Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
die mehr plastische Richtung nach einer Seite doch gewisse Momente des
die mehr plaſtiſche Richtung nach einer Seite doch gewiſſe Momente des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0214" n="706"/> die mehr plaſtiſche Richtung nach einer Seite doch gewiſſe Momente des<lb/> Maleriſchen auszubilden übernimmt, ſchon hier finden, doch wird dieß<lb/> erſt klar, nachdem der Gegenſatz der ſieneſiſchen Schule beſtimmter hervor-<lb/> tritt; im Weſentlichen aber iſt der plaſtiſche Charakter deutlich genug in<lb/> Cimabue ausgeſprochen namentlich in ſeinen ehrwürdigen, ſtatuariſch auf-<lb/> gefaßten Männergeſtalten, anmuthigen Genien und Arabesken. Die Schule<lb/> von Siena zeigt in dem merkwürdigen Duccio während dieſes Stadiums<lb/> dieſelbe Richtung in einer Kraft und Fülle, welche bei entſprechenden<lb/> Fortſchritten den Gegenſatz gegen die florentiniſche, welchen der §. aus-<lb/> ſpricht, nicht zugelaſſen hätte; denn auf der berühmten Tafel dieſes Meiſters<lb/> ſind die kleinen Compoſitionen aus der Leidensgeſchichte durch Studium<lb/> des Lebens, des Affects, der Form ſelbſt im Nackten und der äußeren<lb/> Bewegung, durch Fülle der Anordnung vielbedeutender, als die ſtille, liebe-<lb/> volle Seele, die aus der Madonna der Vorderſeite ſpricht, ja dedeutender,<lb/> als Cimabue’s verwandte Leiſtungen. — Auf dieſe erſte Stufe folgt dann<lb/> die Entwicklung des Gegenſatzes im zweiten Abſchnitte der vorliegenden<lb/> Epoche. Siena ſchreitet nicht auf der Bahn fort, die Duccio betreten<lb/> hat; es beſchränkt ſich im Weſentlichen auf die Seelen-Anmuth und läßt<lb/> der toſcaniſchen Schule des <hi rendition="#g">Giotto</hi> die Entwicklung alles deſſen, was<lb/> ſich vorzüglich an die Zeichnung knüpft. Hier nun aber iſt ſogleich einer<lb/> der wichtigſten Puncte, wo es gilt, nicht abſtract gegenüberzuſtellen, ſon-<lb/> dern zu bedenken, daß nur das Uebergreifen der Gegenſätze ineinander<lb/> das wahre geſchichtliche Leben iſt. Giotto und ſeine Schule ſtellt ſich<lb/> allerdings auf den Boden der plaſtiſchen Richtung, ihr objectiver Sinn<lb/> erfaßt den religiöſen Stoff von der Seite der Thatſache und ſetzt ihn in<lb/> Handlung, der verſtändigere, in gelöster Beweglichkeit doch kältere Geiſt<lb/> der Florentiner legt ſich vor Allem in das Formſtudium und demgemäß,<lb/> wie geſagt, in die Zeichnung; er geht auf den Begriff los und wird daher,<lb/> wie aller plaſtiſche Styl, gedankenhaft, allegoriſirt an Dante’s Hand,<lb/> liebt eykliſche Aufreihungen und Anordnungen, die von einer Idee be-<lb/> herrſcht ſind. Daß dieſer Styl die Naturtreue ſelbſt auf Koſten der äſtheti-<lb/> ſchen Geſetze pflegt (wie z. B. in dem Bild Orcagna’s, das die Schauer<lb/> der Vergänglichkeit an drei verweſenden Leichnamen zeigt,), können wir<lb/> noch ſeinem denkenden, auf den Begriff der Sache ſtreng losgehenden<lb/> Weſen zuſchreiben; aber ebenſoſehr iſt ſolcher Naturalismus ſchon ein<lb/> Beweis, daß das Maleriſche hier auch auf der Seite des plaſtiſchen<lb/> Styls vertreten iſt. Ungleich ſchlagender tritt dieß jedoch hervor in der<lb/> reichen, bewegten Entfaltung der Seelenzuſtände, der Affecte, die ſich in<lb/> einer Ausbildung der Compoſition, deren durchdachter Linienbau freilich<lb/> wieder zur plaſtiſchen Seite gehört, voll dramatiſchen Lebens ausbreitet,<lb/> obwohl die noch ſichtbare Mühe den Bewegungen etwas Hartes und<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [706/0214]
