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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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(S. 141), sämmtlich eine Erhöhung der Formen im plastischen Sinn,
unmittelbar oder mittelbar, enthalten; ein Beweis, daß die Bildnerkunst
im vollsten und engsten Sinne als Kunstzweig an sich schon Styl in der
intensiven Bedeutung des Wortes fordert. Haben wir nun diesen Satz
zunächst aus dem Gesetze der directen Idealisirung abgeleitet, so führt er
in höherer Ableitung auf den Begriff der Objectivität, aus welchem schließ-
lich auch dieß Gesetz hervorgeht. In der Bildnerkunst ist das Objective
dem Subjectiven in vollem Gleichgewichte zugewogen (§. 602); ebenso
durchdringt sich die Subjectivität des großen, Stylbildenden Meisters ein-
fach mit dem Objecte (§. 527), daher sind seine Stylformen wesentlich
monumental und in nachdrücklichem Sinne monumental ist ja eben auch
die Bildnerkunst; also leuchtet aufs Neue ein, wie hier der formale und
der inhaltsvoll gewichtige Stylbegriff mit besonderer Innigkeit zusammen-
fallen.

2. Dieser Grundbegriff vom plastischen Style muß sich nun, da aller
Styl ein zur technischen Gewöhnung verfestigter Geist ist, sogleich technisch
wenden, und es entsteht uns so das erste, allgemeinste Styl-Gesetz.
Der Inhalt dieses Gesetzes ist schon in den fein gefühlten Worten ange-
deutet, die wir zu 1. aus Winkelmann angeführt haben. Die innere Ge-
diegenheit und Großheit fordert als ihren gleichmäßig herrschenden Aus-
druck völlige Massen und ebensosehr scharf bestimmte Theilung derselben;
die Völligkeit, das Runde, flüssig und ausgiebig Gefüllte darf nicht die
Straffheit und Bestimmtheit der Begrenzungen im Haupt-Umrisse und in
den einzelnen Theilen innerhalb desselben auflösen und die Schärfe der
Grenzen, die Theilung im Einzelnen darf nicht den schwungvollen, freien,
großen Zug der Umrisse zu vielfach brechen. Im ersten Fall entstünde
das Schwammige, Breiige, im Zweiten das Kleinlichte, Zerzauste, Ge-
knitterte, Gedüftelte, und Beides widersteht in gleichem Maaße den Be-
dingungen einer Kunst, deren allgemeiner Stylcharakter, wie wir ihn nun
bestimmter erkannt haben, vermöge seiner Objectivität, directen Idealität,
monumentalen Großheit durchaus fordert, daß dem fühlenden Auge freie,
große, ganze Bahnen eröffnet werden.

§. 615.

1.

Was nun zuerst die Schönheit der menschlichen Gestalt, als des
Hauptstoffs der Bildnerkunst, an sich und noch abgesehen von der Bestimmtheit
des darzustellenden Moments, betrifft, so verlangt dieses Stylgesetz als vor-
ausgesetzten Stoff gattungsmäßig rein entwickelte Natur- und Culturformen
und steckt dadurch der Ausbreitung dieser Kunst über die verschiedenen, in
Natur und Sitte begründeten Besonderungen des reinen Gattungs-Typus eine

(S. 141), ſämmtlich eine Erhöhung der Formen im plaſtiſchen Sinn,
unmittelbar oder mittelbar, enthalten; ein Beweis, daß die Bildnerkunſt
im vollſten und engſten Sinne als Kunſtzweig an ſich ſchon Styl in der
intenſiven Bedeutung des Wortes fordert. Haben wir nun dieſen Satz
zunächſt aus dem Geſetze der directen Idealiſirung abgeleitet, ſo führt er
in höherer Ableitung auf den Begriff der Objectivität, aus welchem ſchließ-
lich auch dieß Geſetz hervorgeht. In der Bildnerkunſt iſt das Objective
dem Subjectiven in vollem Gleichgewichte zugewogen (§. 602); ebenſo
durchdringt ſich die Subjectivität des großen, Stylbildenden Meiſters ein-
fach mit dem Objecte (§. 527), daher ſind ſeine Stylformen weſentlich
monumental und in nachdrücklichem Sinne monumental iſt ja eben auch
die Bildnerkunſt; alſo leuchtet aufs Neue ein, wie hier der formale und
der inhaltsvoll gewichtige Stylbegriff mit beſonderer Innigkeit zuſammen-
fallen.

