Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.
zu unterscheiden. Die Reihenfolge ist entweder a) selbst wiederum eine einfachere, 1. "Einfaches Tonstück" und "einfache Melodie" (§. 781) sind nicht 2. Es versteht sich von selbst, daß das cyclische Kunstwerk nicht in Vischer's Aesthetik. 4. Band. 62
zu unterſcheiden. Die Reihenfolge iſt entweder α) ſelbſt wiederum eine einfachere, 1. „Einfaches Tonſtück“ und „einfache Melodie“ (§. 781) ſind nicht 2. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß das cycliſche Kunſtwerk nicht in Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 62
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zu unterſcheiden. Die Reihenfolge iſt entweder α) ſelbſt wiederum eine einfachere,
d. h. ein aus mehrern Sätzen beſtehendes, mehrtheiliges Tonſtück, deſſen
Sätze blos Abſchnitte oder Theile Eines Ganzen ſind; oder iſt ſie β) eine zu-
ſammengeſetztere, d. h. ein Tonſtück mit mehrern Sätzen, die ſelbſtändige,
obwohl unter einander zuſammengehörige Ganze ſind; oder iſt ſie endlich γ) ein
größeres Tonwerk, das ebenſo einfache als auch mehrtheilige und aus
mehrern Sätzen beſtehende Tonſtücke in ſich aufnehmen und ein umfaſſenderes
Ganzes aus ihnen bilden kann. Ein zweiter, mehr innerer Unterſchied dieſes
zuſammengeſetzten Kunſtwerks beruht darauf, daß es ſich bildet entweder auf
dem Wege der Aneinanderreihung verſchiedener Tonſätze oder auf dem
Wege thematiſcher Ausführung muſikaliſcher Grundgedanken.
1. „Einfaches Tonſtück“ und „einfache Melodie“ (§. 781) ſind nicht
Daſſelbe, aber verwandt; eine Fuge oder eine ſonſtige größere melodiſche
oder melodiöſe Compoſition, die blos aus einander entſprechenden Perioden
und periodiſirten Theilen beſteht, iſt ein einfaches Tonſtück (eine ſelbſt wie-
der einfache Form des zuſammengeſetzten Kunſtwerks), mag ſie nun homo-
phon oder polyphon ſein (die Terminologie iſt hier eben wegen Mangels
an hinreichend verſchiedenen Bezeichnungen ſchwierig). Es iſt aber klar,
daß ein und derſelbe Grundcharakter und Bewegungsrhythmus ſich durch
eine Mehrheit von Tonſtücken hindurchziehen kann, deren Zahl keiner feſten
Grenze unterliegt, ſondern nur an die Bedingung geknüpft iſt, daß nicht
gar zu viele, um ihrer Menge und Mannigfaltigkeit willen unüberſehbare,
zu keinem Totaleindruck zuſammengehende Tonſtücke an einander gereiht
werden. Die im §. angegebenen Arten dieſer Form des zuſammengeſetzten
muſikaliſchen Kunſtwerks bedürfen daher keiner nähern Deduction, ſie liegen
in der Natur der Sache. Um für dieſelben einen gemeinſchaftlichen Namen
zu haben, könnte man ſie einfach als die cycliſche Compoſitionsform be-
zeichnen. Streng genommen ſcheint dieſe Bezeichnung nur für die zuletzt aufge-
führte Unterart (das „Tonwerk“) anwendbar, aber ſie paßt auch auf die übrigen,
da ſelbſt das kleinſte zuſammengeſetzte Tonſtück cycliſch, d. h. nicht blos ein
Neben- oder Nacheinander von Sätzen, ſondern ein aus dieſem Nacheinander
in ſich ſelbſt, in ſeinen Anfang ſich umbiegendes Ganzes, alſo ein Cyclus
iſt, ſei es nun daß der Anfangsſatz geradezu (wie z. B. beim Menuett)
nach den Mittelſätzen wiederholt oder wenigſtens der letzte Satz dem erſten
mehr oder weniger conform gebildet iſt. Die aus ſelbſtändigen Sätzen (in
dem Sinne, wie ein Symphonienadagio „Satz“ genannt wird) beſtehenden
Tonſtücke ſollte man eigentlich zum Unterſchied von den blos „mehrtheiligen“
mehrſätzige nennen dürfen, da die Sprache kein anderes Wort dafür darbietet.
2. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß das cycliſche Kunſtwerk nicht in
ähnlicher Weiſe feſte Hauptformen haben kann wie die polyphone Muſik.
Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 62
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