und zugleich der zweiten und dritten Taktabtheilung eine gewisse Selb- ständigkeit eingeräumt wird, indem auch auf ihren Anfangston eine eigene, jedoch dem Accent des ersten Takttheils untergeordnet bleibende Arsis fällt, so daß der Takt sich symmetrisch zu kleinern in ihm befaßten Gruppen gliedert und so nicht nur an Größe und Breite, sondern auch an charak- teristischer Mannigfaltigkeit gewinnt. Dem zweitheiligen Takt entspricht der viertheilige, dem dreitheiligen der sechstheilige (mit Arsis auf dem ersten und vierten Gliede), sowie der neuntheilige Takt. Selten ist der durch Vervierfachung des dreitheiligen Takts entstehende zwölftheilige, der für gewöhnlich zu lang ist, um eine eigene Taktperiode abzugeben, noch seltener die noch größeren, und dasselbe gilt auch von dem fünftheiligen (mit Arsis blos auf dem ersten Takttheil), der keinen ganz natürlichen Rhythmus ent- hält, jedoch als ein erweiterter, verlängerter dreitheiliger Takt hie und da auch durch seine lebendighüpfende Bewegtheit von guter Wirkung sein kann (wie z. B. im Liede vom Prinz Eugen). Das wesentliche Prinzip des Unterschieds unter den Taktarten ist das Verhältniß der Zahl der Thesen zur Arsis; die Dreitheiligkeit eben in diesem Sinne, daß auf jede der Arsen des Taktes doppelt so viele Thesen kommen als im zweitheiligen, verleiht durch diese Reducirung der Zahl der Arsen auf die Hälfte der Thesen und durch die hiemit gegebene schwungreichere und unruhigere Bewegung dem so gebildeten Takte ein vom zweitheiligen so wesentlich verschiedenes Ge- präge, daß sogar eine zweite Art des sechstheiligen Taktes, nämlich mit drei Arsen (auf erstem, drittem, fünftem Takttheil, Takt), weil er rück- sichtlich seiner einzelnen Glieder zweitheilig ist, nicht einfach zu den drei- theiligen Taktarten gezählt, sondern als eine mittlere Form betrachtet werden muß, die ihrem prinzipiellen Charakter und Eindruck nach mit der zwei- theiligen Taktform in wesentlicher Verwandtschaft steht. Die ästhetische Bedeutung der verschiedenen Taktarten folgt einfach aus ihrem Wesen. Das Moment gehobener, kräftiger, markirter, unruhiger, hüpfender Be- wegung tritt hervor in den dreitheiligen Taktarten, sie sind die bewegtern und entsprechen nach dieser Seite am directesten dem Wesen der Musik, sofern sie eben das bewegte Gefühl und Gemüth darzustellen hat. Die zweitheiligen Taktformen geben der Tonfolge mehr Gleichförmigkeit, Haltung, Gemessenheit, sie sind der Takt des reinen Gleichmaaßes, das über aller Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit der Bewegung ruhig stehen bleibt, sie bilden die strengere, kunstmäßigere und insofern höhere Form des Taktes; der dreitheilige Takt läßt den Rhythmus, die charakteristische Bewegtheit stärker hervortreten, der zweitheilige dagegen eben die Regelmäßigkeit, welche das Wesen des Taktes überhaupt ausmacht; jener ist der Rhythmus, dieser der Takt in erhöhter Potenz. Modificirt werden jedoch diese Unterschiede durch die Verschiedenheit der engern und breitern, kürzern und weitern
und zugleich der zweiten und dritten Taktabtheilung eine gewiſſe Selb- ſtändigkeit eingeräumt wird, indem auch auf ihren Anfangston eine eigene, jedoch dem Accent des erſten Takttheils untergeordnet bleibende Arſis fällt, ſo daß der Takt ſich ſymmetriſch zu kleinern in ihm befaßten Gruppen gliedert und ſo nicht nur an Größe und Breite, ſondern auch an charak- teriſtiſcher Mannigfaltigkeit gewinnt. Dem zweitheiligen Takt entſpricht der viertheilige, dem dreitheiligen der ſechstheilige (mit Arſis auf dem erſten und vierten Gliede), ſowie der neuntheilige Takt. Selten iſt der durch Vervierfachung des dreitheiligen Takts entſtehende zwölftheilige, der für gewöhnlich zu lang iſt, um eine eigene Taktperiode abzugeben, noch ſeltener die noch größeren, und daſſelbe gilt auch von dem fünftheiligen (mit Arſis blos auf dem erſten Takttheil), der keinen ganz natürlichen Rhythmus ent- hält, jedoch als ein erweiterter, verlängerter dreitheiliger Takt hie und da auch durch ſeine lebendighüpfende Bewegtheit von guter Wirkung ſein kann (wie z. B. im Liede vom Prinz Eugen). Das weſentliche Prinzip des Unterſchieds unter den Taktarten iſt das Verhältniß der Zahl der Theſen zur Arſis; die Dreitheiligkeit eben in dieſem Sinne, daß auf jede der Arſen des Taktes doppelt ſo viele Theſen kommen als im zweitheiligen, verleiht durch dieſe Reducirung der Zahl der Arſen auf die Hälfte der Theſen und durch die hiemit gegebene ſchwungreichere und unruhigere Bewegung dem ſo gebildeten Takte ein vom zweitheiligen ſo weſentlich verſchiedenes Ge- präge, daß ſogar eine zweite Art des ſechstheiligen Taktes, nämlich mit drei Arſen (auf erſtem, drittem, fünftem