seinen Bewegungen, auch wo es ganz in sich bleibt, der Eindruck verbunden sein, als wollten diese so eben eintreten; sie lauschen beständig an der Schwelle des Gefühls und mit ihnen das Object. Die Subjectivität des Gefühls ist also eine schwebende; sowie man es festhalten, fixiren will, stellt sich fast unvermeidlich die Beziehung auf einen Gegenstand ein. So ist z. B. die Furcht ein Gefühl, das nicht rein, sondern vom Bewußtsein begleitet ist, denn sie geht auf einen erkannten Gegenstand; ziehe ich dieß ab, so bleibt die unbestimmte Bangigkeit, an deren Horizont aber immer wieder das Object, worin die Ursache dieser Stimmung liegt, wie eine leichte Wolke schwebt, die sich zu verdichten und aufzuziehen im Begriff scheint. Das Gefühl ist objectlos und doch jeden Moment im Begriff, objectiv zu werden. Setzen wir nun, was wir erst im Verlauf ableiten werden, voraus, daß das Gefühl eine eigene Kunstform finden wird, die ihm ohne Worte als Sprache dient, so wird die Folge dieser stets fühlbaren Nähe der be- wußten und gegenständlichen Welt die sein, daß der, welcher diese Gefühls- sprache vernimmt, zugleich seine bestimmteren Geistesthätigkeiten mitangeregt fühlt: die Phantasie als inneres Auge führt ihm Gestalten vor, welche auf den Wellen des Gefühlsrhythmus in traumartig verschwimmenden Umrissen sich bewegen; Erinnerungen, bestimmte Vorstellungen schießen ihm an, er gibt dem ausgedrückten Gefühl ein bestimmtes Object. So viele Zuhörer, so verschiedene Vorstellungen, wiefern solche nur mit der Stimmungsfarbe des im Kunstwerk ausgesprochenen Gefühls verträglich sind, umgaukeln nun den Fluß des letzteren; Jeder glaubt die besonderen Geheimnisse seiner Brust aufgeschlossen. Und dieß ist so wenig eine Trübung des dargestellten Ge- fühls, daß es vielmehr nur eine Realisirung der in ihm liegenden steten Möglichkeit ist, nach allen Seiten in die Form der Vorstellung mit be- stimmtem Inhalt überzugehen. Die Musik gibt im Gefühl eingehüllt die ganze Welt, der Zuhörer öffnet in unendlicher Verschiedenheit die Hülle. Allein wir haben schon oben auf einen höchst wesentlichen Unterschied auch in der Kunstform selbst hingedeutet, dessen nähere Begründung sich nun von selbst ergibt: wie das Gefühl in seiner Reinheit, d. h. ohne begleitendes Bewußtsein empirisch nur als verschwindender Moment vorkommt, wie es vielmehr in seinem Wesen liegt, daß es stets im Sprung ist, überzugehen in die bestimmte, Objecte aufzeigende Geisteswelt, so wird es auch in der Kunst zu einer Anlehnung hinstreben, worin eine andere, das Object nennende Kunst-Gattung seinem Dunkel zu Hülfe kommt und ihm bestimmten Inhalt gibt; daraus werden wir die Vocal-Musik im Unterschiede von der reinen, d. h. der Instrumentalmusik hervorgehen sehen. In dieser Verbindung wird sich nun das Gefühl eines bestimmten Inhalts, eines Gegenstands bewußt: nun weiß ich, was mich bang oder frei, traurig oder heiter stimmt; nun hat jene Schwierigkeit ein Ende, das mit dem Worte zu bezeichnen, was
