Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
gebundenen Geiste zu gute. Die Schärfe dieser Charakteristik geht weiter 2. Das griechische Ideal haben wir als ein so durch und durch
gebundenen Geiſte zu gute. Die Schärfe dieſer Charakteriſtik geht weiter 2. Das griechiſche Ideal haben wir als ein ſo durch und durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0203" n="695"/> gebundenen Geiſte zu gute. Die Schärfe dieſer Charakteriſtik geht weiter<lb/> auch auf die Nationalphyſiognomie, ſelbſt auf die des Individuums. Allein<lb/> es fehlt alle Verkürzung, alle Linearperſpective, es gibt daher keine<lb/> Compoſition, ſondern nur Aufſtellung der Figuren übereinander und reihen-<lb/> förmig nebeneinander. Daraus folgt, daß die Figur nie von vorn, ſondern<lb/> nur im Profil, häufig mit dem Widerſpruch einer von vorn geſehenen<lb/> Bruſt, gezeigt wird. Ganz aber fehlt der geiſtige Ausdruck, es iſt ſeelen-<lb/> los chronikaliſche Abſchrift des Lebens (vergl. §. 637 Anm.). Dieſe tiefen<lb/> Mängel ſind die nothwendige Folge davon, daß die Farbengebung und<lb/> ſelbſt die Modellirung der einzelnen Geſtalt innerhalb der Umriſſe ganz<lb/> unentwickelt iſt, daß der Umriß und mit ihm die Fläche, auf welcher er<lb/> gezogen wird, poſitiv in Geltung bleibt und nur mit einfachen, durch das<lb/> Feuer ihrer ungebrochenen Beſtimmtheit das kindliche Auge erfreuenden<lb/> Farben ausgefüllt wird. Es iſt die reine Kinderſtufe der Malerei.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Das <hi rendition="#g">griechiſche</hi> Ideal haben wir als ein ſo durch und durch<lb/> plaſtiſch auffaſſendes erkannt, daß jedes weitere Wort darüber, wie auf<lb/> dieſem Standpuncte die Malerei ihr ſpezifiſches Weſen nicht entfalten<lb/> kann, eitel Wiederholung wäre. Das Beſtimmende iſt vielmehr auch auf<lb/> dem Boden der Malerei der plaſtiſche Geiſt und zwar „in dem aus-<lb/> ſchließend engen Sinne“ u. ſ. w. Damit iſt ausgedrückt, daß der plaſtiſche<lb/> Styl der antiken Malerei mit dem plaſtiſchen Style, wie er im Mittel-<lb/> alter und der neueren Zeit auf dem errungenen Boden des Maleriſchen<lb/> ſelbſt wieder auftritt, nichts zu ſchaffen hat. Es iſt ein Anderes, wenn<lb/> ein Stylprinzip innerhalb der Sphäre, in welcher das zur Herrſchaft<lb/> berufene entgegengeſetzte in den weſentlichſten Grundbedingungen dieſe<lb/> Herrſchaft ſchon übt, mit relativer Geltung wieder auftritt, ein Anderes,<lb/> wenn es <hi rendition="#g">vor</hi> dem Eintritte deſſelben dergeſtalt herrſcht, daß jene Grund-<lb/> bedingungen noch gar nicht zur Anerkennung und Ausübung gelangen.<lb/> Die ſtreng plaſtiſche Malerei der Alten ſteht daher ganz außerhalb des<lb/> Entwicklungsgangs, der auf einem Kampfe jener beiden Style beruht,<lb/> als eine Welt für ſich da, die wir jedoch nachher zu dieſem Entwicklungs-<lb/> gang in ein tiefes, belebendes Verhältniß werden treten ſehen, ohne daß<lb/> hieraus ein Widerſpruch mit dieſer iſolirten Stellung entſtünde. Dieſe<lb/> Stellung im Vorhofe der eigentlichen Geſchichte der Malerei, dieſes<lb/> Sonderleben in einer Luft, die eigentlich dem ſpezifiſch Maleriſchen fremd<lb/> iſt, hinderte nicht, daß die Pflanze auf ſolchem Boden zu einer hohen<lb/> Ausbildung und Schönheit gelangte. Das Leben iſt nicht ſo arm und<lb/> abſtract, daß es ein Gewächs nicht an fremde Bedingungen anſchmiegen<lb/> und zu einer eigenthümlichen Vollkommenheit entfalten könnte. — Die<lb/> plaſtiſche Beſtimmtheit der griechiſchen Malerei offenbart ſich nun darin,<lb/> daß die <hi rendition="#g">Zeichnung</hi> das Herrſchende iſt: natürlich nicht mehr in dem<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [695/0203]
