Taktarten; die größere Breite gibt auch der dreitheiligen Taktbewegung (, Takt) mehr Gemessenheit und Gewicht durch die längern Ton- reihen, die sie zu Einem Taktganzen zusammenfaßt, wogegen die Kürze auch den zweitheiligen Takten ein Gepräge einer in kleinen Schritten vorwärts gehenden, nirgends festern Fuß fassenden Leichtigkeit und Unruhe aufdrückt.
Vermehrt wird die Mannigfaltigkeit der rhythmischen Gliederung noch dadurch, daß es möglich ist, ohne Beeinträchtigung des gleichförmigen Takt- zeitmaaßes einem Ton zwei, drei und mehr Zeittheile des Taktes einnehmen zu lassen. Es gehören hieher namentlich die sogen. punctirten Noten, die drei oder anderthalb Theile des viertheiligen Taktes einnehmen, so daß sie dreimal so lang sind als der ganze oder halbe Takttheil, der ihnen ent- weder, was das Einfachere ist, nachfolgt oder auch vorausgeschickt wird; im erstern Fall ist der längere Ton ein verlängerter und verstärkter guter Takttheil, im zweiten dagegen entsteht ein dem längern Ton gegenüber ver- kürzter und hiemit dem an sich gesetzmäßigen Vorherrschen der Arsis wider- sprechender guter Takttheil; Beides trägt zum charakteristischen Ausdruck der Tonbewegung wesentlich bei, indem das Verweilen auf einem langen Tone vor einem kürzern nachdrücklich, d. h. kräftig und gewichtig zu neuer Be- wegung ansetzend, wirkt, das unerwartete Ruhen auf einem längern Tone aber, dem ein kürzerer vorangeht, einen eigenthümlichen Eindruck des Nach- lassens, Stillhaltens, Gehemmtseins der Bewegung hervorbringt. Dasselbe ist, obwohl in schwächerem Maaße, nach beiden Seiten hin der Fall, wenn in dreitheiligen Takten entweder der erste und zweite oder der zweite und dritte Takttheil (oder Taktgruppentheil) zu Einem Tone zusammengenommen werden. Ganz besonders wirksam aber sind die Accentverschiebungen. Wenn z. B. im viertheiligen Takt der zweite und dritte Takttheil zu Einem Tone zusammengenommen ("syncopirt") oder die letzte Note eines Taktes mit der ersten des folgenden zu Einer verschmolzen wird, so ist hiedurch das normale Taktverhältniß verschoben; es wird entweder eine Arsis durch Verschmelzung mit der Thesis eliminirt, oder es wird eine Thesis durch Zusammennehmung mit der Arsis selbst zu einem Takttheil, der den Accent hat, erhoben. Welche von diesen beiden Wirkungen im einzelnen Falle beabsichtigt sei, muß der Zusammenhang der Tonfolge und ihr Vortrag zeigen; die erstere bringt in die Tonbewegung durch Neutralisirung des scharfen Abschnittes der Arsis etwas Schwebendes, Fließendes, die zweite aber bringt durch das Vorschieben der Arsis den Effect erhöhten, markirten Nachdrucks, gewaltsamen Unterbrechens der Gleichförmigkeit des Tonganges hervor und ist so ein Hauptmittel für energische, pathetische, leidenschaftliche Tonbewegungen. Auch der Charakter des Gepreßten und Gespannten kann durch diese und ähnliche Verschiebungen einem Tongange aufgedrückt werden, und zwar treten alle diese Wirkungen namentlich dann prägnant hervor,
Taktarten; die größere Breite gibt auch der dreitheiligen Taktbewegung (, Takt) mehr Gemeſſenheit und Gewicht durch die längern Ton- reihen, die ſie zu Einem Taktganzen zuſammenfaßt, wogegen die Kürze auch den zweitheiligen Takten ein Gepräge einer in kleinen Schritten vorwärts gehenden, nirgends feſtern Fuß faſſenden Leichtigkeit und Unruhe aufdrückt.