2. Dieſer Grundbegriff vom plaſtiſchen Style muß ſich nun, da aller
Styl ein zur techniſchen Gewöhnung verfeſtigter Geiſt iſt, ſogleich techniſch
wenden, und es entſteht uns ſo das erſte, allgemeinſte Styl-Geſetz.
Der Inhalt dieſes Geſetzes iſt ſchon in den fein gefühlten Worten ange-
deutet, die wir zu 1. aus Winkelmann angeführt haben. Die innere Ge-
diegenheit und Großheit fordert als ihren gleichmäßig herrſchenden Aus-
druck völlige Maſſen und ebenſoſehr ſcharf beſtimmte Theilung derſelben;
die Völligkeit, das Runde, flüſſig und ausgiebig Gefüllte darf nicht die
Straffheit und Beſtimmtheit der Begrenzungen im Haupt-Umriſſe und in
den einzelnen Theilen innerhalb deſſelben auflöſen und die Schärfe der
Grenzen, die Theilung im Einzelnen darf nicht den ſchwungvollen, freien,
großen Zug der Umriſſe zu vielfach brechen. Im erſten Fall entſtünde
das Schwammige, Breiige, im Zweiten das Kleinlichte, Zerzauste, Ge-
knitterte, Gedüftelte, und Beides widerſteht in gleichem Maaße den Be-
dingungen einer Kunſt, deren allgemeiner Stylcharakter, wie wir ihn nun
beſtimmter erkannt haben, vermöge ſeiner Objectivität, directen Idealität,
monumentalen Großheit durchaus fordert, daß dem fühlenden Auge freie,
große, ganze Bahnen eröffnet werden.

§. 615.

1.

Was nun zuerſt die Schönheit der menſchlichen Geſtalt, als des
Hauptſtoffs der Bildnerkunſt, an ſich und noch abgeſehen von der Beſtimmtheit
des darzuſtellenden Moments, betrifft, ſo verlangt dieſes Stylgeſetz als vor-
ausgeſetzten Stoff gattungsmäßig rein entwickelte Natur- und Culturformen
und ſteckt dadurch der Ausbreitung dieſer Kunſt über die verſchiedenen, in
Natur und Sitte begründeten Beſonderungen des reinen Gattungs-Typus eine

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[406/0080] (S. 141), ſämmtlich eine Erhöhung der Formen im plaſtiſchen Sinn, unmittelbar oder mittelbar, enthalten; ein Beweis, daß die Bildnerkunſt im vollſten und engſten Sinne als Kunſtzweig an ſich ſchon Styl in der intenſiven Bedeutung des Wortes fordert. Haben wir nun dieſen Satz zunächſt aus dem Geſetze der directen Idealiſirung abgeleitet, ſo führt er in höherer Ableitung auf den Begriff der Objectivität, aus welchem ſchließ- lich auch dieß Geſetz hervorgeht. In der Bildnerkunſt iſt das Objective dem Subjectiven in vollem Gleichgewichte zugewogen (§. 602); ebenſo durchdringt ſich die Subjectivität des großen, Stylbildenden Meiſters ein- fach mit dem Objecte (§. 527), daher ſind ſeine Stylformen weſentlich monumental und in nachdrücklichem Sinne monumental iſt ja eben auch die Bildnerkunſt; alſo leuchtet aufs Neue ein, wie hier der formale und der inhaltsvoll gewichtige Stylbegriff mit beſonderer Innigkeit zuſammen- fallen. 2. Dieſer Grundbegriff vom plaſtiſchen Style muß ſich nun, da aller Styl ein zur techniſchen Gewöhnung verfeſtigter Geiſt iſt, ſogleich techniſch wenden, und es entſteht uns ſo das erſte, allgemeinſte Styl-Geſetz. Der Inhalt dieſes Geſetzes iſt ſchon in den fein gefühlten Worten ange- deutet, die wir zu 1. aus Winkelmann angeführt haben. Die innere Ge- diegenheit und Großheit fordert als ihren gleichmäßig herrſchenden Aus- druck völlige Maſſen und ebenſoſehr ſcharf beſtimmte Theilung derſelben; die Völligkeit, das Runde, flüſſig und ausgiebig Gefüllte darf nicht die Straffheit und Beſtimmtheit der Begrenzungen im Haupt-Umriſſe und in den einzelnen Theilen innerhalb deſſelben auflöſen und die Schärfe der Grenzen, die Theilung im Einzelnen darf nicht den ſchwungvollen, freien, großen Zug der Umriſſe zu vielfach brechen. Im erſten Fall entſtünde das Schwammige, Breiige, im Zweiten das Kleinlichte, Zerzauste, Ge- knitterte, Gedüftelte, und Beides widerſteht in gleichem Maaße den Be- dingungen einer Kunſt, deren allgemeiner Stylcharakter, wie wir ihn nun beſtimmter erkannt haben, vermöge ſeiner Objectivität, directen Idealität, monumentalen Großheit durchaus fordert, daß dem fühlenden Auge freie, große, ganze Bahnen eröffnet werden. §. 615. Was nun zuerſt die Schönheit der menſchlichen Geſtalt, als des Hauptſtoffs der Bildnerkunſt, an ſich und noch abgeſehen von der Beſtimmtheit des darzuſtellenden Moments, betrifft, ſo verlangt dieſes Stylgeſetz als vor- ausgeſetzten Stoff gattungsmäßig rein entwickelte Natur- und Culturformen und ſteckt dadurch der Ausbreitung dieſer Kunſt über die verſchiedenen, in Natur und Sitte begründeten Beſonderungen des reinen Gattungs-Typus eine

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/80>, abgerufen am 21.11.2024.