tenbilder meist an einen Text und verrathen auch dadurch die Lockerung des ästhetischen Bands, den Charakter des Anhängenden. Sie stehen durch das freiere Spiel ihrer Komik an sich höher, als die Satyre; die fliegenden Blätter z. B. geben vorherrschend humoristisches Sittenbild und können darum über Caricaturblätter im satyrischen Sinne des Worts gestellt werden, allein die Schärfe der Ueberladung zeigt doch, daß man in einem Gebiete sich befindet, dessen Ausgangs- und Mittelpunct die eigentliche Satyre ist; bestreut man nun einmal die Wirklichkeit mit Salz, so soll es auch beißen, gilt einmal das Stoffartige, so wollen wir auch, daß dem gerechten Grimm und Haß gegen die faulen Stellen des Körpers der Zeit sein Ausdruck werde, wir wollen Schneide, wir wollen Bosheit; fortgesetztes komisches Sittenbild ohne dieses Hauptgewürze wird daher matt; es braucht zur Erhaltung dieses Fleisches wenigstens von Zeit zu Zeit ein recht scharfes, keckes, ächt satyrisches Pfefferkorn, wie es in jenen Blättern zu ihrem Nachtheil neuerdings ausbleibt; dasselbe gilt vom Charivari, seit ihm die Politik versperrt ist.
2. Wir haben als das gemeinschaftliche Verfahren der scharfen, das Verderbliche hervorkehrenden und der freieren, die Thorheit harmloser ver- lachenden Satyre, sowie jenes ganzen Gebiets, das sich dem rein humo- ristischen Sittenbilde nähert, die Ueberladung des Charakteristischen bezeich- net. Danach nennt man denn auch dieses ganze Gebiet mit seinen unbe- stimmten Grenzen Caricatur und wir haben diesen Namen in der Ueber- schrift vorgezogen, eben weil er weiter ist, als der Name Satyre, indem er unter einem gemeinsamen Stylkennzeichen diese weite Sphäre befaßt. Wenn wir diesen Begriff schon in §. 151 einführten, so verhütete dort bereits die Anm. den Gedanken an die grellere Schärfe der Ueberladung, von welcher nun die Rede ist, und weil derjenige Ueberfluß des Cha- rakteristischen, der allerdings an sich im Stoffe des Komischen überhaupt liegen und vom Künstler immer verstärkt werden muß, von diesem höhern Grade der Ueberladung wohl zu unterscheiden ist, wurde dort der Name Caricatur nicht weiter verwendet. In der muthwilligen Luft dieses an- hängenden Gebiets wird nämlich das Naturmaaß, das auch im Häßlichen besteht, nicht mehr geachtet; das unregelmäßige Glied, Nase, Mund, Hand, Auge, Kopf u. s. w. wächst über die Grenzen bis zur völligen Empörung gegen die Verhältnisse des Organismus und ebenso wird jede sinnliche Bewegung, Ausdruck, Affect übersteigert. Der Maler hat übrigens hierin großen Spielraum, ohne noch in das eigentlich Phantastische überzugehen, von dem wir vorerst wieder absehen; ein Druck, ein Strich kann genügen, den Grad des Ueberladens hervorzubringen, der den Unterschied von der Komik der reinen Kunst begründet. Die Ueberladung kann nun das ein- zige Mittel sein, das die Caricatur in Anwendung bringt; doch begnügt
tenbilder meiſt an einen Text und verrathen auch dadurch die Lockerung des äſthetiſchen Bands, den Charakter des Anhängenden. Sie ſtehen durch das freiere Spiel ihrer Komik an ſich höher, als die Satyre; die fliegenden Blätter z. B. geben vorherrſchend humoriſtiſches Sittenbild und können darum über Caricaturblätter im ſatyriſchen Sinne des Worts geſtellt werden, allein die Schärfe der Ueberladung zeigt doch, daß man in einem Gebiete ſich befindet, deſſen Ausgangs- und Mittelpunct die eigentliche Satyre iſt; beſtreut man nun einmal die Wirklichkeit mit Salz, ſo ſoll es auch beißen, gilt einmal das Stoffartige, ſo wollen wir auch, daß dem gerechten Grimm und Haß gegen die faulen Stellen des Körpers der Zeit ſein Ausdruck werde, wir wollen Schneide, wir wollen Bosheit; fortgeſetztes komiſches Sittenbild ohne dieſes Hauptgewürze wird daher matt; es braucht zur Erhaltung dieſes Fleiſches wenigſtens von Zeit zu Zeit ein recht ſcharfes, keckes, ächt ſatyriſches Pfefferkorn, wie es in jenen Blättern zu ihrem Nachtheil neuerdings ausbleibt; daſſelbe gilt vom Charivari, ſeit ihm die Politik verſperrt iſt.