Vermehrt wird die Mannigfaltigkeit der rhythmiſchen Gliederung noch dadurch, daß es möglich iſt, ohne Beeinträchtigung des gleichförmigen Takt- zeitmaaßes einem Ton zwei, drei und mehr Zeittheile des Taktes einnehmen zu laſſen. Es gehören hieher namentlich die ſogen. punctirten Noten, die drei oder anderthalb Theile des viertheiligen Taktes einnehmen, ſo daß ſie dreimal ſo lang ſind als der ganze oder halbe Takttheil, der ihnen ent- weder, was das Einfachere iſt, nachfolgt oder auch vorausgeſchickt wird; im erſtern Fall iſt der längere Ton ein verlängerter und verſtärkter guter Takttheil, im zweiten dagegen entſteht ein dem längern Ton gegenüber ver- kürzter und hiemit dem an ſich geſetzmäßigen Vorherrſchen der Arſis wider- ſprechender guter Takttheil; Beides trägt zum charakteriſtiſchen Ausdruck der Tonbewegung weſentlich bei, indem das Verweilen auf einem langen Tone vor einem kürzern nachdrücklich, d. h. kräftig und gewichtig zu neuer Be- wegung anſetzend, wirkt, das unerwartete Ruhen auf einem längern Tone aber, dem ein kürzerer vorangeht, einen eigenthümlichen Eindruck des Nach- laſſens, Stillhaltens, Gehemmtſeins der Bewegung hervorbringt. Daſſelbe iſt, obwohl in ſchwächerem Maaße, nach beiden Seiten hin der Fall, wenn in dreitheiligen Takten entweder der erſte und zweite oder der zweite und dritte Takttheil (oder Taktgruppentheil) zu Einem Tone zuſammengenommen werden. Ganz beſonders wirkſam aber ſind die Accentverſchiebungen. Wenn z. B. im viertheiligen Takt der zweite und dritte Takttheil zu Einem Tone zuſammengenommen („ſyncopirt“) oder die letzte Note eines Taktes mit der erſten des folgenden zu Einer verſchmolzen wird, ſo iſt hiedurch das normale Taktverhältniß verſchoben; es wird entweder eine Arſis durch Verſchmelzung mit der Theſis eliminirt, oder es wird eine Theſis durch Zuſammennehmung mit der Arſis ſelbſt zu einem Takttheil, der den Accent hat, erhoben. Welche von dieſen beiden Wirkungen im einzelnen Falle beabſichtigt ſei, muß der Zuſammenhang der Tonfolge und ihr Vortrag zeigen; die erſtere bringt in die Tonbewegung durch Neutraliſirung des ſcharfen Abſchnittes der Arſis etwas Schwebendes, Fließendes, die zweite aber bringt durch das Vorſchieben der Arſis den Effect erhöhten, markirten Nachdrucks, gewaltſamen Unterbrechens der Gleichförmigkeit des Tonganges hervor und iſt ſo ein Hauptmittel für energiſche, pathetiſche, leidenſchaftliche Tonbewegungen. Auch der Charakter des Gepreßten und Geſpannten kann durch dieſe und ähnliche Verſchiebungen einem Tongange aufgedrückt werden, und zwar treten alle dieſe Wirkungen namentlich dann prägnant hervor,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0145"n="907"/>
Taktarten; die größere Breite gibt auch der dreitheiligen Taktbewegung<lb/>
(<formulanotation="TeX">\frac{9}{8}</formula>, <formulanotation="TeX">\frac{12}{8}</formula> Takt) mehr Gemeſſenheit und Gewicht durch die längern Ton-<lb/>
reihen, die ſie zu Einem Taktganzen zuſammenfaßt, wogegen die Kürze auch<lb/>
den zweitheiligen Takten ein Gepräge einer in kleinen Schritten vorwärts<lb/>
gehenden, nirgends feſtern Fuß faſſenden Leichtigkeit und Unruhe aufdrückt.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Vermehrt wird die Mannigfaltigkeit der rhythmiſchen Gliederung noch<lb/>
