2. Bedeutung und Leben der Farbe ist in der Lehre vom Natur- schönen dargestellt, die wichtigsten Seiten dieses ganzen Erscheinungs- gebiets, die Grundforderungen der Harmonie sind im allgemeinen Umrisse gegeben und überall ist darauf verwiesen, wie auch dieses Schöne ein Zufälliges ist, das auf den Geist wartet, der mit Bewußtsein und Wollen die Reinheit und innere Einheit einführt. Indem wir aber auch hier die Aufgabe der idealisirenden Thätigkeit erst näher und, wie gesagt, ganz parallel mit der Lehre von der Licht- und Schattengebung (§. 665, 2.) zu bestimmen haben, so schieben wir das, was sich aus dem Unterschiede der technischen Mittel von der wirklichen Farbe ergibt, zunächst auf und heben von den Mängeln dieser Seite des Naturschönen an sich das Wesentliche genauer hervor. Wie es in der Natur zufällig ist, ob mit der innern Bedeutung eines Gegenstands seine Beleuchtung zusammenstimmt, so wird der Zufall auch dessen Farbe oft in Widerspruch mit seiner Natur setzen. Handelt es sich von der Naturfarbe eines Körpers, so kann sie wenigstens durch krankhaften Zustand, augenblickliche Trübung, Grellheit u. s. w. ihre wahre, ursprüngliche Stimmung unvollkommen ausdrücken, aber die äußerlich angelegte und umgelegte Farbe (Kleider, Hintergrund von Zim- mern u. s. w.) ist ja ebenfalls von großer Wichtigkeit und hier kommt zum Zufall noch störende, widersinnige Menschenlaune. Zu der äußerlich hinzutretenden Farbe können wir auch das ganze Gebiet der durch die allgemeinen Medien des Lichts, der Luft, durch Feuer und andere farbige Beleuchtung über ein Ganzes oder größere Theile desselben sich ergießen- den Farben nehmen, die selbst noch wichtiger sind, als die den Körpern selbst eigenen Farben, indem sie ebenso die innere Stimmung einer Mehr- heit von Gegenständen im gewählten Momente ausdrücken, wie die an- geborene, mitgewachsene Farbe die des einzelnen Gegenstands. Dabei ist noch vorausgesetzt, daß der Künstler seinen Stoff in der Natur vor- gefunden und dessen Farbenerscheinung so wie seine anderen Seiten nur künstlerisch umzubilden habe; allein er kann ihn auch aus der Ueberlieferung aufnehmen, kann aus einem Mindesten von gegebenem Stoff ein inneres Bild erzeugen und dabei kann es an speziellerem Anhalte zur Farben- gebung im Vorbild fehlen: es ist ihm überlassen, welche Haut- und Haar- farben, welche Farben für Gewänder, umgebenden Raum u. s. w. er wählen will. Die Frage, ob die Hauptperson oder die Hauptpersonen durch Farbe hervorstechen sollen, führt zum Theil auf die frühere zurück, ob sie durch starke Beleuchtung auszuzeichnen seien; sie ist schon in §. 252, 2. besprochen und im Allgemeinen bejaht, natürlich unterliegt aber auch die- ser allgemeine Satz den Modificationen, die sich theils aus gegensätzlichen ironischen Wirkungen (z. B. Größe im Elend gegenüber glänzender Nichts- würdigkeit), theils aus den Kreuzungen von Farbe und Licht, von Local-
2. Bedeutung und Leben der Farbe iſt in der Lehre vom Natur- ſchönen dargeſtellt, die wichtigſten Seiten dieſes ganzen Erſcheinungs- gebiets, die Grundforderungen der Harmonie ſind im allgemeinen Umriſſe gegeben und überall iſt darauf verwieſen, wie auch dieſes Schöne ein Zufälliges iſt, das auf den Geiſt wartet, der mit Bewußtſein und Wollen die Reinheit und innere Einheit einführt. Indem wir aber auch hier die Aufgabe der idealiſirenden Thätigkeit erſt näher und, wie geſagt, ganz parallel mit der Lehre von der Licht- und Schattengebung (§. 665, 2.) zu beſtimmen haben, ſo ſchieben wir das, was ſich aus dem Unterſchiede der techniſchen Mittel von der wirklichen Farbe ergibt, zunächſt auf und heben von den Mängeln dieſer Seite des Naturſchönen an ſich das Weſentliche genauer hervor. Wie es in der Natur zufällig iſt, ob mit der innern Bedeutung eines Gegenſtands ſeine Beleuchtung zuſammenſtimmt, ſo wird der Zufall auch deſſen Farbe oft in Widerſpruch mit ſeiner Natur ſetzen. Handelt es ſich von der Naturfarbe eines Körpers, ſo kann ſie wenigſtens durch krankhaften Zuſtand, augenblickliche Trübung, Grellheit u. ſ. w. ihre wahre, urſprüngliche Stimmung unvollkommen ausdrücken, aber die äußerlich angelegte und umgelegte Farbe (Kleider, Hintergrund von Zim- mern u. ſ. w.) iſt ja ebenfalls von großer Wichtigkeit und hier kommt zum Zufall noch ſtörende, widerſinnige Menſchenlaune. Zu der äußerlich hinzutretenden Farbe können wir auch das ganze Gebiet der durch die allgemeinen Medien des Lichts, der Luft, durch Feuer und andere