2. Wir haben als das gemeinſchaftliche Verfahren der ſcharfen, das Verderbliche hervorkehrenden und der freieren, die Thorheit harmloſer ver- lachenden Satyre, ſowie jenes ganzen Gebiets, das ſich dem rein humo- riſtiſchen Sittenbilde nähert, die Ueberladung des Charakteriſtiſchen bezeich- net. Danach nennt man denn auch dieſes ganze Gebiet mit ſeinen unbe- ſtimmten Grenzen Caricatur und wir haben dieſen Namen in der Ueber- ſchrift vorgezogen, eben weil er weiter iſt, als der Name Satyre, indem er unter einem gemeinſamen Stylkennzeichen dieſe weite Sphäre befaßt. Wenn wir dieſen Begriff ſchon in §. 151 einführten, ſo verhütete dort bereits die Anm. den Gedanken an die grellere Schärfe der Ueberladung, von welcher nun die Rede iſt, und weil derjenige Ueberfluß des Cha- rakteriſtiſchen, der allerdings an ſich im Stoffe des Komiſchen überhaupt liegen und vom Künſtler immer verſtärkt werden muß, von dieſem höhern Grade der Ueberladung wohl zu unterſcheiden iſt, wurde dort der Name Caricatur nicht weiter verwendet. In der muthwilligen Luft dieſes an- hängenden Gebiets wird nämlich das Naturmaaß, das auch im Häßlichen beſteht, nicht mehr geachtet; das unregelmäßige Glied, Naſe, Mund, Hand, Auge, Kopf u. ſ. w. wächst über die Grenzen bis zur völligen Empörung gegen die Verhältniſſe des Organiſmus und ebenſo wird jede ſinnliche Bewegung, Ausdruck, Affect überſteigert. Der Maler hat übrigens hierin großen Spielraum, ohne noch in das eigentlich Phantaſtiſche überzugehen, von dem wir vorerſt wieder abſehen; ein Druck, ein Strich kann genügen, den Grad des Ueberladens hervorzubringen, der den Unterſchied von der Komik der reinen Kunſt begründet. Die Ueberladung kann nun das ein- zige Mittel ſein, das die Caricatur in Anwendung bringt; doch begnügt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0267"n="759"/>
tenbilder meiſt an einen Text und verrathen auch dadurch die Lockerung<lb/>
des äſthetiſchen Bands, den Charakter des Anhängenden. Sie ſtehen<lb/>
durch das freiere Spiel ihrer Komik an ſich höher, als die Satyre; die<lb/>
fliegenden Blätter z. B. geben vorherrſchend humoriſtiſches Sittenbild und<lb/>
können darum über Caricaturblätter im ſatyriſchen Sinne des Worts<lb/>
geſtellt werden, allein die Schärfe der Ueberladung zeigt doch, daß man<lb/>
in einem Gebiete ſich befindet, deſſen Ausgangs- und Mittelpunct die<lb/>
eigentliche Satyre iſt; beſtreut man nun einmal die Wirklichkeit mit Salz, ſo<lb/>ſoll es auch beißen, gilt einmal das Stoffartige, ſo wollen wir auch,<lb/>
daß dem gerechten Grimm und Haß gegen die faulen Stellen des<lb/>
Körpers der Zeit ſein Ausdruck werde, wir wollen Schneide, wir wollen<lb/>
Bosheit; fortgeſetztes komiſches Sittenbild ohne dieſes Hauptgewürze wird<lb/>
daher matt; es braucht zur Erhaltung dieſes Fleiſches wenigſtens von<lb/>
Zeit zu Zeit ein recht ſcharfes, keckes, ächt ſatyriſches Pfefferkorn, wie es<lb/>
in jenen Blättern zu ihrem Nachtheil neuerdings ausbleibt; daſſelbe gilt<lb/>
vom Charivari, ſeit ihm die Politik verſperrt iſt.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Wir haben als das gemeinſchaftliche Verfahren der ſcharfen, das<lb/>
Verderbliche hervorkehrenden und der freieren, die Thorheit harmloſer ver-<lb/>
lachenden Satyre, ſowie jenes ganzen Gebiets, das ſich dem rein humo-<lb/>
riſtiſchen Sittenbilde nähert, die Ueberladung des Charakteriſtiſchen bezeich-<lb/>
net. Danach nennt man denn auch dieſes ganze Gebiet mit ſeinen unbe-<lb/>ſtimmten Grenzen Caricatur und wir haben dieſen Namen in der Ueber-<lb/>ſchrift vorgezogen, eben weil er weiter iſt, als der Name Satyre, indem er<lb/>
unter einem gemeinſamen Stylkennzeichen dieſe weite Sphäre befaßt.<lb/>
Wenn wir dieſen Begriff ſchon in §. 151 einführten, ſo verhütete dort<lb/>
bereits die Anm. den Gedanken an die grellere Schärfe der Ueberladung,<lb/>
von welcher nun die Rede iſt, und weil derjenige <hirendition="#g">Ueberfluß</hi> des Cha-<lb/>
rakteriſtiſchen, der allerdings an ſich im Stoffe des Komiſchen überhaupt<lb/>
