gewählt, um Ort, Situation, Act zu bezeichnen. In jene Gattung ge- hören die stellvertretenden Stücke eines Ganzen, die partes pro toto: eine Staude für Hain, Wald, Pfeiler für Haus, einzelner Stein für Ge- birge, aufgehängter Teppich für Wohnzimmer u. dgl. Solches tritt nament- lich im Relief auf und scheint dem Satze zu widersprechen, daß hier die Fläche nicht als der zur künstlerischen Darstellung mitgehörige Grund zu betrachten sei; dieß ist aber nur eine weitere Seite jenes berechtigten äst- hetischen Widerspruchs, den wir schon in der Farbe, im Postament, in der Beziehung der Statue zu wirklicher Umgebung gefunden haben (§. 608 Anm. u. 609, 1.): ein Fingerzeig, ein Schatten, leicht hereinwirkend und an den Grenzen des Prinzips, wonach alles Umgebende und Con- tinuirliche in der individuellen Gestalt aufgegangen sein soll, in leich- tem Spiele rüttelnd. Zur andern Gattung gehört z. B. die Phiale, um einen Opfer-Act, Knotenstock, Syrinx, um Landleben, Palme, um Sieg, Oelzweig, um Hülfeflehen, Tänie, um hohe Ehre, Schattenhut, um Reise und Jagd, runde Mütze, Ruder, um Seefahrt, gesenkte Fackel, um den Tod, Kithar bei Apollo, um ihn als den musischen, Seelenreinigenden, Bogen und Köcher, um ihn als den rächenden Gott, und wieder der ge- spannte oder schlaffe Bogen, offene oder geschlossene Köcher, um den Mo- ment vor, in und nach dem Kampfe zu bezeichnen, und And. Endlich führen wir Solches auf, was unmittelbarer zur Behandlung der Gestalt selbst gehört, hier aber nicht in seiner rein ästhetischen, sondern eben in der blos bezeichnenden Bedeutung. Manches davon fällt auch unter den Standpunct des Attributs, eine hier unvermeidliche Wiederholung. So könnte denn die Plastik nicht auskommen, wenn sie nicht durch Beschaffen- heit, Schnitt, Art der Umlegung oder auch Abwerfung des Gewands, durch Waffen und sonstige Ausstattung, beigelegten oder natürlichen Schmuck, wie z. B. die Behandlung der Haare und dergl., die Zeichen- sprache vervollständigte, mittelst welcher sie die mangelnden malerischen Mittel ersetzt. Chlamys zeigt kriegerische Beschäftigung an, Nacktheit des Manns den Athleten oder den zu energischer Thätigkeit gerüsteten Gott, des Weibes ursprünglich die Situation des Bades, tiefere Gürtung des weiblichen Chiton Amazonencharakter, Gürtellosigkeit Vorbereitung zum Tanz, Obergewand, dem Sitzenden auf die Hüften herabgefallen, bequeme Ruhe, fest umgenommenes Trauer oder ernste Sammlung, wie die vor dem Beginn einer Rede, u. s. w. Da die Griechen meistens die Statuen bemalten, so sprach auch die Farbe des Kleides symbolisch mit (Winkel- mann a. a. O. Bd. 3, S. 11 ff.). Aber auch diese Zeichensprache wurde noch einmal abbrevirt, so daß z. B. ein Helm die ganze Rüstung be- deutete. Am kurzgeschnittenen Haar erkennt man Epheben und Athleten, edler und ruhiger ordnen sich die löwenmähneartigen Locken des Zeus,
gewählt, um Ort, Situation, Act zu bezeichnen. In jene Gattung ge- hören die ſtellvertretenden Stücke eines Ganzen, die partes pro toto: eine Staude für Hain, Wald, Pfeiler für Haus, einzelner Stein für Ge- birge, aufgehängter Teppich für Wohnzimmer u. dgl. Solches tritt nament- lich im Relief auf und ſcheint dem Satze zu widerſprechen, daß hier die Fläche nicht als der zur künſtleriſchen Darſtellung mitgehörige Grund zu betrachten ſei; dieß iſt aber nur eine weitere Seite jenes berechtigten äſt- hetiſchen Widerſpruchs, den wir ſchon in der Farbe, im Poſtament, in der Beziehung der Statue zu wirklicher Umgebung gefunden haben (§. 608 Anm. u. 609, 1.): ein Fingerzeig, ein Schatten, leicht hereinwirkend und an den Grenzen des Prinzips, wonach alles Umgebende und Con- tinuirliche in der individuellen Geſtalt aufgegangen ſein ſoll, in leich- tem Spiele rüttelnd. Zur andern Gattung gehört z. B. die Phiale, um einen Opfer-Act, Knotenſtock, Syrinx, um Landleben, Palme, um Sieg, Oelzweig, um Hülfeflehen, Tänie, um hohe Ehre, Schattenhut, um Reiſe und Jagd, runde Mütze, Ruder, um Seefahrt, geſenkte Fackel, um den Tod, Kithar bei Apollo, um ihn als den muſiſchen, Seelenreinigenden, Bogen und Köcher, um ihn als den rächenden Gott, und wieder der ge- ſpannte oder ſchlaffe Bogen, offene oder geſchloſſene Köcher, um den Mo- ment vor, in und nach dem Kampfe zu bezeichnen, und And. Endlich führen wir Solches auf, was unmittelbarer zur Behandlung der Geſtalt ſelbſt gehört, hier aber nicht in ſeiner rein äſthetiſchen, ſondern