dadurch, daß es möglich iſt, ohne Beeinträchtigung des gleichförmigen Takt-<lb/>
zeitmaaßes einem Ton zwei, drei und mehr Zeittheile des Taktes einnehmen<lb/>
zu laſſen. Es gehören hieher namentlich die ſogen. <hirendition="#g">punctirten Noten</hi>,<lb/>
die drei oder anderthalb Theile des viertheiligen Taktes einnehmen, ſo daß<lb/>ſie dreimal ſo lang ſind als der ganze oder halbe Takttheil, der ihnen ent-<lb/>
weder, was das Einfachere iſt, nachfolgt oder auch vorausgeſchickt wird;<lb/>
im erſtern Fall iſt der längere Ton ein verlängerter und verſtärkter guter<lb/>
Takttheil, im zweiten dagegen entſteht ein dem längern Ton gegenüber ver-<lb/>
kürzter und hiemit dem an ſich geſetzmäßigen Vorherrſchen der Arſis wider-<lb/>ſprechender guter Takttheil; Beides trägt zum charakteriſtiſchen Ausdruck der<lb/>
Tonbewegung weſentlich bei, indem das Verweilen auf einem langen Tone<lb/>
vor einem kürzern nachdrücklich, d. h. kräftig und gewichtig zu neuer Be-<lb/>
wegung anſetzend, wirkt, das unerwartete Ruhen auf einem längern Tone<lb/>
aber, dem ein kürzerer vorangeht, einen eigenthümlichen Eindruck des Nach-<lb/>
laſſens, Stillhaltens, Gehemmtſeins der Bewegung hervorbringt. Daſſelbe<lb/>
iſt, obwohl in ſchwächerem Maaße, nach beiden Seiten hin der Fall, wenn<lb/>
in dreitheiligen Takten entweder der erſte und zweite oder der zweite und<lb/>
dritte Takttheil (oder Taktgruppentheil) zu Einem Tone zuſammengenommen<lb/>
werden. Ganz beſonders wirkſam aber ſind die <hirendition="#g">Accentverſchiebungen</hi>.<lb/>
Wenn z. B. im viertheiligen Takt der zweite und dritte Takttheil zu Einem<lb/>
Tone zuſammengenommen („ſyncopirt“) oder die letzte Note eines Taktes mit<lb/>
der erſten des folgenden zu Einer verſchmolzen wird, ſo iſt hiedurch das<lb/>
normale Taktverhältniß verſchoben; es wird entweder eine Arſis durch<lb/>
Verſchmelzung mit der Theſis eliminirt, oder es wird eine Theſis durch<lb/>
Zuſammennehmung mit der Arſis ſelbſt zu einem Takttheil, der den Accent<lb/>
hat, erhoben. Welche von dieſen beiden Wirkungen im einzelnen Falle<lb/>
beabſichtigt ſei, muß der Zuſammenhang der Tonfolge und ihr Vortrag<lb/>
zeigen; die erſtere bringt in die Tonbewegung durch Neutraliſirung des<lb/>ſcharfen Abſchnittes der Arſis etwas Schwebendes, Fließendes, die zweite<lb/>
aber bringt durch das Vorſchieben der Arſis den Effect erhöhten, markirten<lb/>
Nachdrucks, gewaltſamen Unterbrechens der Gleichförmigkeit des Tonganges<lb/>
hervor und iſt ſo ein Hauptmittel für energiſche, pathetiſche, leidenſchaftliche<lb/>
Tonbewegungen. Auch der Charakter des Gepreßten und Geſpannten kann<lb/>
durch dieſe und ähnliche Verſchiebungen einem Tongange aufgedrückt werden,<lb/>
und zwar treten alle dieſe Wirkungen namentlich dann prägnant hervor,<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[907/0145]
Taktarten; die größere Breite gibt auch der dreitheiligen Taktbewegung
([FORMEL], [FORMEL] Takt) mehr Gemeſſenheit und Gewicht durch die längern Ton-
reihen, die ſie zu Einem Taktganzen zuſammenfaßt, wogegen die Kürze auch
den zweitheiligen Takten ein Gepräge einer in kleinen Schritten vorwärts
gehenden, nirgends feſtern Fuß faſſenden Leichtigkeit und Unruhe aufdrückt.
