die Grundlage bleibt. So dient nun jetzt eine Localgottheit, ein Genius, ein Gott für die wirkliche Darstellung einer ganzen Landschaft, Hain, Stadt u. s. w., ja die in Wasser sich auflösende Gestalt des Jupiter zeigt auf der Antonin-Säule den Eintritt erfrischenden Regens an. Es handelt sich aber nicht nur von der Scenerie im gewöhnlichen Sinne; auch eine Figuren-Menge soll durch Stellvertretung mit den wenigsten Mitteln ausgedrückt werden. Das Verhältniß kann sich hier verändern: die stellvertretenden Figuren können als die Hauptpersonen, ja als die einzigen auf einem ganzen Kunstwerk erscheinen; aber der Fall ist doch der besondere, daß die Stellvertretung hier ausdrücklicher ist, als in der mythischen Anschauung überhaupt und abgesehen von einer solchen einzelnen Kunstaufgabe. Es genügt nun z. B. Ares für das ganze Getüm- mel der Schlacht, in welchem sein Geist braust, oder einige Helden für die obscure Menge der übrigen Mithandelnden (vergl. dazu die wich- tige Auseinandersetzung zu §. 606): wenige Vorkämpfer fassen ein gan- zes Schlachtbild, wenige berathende Häupter eine ganze Versammlung in sich zusammen und gerne läßt sich die griechische Plastik an einer Drei- zahl von Figuren genügen (vergl. Winkelmann a. a. O. Bd. 2 S. 178). Nicht anders verhält es sich mit den symbolischen Hülfen, d. h. den nicht menschlichen, sondern thierischen, vegetabilischen, mechanischen Gebilden, welche Stand, Beschäftigung, Thätigkeit, Situation, Umgebung stellvertretend für die ausführliche directe Darstellung alles Umgebenden anzeigen. Ein Theil derselben ist nämlich im classischen Ideal eigentlich nicht mehr Sym- bol und noch nicht Allegorie: dieß sind diejenigen Hülfen, welche einer Person unmittelbar und bleibend beigegeben sind, d. h. die Attribute. Sie bestehen aus alten Symbolen, welche mit dem Fortschritt zum Mythischen in Fluß gekommen, in organischen Zusammenhang getreten sind und so die Be- deutung eines thierischen Begleiters, Gespielen, Dieners, einer Waffe, eines Werkzeugs, irgend eines Gegenstands, den man spielend hält, be- kommen haben, wie der Adler des Zeus, der Delphin der Aphrodite, die Schlange des Aeskulap, der Dreizack Neptuns, die Aehren der Demeter u. s. w., vergl. zu §. 434 und die vielen Beispiele in Otfr. Müllers Handb. d. Arch. d. Kunst §. 344. Im gegenwärtigen Zusammenhang aber erscheinen sie mehr allegorisch, d. h. sofern sie die wirkliche Darstellung des Hintergrundes, welcher zugleich die Naturbedeutung eines Gottes dar- stellt (Luftraum, Wasser, Meer u. s. w.), vertreten sollen, sind sie weniger Gegenstand lebendigen Glaubens, als eben andeutende Hülfen, wiewohl im Alterthum noch immer belebt durch das Ganze der mythischen An- schauung. Andere Anzeigungsmittel sind nun entweder getrennt von den dar- gestellten Personen oder, wenn ihnen näher beigesellt oder gar in die Hand gegeben, doch nicht stehende Zugabe, sondern für den einzelnen Fall
die Grundlage bleibt. So dient nun jetzt eine Localgottheit, ein Genius, ein Gott für die wirkliche Darſtellung einer ganzen Landſchaft, Hain, Stadt u. ſ. w., ja die in Waſſer ſich auflöſende Geſtalt des Jupiter zeigt auf der Antonin-Säule den Eintritt erfriſchenden Regens an. Es handelt ſich aber nicht nur von der Scenerie im gewöhnlichen Sinne; auch eine Figuren-Menge ſoll durch Stellvertretung mit den wenigſten Mitteln ausgedrückt werden. Das Verhältniß kann ſich hier verändern: die ſtellvertretenden Figuren können als die Hauptperſonen, ja als die einzigen auf einem ganzen Kunſtwerk erſcheinen; aber der Fall iſt doch der beſondere, daß die Stellvertretung hier ausdrücklicher iſt, als in der mythiſchen Anſchauung überhaupt und abgeſehen von einer ſolchen einzelnen Kunſtaufgabe. Es genügt nun z. B. Ares für das ganze Getüm- mel der Schlacht, in welchem ſein Geiſt braust, oder einige Helden für die obſcure Menge der übrigen Mithandelnden (vergl. dazu die wich- tige Auseinanderſetzung zu §. 