schließt vom Menschenwerke den Charakter des Neuen aus und bindet alle zugelassenen Härten und Formlosigkeiten durch den Geist der Bewegtheit und Stimmung. Der plastische Styl geräth in ermüdende Einförmigkeit, wenn er diese Merkmale von sich ausschließt.
Im landschaftlichen Gebiete wird denn das Stylgesetz bereits kla- rer und nimmt Besonderung an. Der ächt malerische Styl wird im Geiste des Naturalismus und Individualismus den localen Charakter in seiner Eigenheit auffassen, das Spiel des Zufälligen aufnehmen, die For- men und Farben lieber in das Härtere, Unruhigere brechen, um nur desto mehr das Stimmungsreiche, Bewegte und Bewegende herauszuarbeiten; er wird daher in einer trüberen, zerissneren Natur heimischer sein, als in einer solchen, die an sich schon eine gewisse Idealität der Formen, Be- leuchtung, Farben darbietet. Der plastische Styl dagegen wird diese Natur vorziehen, die klare Luft, das reine Licht, die edeln Linien der Erdbildung, den classischen Pflanzentypus (§. 279), und er wird den gefundenen Stoff noch weiter im Geiste seines Prinzips umbilden, auf die Regel der normaleren Schönheit reduziren. Die erste Richtung wird wild, formlos, öd, nebelhaft, wenn sie nichts von dieser, die zweite langweilig wie eine Pappelallee, wenn sie nichts von jener lernt oder in sich hat. Unter den Neueren hat Keiner mehr, als Rottmann gezeigt, wie die pla- stische Auffassung sich bis zu einem bestimmten Maaße mit der localen, physiognomischen zu vermählen hat. Der §. hebt ausdrücklich die Aus- schließung des Neuen hervor, denn dieß ist ein besonders instructiver Punct für die Natur des malerischen Styls. Es handelt sich hauptsächlich von Bauwerken. Solche müssen, wenn sie malerisch sein sollen, durch den Einfluß der Elemente und des Gebrauchs Formen und Farben angenom- men haben, wodurch sie wie ein Naturwerk erscheinen. Die nagelneuen Tempel und Paläste in der heroischen Landschaft sind das belehrende Ge- gentheil des malerisch Richtigen. Zerbröckelte, theilweise verwitterte Ober- fläche, altergraue Farbe, feuchter Schimmel-Ansatz, grünmoderiger, roth- bräunlicher, zerriebener Ton geben den geforderten Wurf und Strich der Naturzufälligkeit und ein altes, bemoostes, Binsen- und Schilfbewachsenes, halbzerbrochen triefendes Mühlrad ist gewiß in der Landschaft willkomme- ner, als ein gutes, wohlerhaltenes, ja die Ruine eines Schlosses ist in den meisten Fällen eine größere Zierde für sie, als ein Schloß. Diese Stylregel trägt sich dann auch auf Zimmer und Geräthe über: die male- rische Behandlung muß ihnen den Ton und Charakter des Gebrauchten und Eingewohnten geben, so daß sie die Wirkung machen, daß die Seele des Menschen sich in sie gelegt, ihre Stimmung in sie übertragen habe, wodurch sie zugleich relativ selbständig werden und zu einem stimmungs-
ſchließt vom Menſchenwerke den Charakter des Neuen aus und bindet alle zugelaſſenen Härten und Formloſigkeiten durch den Geiſt der Bewegtheit und Stimmung. Der plaſtiſche Styl geräth in ermüdende Einförmigkeit, wenn er dieſe Merkmale von ſich ausſchließt.
Im landſchaftlichen Gebiete wird denn das Stylgeſetz bereits kla- rer und nimmt Beſonderung an. Der ächt maleriſche Styl wird im Geiſte des Naturaliſmus und Individualiſmus den localen Charakter in ſeiner Eigenheit auffaſſen, das Spiel des Zufälligen aufnehmen, die For- men und Farben lieber in das Härtere, Unruhigere brechen, um nur deſto mehr das Stimmungsreiche, Bewegte und Bewegende herauszuarbeiten; er wird daher in einer trüberen, zeriſſneren Natur heimiſcher ſein, als in einer ſolchen, die an ſich ſchon eine gewiſſe Idealität der Formen, Be- leuchtung, Farben darbietet. Der plaſtiſche Styl dagegen wird dieſe Natur vorziehen, die klare Luft, das reine Licht, die edeln Linien der Erdbildung, den claſſiſchen Pflanzentypus (§. 