klaren Massen zu untergeordneten harmonischen Einheiten zusammentreten. Ab- gesehen von den weitern Vermittlungen soll die einfache Kraft der Farbe sich zum Schmelze läutern.
Der erste Satz muß mit ganzem Nachdruck aus der Lehre vom Na- turschönen in die Kunstlehre um so mehr herübergenommen werden, weil streng zu verhüten ist, daß nicht alle die Wege der Mischung, Abdämpfung u. s. w., welche nachher zur Sprache kommen, so verstanden werden, als rede man einer unwahren, verschwommenen, verblasenen Farbe das Wort. Die tiefste, feinste Durcharbeitung unendlicher Uebergänge ist mit der Entschiedenheit vollkommen verträglich. Der falsche Idealismus der Manieristen, und zwar insbesondere in der sogenannten maniera dolce, hat den Farben mit ihrer Wahrheit ihre Entschiedenheit und Wärme ge- nommen, um leichten Kaufs eine Harmonie zu bewirken, welche nur eine scheinbare ist, denn wo die Gegensätze nicht kräftig sind, ist ja gar nichts da, was harmoniren soll. Das Incarnat z. B. ist bei aller Mischung seiner Farben als Ganzes doch ein warmes Roth, die feinste aller Auf- gaben des Malers ist daher nicht erfüllt, wenn er jene Mischung so versteht, daß er uns "grüne Seife" bietet. Das schwächliche Verdün- nen, Verschwemmen, Verblasen ist zugleich ein Beschmutzen, der matte Farbensinn ein unreiner. Die Dinge sollen in Kraft und Fülle der Be- stimmtheit existiren und aus ihrer geheimen Lebenswerkstätte feurig an das Licht herausglühen; wer das nicht fühlt, trägt aus seinen trägen Sinnen das Bleierne, Verschleimte, Wässerige auf sie über. -- Es will nun aber, wie wir schon in der Lehre vom Naturschönen gesehen, das Auge die Farben auch abgesehen von den Gegenständen in ihrer Totalität vertreten sehen. Natürlich kann dieß als Kunstgesetz nicht ausgesprochen werden, ohne daß vorausgenommen wird, was erst nachher ausdrücklich einzufüh- ren ist, nämlich die unendliche Modification des Colorits; so kann also z. B. eine und die andere Grundfarbe als entschiedene Localfarbe auf- treten, die andere aber, welche zu ihrer Ergänzung gefordert ist, nur in feiner Brechung, dagegen in ausgedehnterer Verbreitung als Ton vor- handen sein und so das Auge befriedigen; auch hiefür hat, wenn nicht die Natur es gethan (vergl. §. 253, 1.) der Künstler zu sorgen. Die Herr- schaft einer Hauptfarbe, wie sie durch Gegenstand und Ton bedingt ist, schließt diese Totalität ebenfalls nicht aus. Mängel individueller Organisation, die sich als Manier verhärten, zeigen im Einzelnen recht deutlich, was Farben- Totalität ist; so gibt es Maler, denen der Sinn für die lichtgesättigte Lebensfarbe des Gelben fehlt: da wird Alles kreidenhaft und spielt sich von dem todten Weiß in's Graue oder Blaue; bei Andern herrscht ohne Motiv das Ziegelrothe u. s. w. -- Die Farben sollen ferner im Ganzen
klaren Maſſen zu untergeordneten harmoniſchen Einheiten zuſammentreten. Ab- geſehen von den weitern Vermittlungen ſoll die einfache Kraft der Farbe ſich zum Schmelze läutern.
Der erſte Satz muß mit ganzem Nachdruck aus der Lehre vom Na- turſchönen in die Kunſtlehre um ſo mehr herübergenommen werden, weil ſtreng zu verhüten iſt, daß nicht alle die Wege der Miſchung, Abdämpfung u. ſ. w., welche nachher zur Sprache kommen, ſo verſtanden werden, als rede man einer unwahren, verſchwommenen, verblaſenen Farbe das Wort. Die tiefſte, feinſte Durcharbeitung unendlicher Uebergänge iſt mit der Entſchiedenheit vollkommen verträglich. Der falſche Idealiſmus der Manieriſten, und zwar insbeſondere in der ſogenannten maniera dolce, hat den Farben mit ihrer Wahrheit ihre Entſchiedenheit und Wärme ge- nommen, um leichten Kaufs eine Harmonie zu bewirken, welche nur eine ſcheinbare iſt, denn wo die Gegenſätze nicht kräftig ſind, iſt ja gar nichts da, was harmoniren ſoll. Das Incarnat z. B. iſt bei aller Miſchung ſeiner Farben als Ganzes doch ein warmes Roth, die feinſte aller Auf- gaben des Malers iſt daher nicht erfüllt, wenn er jene Miſchung ſo verſteht, daß er uns „grüne Seife“ bietet. Das ſchwächliche Verdün- nen, Verſchwemmen, Verblaſen iſt zugleich ein Beſchmutzen, der matte Farbenſinn ein unreiner. Die Dinge ſollen in Kraft und Fülle der Be- ſtimmtheit exiſtiren und aus ihrer geheimen Lebenswerkſtätte feurig an das Licht herausglühen; wer das nicht fühlt, trägt aus ſeinen