ein Witzwort die Spitze des Ganzen ist, gerührte Zuschauer eines Dra- ma, aber nicht ein Parterre, dem man ansehen soll, daß eben da Don Carlos aufgeführt wird u. s. w. Es wäre hier ein ganzes Klagelied über die namentlich jetzt so häufige Verirrung in der Stoffwahl zu schrei- ben. -- Der Fehlgriff kann aber weiter gehen bis zu solchen Stoffen, welche zwar auch in einer Dichtung vorkommen können, aber nur als einzelnes Mittel, weil sie das Bild bereits in einem blos dienenden Ver- hältniß zum Gedanken anwenden, wozu eine ungefähre Vorstellung ge- nügt, die sich der äußern Darstellung auch ganz entziehen kann. Hier fällt auch dieß weg, was die vorhergehende Art von Stoffen noch hatte, daß nämlich eine allgemeine Seite am Bild haftet, die noch darstellbar wäre, hier kann durchaus der Stoff als Ganzes nur durch das Wort ausgedrückt werden. Dieß ist das Gebiet der Vergleichung (§. 405). Die Parabel ist meist noch darstellbar, aber als Gemälde ist sie eigentlich keine Parabel mehr. Es kann nämlich das Bild, womit die Parabel ihre Lehre veranschaulicht, für sich eine gewisse selbständige Schönheit über das Lehrbedürfniß hinaus entfalten, wie z. B. das Bild vom Hirten, der ein verlorenes Schaaf aus dem Dornbusch rettet. Die Erklärung aber, die man bedarf, um zu wissen, daß es sich hier eigentlich nicht von einem Hirten u. s. w. handelt, geht weit über die bloße Notiz hinaus, wie ein Werk der bildenden Kunst sie erlaubter Weise zu seinem Verständniß voraussetzt. Es ist nur die Geläufigkeit der Bekanntschaft mit einer Parabel, die diesen Mangel ver- decken kann. Man kann nicht oft genug sagen, daß das Kunstwerk sich selbst erklären soll. Die Darstellbarkeit hört aber ganz auf bei dem bloßen Gleichniß, das zudem nach Belieben auch ein Bild wählen mag, welches in der wirklichen Anschauung gar nicht vollzogen werden kann, wie das biblische vom Balken und Splitter; aber auch dieß hat man gemalt. Wir stehen hiemit wieder bei der allgemeinen Frage über die Darstellung abstracter Begriffe und abstract aufgefaßter concreter Begriffe. Hierauf antwortet in der Metaphysik des Schönen §. 16 und in der Lehre von der Phantasie §. 444 (von der Allegorie). In der That ist es nur die geistige Leichtigkeit, Beweglichkeit, der durchsichtigere Schein in der Darstellungsweise der Malerei, was für diese Kunst die Versuchung mit sich führt, Wahrheiten zu vergessen, welche aller Kunst gelten, sich recht grundsatzmäßig auf die Allegorie zu werfen und jene Gedanken- Malerei auszubilden, welche mit dem Verfall der Künste begonnen und in der modernen Wiederbelebung neuen Raum gewonnen hat. Sieht man das Wesen dieser Kunst genauer an, so zeigt es zwei Seiten, welche sich zu der Frage über eigentliche oder uneigentliche Darstellung grund- verschieden verhalten. Die Kunstweise der Malerei ist wohl in gewissem Sinne mehr reiner Schein, als die der Sculptur (vergl. §. 650), aber
ein Witzwort die Spitze des Ganzen iſt, gerührte Zuſchauer eines Dra- ma, aber nicht ein Parterre, dem man anſehen ſoll, daß eben da Don Carlos aufgeführt wird u. ſ. w. Es wäre hier ein ganzes Klagelied über die namentlich jetzt ſo häufige Verirrung in der Stoffwahl zu ſchrei- ben. — Der Fehlgriff kann aber weiter gehen bis zu ſolchen Stoffen, welche zwar auch in einer Dichtung vorkommen können, aber nur als einzelnes Mittel, weil ſie das Bild bereits in einem blos dienenden Ver- hältniß zum Gedanken anwenden, wozu eine ungefähre Vorſtellung ge- nügt, die ſich der äußern Darſtellung auch ganz entziehen kann. Hier fällt auch dieß weg, was die vorhergehende Art von Stoffen noch hatte, daß nämlich eine allgemeine Seite am Bild haftet, die noch darſtellbar wäre, hier kann durchaus der Stoff als Ganzes nur durch das Wort ausgedrückt werden. Dieß iſt das Gebiet der Vergleichung (§. 