Wege vollzogen wird. Dabei bleibt der Unterschied von der Komik der reinen Kunst unverändert stehen: zwar entlehnt eben diese Gattung das Verfahren einer ästhetischen Grundform, behält aber den Standpunct der Züchtigung der empirischen Wirklichkeit, die Tendenz ist zum Fermente geworden, das die Formen verzerrend auftreibt, in ein chemisches Agens verwandelt, eigentlich aber doch nicht verschwunden. Dieß also ist das Satyrische: es wird "die wahre Idee der unwahren Gestalt als Folie untergelegt im Sinne der Komik" (§. 547). Doch kehrt der Gegensatz des fühlbar Tendenziösen und des in komische Wirkung versenkten Ten- denziösen im Satyrischen selbst wieder, und zwar als Unterschied der bitter lachenden, scharf geiselnden und derjenigen Satyre, welche zwar auch die verkehrte Welt verfolgt und beißt, aber doch schon dem freieren Spiele der reinen, zweck- und tendenzlosen Komik sich nähert, welche ihr Auge vom Schädlichen und Verderblichen abwendet und mit hellem Lachen nur die Thorheit aufdeckt. An dieser Grenze entsteht denn ein großes Ge- dränge, eine Masse von Formen, Darstellungen bricht hervor, welche man eigentlich nicht mehr Satyre nennen kann und doch gemeinhin unter dem Namen "Caricatur" mit dieser zusammenfaßt, von dessen geläufiger Gleich- bedeutung mit Satyre im Gebiete der Malerei der Grund bereits angedeutet ist. Es sind dem größeren Umfange nach humoristische Sittenbilder; sehr gerne wird bei diesen, wie im reinen Sittenbilde, mythisches Motiv benützt, das aber nun komisch mythisch, hiemit phantastisch auftritt. Diese Form ist aber, wie sich nachher ausdrücklich zeigen wird, nichts Anderes, als ein äußerstes Maaß der Ueberladung des Charakteristischen, und in dieser liegt denn eben die Linie, die solche humoristische Sittenbilder nebst der gutmüthigeren Satyre, an die sie sich in unmerklichem Uebergang schließen, von demjenigen Zweige der reinen Kunst scheidet, der ohne Rückhalt diesen Namen verdient: sie übertreiben insgesammt wie die harte Satyre das Charakteristische in einem Grade, den die reine Kunst auch im Komischen meidet; durch diese Steigerung verrathen sie eine Schärfe, die doch auch ihren Grund in jener Lösung und Lockerung des ästhetischen Bandes hat, sie zeigen, daß der Künstler doch außerhalb des Stoffes steht, der empi- rischen Welt gegenübertritt, sie als solche von außen faßt und rüttelt. Wer ästhetisch im Stoffe bleibt, übertreibt in solcher Weise auch im Komi- schen nicht, sondern hält sich mild und mäßig; das ist in §. 684, 2. ge- sagt. Nur die Poesie hat die Mittel, auf der Grundlage der Uebertreibung doch zugleich das Ganze eines Kunstwerks in die höhere, rein ästhetische Komik, in den zwecklosen Wahnsinn des vollen Humors hinaufzuführen (Aristophanes); die Malerei entfesselt die Schärfe und Kühnheit der Komik, den Ausbruch des lauten Gelächters nur in diesem anhängenden Zweig, in der Caricatur. Ueberdieß binden sich diese humoristischen Sit-
Wege vollzogen wird. Dabei bleibt der Unterſchied von der Komik der reinen Kunſt unverändert ſtehen: zwar entlehnt eben dieſe Gattung das Verfahren einer äſthetiſchen Grundform, behält aber den Standpunct der Züchtigung der empiriſchen Wirklichkeit, die Tendenz iſt zum Fermente geworden, das die Formen verzerrend auftreibt, in ein chemiſches Agens verwandelt, eigentlich aber doch nicht verſchwunden. Dieß alſo iſt das Satyriſche: es wird „die wahre Idee der unwahren Geſtalt als Folie untergelegt im Sinne der Komik“ (§. 547). Doch kehrt der Gegenſatz des fühlbar Tendenziöſen und des in komiſche Wirkung verſenkten Ten- denziöſen im Satyriſchen ſelbſt wieder, und zwar als Unterſchied der bitter lachenden, ſcharf geiſelnden und derjenigen Satyre, welche zwar auch die verkehrte Welt verfolgt und beißt, aber doch ſchon dem freieren Spiele der reinen, zweck- und tendenzloſen Komik ſich nähert, welche ihr Auge vom Schädlichen und Verderblichen abwendet und mit hellem Lachen nur die Thorheit aufdeckt. An dieſer Grenze entſteht denn ein großes Ge- dränge, eine Maſſe von Formen, Darſtellungen bricht hervor, welche man eigentlich nicht mehr Satyre nennen kann und doch gemeinhin unter dem Namen „Caricatur“ mit dieſer zuſammenfaßt, von deſſen geläufiger Gleich- bedeutung mit Satyre im Gebiete der Malerei der Grund bereits angedeutet iſt. Es ſind dem größeren Umfange nach humoriſtiſche Sittenbilder; ſehr gerne wird bei dieſen, wie im reinen Sittenbilde, mythiſches Motiv benützt, das aber nun komiſch mythiſch, hiemit phantaſtiſch auftritt. Dieſe Form iſt aber, wie ſich nachher