trägen Sinnen das Bleierne, Verſchleimte, Wäſſerige auf ſie über. — Es will nun aber, wie wir ſchon in der Lehre vom Naturſchönen geſehen, das Auge die Farben auch abgeſehen von den Gegenſtänden in ihrer Totalität vertreten ſehen. Natürlich kann dieß als Kunſtgeſetz nicht ausgeſprochen werden, ohne daß vorausgenommen wird, was erſt nachher ausdrücklich einzufüh- ren iſt, nämlich die unendliche Modification des Colorits; ſo kann alſo z. B. eine und die andere Grundfarbe als entſchiedene Localfarbe auf- treten, die andere aber, welche zu ihrer Ergänzung gefordert iſt, nur in feiner Brechung, dagegen in ausgedehnterer Verbreitung als Ton vor- handen ſein und ſo das Auge befriedigen; auch hiefür hat, wenn nicht die Natur es gethan (vergl. §. 253, 1.) der Künſtler zu ſorgen. Die Herr- ſchaft einer Hauptfarbe, wie ſie durch Gegenſtand und Ton bedingt iſt, ſchließt dieſe Totalität ebenfalls nicht aus. Mängel individueller Organiſation, die ſich als Manier verhärten, zeigen im Einzelnen recht deutlich, was Farben- Totalität iſt; ſo gibt es Maler, denen der Sinn für die lichtgeſättigte Lebensfarbe des Gelben fehlt: da wird Alles kreidenhaft und ſpielt ſich von dem todten Weiß in’s Graue oder Blaue; bei Andern herrſcht ohne Motiv das Ziegelrothe u. ſ. w. — Die Farben ſollen ferner im Ganzen
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klaren Maſſen zu untergeordneten harmoniſchen Einheiten zuſammentreten. Ab-
geſehen von den weitern Vermittlungen ſoll die einfache Kraft der Farbe ſich
zum Schmelze läutern.
Der erſte Satz muß mit ganzem Nachdruck aus der Lehre vom Na-
turſchönen in die Kunſtlehre um ſo mehr herübergenommen werden, weil
ſtreng zu verhüten iſt, daß nicht alle die Wege der Miſchung, Abdämpfung
u. ſ. w., welche nachher zur Sprache kommen, ſo verſtanden werden, als
rede man einer unwahren, verſchwommenen, verblaſenen Farbe das
Wort. Die tiefſte, feinſte Durcharbeitung unendlicher Uebergänge iſt mit
der Entſchiedenheit vollkommen verträglich. Der falſche Idealiſmus der
Manieriſten, und zwar insbeſondere in der ſogenannten maniera dolce,
hat den Farben mit ihrer Wahrheit ihre Entſchiedenheit und Wärme ge-
nommen, um leichten Kaufs eine Harmonie zu bewirken, welche nur eine
ſcheinbare iſt, denn wo die Gegenſätze nicht kräftig ſind, iſt ja gar nichts
da, was harmoniren ſoll. Das Incarnat z. B. iſt bei aller Miſchung
ſeiner Farben als Ganzes doch ein warmes Roth, die feinſte aller Auf-
gaben des Malers iſt daher nicht erfüllt, wenn er jene Miſchung ſo
verſteht, daß er uns „grüne Seife“ bietet. Das ſchwächliche Verdün-
nen, Verſchwemmen, Verblaſen iſt zugleich ein Beſchmutzen, der matte
Farbenſinn ein unreiner. Die Dinge ſollen in Kraft und Fülle der Be-
ſtimmtheit exiſtiren und aus ihrer geheimen Lebenswerkſtätte feurig an das
Licht herausglühen; wer das nicht fühlt, trägt aus ſeinen trägen Sinnen
das Bleierne, Verſchleimte, Wäſſerige auf ſie über. — Es will nun aber,
wie wir ſchon in der Lehre vom Naturſchönen geſehen, das Auge die
Farben auch abgeſehen von den Gegenſtänden in ihrer Totalität vertreten
ſehen. Natürlich kann dieß als Kunſtgeſetz nicht ausgeſprochen werden,
ohne daß vorausgenommen wird, was erſt nachher ausdrücklich einzufüh-
ren iſt, nämlich die unendliche Modification des Colorits; ſo kann alſo
z. B. eine und die andere Grundfarbe als entſchiedene Localfarbe auf-
treten, die andere aber, welche zu ihrer Ergänzung gefordert iſt, nur in
feiner Brechung, dagegen in ausgedehnterer Verbreitung als Ton vor-
handen ſein und ſo das Auge befriedigen; auch hiefür hat, wenn nicht
die Natur es gethan (vergl. §. 253, 1.) der Künſtler zu ſorgen. Die Herr-
ſchaft einer Hauptfarbe, wie ſie durch Gegenſtand und Ton bedingt iſt, ſchließt
dieſe Totalität ebenfalls nicht aus. Mängel individueller Organiſation, die
ſich als Manier verhärten, zeigen im Einzelnen recht deutlich, was Farben-
Totalität iſt; ſo gibt es Maler, denen der Sinn für die lichtgeſättigte
Lebensfarbe des Gelben fehlt: da wird Alles kreidenhaft und ſpielt ſich
von dem todten Weiß in’s Graue oder Blaue; bei Andern herrſcht ohne
Motiv das Ziegelrothe u. ſ. w. — Die Farben ſollen ferner im Ganzen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/72>, abgerufen am 27.07.2024.
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