eben in der blos bezeichnenden Bedeutung. Manches davon fällt auch unter den Standpunct des Attributs, eine hier unvermeidliche Wiederholung. So könnte denn die Plaſtik nicht auskommen, wenn ſie nicht durch Beſchaffen- heit, Schnitt, Art der Umlegung oder auch Abwerfung des Gewands, durch Waffen und ſonſtige Ausſtattung, beigelegten oder natürlichen Schmuck, wie z. B. die Behandlung der Haare und dergl., die Zeichen- ſprache vervollſtändigte, mittelſt welcher ſie die mangelnden maleriſchen Mittel erſetzt. Chlamys zeigt kriegeriſche Beſchäftigung an, Nacktheit des Manns den Athleten oder den zu energiſcher Thätigkeit gerüſteten Gott, des Weibes urſprünglich die Situation des Bades, tiefere Gürtung des weiblichen Chiton Amazonencharakter, Gürtelloſigkeit Vorbereitung zum Tanz, Obergewand, dem Sitzenden auf die Hüften herabgefallen, bequeme Ruhe, feſt umgenommenes Trauer oder ernſte Sammlung, wie die vor dem Beginn einer Rede, u. ſ. w. Da die Griechen meiſtens die Statuen bemalten, ſo ſprach auch die Farbe des Kleides ſymboliſch mit (Winkel- mann a. a. O. Bd. 3, S. 11 ff.). Aber auch dieſe Zeichenſprache wurde noch einmal abbrevirt, ſo daß z. B. ein Helm die ganze Rüſtung be- deutete. Am kurzgeſchnittenen Haar erkennt man Epheben und Athleten, edler und ruhiger ordnen ſich die löwenmähneartigen Locken des Zeus,
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gewählt, um Ort, Situation, Act zu bezeichnen. In jene Gattung ge-
hören die ſtellvertretenden Stücke eines Ganzen, die partes pro toto:
eine Staude für Hain, Wald, Pfeiler für Haus, einzelner Stein für Ge-
birge, aufgehängter Teppich für Wohnzimmer u. dgl. Solches tritt nament-
lich im Relief auf und ſcheint dem Satze zu widerſprechen, daß hier die
Fläche nicht als der zur künſtleriſchen Darſtellung mitgehörige Grund zu
betrachten ſei; dieß iſt aber nur eine weitere Seite jenes berechtigten äſt-
hetiſchen Widerſpruchs, den wir ſchon in der Farbe, im Poſtament, in
der Beziehung der Statue zu wirklicher Umgebung gefunden haben (§.
608 Anm. u. 609, 1.): ein Fingerzeig, ein Schatten, leicht hereinwirkend
und an den Grenzen des Prinzips, wonach alles Umgebende und Con-
tinuirliche in der individuellen Geſtalt aufgegangen ſein ſoll, in leich-
tem Spiele rüttelnd. Zur andern Gattung gehört z. B. die Phiale, um
einen Opfer-Act, Knotenſtock, Syrinx, um Landleben, Palme, um Sieg,
Oelzweig, um Hülfeflehen, Tänie, um hohe Ehre, Schattenhut, um Reiſe
und Jagd, runde Mütze, Ruder, um Seefahrt, geſenkte Fackel, um den
Tod, Kithar bei Apollo, um ihn als den muſiſchen, Seelenreinigenden,
Bogen und Köcher, um ihn als den rächenden Gott, und wieder der ge-
ſpannte oder ſchlaffe Bogen, offene oder geſchloſſene Köcher, um den Mo-
ment vor, in und nach dem Kampfe zu bezeichnen, und And. Endlich
führen wir Solches auf, was unmittelbarer zur Behandlung der Geſtalt
ſelbſt gehört, hier aber nicht in ſeiner rein äſthetiſchen, ſondern eben in
der blos bezeichnenden Bedeutung. Manches davon fällt auch unter den
Standpunct des Attributs, eine hier unvermeidliche Wiederholung. So
könnte denn die Plaſtik nicht auskommen, wenn ſie nicht durch Beſchaffen-
heit, Schnitt, Art der Umlegung oder auch Abwerfung des Gewands,
durch Waffen und ſonſtige Ausſtattung, beigelegten oder natürlichen
Schmuck, wie z. B. die Behandlung der Haare und dergl., die Zeichen-
ſprache vervollſtändigte, mittelſt welcher ſie die mangelnden maleriſchen
Mittel erſetzt. Chlamys zeigt kriegeriſche Beſchäftigung an, Nacktheit des
Manns den Athleten oder den zu energiſcher Thätigkeit gerüſteten Gott,
des Weibes urſprünglich die Situation des Bades, tiefere Gürtung des
weiblichen Chiton Amazonencharakter, Gürtelloſigkeit Vorbereitung zum
Tanz, Obergewand, dem Sitzenden auf die Hüften herabgefallen, bequeme
Ruhe, feſt umgenommenes Trauer oder ernſte Sammlung, wie die vor
dem Beginn einer Rede, u. ſ. w. Da die Griechen meiſtens die Statuen
bemalten, ſo ſprach auch die Farbe des Kleides ſymboliſch mit (Winkel-
mann a. a. O. Bd. 3, S. 11 ff.). Aber auch dieſe Zeichenſprache wurde
noch einmal abbrevirt, ſo daß z. B. ein Helm die ganze Rüſtung be-
deutete. Am kurzgeſchnittenen Haar erkennt man Epheben und Athleten,
edler und ruhiger ordnen ſich die löwenmähneartigen Locken des Zeus,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/71>, abgerufen am 30.07.2024.
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