücken, man wisse nur etwa zu sagen: das fühlt sich so öde, so hart, so schwül, so dämmernd, so feucht an u. s. w. Ebenso fühlt sich die bloße Instrumentalmusik, wir suchen nach Ausdrücken und wählen sie aus dem Gebiete dunkler, halb physiologischer Zustände des atmo- sphärischen Lebens u. s. w.: sanft, stürmisch, dumpf, hell, verhüllt, offen, schwungvoll, matt, gespannt, gelöst, schleichend, beflügelt u. s. w.; an das Wort des Dichters gelehnt gewinnt nun die Stimmung, die ihr Ansich so unzulänglich auszusprechen vermag, Körper und Inhalt, das Räthsel sein Wort. Wir haben aber in §. 748 gesehen, daß das Gefühl in seiner Reinheit nur vorliegt, wo es von dem begleitenden Bewußtsein getrennt wird, und somit stehen wir vor einer schwierigen Wahl: entweder reines Gefühl, aber behaftet mit einem Bedürfniß der Ergänzung, die es deutet, seiner Objectlosigkeit abhilft, oder gedeutetes, auf das Object bezogenes, aber nicht mehr in seiner Reinheit vorliegendes Gefühl.
Eine gedankenreiche, durchaus anregende Schrift: Vom "Musikalisch- Schönen" u. s. w. von Hanslick widerlegt geistvoll die Ansicht, daß be- stimmte, d. h. ein Object voraussetzende Gefühle den Inhalt der Musik bilden; sie geht aber weiter und behauptet, die Musik könne auch nicht "unbestimmte Gefühle" zum Inhalt haben, denn Unbestimmtes darstellen sei ein Wider- spruch. Allein was in gewisser Vergleichung unbestimmt ist, kann in anderer ganz bestimmt sein und wir werden im Folgenden uns mit derjenigen Be- stimmtheit beschäftigen, welche dem Gefühl in all seiner beziehungsweisen Unbestimmtheit allerdings eigen ist; Hanslick selbst deutet sie mit demjenigen an, was er treffend die reine Dynamik, die Bewegungsverhältnisse des Gefühls nennt. Dieses dynamische Gefühlsleben muß nun aber ein wirkliches Dasein haben auch abgesehen von der Musik, wiewohl wir es fast nur durch Rückschlüsse aus dieser errathen, und so ist es Inhalt der Musik. Was H. sehr richtig gegen die falsche Trennung zwischen Inhalt und Form sagt, widerlegt nicht die Nothwendigkeit, beide Begriffe zu unter- scheiden, und indem er sich auch dagegen kehrt, bewegt er sich in der Tautologie, die geordnete Tonwelt als die Form und diese Form wieder als den Inhalt der Musik zu behaupten. Wie zwischen Seele und Körper streng zu unterscheiden ist, obwohl der Körper nur als die Realität der Seele, die Seele als die Identität des Körpers richtig begriffen wird, so ist die Musik zwar das untrennbare Ganze von Ton und Gefühl, tönendes Ge- fühl, und doch muß die Analyse beide auseinanderhalten, um ihre Einheit zu zeigen. Daß man ohne Hülfe der Tonwelt das Gefühl nicht ergründen
dem Worte ſich entzieht, und nun iſt den Zuhörern vorgezeichnet, mit welcherlei Vorſtellungen ſie ihre Gemüthsbewegungen zu begleiten haben. Es iſt zu §. 698 von der Landſchaft, dem der Muſik verwandteſten Zweige der Malerei, geſagt worden, das in ihr niedergelegte Gefühl laſſe ſich nicht recht in Worten ausdrücken, man wiſſe nur etwa zu ſagen: das fühlt ſich ſo öde, ſo hart, ſo ſchwül, ſo dämmernd, ſo feucht an u. ſ. w. Ebenſo fühlt ſich die bloße Inſtrumentalmuſik, wir ſuchen nach Ausdrücken und wählen ſie aus dem Gebiete dunkler, halb phyſiologiſcher Zuſtände des atmo- ſphäriſchen Lebens u. ſ. w.: ſanft, ſtürmiſch, dumpf, hell, verhüllt, offen, ſchwungvoll, matt, geſpannt, gelöst, ſchleichend, beflügelt u. ſ. w.; an das Wort des Dichters gelehnt gewinnt nun die Stimmung, die ihr Anſich ſo unzulänglich auszuſprechen vermag, Körper und Inhalt, das Räthſel ſein Wort. Wir haben aber in §. 748 geſehen, daß das Gefühl in ſeiner Reinheit nur vorliegt, wo es von dem begleitenden Bewußtſein getrennt wird, und ſomit ſtehen wir vor einer ſchwierigen Wahl: entweder reines Gefühl, aber behaftet mit einem Bedürfniß der Ergänzung, die es deutet, ſeiner Objectloſigkeit abhilft, oder gedeutetes, auf das Object bezogenes, aber nicht mehr in ſeiner Reinheit vorliegendes Gefühl.