279), und er wird den gefundenen Stoff noch weiter im Geiſte ſeines Prinzips umbilden, auf die Regel der normaleren Schönheit reduziren. Die erſte Richtung wird wild, formlos, öd, nebelhaft, wenn ſie nichts von dieſer, die zweite langweilig wie eine Pappelallee, wenn ſie nichts von jener lernt oder in ſich hat. Unter den Neueren hat Keiner mehr, als Rottmann gezeigt, wie die pla- ſtiſche Auffaſſung ſich bis zu einem beſtimmten Maaße mit der localen, phyſiognomiſchen zu vermählen hat. Der §. hebt ausdrücklich die Aus- ſchließung des Neuen hervor, denn dieß iſt ein beſonders inſtructiver Punct für die Natur des maleriſchen Styls. Es handelt ſich hauptſächlich von Bauwerken. Solche müſſen, wenn ſie maleriſch ſein ſollen, durch den Einfluß der Elemente und des Gebrauchs Formen und Farben angenom- men haben, wodurch ſie wie ein Naturwerk erſcheinen. Die nagelneuen Tempel und Paläſte in der heroiſchen Landſchaft ſind das belehrende Ge- gentheil des maleriſch Richtigen. Zerbröckelte, theilweiſe verwitterte Ober- fläche, altergraue Farbe, feuchter Schimmel-Anſatz, grünmoderiger, roth- bräunlicher, zerriebener Ton geben den geforderten Wurf und Strich der Naturzufälligkeit und ein altes, bemoostes, Binſen- und Schilfbewachſenes, halbzerbrochen triefendes Mühlrad iſt gewiß in der Landſchaft willkomme- ner, als ein gutes, wohlerhaltenes, ja die Ruine eines Schloſſes iſt in den meiſten Fällen eine größere Zierde für ſie, als ein Schloß. Dieſe Stylregel trägt ſich dann auch auf Zimmer und Geräthe über: die male- riſche Behandlung muß ihnen den Ton und Charakter des Gebrauchten und Eingewohnten geben, ſo daß ſie die Wirkung machen, daß die Seele des Menſchen ſich in ſie gelegt, ihre Stimmung in ſie übertragen habe, wodurch ſie zugleich relativ ſelbſtändig werden und zu einem ſtimmungs-
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[582/0090]
ſchließt vom Menſchenwerke den Charakter des Neuen aus und bindet alle
zugelaſſenen Härten und Formloſigkeiten durch den Geiſt der Bewegtheit und
Stimmung. Der plaſtiſche Styl geräth in ermüdende Einförmigkeit, wenn er
dieſe Merkmale von ſich ausſchließt.
Im landſchaftlichen Gebiete wird denn das Stylgeſetz bereits kla-
rer und nimmt Beſonderung an. Der ächt maleriſche Styl wird im
Geiſte des Naturaliſmus und Individualiſmus den localen Charakter in
ſeiner Eigenheit auffaſſen, das Spiel des Zufälligen aufnehmen, die For-
men und Farben lieber in das Härtere, Unruhigere brechen, um nur deſto
mehr das Stimmungsreiche, Bewegte und Bewegende herauszuarbeiten;
er wird daher in einer trüberen, zeriſſneren Natur heimiſcher ſein, als in
einer ſolchen, die an ſich ſchon eine gewiſſe Idealität der Formen, Be-
leuchtung, Farben darbietet. Der plaſtiſche Styl dagegen wird dieſe
Natur vorziehen, die klare Luft, das reine Licht, die edeln Linien der
Erdbildung, den claſſiſchen Pflanzentypus (§. 279), und er wird den
gefundenen Stoff noch weiter im Geiſte ſeines Prinzips umbilden, auf die
Regel der normaleren Schönheit reduziren. Die erſte Richtung wird wild,
formlos, öd, nebelhaft, wenn ſie nichts von dieſer, die zweite langweilig
wie eine Pappelallee, wenn ſie nichts von jener lernt oder in ſich hat.
Unter den Neueren hat Keiner mehr, als Rottmann gezeigt, wie die pla-
ſtiſche Auffaſſung ſich bis zu einem beſtimmten Maaße mit der localen,
phyſiognomiſchen zu vermählen hat. Der §. hebt ausdrücklich die Aus-
ſchließung des Neuen hervor, denn dieß iſt ein beſonders inſtructiver
Punct für die Natur des maleriſchen Styls. Es handelt ſich hauptſächlich
von Bauwerken. Solche müſſen, wenn ſie maleriſch ſein ſollen, durch den
Einfluß der Elemente und des Gebrauchs Formen und Farben angenom-
men haben, wodurch ſie wie ein Naturwerk erſcheinen. Die nagelneuen
Tempel und Paläſte in der heroiſchen Landſchaft ſind das belehrende Ge-
gentheil des maleriſch Richtigen. Zerbröckelte, theilweiſe verwitterte Ober-
fläche, altergraue Farbe, feuchter Schimmel-Anſatz, grünmoderiger, roth-
bräunlicher, zerriebener Ton geben den geforderten Wurf und Strich der
Naturzufälligkeit und ein altes, bemoostes, Binſen- und Schilfbewachſenes,
halbzerbrochen triefendes Mühlrad iſt gewiß in der Landſchaft willkomme-
ner, als ein gutes, wohlerhaltenes, ja die Ruine eines Schloſſes iſt in
den meiſten Fällen eine größere Zierde für ſie, als ein Schloß. Dieſe
Stylregel trägt ſich dann auch auf Zimmer und Geräthe über: die male-
riſche Behandlung muß ihnen den Ton und Charakter des Gebrauchten
und Eingewohnten geben, ſo daß ſie die Wirkung machen, daß die Seele
des Menſchen ſich in ſie gelegt, ihre Stimmung in ſie übertragen habe,
wodurch ſie zugleich relativ ſelbſtändig werden und zu einem ſtimmungs-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/90>, abgerufen am 27.07.2024.
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