liegen und vom Künſtler immer verſtärkt werden muß, von dieſem höhern<lb/>
Grade der Ueberladung wohl zu unterſcheiden iſt, wurde dort der Name<lb/>
Caricatur nicht weiter verwendet. In der muthwilligen Luft dieſes an-<lb/>
hängenden Gebiets wird nämlich das Naturmaaß, das auch im Häßlichen<lb/>
beſteht, nicht mehr geachtet; das unregelmäßige Glied, Naſe, Mund, Hand,<lb/>
Auge, Kopf u. ſ. w. wächst über die Grenzen bis zur völligen Empörung<lb/>
gegen die Verhältniſſe des Organiſmus und ebenſo wird jede ſinnliche<lb/>
Bewegung, Ausdruck, Affect überſteigert. Der Maler hat übrigens hierin<lb/>
großen Spielraum, ohne noch in das eigentlich Phantaſtiſche überzugehen,<lb/>
von dem wir vorerſt wieder abſehen; ein Druck, ein Strich kann genügen,<lb/>
den Grad des Ueberladens hervorzubringen, der den Unterſchied von der<lb/>
Komik der reinen Kunſt begründet. Die Ueberladung kann nun das ein-<lb/>
zige Mittel ſein, das die Caricatur in Anwendung bringt; doch begnügt<lb/></hi></p></div></div></div></body></text></TEI>
[759/0267]
tenbilder meiſt an einen Text und verrathen auch dadurch die Lockerung
des äſthetiſchen Bands, den Charakter des Anhängenden. Sie ſtehen
durch das freiere Spiel ihrer Komik an ſich höher, als die Satyre; die
fliegenden Blätter z. B. geben vorherrſchend humoriſtiſches Sittenbild und
können darum über Caricaturblätter im ſatyriſchen Sinne des Worts
geſtellt werden, allein die Schärfe der Ueberladung zeigt doch, daß man
in einem Gebiete ſich befindet, deſſen Ausgangs- und Mittelpunct die
eigentliche Satyre iſt; beſtreut man nun einmal die Wirklichkeit mit Salz, ſo
ſoll es auch beißen, gilt einmal das Stoffartige, ſo wollen wir auch,
daß dem gerechten Grimm und Haß gegen die faulen Stellen des
Körpers der Zeit ſein Ausdruck werde, wir wollen Schneide, wir wollen
Bosheit; fortgeſetztes komiſches Sittenbild ohne dieſes Hauptgewürze wird
daher matt; es braucht zur Erhaltung dieſes Fleiſches wenigſtens von
Zeit zu Zeit ein recht ſcharfes, keckes, ächt ſatyriſches Pfefferkorn, wie es
in jenen Blättern zu ihrem Nachtheil neuerdings ausbleibt; daſſelbe gilt
vom Charivari, ſeit ihm die Politik verſperrt iſt.
2. Wir haben als das gemeinſchaftliche Verfahren der ſcharfen, das
Verderbliche hervorkehrenden und der freieren, die Thorheit harmloſer ver-
lachenden Satyre, ſowie jenes ganzen Gebiets, das ſich dem rein humo-
riſtiſchen Sittenbilde nähert, die Ueberladung des Charakteriſtiſchen bezeich-
net. Danach nennt man denn auch dieſes ganze Gebiet mit ſeinen unbe-
ſtimmten Grenzen Caricatur und wir haben dieſen Namen in der Ueber-
ſchrift vorgezogen, eben weil er weiter iſt, als der Name Satyre, indem er
unter einem gemeinſamen Stylkennzeichen dieſe weite Sphäre befaßt.
Wenn wir dieſen Begriff ſchon in §. 151 einführten, ſo verhütete dort
bereits die Anm. den Gedanken an die grellere Schärfe der Ueberladung,
von welcher nun die Rede iſt, und weil derjenige Ueberfluß des Cha-
rakteriſtiſchen, der allerdings an ſich im Stoffe des Komiſchen überhaupt
liegen und vom Künſtler immer verſtärkt werden muß, von dieſem höhern
Grade der Ueberladung wohl zu unterſcheiden iſt, wurde dort der Name
Caricatur nicht weiter verwendet. In der muthwilligen Luft dieſes an-
hängenden Gebiets wird nämlich das Naturmaaß, das auch im Häßlichen
beſteht, nicht mehr geachtet; das unregelmäßige Glied, Naſe, Mund, Hand,
Auge, Kopf u. ſ. w. wächst über die Grenzen bis zur völligen Empörung
gegen die Verhältniſſe des Organiſmus und ebenſo wird jede ſinnliche
Bewegung, Ausdruck, Affect überſteigert. Der Maler hat übrigens hierin
großen Spielraum, ohne noch in das eigentlich Phantaſtiſche überzugehen,
von dem wir vorerſt wieder abſehen; ein Druck, ein Strich kann genügen,
den Grad des Ueberladens hervorzubringen, der den Unterſchied von der
Komik der reinen Kunſt begründet. Die Ueberladung kann nun das ein-
zige Mittel ſein, das die Caricatur in Anwendung bringt; doch begnügt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/267>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.