ſeinen Bewegungen, auch wo es ganz in ſich bleibt, der Eindruck verbunden ſein, als wollten dieſe ſo eben eintreten; ſie lauſchen beſtändig an der Schwelle des Gefühls und mit ihnen das Object. Die Subjectivität des Gefühls iſt alſo eine ſchwebende; ſowie man es feſthalten, fixiren will, ſtellt ſich faſt unvermeidlich die Beziehung auf einen Gegenſtand ein. So iſt z. B. die Furcht ein Gefühl, das nicht rein, ſondern vom Bewußtſein begleitet iſt, denn ſie geht auf einen erkannten Gegenſtand; ziehe ich dieß ab, ſo bleibt die unbeſtimmte Bangigkeit, an deren Horizont aber immer wieder das Object, worin die Urſache dieſer Stimmung liegt, wie eine leichte Wolke ſchwebt, die ſich zu verdichten und aufzuziehen im Begriff ſcheint. Das Gefühl iſt objectlos und doch jeden Moment im Begriff, objectiv zu werden. Setzen wir nun, was wir erſt im Verlauf ableiten werden, voraus, daß das Gefühl eine eigene Kunſtform finden wird, die ihm ohne Worte als Sprache dient, ſo wird die Folge dieſer ſtets fühlbaren Nähe der be- wußten und gegenſtändlichen Welt die ſein, daß der, welcher dieſe Gefühls- ſprache vernimmt, zugleich ſeine beſtimmteren Geiſtesthätigkeiten mitangeregt fühlt: die Phantaſie als inneres Auge führt ihm Geſtalten vor, welche auf den Wellen des Gefühlsrhythmus in traumartig verſchwimmenden Umriſſen ſich bewegen; Erinnerungen, beſtimmte Vorſtellungen ſchießen ihm an, er gibt dem ausgedrückten Gefühl ein beſtimmtes Object. So viele Zuhörer, ſo verſchiedene Vorſtellungen, wiefern ſolche nur mit der Stimmungsfarbe des im Kunſtwerk ausgeſprochenen Gefühls verträglich ſind, umgaukeln nun den Fluß des letzteren; Jeder glaubt die beſonderen Geheimniſſe ſeiner Bruſt aufgeſchloſſen. Und dieß iſt ſo wenig eine Trübung des dargeſtellten Ge- fühls, daß es vielmehr nur eine Realiſirung der in ihm liegenden ſteten Möglichkeit iſt, nach allen Seiten in die Form der Vorſtellung mit be- ſtimmtem Inhalt überzugehen. Die Muſik gibt im Gefühl eingehüllt die ganze Welt, der Zuhörer öffnet in unendlicher Verſchiedenheit die Hülle. Allein wir haben ſchon oben auf einen höchſt weſentlichen Unterſchied auch in der Kunſtform ſelbſt hingedeutet, deſſen nähere Begründung ſich nun von ſelbſt ergibt: wie das Gefühl in ſeiner Reinheit, d. h. ohne begleitendes Bewußtſein empiriſch nur als verſchwindender Moment vorkommt, wie es vielmehr in ſeinem Weſen liegt, daß es ſtets im Sprung iſt, überzugehen in die beſtimmte, Objecte aufzeigende Geiſteswelt, ſo wird es auch in der Kunſt zu einer Anlehnung hinſtreben, worin eine andere, das Object nennende Kunſt-Gattung ſeinem Dunkel zu Hülfe kommt und ihm beſtimmten Inhalt gibt; daraus werden wir die Vocal-Muſik im Unterſchiede von der reinen, d. h. der Inſtrumentalmuſik hervorgehen ſehen. In dieſer Verbindung wird ſich nun das Gefühl eines beſtimmten Inhalts, eines Gegenſtands bewußt: nun weiß ich, was mich bang oder frei, traurig oder heiter ſtimmt; nun hat jene Schwierigkeit ein Ende, das mit dem Worte zu bezeichnen, was
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ſeinen Bewegungen, auch wo es ganz in ſich bleibt, der Eindruck verbunden
ſein, als wollten dieſe ſo eben eintreten; ſie lauſchen beſtändig an der
Schwelle des Gefühls und mit ihnen das Object. Die Subjectivität des
Gefühls iſt alſo eine ſchwebende; ſowie man es feſthalten, fixiren will,
ſtellt ſich faſt unvermeidlich die Beziehung auf einen Gegenſtand ein. So
iſt z. B. die Furcht ein Gefühl, das nicht rein, ſondern vom Bewußtſein
begleitet iſt, denn ſie geht auf einen erkannten Gegenſtand; ziehe ich dieß
ab, ſo bleibt die unbeſtimmte Bangigkeit, an deren Horizont aber immer
wieder das Object, worin die Urſache dieſer Stimmung liegt, wie eine leichte
Wolke ſchwebt, die ſich zu verdichten und aufzuziehen im Begriff ſcheint.