606): wenige Vorkämpfer faſſen ein gan- zes Schlachtbild, wenige berathende Häupter eine ganze Verſammlung in ſich zuſammen und gerne läßt ſich die griechiſche Plaſtik an einer Drei- zahl von Figuren genügen (vergl. Winkelmann a. a. O. Bd. 2 S. 178). Nicht anders verhält es ſich mit den ſymboliſchen Hülfen, d. h. den nicht menſchlichen, ſondern thieriſchen, vegetabiliſchen, mechaniſchen Gebilden, welche Stand, Beſchäftigung, Thätigkeit, Situation, Umgebung ſtellvertretend für die ausführliche directe Darſtellung alles Umgebenden anzeigen. Ein Theil derſelben iſt nämlich im claſſiſchen Ideal eigentlich nicht mehr Sym- bol und noch nicht Allegorie: dieß ſind diejenigen Hülfen, welche einer Perſon unmittelbar und bleibend beigegeben ſind, d. h. die Attribute. Sie beſtehen aus alten Symbolen, welche mit dem Fortſchritt zum Mythiſchen in Fluß gekommen, in organiſchen Zuſammenhang getreten ſind und ſo die Be- deutung eines thieriſchen Begleiters, Geſpielen, Dieners, einer Waffe, eines Werkzeugs, irgend eines Gegenſtands, den man ſpielend hält, be- kommen haben, wie der Adler des Zeus, der Delphin der Aphrodite, die Schlange des Aeſkulap, der Dreizack Neptuns, die Aehren der Demeter u. ſ. w., vergl. zu §. 434 und die vielen Beiſpiele in Otfr. Müllers Handb. d. Arch. d. Kunſt §. 344. Im gegenwärtigen Zuſammenhang aber erſcheinen ſie mehr allegoriſch, d. h. ſofern ſie die wirkliche Darſtellung des Hintergrundes, welcher zugleich die Naturbedeutung eines Gottes dar- ſtellt (Luftraum, Waſſer, Meer u. ſ. w.), vertreten ſollen, ſind ſie weniger Gegenſtand lebendigen Glaubens, als eben andeutende Hülfen, wiewohl im Alterthum noch immer belebt durch das Ganze der mythiſchen An- ſchauung. Andere Anzeigungsmittel ſind nun entweder getrennt von den dar- geſtellten Perſonen oder, wenn ihnen näher beigeſellt oder gar in die Hand gegeben, doch nicht ſtehende Zugabe, ſondern für den einzelnen Fall
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die Grundlage bleibt. So dient nun jetzt eine Localgottheit, ein Genius,
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Stadt u. ſ. w., ja die in Waſſer ſich auflöſende Geſtalt des Jupiter
zeigt auf der Antonin-Säule den Eintritt erfriſchenden Regens an. Es
handelt ſich aber nicht nur von der Scenerie im gewöhnlichen Sinne;
auch eine Figuren-Menge ſoll durch Stellvertretung mit den wenigſten
Mitteln ausgedrückt werden. Das Verhältniß kann ſich hier verändern:
die ſtellvertretenden Figuren können als die Hauptperſonen, ja als die
einzigen auf einem ganzen Kunſtwerk erſcheinen; aber der Fall iſt
doch der beſondere, daß die Stellvertretung hier ausdrücklicher iſt, als in
der mythiſchen Anſchauung überhaupt und abgeſehen von einer ſolchen
einzelnen Kunſtaufgabe. Es genügt nun z. B. Ares für das ganze Getüm-
mel der Schlacht, in welchem ſein Geiſt braust, oder einige Helden
für die obſcure Menge der übrigen Mithandelnden (vergl. dazu die wich-
tige Auseinanderſetzung zu §. 606): wenige Vorkämpfer faſſen ein gan-
zes Schlachtbild, wenige berathende Häupter eine ganze Verſammlung in
ſich zuſammen und gerne läßt ſich die griechiſche Plaſtik an einer Drei-
zahl von Figuren genügen (vergl. Winkelmann a. a. O. Bd. 2 S. 178).
Nicht anders verhält es ſich mit den ſymboliſchen Hülfen, d. h. den nicht
menſchlichen, ſondern thieriſchen, vegetabiliſchen, mechaniſchen Gebilden,
welche Stand, Beſchäftigung, Thätigkeit, Situation, Umgebung ſtellvertretend
für die ausführliche directe Darſtellung alles Umgebenden anzeigen. Ein
Theil derſelben iſt nämlich im claſſiſchen Ideal eigentlich nicht mehr Sym-
bol und noch nicht Allegorie: dieß ſind diejenigen Hülfen, welche einer Perſon
unmittelbar und bleibend beigegeben ſind, d. h. die Attribute. Sie beſtehen
aus alten Symbolen, welche mit dem Fortſchritt zum Mythiſchen in Fluß
gekommen, in organiſchen Zuſammenhang getreten ſind und ſo die Be-
deutung eines thieriſchen Begleiters, Geſpielen, Dieners, einer Waffe,
eines Werkzeugs, irgend eines Gegenſtands, den man ſpielend hält, be-
kommen haben, wie der Adler des Zeus, der Delphin der Aphrodite, die
Schlange des Aeſkulap, der Dreizack Neptuns, die Aehren der Demeter
u. ſ. w., vergl. zu §. 434 und die vielen Beiſpiele in Otfr. Müllers
Handb. d. Arch. d. Kunſt §. 344. Im gegenwärtigen Zuſammenhang aber
erſcheinen ſie mehr allegoriſch, d. h. ſofern ſie die wirkliche Darſtellung
des Hintergrundes, welcher zugleich die Naturbedeutung eines Gottes dar-
ſtellt (Luftraum, Waſſer, Meer u. ſ. w.), vertreten ſollen, ſind ſie weniger
Gegenſtand lebendigen Glaubens, als eben andeutende Hülfen, wiewohl
im Alterthum noch immer belebt durch das Ganze der mythiſchen An-
ſchauung. Andere Anzeigungsmittel ſind nun entweder getrennt von den dar-
geſtellten Perſonen oder, wenn ihnen näher beigeſellt oder gar in die Hand
gegeben, doch nicht ſtehende Zugabe, ſondern für den einzelnen Fall
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/70>, abgerufen am 30.07.2024.
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