den Geist durchscheinen lasse, so läßt sie auch ihr Darstellungsmittel nicht in seiner ungebrochenen Materialität. Die Kohle, das Blei, die Kreide gibt mir den Strich nur, indem ihr Korn durch den leichten Druck meiner Hand kleine Theile an die Fläche absetzt, die Farben sind meist ein zerriebe- ner und flüssig aufgelöster Körper. Der Unterschied des Bindemittels der Farbe ist nun in hohem Grade wichtig; in entfernterem Sinn allerdings wiegt auch diese Seite des Materials in der Malerei mit, als das plastische Material, aber nothwendig verändert sich doch der Charakter des Scheins, der sich auf der Fläche ausbreitet, je nachdem das Bindemittel durch seine Fettigkeit einen volleren Eindruck von Lebenswärme mit sich bringt, oder durch mehr wässerigen Charakter kälter wirkt und das Auge daher mehr nach der Form als solcher hinleitet. Man sieht nun, wie dieß mit der Art der Fläche zusammenhängt: die Mauerfläche wirkt eben- falls kälter und zugleich kann sie nicht das Bindemittel des Oels in sich aufnehmen, Leinwand und Holz wirkt an sich wärmer und nimmt zugleich dieß Mittel auf. Damit hängt die verschiedene Art des äußern Verfahrens, das wir soweit hier anführen, auf's Engste zusammen; wird um der dau- erhafteren Bindung willen auf nassen Kalk (al fresco) gemalt, so fordert dieß eine Raschheit der Ausführung, welche schon an sich nicht erlaubt, in die Fülle und feinere Einzelheit des erscheinenden Lebens so hineinzu- treten, wie es der Oelmaler kann, weil er sich Zeit lassen darf. Nur unvollkommen kann sich das Wandgemälde durch das Bindemittel des ein- geglühten Wachses (Enkaustik) dem wärmeren Glanze nähern, den das Staffeleibild durch das des Oels erreicht; die Bindung durch andere klebrige Stoffe, Leim, Gummi, Eigelb, Feigensaft (Tempera) konnte schon rein technisch nicht leisten, was die Bindung mit Oel, weil die Farben zu schnell trockneten u. s. w., aber auch in der ästhetischen Wirkung nicht, weil ihr nicht nur die tiefere Wärme der Oelfarbe abgeht, sondern weil sie auch das Verschmelzen und sanfte Ueberleiten der Töne und Schat- tirungen, das ganze Gebiet der gebrochenen Farbe, das Durchschimmern einer Farbe durch die andere vermittelst der Lasur entfernt nicht in der Vollkommenheit zuläßt, wie diese. Aber auch hier können diese ersten, allge- meinen Bemerkungen nicht weiter fortgeführt werden, theils weil diejenigen Momente, welche mit dem innern Geiste der höheren Kunst in sichtbarerem Zusammenhang stehen, an den Stellen wieder aufzunehmen sind, wo von diesem Geist, insofern er Styl-, Zweig- und Schul-Unterschiede begründet, die Rede sein wird, theils aber, weil die Art der Farbenbindung und Technik des Auftrags ebenso wie die Wahl des Flächenmaterials in eine Vielheit und Mannigfaltigkeit zerläuft, welche uns über die Grenzen führen würde. Mehreres davon ist noch im Anhange von der Ziermalerei zu berühren. Nur flüchtig erwähnen wir noch zwei Formen, denen das wahre Wesen
den Geiſt durchſcheinen laſſe, ſo läßt ſie auch ihr Darſtellungsmittel nicht in ſeiner ungebrochenen Materialität. Die Kohle, das Blei, die Kreide gibt mir den Strich nur, indem ihr Korn durch den leichten Druck meiner Hand kleine Theile an die Fläche abſetzt, die Farben ſind meiſt ein zerriebe- ner und flüſſig aufgelöster Körper. Der Unterſchied des Bindemittels der Farbe iſt nun in hohem Grade wichtig; in entfernterem Sinn allerdings wiegt auch dieſe Seite des Materials in der Malerei mit, als das plaſtiſche Material, aber nothwendig verändert ſich doch der Charakter des Scheins, der ſich auf der Fläche ausbreitet, je nachdem das Bindemittel durch ſeine Fettigkeit einen volleren Eindruck von Lebenswärme mit ſich bringt, oder durch mehr wäſſerigen Charakter kälter wirkt und das Auge daher mehr nach der Form als ſolcher hinleitet. Man ſieht nun, wie dieß mit der Art der Fläche zuſammenhängt: die Mauerfläche wirkt eben- falls kälter und zugleich kann ſie nicht das Bindemittel des Oels in ſich aufnehmen, Leinwand und Holz wirkt an ſich wärmer und nimmt zugleich dieß Mittel auf. Damit hängt die verſchiedene Art des äußern Verfahrens, das wir ſoweit hier anführen, auf’s Engſte zuſammen; wird um der dau- erhafteren Bindung willen auf naſſen Kalk (al fresco) gemalt, ſo fordert dieß eine Raſchheit der Ausführung, welche ſchon an ſich nicht erlaubt, in die Fülle und feinere Einzelheit des erſcheinenden Lebens ſo hineinzu- treten, wie es der Oelmaler kann, weil er ſich Zeit laſſen darf. Nur unvollkommen kann ſich das Wandgemälde durch das Bindemittel