Takttheil, Takt), weil er rück- ſichtlich ſeiner einzelnen Glieder zweitheilig iſt, nicht einfach zu den drei- theiligen Taktarten gezählt, ſondern als eine mittlere Form betrachtet werden muß, die ihrem prinzipiellen Charakter und Eindruck nach mit der zwei- theiligen Taktform in weſentlicher Verwandtſchaft ſteht. Die äſthetiſche Bedeutung der verſchiedenen Taktarten folgt einfach aus ihrem Weſen. Das Moment gehobener, kräftiger, markirter, unruhiger, hüpfender Be- wegung tritt hervor in den dreitheiligen Taktarten, ſie ſind die bewegtern und entſprechen nach dieſer Seite am directeſten dem Weſen der Muſik, ſofern ſie eben das bewegte Gefühl und Gemüth darzuſtellen hat. Die zweitheiligen Taktformen geben der Tonfolge mehr Gleichförmigkeit, Haltung, Gemeſſenheit, ſie ſind der Takt des reinen Gleichmaaßes, das über aller Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit der Bewegung ruhig ſtehen bleibt, ſie bilden die ſtrengere, kunſtmäßigere und inſofern höhere Form des Taktes; der dreitheilige Takt läßt den Rhythmus, die charakteriſtiſche Bewegtheit ſtärker hervortreten, der zweitheilige dagegen eben die Regelmäßigkeit, welche das Weſen des Taktes überhaupt ausmacht; jener iſt der Rhythmus, dieſer der Takt in erhöhter Potenz. Modificirt werden jedoch dieſe Unterſchiede durch die Verſchiedenheit der engern und breitern, kürzern und weitern
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[906/0144]
und zugleich der zweiten und dritten Taktabtheilung eine gewiſſe Selb-
ſtändigkeit eingeräumt wird, indem auch auf ihren Anfangston eine eigene,
jedoch dem Accent des erſten Takttheils untergeordnet bleibende Arſis fällt,
ſo daß der Takt ſich ſymmetriſch zu kleinern in ihm befaßten Gruppen
gliedert und ſo nicht nur an Größe und Breite, ſondern auch an charak-
teriſtiſcher Mannigfaltigkeit gewinnt. Dem zweitheiligen Takt entſpricht der
viertheilige, dem dreitheiligen der ſechstheilige (mit Arſis auf dem erſten
und vierten Gliede), ſowie der neuntheilige Takt. Selten iſt der durch
Vervierfachung des dreitheiligen Takts entſtehende zwölftheilige, der für
gewöhnlich zu lang iſt, um eine eigene Taktperiode abzugeben, noch ſeltener
die noch größeren, und daſſelbe gilt auch von dem fünftheiligen (mit Arſis
blos auf dem erſten Takttheil), der keinen ganz natürlichen Rhythmus ent-
hält, jedoch als ein erweiterter, verlängerter dreitheiliger Takt hie und da
auch durch ſeine lebendighüpfende Bewegtheit von guter Wirkung ſein kann
(wie z. B. im Liede vom Prinz Eugen). Das weſentliche Prinzip des
Unterſchieds unter den Taktarten iſt das Verhältniß der Zahl der Theſen
zur Arſis; die Dreitheiligkeit eben in dieſem Sinne, daß auf jede der Arſen
des Taktes doppelt ſo viele Theſen kommen als im zweitheiligen, verleiht
durch dieſe Reducirung der Zahl der Arſen auf die Hälfte der Theſen und
durch die hiemit gegebene ſchwungreichere und unruhigere Bewegung dem
ſo gebildeten Takte ein vom zweitheiligen ſo weſentlich verſchiedenes Ge-
präge, daß ſogar eine zweite Art des ſechstheiligen Taktes, nämlich mit
drei Arſen (auf erſtem, drittem, fünftem Takttheil, [FORMEL] Takt), weil er rück-
ſichtlich ſeiner einzelnen Glieder zweitheilig iſt, nicht einfach zu den drei-
theiligen Taktarten gezählt, ſondern als eine mittlere Form betrachtet werden
muß, die ihrem prinzipiellen Charakter und Eindruck nach mit der zwei-
theiligen Taktform in weſentlicher Verwandtſchaft ſteht. Die äſthetiſche
Bedeutung der verſchiedenen Taktarten folgt einfach aus ihrem Weſen.
Das Moment gehobener, kräftiger, markirter, unruhiger, hüpfender Be-
wegung tritt hervor in den dreitheiligen Taktarten, ſie ſind die bewegtern
und entſprechen nach dieſer Seite am directeſten dem Weſen der Muſik,
ſofern ſie eben das bewegte Gefühl und Gemüth darzuſtellen hat. Die
zweitheiligen Taktformen geben der Tonfolge mehr Gleichförmigkeit, Haltung,
Gemeſſenheit, ſie ſind der Takt des reinen Gleichmaaßes, das über aller
Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit der Bewegung ruhig ſtehen bleibt, ſie
bilden die ſtrengere, kunſtmäßigere und inſofern höhere Form des Taktes;
der dreitheilige Takt läßt den Rhythmus, die charakteriſtiſche Bewegtheit
ſtärker hervortreten, der zweitheilige dagegen eben die Regelmäßigkeit, welche
das Weſen des Taktes überhaupt ausmacht; jener iſt der Rhythmus, dieſer
der Takt in erhöhter Potenz. Modificirt werden jedoch dieſe Unterſchiede
durch die Verſchiedenheit der engern und breitern, kürzern und weitern
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 906. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/144>, abgerufen am 24.11.2024.
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