Vermehrt wird die Mannigfaltigkeit der rhythmiſchen Gliederung noch
dadurch, daß es möglich iſt, ohne Beeinträchtigung des gleichförmigen Takt-
zeitmaaßes einem Ton zwei, drei und mehr Zeittheile des Taktes einnehmen
zu laſſen. Es gehören hieher namentlich die ſogen. punctirten Noten,
die drei oder anderthalb Theile des viertheiligen Taktes einnehmen, ſo daß
ſie dreimal ſo lang ſind als der ganze oder halbe Takttheil, der ihnen ent-
weder, was das Einfachere iſt, nachfolgt oder auch vorausgeſchickt wird;
im erſtern Fall iſt der längere Ton ein verlängerter und verſtärkter guter
Takttheil, im zweiten dagegen entſteht ein dem längern Ton gegenüber ver-
kürzter und hiemit dem an ſich geſetzmäßigen Vorherrſchen der Arſis wider-
ſprechender guter Takttheil; Beides trägt zum charakteriſtiſchen Ausdruck der
Tonbewegung weſentlich bei, indem das Verweilen auf einem langen Tone
vor einem kürzern nachdrücklich, d. h. kräftig und gewichtig zu neuer Be-
wegung anſetzend, wirkt, das unerwartete Ruhen auf einem längern Tone
aber, dem ein kürzerer vorangeht, einen eigenthümlichen Eindruck des Nach-
laſſens, Stillhaltens, Gehemmtſeins der Bewegung hervorbringt. Daſſelbe
iſt, obwohl in ſchwächerem Maaße, nach beiden Seiten hin der Fall, wenn
in dreitheiligen Takten entweder der erſte und zweite oder der zweite und
dritte Takttheil (oder Taktgruppentheil) zu Einem Tone zuſammengenommen
werden. Ganz beſonders wirkſam aber ſind die Accentverſchiebungen.
Wenn z. B. im viertheiligen Takt der zweite und dritte Takttheil zu Einem
Tone zuſammengenommen („ſyncopirt“) oder die letzte Note eines Taktes mit
der erſten des folgenden zu Einer verſchmolzen wird, ſo iſt hiedurch das
normale Taktverhältniß verſchoben; es wird entweder eine Arſis durch
Verſchmelzung mit der Theſis eliminirt, oder es wird eine Theſis durch
Zuſammennehmung mit der Arſis ſelbſt zu einem Takttheil, der den Accent
hat, erhoben. Welche von dieſen beiden Wirkungen im einzelnen Falle
beabſichtigt ſei, muß der Zuſammenhang der Tonfolge und ihr Vortrag
zeigen; die erſtere bringt in die Tonbewegung durch Neutraliſirung des
ſcharfen Abſchnittes der Arſis etwas Schwebendes, Fließendes, die zweite
aber bringt durch das Vorſchieben der Arſis den Effect erhöhten, markirten
Nachdrucks, gewaltſamen Unterbrechens der Gleichförmigkeit des Tonganges
hervor und iſt ſo ein Hauptmittel für energiſche, pathetiſche, leidenſchaftliche
Tonbewegungen. Auch der Charakter des Gepreßten und Geſpannten kann
durch dieſe und ähnliche Verſchiebungen einem Tongange aufgedrückt werden,
und zwar treten alle dieſe Wirkungen namentlich dann prägnant hervor,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 907. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/145>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.