Das Gefühl iſt objectlos und doch jeden Moment im Begriff, objectiv zu
werden. Setzen wir nun, was wir erſt im Verlauf ableiten werden, voraus,
daß das Gefühl eine eigene Kunſtform finden wird, die ihm ohne Worte
als Sprache dient, ſo wird die Folge dieſer ſtets fühlbaren Nähe der be-
wußten und gegenſtändlichen Welt die ſein, daß der, welcher dieſe Gefühls-
ſprache vernimmt, zugleich ſeine beſtimmteren Geiſtesthätigkeiten mitangeregt
fühlt: die Phantaſie als inneres Auge führt ihm Geſtalten vor, welche auf
den Wellen des Gefühlsrhythmus in traumartig verſchwimmenden Umriſſen
ſich bewegen; Erinnerungen, beſtimmte Vorſtellungen ſchießen ihm an, er
gibt dem ausgedrückten Gefühl ein beſtimmtes Object. So viele Zuhörer,
ſo verſchiedene Vorſtellungen, wiefern ſolche nur mit der Stimmungsfarbe
des im Kunſtwerk ausgeſprochenen Gefühls verträglich ſind, umgaukeln nun
den Fluß des letzteren; Jeder glaubt die beſonderen Geheimniſſe ſeiner Bruſt
aufgeſchloſſen. Und dieß iſt ſo wenig eine Trübung des dargeſtellten Ge-
fühls, daß es vielmehr nur eine Realiſirung der in ihm liegenden ſteten
Möglichkeit iſt, nach allen Seiten in die Form der Vorſtellung mit be-
ſtimmtem Inhalt überzugehen. Die Muſik gibt im Gefühl eingehüllt die
ganze Welt, der Zuhörer öffnet in unendlicher Verſchiedenheit die Hülle.
Allein wir haben ſchon oben auf einen höchſt weſentlichen Unterſchied auch
in der Kunſtform ſelbſt hingedeutet, deſſen nähere Begründung ſich nun von
ſelbſt ergibt: wie das Gefühl in ſeiner Reinheit, d. h. ohne begleitendes
Bewußtſein empiriſch nur als verſchwindender Moment vorkommt, wie es
vielmehr in ſeinem Weſen liegt, daß es ſtets im Sprung iſt, überzugehen
in die beſtimmte, Objecte aufzeigende Geiſteswelt, ſo wird es auch in der
Kunſt zu einer Anlehnung hinſtreben, worin eine andere, das Object nennende
Kunſt-Gattung ſeinem Dunkel zu Hülfe kommt und ihm beſtimmten Inhalt
gibt; daraus werden wir die Vocal-Muſik im Unterſchiede von der reinen,
d. h. der Inſtrumentalmuſik hervorgehen ſehen. In dieſer Verbindung wird
ſich nun das Gefühl eines beſtimmten Inhalts, eines Gegenſtands bewußt:
nun weiß ich, was mich bang oder frei, traurig oder heiter ſtimmt; nun
hat jene Schwierigkeit ein Ende, das mit dem Worte zu bezeichnen, was
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 789. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/27>, abgerufen am 24.11.2024.
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