ausdrücklich zeigen wird, nichts Anderes, als ein äußerſtes Maaß der Ueberladung des Charakteriſtiſchen, und in dieſer liegt denn eben die Linie, die ſolche humoriſtiſche Sittenbilder nebſt der gutmüthigeren Satyre, an die ſie ſich in unmerklichem Uebergang ſchließen, von demjenigen Zweige der reinen Kunſt ſcheidet, der ohne Rückhalt dieſen Namen verdient: ſie übertreiben insgeſammt wie die harte Satyre das Charakteriſtiſche in einem Grade, den die reine Kunſt auch im Komiſchen meidet; durch dieſe Steigerung verrathen ſie eine Schärfe, die doch auch ihren Grund in jener Löſung und Lockerung des äſthetiſchen Bandes hat, ſie zeigen, daß der Künſtler doch außerhalb des Stoffes ſteht, der empi- riſchen Welt gegenübertritt, ſie als ſolche von außen faßt und rüttelt. Wer äſthetiſch im Stoffe bleibt, übertreibt in ſolcher Weiſe auch im Komi- ſchen nicht, ſondern hält ſich mild und mäßig; das iſt in §. 684, 2. ge- ſagt. Nur die Poeſie hat die Mittel, auf der Grundlage der Uebertreibung doch zugleich das Ganze eines Kunſtwerks in die höhere, rein äſthetiſche Komik, in den zweckloſen Wahnſinn des vollen Humors hinaufzuführen (Ariſtophanes); die Malerei entfeſſelt die Schärfe und Kühnheit der Komik, den Ausbruch des lauten Gelächters nur in dieſem anhängenden Zweig, in der Caricatur. Ueberdieß binden ſich dieſe humoriſtiſchen Sit-
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Wege vollzogen wird. Dabei bleibt der Unterſchied von der Komik der
reinen Kunſt unverändert ſtehen: zwar entlehnt eben dieſe Gattung das
Verfahren einer äſthetiſchen Grundform, behält aber den Standpunct der
Züchtigung der empiriſchen Wirklichkeit, die Tendenz iſt zum Fermente
geworden, das die Formen verzerrend auftreibt, in ein chemiſches Agens
verwandelt, eigentlich aber doch nicht verſchwunden. Dieß alſo iſt das
Satyriſche: es wird „die wahre Idee der unwahren Geſtalt als Folie
untergelegt im Sinne der Komik“ (§. 547). Doch kehrt der Gegenſatz
des fühlbar Tendenziöſen und des in komiſche Wirkung verſenkten Ten-
denziöſen im Satyriſchen ſelbſt wieder, und zwar als Unterſchied der bitter
lachenden, ſcharf geiſelnden und derjenigen Satyre, welche zwar auch die
verkehrte Welt verfolgt und beißt, aber doch ſchon dem freieren Spiele
der reinen, zweck- und tendenzloſen Komik ſich nähert, welche ihr Auge
vom Schädlichen und Verderblichen abwendet und mit hellem Lachen nur
die Thorheit aufdeckt. An dieſer Grenze entſteht denn ein großes Ge-
dränge, eine Maſſe von Formen, Darſtellungen bricht hervor, welche man
eigentlich nicht mehr Satyre nennen kann und doch gemeinhin unter dem
Namen „Caricatur“ mit dieſer zuſammenfaßt, von deſſen geläufiger Gleich-
bedeutung mit Satyre im Gebiete der Malerei der Grund bereits angedeutet
iſt. Es ſind dem größeren Umfange nach humoriſtiſche Sittenbilder;
ſehr gerne wird bei dieſen, wie im reinen Sittenbilde, mythiſches Motiv
benützt, das aber nun komiſch mythiſch, hiemit phantaſtiſch auftritt. Dieſe
Form iſt aber, wie ſich nachher ausdrücklich zeigen wird, nichts Anderes,
als ein äußerſtes Maaß der Ueberladung des Charakteriſtiſchen, und in
dieſer liegt denn eben die Linie, die ſolche humoriſtiſche Sittenbilder nebſt der
gutmüthigeren Satyre, an die ſie ſich in unmerklichem Uebergang ſchließen,
von demjenigen Zweige der reinen Kunſt ſcheidet, der ohne Rückhalt dieſen
Namen verdient: ſie übertreiben insgeſammt wie die harte Satyre das
Charakteriſtiſche in einem Grade, den die reine Kunſt auch im Komiſchen
meidet; durch dieſe Steigerung verrathen ſie eine Schärfe, die doch auch
ihren Grund in jener Löſung und Lockerung des äſthetiſchen Bandes hat,
ſie zeigen, daß der Künſtler doch außerhalb des Stoffes ſteht, der empi-
riſchen Welt gegenübertritt, ſie als ſolche von außen faßt und rüttelt.
Wer äſthetiſch im Stoffe bleibt, übertreibt in ſolcher Weiſe auch im Komi-
ſchen nicht, ſondern hält ſich mild und mäßig; das iſt in §. 684, 2. ge-
ſagt. Nur die Poeſie hat die Mittel, auf der Grundlage der Uebertreibung
doch zugleich das Ganze eines Kunſtwerks in die höhere, rein äſthetiſche
Komik, in den zweckloſen Wahnſinn des vollen Humors hinaufzuführen
(Ariſtophanes); die Malerei entfeſſelt die Schärfe und Kühnheit der
Komik, den Ausbruch des lauten Gelächters nur in dieſem anhängenden
Zweig, in der Caricatur. Ueberdieß binden ſich dieſe humoriſtiſchen Sit-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 758. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/266>, abgerufen am 16.07.2024.
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