Eine gedankenreiche, durchaus anregende Schrift: Vom „Muſikaliſch- Schönen“ u. ſ. w. von Hanslick widerlegt geiſtvoll die Anſicht, daß be- ſtimmte, d. h. ein Object vorausſetzende Gefühle den Inhalt der Muſik bilden; ſie geht aber weiter und behauptet, die Muſik könne auch nicht „unbeſtimmte Gefühle“ zum Inhalt haben, denn Unbeſtimmtes darſtellen ſei ein Wider- ſpruch. Allein was in gewiſſer Vergleichung unbeſtimmt iſt, kann in anderer ganz beſtimmt ſein und wir werden im Folgenden uns mit derjenigen Be- ſtimmtheit beſchäftigen, welche dem Gefühl in all ſeiner beziehungsweiſen Unbeſtimmtheit allerdings eigen iſt; Hanslick ſelbſt deutet ſie mit demjenigen an, was er treffend die reine Dynamik, die Bewegungsverhältniſſe des Gefühls nennt. Dieſes dynamiſche Gefühlsleben muß nun aber ein wirkliches Daſein haben auch abgeſehen von der Muſik, wiewohl wir es faſt nur durch Rückſchlüſſe aus dieſer errathen, und ſo iſt es Inhalt der Muſik. Was H. ſehr richtig gegen die falſche Trennung zwiſchen Inhalt und Form ſagt, widerlegt nicht die Nothwendigkeit, beide Begriffe zu unter- ſcheiden, und indem er ſich auch dagegen kehrt, bewegt er ſich in der Tautologie, die geordnete Tonwelt als die Form und dieſe Form wieder als den Inhalt der Muſik zu behaupten. Wie zwiſchen Seele und Körper ſtreng zu unterſcheiden iſt, obwohl der Körper nur als die Realität der Seele, die Seele als die Identität des Körpers richtig begriffen wird, ſo iſt die Muſik zwar das untrennbare Ganze von Ton und Gefühl, tönendes Ge- fühl, und doch muß die Analyſe beide auseinanderhalten, um ihre Einheit zu zeigen. Daß man ohne Hülfe der Tonwelt das Gefühl nicht ergründen
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dem Worte ſich entzieht, und nun iſt den Zuhörern vorgezeichnet, mit
welcherlei Vorſtellungen ſie ihre Gemüthsbewegungen zu begleiten haben.
Es iſt zu §. 698 von der Landſchaft, dem der Muſik verwandteſten Zweige
der Malerei, geſagt worden, das in ihr niedergelegte Gefühl laſſe ſich nicht
recht in Worten ausdrücken, man wiſſe nur etwa zu ſagen: das fühlt ſich
ſo öde, ſo hart, ſo ſchwül, ſo dämmernd, ſo feucht an u. ſ. w. Ebenſo
fühlt ſich die bloße Inſtrumentalmuſik, wir ſuchen nach Ausdrücken und
wählen ſie aus dem Gebiete dunkler, halb phyſiologiſcher Zuſtände des atmo-
ſphäriſchen Lebens u. ſ. w.: ſanft, ſtürmiſch, dumpf, hell, verhüllt, offen,
ſchwungvoll, matt, geſpannt, gelöst, ſchleichend, beflügelt u. ſ. w.; an das
Wort des Dichters gelehnt gewinnt nun die Stimmung, die ihr Anſich ſo
unzulänglich auszuſprechen vermag, Körper und Inhalt, das Räthſel ſein
Wort. Wir haben aber in §. 748 geſehen, daß das Gefühl in ſeiner
Reinheit nur vorliegt, wo es von dem begleitenden Bewußtſein getrennt
wird, und ſomit ſtehen wir vor einer ſchwierigen Wahl: entweder reines
Gefühl, aber behaftet mit einem Bedürfniß der Ergänzung, die es deutet,
ſeiner Objectloſigkeit abhilft, oder gedeutetes, auf das Object bezogenes,
aber nicht mehr in ſeiner Reinheit vorliegendes Gefühl.
Eine gedankenreiche, durchaus anregende Schrift: Vom „Muſikaliſch-
Schönen“ u. ſ. w. von Hanslick widerlegt geiſtvoll die Anſicht, daß be-
ſtimmte, d. h. ein Object vorausſetzende Gefühle den Inhalt der Muſik bilden;
ſie geht aber weiter und behauptet, die Muſik könne auch nicht „unbeſtimmte
Gefühle“ zum Inhalt haben, denn Unbeſtimmtes darſtellen ſei ein Wider-
ſpruch. Allein was in gewiſſer Vergleichung unbeſtimmt iſt, kann in anderer
ganz beſtimmt ſein und wir werden im Folgenden uns mit derjenigen Be-
ſtimmtheit beſchäftigen, welche dem Gefühl in all ſeiner beziehungsweiſen
Unbeſtimmtheit allerdings eigen iſt; Hanslick ſelbſt deutet ſie mit demjenigen
an, was er treffend die reine Dynamik, die Bewegungsverhältniſſe
des Gefühls nennt. Dieſes dynamiſche Gefühlsleben muß nun aber ein
wirkliches Daſein haben auch abgeſehen von der Muſik, wiewohl wir es faſt
nur durch Rückſchlüſſe aus dieſer errathen, und ſo iſt es Inhalt der Muſik.
Was H. ſehr richtig gegen die falſche Trennung zwiſchen Inhalt und
Form ſagt, widerlegt nicht die Nothwendigkeit, beide Begriffe zu unter-
ſcheiden, und indem er ſich auch dagegen kehrt, bewegt er ſich in der
Tautologie, die geordnete Tonwelt als die Form und dieſe Form wieder
als den Inhalt der Muſik zu behaupten. Wie zwiſchen Seele und Körper
ſtreng zu unterſcheiden iſt, obwohl der Körper nur als die Realität der Seele,
die Seele als die Identität des Körpers richtig begriffen wird, ſo iſt die
Muſik zwar das untrennbare Ganze von Ton und Gefühl, tönendes Ge-
fühl, und doch muß die Analyſe beide auseinanderhalten, um ihre Einheit
zu zeigen. Daß man ohne Hülfe der Tonwelt das Gefühl nicht ergründen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 790. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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