405). Die Parabel iſt meiſt noch darſtellbar, aber als Gemälde iſt ſie eigentlich keine Parabel mehr. Es kann nämlich das Bild, womit die Parabel ihre Lehre veranſchaulicht, für ſich eine gewiſſe ſelbſtändige Schönheit über das Lehrbedürfniß hinaus entfalten, wie z. B. das Bild vom Hirten, der ein verlorenes Schaaf aus dem Dornbuſch rettet. Die Erklärung aber, die man bedarf, um zu wiſſen, daß es ſich hier eigentlich nicht von einem Hirten u. ſ. w. handelt, geht weit über die bloße Notiz hinaus, wie ein Werk der bildenden Kunſt ſie erlaubter Weiſe zu ſeinem Verſtändniß vorausſetzt. Es iſt nur die Geläufigkeit der Bekanntſchaft mit einer Parabel, die dieſen Mangel ver- decken kann. Man kann nicht oft genug ſagen, daß das Kunſtwerk ſich ſelbſt erklären ſoll. Die Darſtellbarkeit hört aber ganz auf bei dem bloßen Gleichniß, das zudem nach Belieben auch ein Bild wählen mag, welches in der wirklichen Anſchauung gar nicht vollzogen werden kann, wie das bibliſche vom Balken und Splitter; aber auch dieß hat man gemalt. Wir ſtehen hiemit wieder bei der allgemeinen Frage über die Darſtellung abſtracter Begriffe und abſtract aufgefaßter concreter Begriffe. Hierauf antwortet in der Metaphyſik des Schönen §. 16 und in der Lehre von der Phantaſie §. 444 (von der Allegorie). In der That iſt es nur die geiſtige Leichtigkeit, Beweglichkeit, der durchſichtigere Schein in der Darſtellungsweiſe der Malerei, was für dieſe Kunſt die Verſuchung mit ſich führt, Wahrheiten zu vergeſſen, welche aller Kunſt gelten, ſich recht grundſatzmäßig auf die Allegorie zu werfen und jene Gedanken- Malerei auszubilden, welche mit dem Verfall der Künſte begonnen und in der modernen Wiederbelebung neuen Raum gewonnen hat. Sieht man das Weſen dieſer Kunſt genauer an, ſo zeigt es zwei Seiten, welche ſich zu der Frage über eigentliche oder uneigentliche Darſtellung grund- verſchieden verhalten. Die Kunſtweiſe der Malerei iſt wohl in gewiſſem Sinne mehr reiner Schein, als die der Sculptur (vergl. §. 650), aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0107"n="599"/>
ein Witzwort die Spitze des Ganzen iſt, gerührte Zuſchauer eines Dra-<lb/>
ma, aber nicht ein Parterre, dem man anſehen ſoll, daß eben da Don<lb/>
Carlos aufgeführt wird u. ſ. w. Es wäre hier ein ganzes Klagelied<lb/>
über die namentlich jetzt ſo häufige Verirrung in der Stoffwahl zu ſchrei-<lb/>
ben. — Der Fehlgriff kann aber weiter gehen bis zu ſolchen Stoffen,<lb/>
welche zwar auch in einer Dichtung vorkommen können, aber nur als<lb/>
einzelnes Mittel, weil ſie das Bild bereits in einem blos dienenden Ver-<lb/>
hältniß zum Gedanken anwenden, wozu eine ungefähre Vorſtellung ge-<lb/>
nügt, die ſich der äußern Darſtellung auch ganz entziehen kann. Hier<lb/>
fällt auch dieß weg, was die vorhergehende Art von Stoffen noch hatte,<lb/>
daß nämlich eine allgemeine Seite am Bild haftet, die noch darſtellbar wäre,<lb/>
hier kann durchaus der Stoff als Ganzes <hirendition="#g">nur</hi> durch das Wort ausgedrückt<lb/>
werden. Dieß iſt das Gebiet der Vergleichung (§. 405). Die Parabel iſt<lb/>
meiſt noch darſtellbar, aber als Gemälde iſt ſie eigentlich keine Parabel mehr.<lb/>
Es kann nämlich das Bild, womit die Parabel ihre Lehre veranſchaulicht,<lb/>
für ſich eine gewiſſe ſelbſtändige Schönheit über das Lehrbedürfniß hinaus<lb/>
entfalten, wie z. B. das Bild vom Hirten, der ein verlorenes Schaaf<lb/>
aus dem Dornbuſch rettet. Die Erklärung aber, die man bedarf, um zu<lb/>
wiſſen, daß es ſich hier eigentlich nicht von einem Hirten u. ſ. w. handelt,<lb/>
geht weit über die bloße Notiz hinaus, wie ein Werk der bildenden Kunſt<lb/>ſie erlaubter Weiſe zu ſeinem Verſtändniß vorausſetzt. Es iſt nur die<lb/>
Geläufigkeit der Bekanntſchaft mit einer Parabel, die dieſen Mangel ver-<lb/>
decken kann. Man kann nicht oft genug ſagen, daß das Kunſtwerk ſich<lb/>ſelbſt erklären ſoll. Die Darſtellbarkeit hört aber ganz auf bei dem bloßen<lb/>
Gleichniß, das zudem nach Belieben auch ein Bild wählen mag, welches<lb/>
in der wirklichen Anſchauung gar nicht vollzogen werden kann, wie das<lb/>
bibliſche vom Balken und Splitter; aber auch dieß hat man gemalt.<lb/>
Wir ſtehen hiemit wieder bei der allgemeinen Frage über die Darſtellung<lb/>
