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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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schweben beginne und die Wirkung fast nicht mehr durch etwas Materielles
geschehe (Aesth. B. 3, 126). Allein die Malerei ist und bleibt noch bildende
Kunst, stellt ihr ideales Weltbild noch dem Subject gegenüber als ein Object,
das außer ihm, der eigentlichen Bewegung ermangelnd, im Raume verharrt.
Welche tiefen Mängel selbst für die reichste unter den bildenden Künsten
hieraus fließen, haben wir gesehen. Wie warm sie sich auch an das Innere
des Zuschauers schmiegt, die Scheidewand zwischen ihr und ihm bleibt stehen,
die ausschließende Natur des Räumlichen legt sich zwischen beide. Es ist
am gegenwärtigen Orte nicht die Aufgabe, dieß in der bestimmten Richtung
auseinanderzusetzen, daß noch einmal gezeigt würde, was Alles die Dar-
stellungsmittel der Malerei nicht zu geben vermögen, um dadurch unmittelbar
zu der Nothwendigkeit fortzuführen, daß ein anderes Darstellungsmittel er-
griffen werde, sondern wir sprechen erst von dem geistigen Act und seinem
Grundgesetz im Ganzen und Großen. Dieses, das Grundgesetz der Ein-
theilung der Kunst in Künste, haben wir (§. 537) in dem Fortgange von
der Objectivität zur Subjectivität und zur höheren Einigung beider gefunden,
derselben Kategorie, worauf die Stufen des Systems: das Naturschöne, die
Phantasie, die Kunst beruhen. Der Geist der Kunst stellt das Abbild seines
inneren Gebildes zuerst als Object in den Raum hinaus, wo es dem Zu-
schauer begegnet wie der naturschöne Gegenstand. Er gewinnt durch diesen
Act die ganze Schärfe und Klarheit der Gegenüberstellung, aber er verliert
auch so viel, daß er in seinem Gebiete denselben Weg wiederholen muß,
den die Phantasie vor der Kunst einschlug, als sie das naturschöne Object
zuerst ganz aufzehrte, in ihr Inneres nahm, in ein blos inneres Bild ver-
wandelte. Der Künstler hat den Stoff, den er als Inhalt eines Sculptur-
werks, Gemäldes räumlich von sich abstößt, wohl vorher im Innern gehegt
und durchdrungen, aber diese Durchdringung wird schon im Innern keine
vollendete, es wird eine Antithese in der Synthese gewesen, ein Rest
von Fremdheit wird zurückgeblieben sein und eben dieß wird der Zuschauer
fühlen, denn alles räumliche Sein trägt den Charakter des Ausschließenden.
Es muß eine noch innigere, eine absolute Durchdringung geben, worin das
Gegenüber ganz flüssiges Ineinander, das Hinausgestellte ganz innerstes
Eigenthum bleibt, und zwar schon im innern Acte selbst, wo ebendaher
derjenige, der das Kunstwerk genießt, mit seinem innersten Selbst darein
eingeht oder umgekehrt es in sein innerstes Selbst eingehen, diese Zwei
ineinander aufgehen fühlt. Zu §. 551, S. 176 ist gesagt: es werde in
einer auf die bildende Kunst folgenden zweiten Kunstform ein Ineinander-
gähren von Object und Subject eintreten, welches inniger, aber dunkler
sei, als das Verhalten in der bildenden Kunst; diese sei mehr und weniger,
als jene vorerst auf sie folgende subjective Form; die Bestimmtheit der Gegen-
überstellung zwischen dem Naturschönen und Künstler, dem Künstler und seinem

ſchweben beginne und die Wirkung faſt nicht mehr durch etwas Materielles
geſchehe (Aeſth. B. 3, 126). Allein die Malerei iſt und bleibt noch bildende
Kunſt, ſtellt ihr ideales Weltbild noch dem Subject gegenüber als ein Object,
das außer ihm, der eigentlichen Bewegung ermangelnd, im Raume verharrt.
Welche tiefen Mängel ſelbſt für die reichſte unter den bildenden Künſten
hieraus fließen, haben wir geſehen. Wie warm ſie ſich auch an das Innere
des Zuſchauers ſchmiegt, die Scheidewand zwiſchen ihr und ihm bleibt ſtehen,
die ausſchließende Natur des Räumlichen legt ſich zwiſchen beide. Es iſt
am gegenwärtigen Orte nicht die Aufgabe, dieß in der beſtimmten Richtung
auseinanderzuſetzen, daß noch einmal gezeigt würde, was Alles die Dar-
ſtellungsmittel der Malerei nicht zu geben vermögen, um dadurch unmittelbar
zu der Nothwendigkeit fortzuführen, daß ein anderes Darſtellungsmittel er-
griffen werde, ſondern wir ſprechen erſt von dem geiſtigen Act und ſeinem
Grundgeſetz im Ganzen und Großen. Dieſes, das Grundgeſetz der Ein-
theilung der Kunſt in Künſte, haben wir (§. 537) in dem Fortgange von
der Objectivität zur Subjectivität und zur höheren Einigung beider gefunden,
derſelben Kategorie, worauf die Stufen des Syſtems: das Naturſchöne, die
Phantaſie, die Kunſt beruhen. Der Geiſt der Kunſt ſtellt das Abbild ſeines
inneren Gebildes zuerſt als Object in den Raum hinaus, wo es dem Zu-
ſchauer begegnet wie der naturſchöne Gegenſtand. Er gewinnt durch dieſen
Act die ganze Schärfe und Klarheit der Gegenüberſtellung, aber er verliert
auch ſo viel, daß er in ſeinem Gebiete denſelben Weg wiederholen muß,
den die Phantaſie vor der Kunſt einſchlug, als ſie das naturſchöne Object
zuerſt ganz aufzehrte, in ihr Inneres nahm, in ein blos inneres Bild ver-
wandelte. Der Künſtler hat den Stoff, den er als Inhalt eines Sculptur-
werks, Gemäldes räumlich von ſich abſtößt, wohl vorher im Innern gehegt
und durchdrungen, aber dieſe Durchdringung wird ſchon im Innern keine
vollendete, es wird eine Antitheſe in der Syntheſe geweſen, ein Reſt
von Fremdheit wird zurückgeblieben ſein und eben dieß wird der Zuſchauer
fühlen, denn alles räumliche Sein trägt den Charakter des Ausſchließenden.
Es muß eine noch innigere, eine abſolute Durchdringung geben, worin das
Gegenüber ganz flüſſiges Ineinander, das Hinausgeſtellte ganz innerſtes
Eigenthum bleibt, und zwar ſchon im innern Acte ſelbſt, wo ebendaher
derjenige, der das Kunſtwerk genießt, mit ſeinem innerſten Selbſt darein
eingeht oder umgekehrt es in ſein innerſtes Selbſt eingehen, dieſe Zwei
ineinander aufgehen fühlt. Zu §. 551, S. 176 iſt geſagt: es werde in
einer auf die bildende Kunſt folgenden zweiten Kunſtform ein Ineinander-
gähren von Object und Subject eintreten, welches inniger, aber dunkler
ſei, als das Verhalten in der bildenden Kunſt; dieſe ſei mehr und weniger,
als jene vorerſt auf ſie folgende ſubjective Form; die Beſtimmtheit der Gegen-
überſtellung zwiſchen dem Naturſchönen und Künſtler, dem Künſtler und ſeinem