gebundenen Geiſte zu gute. Die Schärfe dieſer Charakteriſtik geht weiter
auch auf die Nationalphyſiognomie, ſelbſt auf die des Individuums. Allein
es fehlt alle Verkürzung, alle Linearperſpective, es gibt daher keine
Compoſition, ſondern nur Aufſtellung der Figuren übereinander und reihen-
förmig nebeneinander. Daraus folgt, daß die Figur nie von vorn, ſondern
nur im Profil, häufig mit dem Widerſpruch einer von vorn geſehenen
Bruſt, gezeigt wird. Ganz aber fehlt der geiſtige Ausdruck, es iſt ſeelen-
los chronikaliſche Abſchrift des Lebens (vergl. §. 637 Anm.). Dieſe tiefen
Mängel ſind die nothwendige Folge davon, daß die Farbengebung und
ſelbſt die Modellirung der einzelnen Geſtalt innerhalb der Umriſſe ganz
unentwickelt iſt, daß der Umriß und mit ihm die Fläche, auf welcher er
gezogen wird, poſitiv in Geltung bleibt und nur mit einfachen, durch das
Feuer ihrer ungebrochenen Beſtimmtheit das kindliche Auge erfreuenden
Farben ausgefüllt wird. Es iſt die reine Kinderſtufe der Malerei.
2. Das griechiſche Ideal haben wir als ein ſo durch und durch
plaſtiſch auffaſſendes erkannt, daß jedes weitere Wort darüber, wie auf
dieſem Standpuncte die Malerei ihr ſpezifiſches Weſen nicht entfalten
kann, eitel Wiederholung wäre. Das Beſtimmende iſt vielmehr auch auf
dem Boden der Malerei der plaſtiſche Geiſt und zwar „in dem aus-
ſchließend engen Sinne“ u. ſ. w. Damit iſt ausgedrückt, daß der plaſtiſche
Styl der antiken Malerei mit dem plaſtiſchen Style, wie er im Mittel-
alter und der neueren Zeit auf dem errungenen Boden des Maleriſchen
ſelbſt wieder auftritt, nichts zu ſchaffen hat. Es iſt ein Anderes, wenn
ein Stylprinzip innerhalb der Sphäre, in welcher das zur Herrſchaft
berufene entgegengeſetzte in den weſentlichſten Grundbedingungen dieſe
Herrſchaft ſchon übt, mit relativer Geltung wieder auftritt, ein Anderes,
wenn es vor dem Eintritte deſſelben dergeſtalt herrſcht, daß jene Grund-
bedingungen noch gar nicht zur Anerkennung und Ausübung gelangen.
Die ſtreng plaſtiſche Malerei der Alten ſteht daher ganz außerhalb des
Entwicklungsgangs, der auf einem Kampfe jener beiden Style beruht,
als eine Welt für ſich da, die wir jedoch nachher zu dieſem Entwicklungs-
gang in ein tiefes, belebendes Verhältniß werden treten ſehen, ohne daß
hieraus ein Widerſpruch mit dieſer iſolirten Stellung entſtünde. Dieſe
Stellung im Vorhofe der eigentlichen Geſchichte der Malerei, dieſes
Sonderleben in einer Luft, die eigentlich dem ſpezifiſch Maleriſchen fremd
iſt, hinderte nicht, daß die Pflanze auf ſolchem Boden zu einer hohen
Ausbildung und Schönheit gelangte. Das Leben iſt nicht ſo arm und
abſtract, daß es ein Gewächs nicht an fremde Bedingungen anſchmiegen
und zu einer eigenthümlichen Vollkommenheit entfalten könnte. — Die
plaſtiſche Beſtimmtheit der griechiſchen Malerei offenbart ſich nun darin,
daß die Zeichnung das Herrſchende iſt: natürlich nicht mehr in dem
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