Endlich tritt in diesem Gebiete der Gegensatz der Style mit entscheiden- der Bedeutung auf. Die plastische Richtung hält sich an Culturformen, die entweder den Charakter einfacher Ursprünglichkeit tragen oder einen edeln und schwungvollen Luxus entfalten; sie sättigt das Sittenbild mit historischem Geiste. Die mythischen Stoffe dienen vorzüglich ihr als Motiv für ihre erhöhte Auffassung. Der Unterschied der Style schafft sich auch verschiedene Technik.
Die Venetianer und in der neueren Zeit Leop. Robert sind die Begründer des sogen. höheren Genre, das seinen Stoff in plastischem Geiste stylisirt. Bei jenen fällt der große Wurf dadurch in's Unklare, daß der ganze Zweig noch nicht zur Selbständigkeit gelangen kann, daß daher ihr Bedürfniß hoher Stylisirung sich an mythische, namentlich christ- lich mythische Stoffe anklammert; Leopold Robert darf daher der wahre Schöpfer dieser Gattung genannt werden und er hat auch den entsprechend- sten Stoff ergriffen, die an sich schon stylvolle Natur des ächten italienischen Landvolks, seine Würde in der Naturnachläßigkeit, die racemäßig schöne Form und edle Bewegung, woraus ein Gefühl und Nachklang der al- ten Größe Roms spricht; diese Bauern, Fischer, Winzer gehaben sich so natürlich heldenmäßig, daß in jedem ein Cincinnatus zu schlummern scheint, den man nur vom Pfluge zur Herrschaft und Heeresleitung holen dürfte. Es ist Sittenbild mit historischem Geiste geschwängert. Diese Behandlung bleibt jedoch ganz in den Grenzen des Kunstzweigs: die Gestalten sind nicht dem Stoffe nach geschichtlich, ihr Thun ein anspruchloses, gewöhnliches Tagewerk, freilich ehrwürdig an sich wie alle Urbeschäftigung des Menschen, ihre Freude ein Jubel, der gemessen und würdig bleibt und mit geringer Zurüstung glücklich ist (die tiefe Poesie der ächten Kinder- freude und der "von geringem Trank begeisterten" Cikade), ihr Dasein namenlos, das heldenhaft Geschichtliche bleibt bloße Fähigkeit, Möglichkeit, "Grundlage" (§. 702 Anm.). Schwerer ist es, die formlosere Menschen- race so zu behandeln, doch ist unter der Hand des Rubens selbst eine niederländische Bauernkirchweih in das stylvoll Große gewachsen, und es schlummert auch im norddeutschen Bauern und Seemann, im Flözer des Schwarzwalds ein Nibelungen-Recke, der nur auf den rechten Pinsel wartet. Sollen die höheren Stände in dieser plastischen Großheit aufgefaßt werden, so ist eine Bildung vorausgesetzt, worin die Natur veredelt, nicht ab- gerieben wird, und ein Luxus, dessen Formen großartig, schwungvoll sind: die Venetianer, ein Paolo Veronese vor Allen, bleiben hierin Vorbild. -- Dieser Styl wird sich nun aber in seiner plastischen Auffassung besonders gern auch auf die Schönheit der Gestalt an sich, natürlich nicht ohne
§. 706.
Endlich tritt in dieſem Gebiete der Gegenſatz der Style mit entſcheiden- der Bedeutung auf. Die plaſtiſche Richtung hält ſich an Culturformen, die entweder den Charakter einfacher Urſprünglichkeit tragen oder einen edeln und ſchwungvollen Luxus entfalten; ſie ſättigt das Sittenbild mit hiſtoriſchem Geiſte. Die mythiſchen Stoffe dienen vorzüglich ihr als Motiv für ihre erhöhte Auffaſſung. Der Unterſchied der Style ſchafft ſich auch verſchiedene Technik.