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[776/0014] ſchweben beginne und die Wirkung faſt nicht mehr durch etwas Materielles geſchehe (Aeſth. B. 3, 126). Allein die Malerei iſt und bleibt noch bildende Kunſt, ſtellt ihr ideales Weltbild noch dem Subject gegenüber als ein Object, das außer ihm, der eigentlichen Bewegung ermangelnd, im Raume verharrt. Welche tiefen Mängel ſelbſt für die reichſte unter den bildenden Künſten hieraus fließen, haben wir geſehen. Wie warm ſie ſich auch an das Innere des Zuſchauers ſchmiegt, die Scheidewand zwiſchen ihr und ihm bleibt ſtehen, die ausſchließende Natur des Räumlichen legt ſich zwiſchen beide. Es iſt am gegenwärtigen Orte nicht die Aufgabe, dieß in der beſtimmten Richtung auseinanderzuſetzen, daß noch einmal gezeigt würde, was Alles die Dar- ſtellungsmittel der Malerei nicht zu geben vermögen, um dadurch unmittelbar zu der Nothwendigkeit fortzuführen, daß ein anderes Darſtellungsmittel er- griffen werde, ſondern wir ſprechen erſt von dem geiſtigen Act und ſeinem Grundgeſetz im Ganzen und Großen. Dieſes, das Grundgeſetz der Ein- theilung der Kunſt in Künſte, haben wir (§. 537) in dem Fortgange von der Objectivität zur Subjectivität und zur höheren Einigung beider gefunden, derſelben Kategorie, worauf die Stufen des Syſtems: das Naturſchöne, die Phantaſie, die Kunſt beruhen. Der Geiſt der Kunſt ſtellt das Abbild ſeines inneren Gebildes zuerſt als Object in den Raum hinaus, wo es dem Zu- ſchauer begegnet wie der naturſchöne Gegenſtand. Er gewinnt durch dieſen Act die ganze Schärfe und Klarheit der Gegenüberſtellung, aber er verliert auch ſo viel, daß er in ſeinem Gebiete denſelben Weg wiederholen muß, den die Phantaſie vor der Kunſt einſchlug, als ſie das naturſchöne Object zuerſt ganz aufzehrte, in ihr Inneres nahm, in ein blos inneres Bild ver- wandelte. Der Künſtler hat den Stoff, den er als Inhalt eines Sculptur- werks, Gemäldes räumlich von ſich abſtößt, wohl vorher im Innern gehegt und durchdrungen, aber dieſe Durchdringung wird ſchon im Innern keine vollendete, es wird eine Antitheſe in der Syntheſe geweſen, ein Reſt von Fremdheit wird zurückgeblieben ſein und eben dieß wird der Zuſchauer fühlen, denn alles räumliche Sein trägt den Charakter des Ausſchließenden. Es muß eine noch innigere, eine abſolute Durchdringung geben, worin das Gegenüber ganz flüſſiges Ineinander, das Hinausgeſtellte ganz innerſtes Eigenthum bleibt, und zwar ſchon im innern Acte ſelbſt, wo ebendaher derjenige, der das Kunſtwerk genießt, mit ſeinem innerſten Selbſt darein eingeht oder umgekehrt es in ſein innerſtes Selbſt eingehen, dieſe Zwei ineinander aufgehen fühlt. Zu §. 551, S. 176 iſt geſagt: es werde in einer auf die bildende Kunſt folgenden zweiten Kunſtform ein Ineinander- gähren von Object und Subject eintreten, welches inniger, aber dunkler ſei, als das Verhalten in der bildenden Kunſt; dieſe ſei mehr und weniger, als jene vorerſt auf ſie folgende ſubjective Form; die Beſtimmtheit der Gegen- überſtellung zwiſchen dem Naturſchönen und Künſtler, dem Künſtler und ſeinem

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 776. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/14>, abgerufen am 23.04.2024.