des ein- geglühten Wachſes (Enkauſtik) dem wärmeren Glanze nähern, den das Staffeleibild durch das des Oels erreicht; die Bindung durch andere klebrige Stoffe, Leim, Gummi, Eigelb, Feigenſaft (Tempera) konnte ſchon rein techniſch nicht leiſten, was die Bindung mit Oel, weil die Farben zu ſchnell trockneten u. ſ. w., aber auch in der äſthetiſchen Wirkung nicht, weil ihr nicht nur die tiefere Wärme der Oelfarbe abgeht, ſondern weil ſie auch das Verſchmelzen und ſanfte Ueberleiten der Töne und Schat- tirungen, das ganze Gebiet der gebrochenen Farbe, das Durchſchimmern einer Farbe durch die andere vermittelſt der Laſur entfernt nicht in der Vollkommenheit zuläßt, wie dieſe. Aber auch hier können dieſe erſten, allge- meinen Bemerkungen nicht weiter fortgeführt werden, theils weil diejenigen Momente, welche mit dem innern Geiſte der höheren Kunſt in ſichtbarerem Zuſammenhang ſtehen, an den Stellen wieder aufzunehmen ſind, wo von dieſem Geiſt, inſofern er Styl-, Zweig- und Schul-Unterſchiede begründet, die Rede ſein wird, theils aber, weil die Art der Farbenbindung und Technik des Auftrags ebenſo wie die Wahl des Flächenmaterials in eine Vielheit und Mannigfaltigkeit zerläuft, welche uns über die Grenzen führen würde. Mehreres davon iſt noch im Anhange von der Ziermalerei zu berühren. Nur flüchtig erwähnen wir noch zwei Formen, denen das wahre Weſen
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[542/0050]
den Geiſt durchſcheinen laſſe, ſo läßt ſie auch ihr Darſtellungsmittel nicht
in ſeiner ungebrochenen Materialität. Die Kohle, das Blei, die Kreide
gibt mir den Strich nur, indem ihr Korn durch den leichten Druck meiner
Hand kleine Theile an die Fläche abſetzt, die Farben ſind meiſt ein zerriebe-
ner und flüſſig aufgelöster Körper. Der Unterſchied des Bindemittels der
Farbe iſt nun in hohem Grade wichtig; in entfernterem Sinn allerdings
wiegt auch dieſe Seite des Materials in der Malerei mit, als das plaſtiſche
Material, aber nothwendig verändert ſich doch der Charakter des
Scheins, der ſich auf der Fläche ausbreitet, je nachdem das Bindemittel
durch ſeine Fettigkeit einen volleren Eindruck von Lebenswärme mit ſich
bringt, oder durch mehr wäſſerigen Charakter kälter wirkt und das Auge
daher mehr nach der Form als ſolcher hinleitet. Man ſieht nun, wie
dieß mit der Art der Fläche zuſammenhängt: die Mauerfläche wirkt eben-
falls kälter und zugleich kann ſie nicht das Bindemittel des Oels in ſich
aufnehmen, Leinwand und Holz wirkt an ſich wärmer und nimmt zugleich
dieß Mittel auf. Damit hängt die verſchiedene Art des äußern Verfahrens,
das wir ſoweit hier anführen, auf’s Engſte zuſammen; wird um der dau-
erhafteren Bindung willen auf naſſen Kalk (al fresco) gemalt, ſo fordert
dieß eine Raſchheit der Ausführung, welche ſchon an ſich nicht erlaubt,
in die Fülle und feinere Einzelheit des erſcheinenden Lebens ſo hineinzu-
treten, wie es der Oelmaler kann, weil er ſich Zeit laſſen darf. Nur
unvollkommen kann ſich das Wandgemälde durch das Bindemittel des ein-
geglühten Wachſes (Enkauſtik) dem wärmeren Glanze nähern, den das
Staffeleibild durch das des Oels erreicht; die Bindung durch andere
klebrige Stoffe, Leim, Gummi, Eigelb, Feigenſaft (Tempera) konnte ſchon
rein techniſch nicht leiſten, was die Bindung mit Oel, weil die Farben zu
ſchnell trockneten u. ſ. w., aber auch in der äſthetiſchen Wirkung nicht,
weil ihr nicht nur die tiefere Wärme der Oelfarbe abgeht, ſondern weil
ſie auch das Verſchmelzen und ſanfte Ueberleiten der Töne und Schat-
tirungen, das ganze Gebiet der gebrochenen Farbe, das Durchſchimmern
einer Farbe durch die andere vermittelſt der Laſur entfernt nicht in der
Vollkommenheit zuläßt, wie dieſe. Aber auch hier können dieſe erſten, allge-
meinen Bemerkungen nicht weiter fortgeführt werden, theils weil diejenigen
Momente, welche mit dem innern Geiſte der höheren Kunſt in ſichtbarerem
Zuſammenhang ſtehen, an den Stellen wieder aufzunehmen ſind, wo von
dieſem Geiſt, inſofern er Styl-, Zweig- und Schul-Unterſchiede begründet,
die Rede ſein wird, theils aber, weil die Art der Farbenbindung und Technik
des Auftrags ebenſo wie die Wahl des Flächenmaterials in eine Vielheit
und Mannigfaltigkeit zerläuft, welche uns über die Grenzen führen würde.
Mehreres davon iſt noch im Anhange von der Ziermalerei zu berühren.
Nur flüchtig erwähnen wir noch zwei Formen, denen das wahre Weſen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/50>, abgerufen am 05.07.2024.
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