die mehr plaſtiſche Richtung nach einer Seite doch gewiſſe Momente des
Maleriſchen auszubilden übernimmt, ſchon hier finden, doch wird dieß
erſt klar, nachdem der Gegenſatz der ſieneſiſchen Schule beſtimmter hervor-
tritt; im Weſentlichen aber iſt der plaſtiſche Charakter deutlich genug in
Cimabue ausgeſprochen namentlich in ſeinen ehrwürdigen, ſtatuariſch auf-
gefaßten Männergeſtalten, anmuthigen Genien und Arabesken. Die Schule
von Siena zeigt in dem merkwürdigen Duccio während dieſes Stadiums
dieſelbe Richtung in einer Kraft und Fülle, welche bei entſprechenden
Fortſchritten den Gegenſatz gegen die florentiniſche, welchen der §. aus-
ſpricht, nicht zugelaſſen hätte; denn auf der berühmten Tafel dieſes Meiſters
ſind die kleinen Compoſitionen aus der Leidensgeſchichte durch Studium
des Lebens, des Affects, der Form ſelbſt im Nackten und der äußeren
Bewegung, durch Fülle der Anordnung vielbedeutender, als die ſtille, liebe-
volle Seele, die aus der Madonna der Vorderſeite ſpricht, ja dedeutender,
als Cimabue’s verwandte Leiſtungen. — Auf dieſe erſte Stufe folgt dann
die Entwicklung des Gegenſatzes im zweiten Abſchnitte der vorliegenden
Epoche. Siena ſchreitet nicht auf der Bahn fort, die Duccio betreten
hat; es beſchränkt ſich im Weſentlichen auf die Seelen-Anmuth und läßt
der toſcaniſchen Schule des Giotto die Entwicklung alles deſſen, was
ſich vorzüglich an die Zeichnung knüpft. Hier nun aber iſt ſogleich einer
der wichtigſten Puncte, wo es gilt, nicht abſtract gegenüberzuſtellen, ſon-
dern zu bedenken, daß nur das Uebergreifen der Gegenſätze ineinander
das wahre geſchichtliche Leben iſt. Giotto und ſeine Schule ſtellt ſich
allerdings auf den Boden der plaſtiſchen Richtung, ihr objectiver Sinn
erfaßt den religiöſen Stoff von der Seite der Thatſache und ſetzt ihn in
Handlung, der verſtändigere, in gelöster Beweglichkeit doch kältere Geiſt
der Florentiner legt ſich vor Allem in das Formſtudium und demgemäß,
wie geſagt, in die Zeichnung; er geht auf den Begriff los und wird daher,
wie aller plaſtiſche Styl, gedankenhaft, allegoriſirt an Dante’s Hand,
liebt eykliſche Aufreihungen und Anordnungen, die von einer Idee be-
herrſcht ſind. Daß dieſer Styl die Naturtreue ſelbſt auf Koſten der äſtheti-
ſchen Geſetze pflegt (wie z. B. in dem Bild Orcagna’s, das die Schauer
der Vergänglichkeit an drei verweſenden Leichnamen zeigt,), können wir
noch ſeinem denkenden, auf den Begriff der Sache ſtreng losgehenden
Weſen zuſchreiben; aber ebenſoſehr iſt ſolcher Naturalismus ſchon ein
Beweis, daß das Maleriſche hier auch auf der Seite des plaſtiſchen
Styls vertreten iſt. Ungleich ſchlagender tritt dieß jedoch hervor in der
reichen, bewegten Entfaltung der Seelenzuſtände, der Affecte, die ſich in
einer Ausbildung der Compoſition, deren durchdachter Linienbau freilich
wieder zur plaſtiſchen Seite gehört, voll dramatiſchen Lebens ausbreitet,
obwohl die noch ſichtbare Mühe den Bewegungen etwas Hartes und
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