farbige Beleuchtung über ein Ganzes oder größere Theile deſſelben ſich ergießen- den Farben nehmen, die ſelbſt noch wichtiger ſind, als die den Körpern ſelbſt eigenen Farben, indem ſie ebenſo die innere Stimmung einer Mehr- heit von Gegenſtänden im gewählten Momente ausdrücken, wie die an- geborene, mitgewachſene Farbe die des einzelnen Gegenſtands. Dabei iſt noch vorausgeſetzt, daß der Künſtler ſeinen Stoff in der Natur vor- gefunden und deſſen Farbenerſcheinung ſo wie ſeine anderen Seiten nur künſtleriſch umzubilden habe; allein er kann ihn auch aus der Ueberlieferung aufnehmen, kann aus einem Mindeſten von gegebenem Stoff ein inneres Bild erzeugen und dabei kann es an ſpeziellerem Anhalte zur Farben- gebung im Vorbild fehlen: es iſt ihm überlaſſen, welche Haut- und Haar- farben, welche Farben für Gewänder, umgebenden Raum u. ſ. w. er wählen will. Die Frage, ob die Hauptperſon oder die Hauptperſonen durch Farbe hervorſtechen ſollen, führt zum Theil auf die frühere zurück, ob ſie durch ſtarke Beleuchtung auszuzeichnen ſeien; ſie iſt ſchon in §. 252, 2. beſprochen und im Allgemeinen bejaht, natürlich unterliegt aber auch die- ſer allgemeine Satz den Modificationen, die ſich theils aus gegenſätzlichen ironiſchen Wirkungen (z. B. Größe im Elend gegenüber glänzender Nichts- würdigkeit), theils aus den Kreuzungen von Farbe und Licht, von Local-
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2. Bedeutung und Leben der Farbe iſt in der Lehre vom Natur-
ſchönen dargeſtellt, die wichtigſten Seiten dieſes ganzen Erſcheinungs-
gebiets, die Grundforderungen der Harmonie ſind im allgemeinen Umriſſe
gegeben und überall iſt darauf verwieſen, wie auch dieſes Schöne ein
Zufälliges iſt, das auf den Geiſt wartet, der mit Bewußtſein und Wollen
die Reinheit und innere Einheit einführt. Indem wir aber auch hier
die Aufgabe der idealiſirenden Thätigkeit erſt näher und, wie geſagt, ganz
parallel mit der Lehre von der Licht- und Schattengebung (§. 665, 2.) zu
beſtimmen haben, ſo ſchieben wir das, was ſich aus dem Unterſchiede der
techniſchen Mittel von der wirklichen Farbe ergibt, zunächſt auf und heben
von den Mängeln dieſer Seite des Naturſchönen an ſich das Weſentliche
genauer hervor. Wie es in der Natur zufällig iſt, ob mit der innern
Bedeutung eines Gegenſtands ſeine Beleuchtung zuſammenſtimmt, ſo wird
der Zufall auch deſſen Farbe oft in Widerſpruch mit ſeiner Natur ſetzen.
Handelt es ſich von der Naturfarbe eines Körpers, ſo kann ſie wenigſtens
durch krankhaften Zuſtand, augenblickliche Trübung, Grellheit u. ſ. w.
ihre wahre, urſprüngliche Stimmung unvollkommen ausdrücken, aber die
äußerlich angelegte und umgelegte Farbe (Kleider, Hintergrund von Zim-
mern u. ſ. w.) iſt ja ebenfalls von großer Wichtigkeit und hier kommt
zum Zufall noch ſtörende, widerſinnige Menſchenlaune. Zu der äußerlich
hinzutretenden Farbe können wir auch das ganze Gebiet der durch die
allgemeinen Medien des Lichts, der Luft, durch Feuer und andere farbige
Beleuchtung über ein Ganzes oder größere Theile deſſelben ſich ergießen-
den Farben nehmen, die ſelbſt noch wichtiger ſind, als die den Körpern
ſelbſt eigenen Farben, indem ſie ebenſo die innere Stimmung einer Mehr-
heit von Gegenſtänden im gewählten Momente ausdrücken, wie die an-
geborene, mitgewachſene Farbe die des einzelnen Gegenſtands. Dabei
iſt noch vorausgeſetzt, daß der Künſtler ſeinen Stoff in der Natur vor-
gefunden und deſſen Farbenerſcheinung ſo wie ſeine anderen Seiten nur
künſtleriſch umzubilden habe; allein er kann ihn auch aus der Ueberlieferung
aufnehmen, kann aus einem Mindeſten von gegebenem Stoff ein inneres
Bild erzeugen und dabei kann es an ſpeziellerem Anhalte zur Farben-
gebung im Vorbild fehlen: es iſt ihm überlaſſen, welche Haut- und Haar-
farben, welche Farben für Gewänder, umgebenden Raum u. ſ. w. er
wählen will. Die Frage, ob die Hauptperſon oder die Hauptperſonen
durch Farbe hervorſtechen ſollen, führt zum Theil auf die frühere zurück,
ob ſie durch ſtarke Beleuchtung auszuzeichnen ſeien; ſie iſt ſchon in §. 252, 2.
beſprochen und im Allgemeinen bejaht, natürlich unterliegt aber auch die-
ſer allgemeine Satz den Modificationen, die ſich theils aus gegenſätzlichen
ironiſchen Wirkungen (z. B. Größe im Elend gegenüber glänzender Nichts-
würdigkeit), theils aus den Kreuzungen von Farbe und Licht, von Local-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/70>, abgerufen am 05.07.2024.
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