Die Venetianer und in der neueren Zeit Leop. Robert ſind die Begründer des ſogen. höheren Genre, das ſeinen Stoff in plaſtiſchem Geiſte ſtyliſirt. Bei jenen fällt der große Wurf dadurch in’s Unklare, daß der ganze Zweig noch nicht zur Selbſtändigkeit gelangen kann, daß daher ihr Bedürfniß hoher Styliſirung ſich an mythiſche, namentlich chriſt- lich mythiſche Stoffe anklammert; Leopold Robert darf daher der wahre Schöpfer dieſer Gattung genannt werden und er hat auch den entſprechend- ſten Stoff ergriffen, die an ſich ſchon ſtylvolle Natur des ächten italieniſchen Landvolks, ſeine Würde in der Naturnachläßigkeit, die racemäßig ſchöne Form und edle Bewegung, woraus ein Gefühl und Nachklang der al- ten Größe Roms ſpricht; dieſe Bauern, Fiſcher, Winzer gehaben ſich ſo natürlich heldenmäßig, daß in jedem ein Cincinnatus zu ſchlummern ſcheint, den man nur vom Pfluge zur Herrſchaft und Heeresleitung holen dürfte. Es iſt Sittenbild mit hiſtoriſchem Geiſte geſchwängert. Dieſe Behandlung bleibt jedoch ganz in den Grenzen des Kunſtzweigs: die Geſtalten ſind nicht dem Stoffe nach geſchichtlich, ihr Thun ein anſpruchloſes, gewöhnliches Tagewerk, freilich ehrwürdig an ſich wie alle Urbeſchäftigung des Menſchen, ihre Freude ein Jubel, der gemeſſen und würdig bleibt und mit geringer Zurüſtung glücklich iſt (die tiefe Poeſie der ächten Kinder- freude und der „von geringem Trank begeiſterten“ Cikade), ihr Daſein namenlos, das heldenhaft Geſchichtliche bleibt bloße Fähigkeit, Möglichkeit, „Grundlage“ (§. 702 Anm.). Schwerer iſt es, die formloſere Menſchen- race ſo zu behandeln, doch iſt unter der Hand des Rubens ſelbſt eine niederländiſche Bauernkirchweih in das ſtylvoll Große gewachſen, und es ſchlummert auch im norddeutſchen Bauern und Seemann, im Flözer des Schwarzwalds ein Nibelungen-Recke, der nur auf den rechten Pinſel wartet. Sollen die höheren Stände in dieſer plaſtiſchen Großheit aufgefaßt werden, ſo iſt eine Bildung vorausgeſetzt, worin die Natur veredelt, nicht ab- gerieben wird, und ein Luxus, deſſen Formen großartig, ſchwungvoll ſind: die Venetianer, ein Paolo Veroneſe vor Allen, bleiben hierin Vorbild. — Dieſer Styl wird ſich nun aber in ſeiner plaſtiſchen Auffaſſung beſonders gern auch auf die Schönheit der Geſtalt an ſich, natürlich nicht ohne
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§. 706.
Endlich tritt in dieſem Gebiete der Gegenſatz der Style mit entſcheiden-
der Bedeutung auf. Die plaſtiſche Richtung hält ſich an Culturformen, die
entweder den Charakter einfacher Urſprünglichkeit tragen oder einen edeln und
ſchwungvollen Luxus entfalten; ſie ſättigt das Sittenbild mit hiſtoriſchem Geiſte.
Die mythiſchen Stoffe dienen vorzüglich ihr als Motiv für ihre erhöhte
Auffaſſung. Der Unterſchied der Style ſchafft ſich auch verſchiedene Technik.
Die Venetianer und in der neueren Zeit Leop. Robert ſind die
Begründer des ſogen. höheren Genre, das ſeinen Stoff in plaſtiſchem
Geiſte ſtyliſirt. Bei jenen fällt der große Wurf dadurch in’s Unklare,
daß der ganze Zweig noch nicht zur Selbſtändigkeit gelangen kann, daß
daher ihr Bedürfniß hoher Styliſirung ſich an mythiſche, namentlich chriſt-
lich mythiſche Stoffe anklammert; Leopold Robert darf daher der wahre
Schöpfer dieſer Gattung genannt werden und er hat auch den entſprechend-
ſten Stoff ergriffen, die an ſich ſchon ſtylvolle Natur des ächten italieniſchen
Landvolks, ſeine Würde in der Naturnachläßigkeit, die racemäßig ſchöne
Form und edle Bewegung, woraus ein Gefühl und Nachklang der al-
ten Größe Roms ſpricht; dieſe Bauern, Fiſcher, Winzer gehaben ſich
ſo natürlich heldenmäßig, daß in jedem ein Cincinnatus zu ſchlummern
ſcheint, den man nur vom Pfluge zur Herrſchaft und Heeresleitung holen
dürfte. Es iſt Sittenbild mit hiſtoriſchem Geiſte geſchwängert. Dieſe
Behandlung bleibt jedoch ganz in den Grenzen des Kunſtzweigs: die
Geſtalten ſind nicht dem Stoffe nach geſchichtlich, ihr Thun ein anſpruchloſes,
gewöhnliches Tagewerk, freilich ehrwürdig an ſich wie alle Urbeſchäftigung
des Menſchen, ihre Freude ein Jubel, der gemeſſen und würdig bleibt
und mit geringer Zurüſtung glücklich iſt (die tiefe Poeſie der ächten Kinder-
freude und der „von geringem Trank begeiſterten“ Cikade), ihr Daſein
namenlos, das heldenhaft Geſchichtliche bleibt bloße Fähigkeit, Möglichkeit,
„Grundlage“ (§. 702 Anm.). Schwerer iſt es, die formloſere Menſchen-
race ſo zu behandeln, doch iſt unter der Hand des Rubens ſelbſt eine
niederländiſche Bauernkirchweih in das ſtylvoll Große gewachſen, und es
ſchlummert auch im norddeutſchen Bauern und Seemann, im Flözer des
Schwarzwalds ein Nibelungen-Recke, der nur auf den rechten Pinſel
wartet. Sollen die höheren Stände in dieſer plaſtiſchen Großheit aufgefaßt
werden, ſo iſt eine Bildung vorausgeſetzt, worin die Natur veredelt, nicht ab-
gerieben wird, und ein Luxus, deſſen Formen großartig, ſchwungvoll ſind:
die Venetianer, ein Paolo Veroneſe vor Allen, bleiben hierin Vorbild. —
Dieſer Styl wird ſich nun aber in ſeiner plaſtiſchen Auffaſſung beſonders
gern auch auf die Schönheit der Geſtalt an ſich, natürlich nicht ohne
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/180>, abgerufen am 05.07.2024.
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