abſtracter Begriffe und abſtract aufgefaßter concreter Begriffe. Hierauf<lb/>
antwortet in der Metaphyſik des Schönen §. 16 und in der Lehre von<lb/>
der Phantaſie §. 444 (von der Allegorie). In der That iſt es nur<lb/>
die geiſtige Leichtigkeit, Beweglichkeit, der durchſichtigere Schein in der<lb/>
Darſtellungsweiſe der Malerei, was für dieſe Kunſt die Verſuchung mit<lb/>ſich führt, Wahrheiten zu vergeſſen, welche aller Kunſt gelten, ſich<lb/>
recht grundſatzmäßig auf die Allegorie zu werfen und jene Gedanken-<lb/>
Malerei auszubilden, welche mit dem Verfall der Künſte begonnen und<lb/>
in der modernen Wiederbelebung neuen Raum gewonnen hat. Sieht<lb/>
man das Weſen dieſer Kunſt genauer an, ſo zeigt es zwei Seiten, welche<lb/>ſich zu der Frage über eigentliche oder uneigentliche Darſtellung grund-<lb/>
verſchieden verhalten. Die Kunſtweiſe der Malerei iſt wohl in gewiſſem<lb/>
Sinne mehr reiner Schein, als die der Sculptur (vergl. §. 650), aber<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[599/0107]
ein Witzwort die Spitze des Ganzen iſt, gerührte Zuſchauer eines Dra-
ma, aber nicht ein Parterre, dem man anſehen ſoll, daß eben da Don
Carlos aufgeführt wird u. ſ. w. Es wäre hier ein ganzes Klagelied
über die namentlich jetzt ſo häufige Verirrung in der Stoffwahl zu ſchrei-
ben. — Der Fehlgriff kann aber weiter gehen bis zu ſolchen Stoffen,
welche zwar auch in einer Dichtung vorkommen können, aber nur als
einzelnes Mittel, weil ſie das Bild bereits in einem blos dienenden Ver-
hältniß zum Gedanken anwenden, wozu eine ungefähre Vorſtellung ge-
nügt, die ſich der äußern Darſtellung auch ganz entziehen kann. Hier
fällt auch dieß weg, was die vorhergehende Art von Stoffen noch hatte,
daß nämlich eine allgemeine Seite am Bild haftet, die noch darſtellbar wäre,
hier kann durchaus der Stoff als Ganzes nur durch das Wort ausgedrückt
werden. Dieß iſt das Gebiet der Vergleichung (§. 405). Die Parabel iſt
meiſt noch darſtellbar, aber als Gemälde iſt ſie eigentlich keine Parabel mehr.
Es kann nämlich das Bild, womit die Parabel ihre Lehre veranſchaulicht,
für ſich eine gewiſſe ſelbſtändige Schönheit über das Lehrbedürfniß hinaus
entfalten, wie z. B. das Bild vom Hirten, der ein verlorenes Schaaf
aus dem Dornbuſch rettet. Die Erklärung aber, die man bedarf, um zu
wiſſen, daß es ſich hier eigentlich nicht von einem Hirten u. ſ. w. handelt,
geht weit über die bloße Notiz hinaus, wie ein Werk der bildenden Kunſt
ſie erlaubter Weiſe zu ſeinem Verſtändniß vorausſetzt. Es iſt nur die
Geläufigkeit der Bekanntſchaft mit einer Parabel, die dieſen Mangel ver-
decken kann. Man kann nicht oft genug ſagen, daß das Kunſtwerk ſich
ſelbſt erklären ſoll. Die Darſtellbarkeit hört aber ganz auf bei dem bloßen
Gleichniß, das zudem nach Belieben auch ein Bild wählen mag, welches
in der wirklichen Anſchauung gar nicht vollzogen werden kann, wie das
bibliſche vom Balken und Splitter; aber auch dieß hat man gemalt.
Wir ſtehen hiemit wieder bei der allgemeinen Frage über die Darſtellung
abſtracter Begriffe und abſtract aufgefaßter concreter Begriffe. Hierauf
antwortet in der Metaphyſik des Schönen §. 16 und in der Lehre von
der Phantaſie §. 444 (von der Allegorie). In der That iſt es nur
die geiſtige Leichtigkeit, Beweglichkeit, der durchſichtigere Schein in der
Darſtellungsweiſe der Malerei, was für dieſe Kunſt die Verſuchung mit
ſich führt, Wahrheiten zu vergeſſen, welche aller Kunſt gelten, ſich
recht grundſatzmäßig auf die Allegorie zu werfen und jene Gedanken-
Malerei auszubilden, welche mit dem Verfall der Künſte begonnen und
in der modernen Wiederbelebung neuen Raum gewonnen hat. Sieht
man das Weſen dieſer Kunſt genauer an, ſo zeigt es zwei Seiten, welche
ſich zu der Frage über eigentliche oder uneigentliche Darſtellung grund-
verſchieden verhalten. Die Kunſtweiſe der Malerei iſt wohl in gewiſſem
Sinne mehr reiner Schein, als die der Sculptur (vergl. §. 650), aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/107>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.