Tempel ein reicher Teppich, der eine bunte, wimmelnde Welt vor uns ausspannt; aber während Rumpf, Hand, Fuß lebt, Haltung und Bewe- gung auf das Feinste belauscht ist, ist der Gesichtsausdruck immer der gleiche; es ist Copie des Lebens ohne Idee, ohne das Gefühl, daß es der Nachbildung nur dann werth ist, wenn der Künstler seinen Vollge- halt in die einzelne Erscheinung zu legen weiß; ein reiches Genre ohne Geist. Viele Darstellungen sind geschichtlich, aber die Geschichte erhebt sich nicht zu ihrer Würde, sondern bleibt Chronik, bildlicher Ersatz für die Buchstabenschrift. Man hat in Aegypten noch neuerdings eine Menge ganz naturalistischer, überraschend charakteristischer Werke der Plastik auf- gefunden, wie man sie neben den conventionellen Götterbildern gar nicht für möglich halten sollte. Mit besonderem Verständniß und mit der naiv- sten Beobachtung sind bei Assyrern, Persern, Aegyptern namentlich auch die Thiere aufgefaßt. -- Nun aber äußert sich die Symbolik, wie sie auf halbem Wege zum Mythus stehen bleibt, im Götterbilde auch positiv als Häßlichkeit, vergl. §. 427 Anm. 2.: menschliche und thierische Organe werden verbunden, menschliche vervielfältigt, gerade das Menschlichste am Menschen, das Haupt, wird mit Vorliebe dem thierischen geopfert, wäh- rend der Grieche in den halbsymbolischen Wesen, die er beibehielt, nie das Haupt, nur untergeordnete Organe mit thierischen vertauschte. Die Fratze ist im Orient allgemeines Vorrecht des Gottes. -- Die Vergröße- rung über das natürliche Maaß haben wir in §. 609 als wohlbegründet im Wesen der Bildnerkunst, doch das eigentlich Colossale nur unter ge- wissen Bedingungen als berechtigt erkannt; der Orient, aus dem schon in §. 430, 2. ausgesprochenen Grunde, liebt die Colosse ohne besonderes, in der Aufstellung gegebenes Motiv und der quantitative Ausdruck für das qualitativ Bedeutendere (vergl. §. 626) tritt insbesondere in der Riesen- gestalt der Könige als geistlose Verwechslung der innern Würde mit blo- ßer Würde des Standes auf. Der Prunk statt wahrer Erhabenheit wirft sich theils auf die Darstellung, theils auf ihr Material. Bei den Göt- terbildern ist die erstere Form der äußern Pracht statt des Ausdrucks in- nern Adels schon dadurch motivirt, daß den fehlenden Ausdruck um so mehr äußere Zugaben der Bezeichnung ersetzen müssen: reicher Schmuck und Putz aller Art; wo die Götter meist nackt oder in engen Gewändern gebildet sind, in Aegypten, wenigstens reicher Kopfputz; bei den mensch- lichen Darstellungen ergibt sich dieß schon aus der Prachtliebe des orien- talischen Lebens. Die andere Form sucht absichtlich die Schwierigkeiten auf, welche hartes Urgestein, Basalt, Granit, Porphyr u. s. w. darbie- tet, prunkt mit dem Sieg und mit dem Stoff an sich, anderswo mit edlen Metallen, Goldblech über einem hölzernen Kern u. s. w. Erzguß dage- gen ist nicht ausgebildet. Wie der vorzügliche Beruf der symbolischen Phan-
Tempel ein reicher Teppich, der eine bunte, wimmelnde Welt vor uns ausſpannt; aber während Rumpf, Hand, Fuß lebt, Haltung und Bewe- gung auf das Feinſte belauſcht iſt, iſt der Geſichtsausdruck immer der gleiche; es iſt Copie des Lebens ohne Idee, ohne das Gefühl, daß es der Nachbildung nur dann werth iſt, wenn der Künſtler ſeinen Vollge- halt in die einzelne Erſcheinung zu legen weiß; ein reiches Genre ohne Geiſt. Viele Darſtellungen ſind geſchichtlich, aber die Geſchichte erhebt ſich nicht zu ihrer Würde, ſondern bleibt Chronik, bildlicher Erſatz für die Buchſtabenſchrift. Man hat in Aegypten noch neuerdings eine Menge ganz naturaliſtiſcher, überraſchend charakteriſtiſcher Werke der Plaſtik auf- gefunden, wie man ſie neben den conventionellen Götterbildern gar nicht für möglich halten ſollte. Mit beſonderem Verſtändniß und mit der naiv- ſten Beobachtung ſind bei Aſſyrern, Perſern, Aegyptern namentlich auch die Thiere aufgefaßt. — Nun aber äußert ſich die Symbolik, wie ſie auf halbem Wege zum Mythus ſtehen bleibt, im Götterbilde auch poſitiv als Häßlichkeit, vergl. §. 427 Anm. 2.: menſchliche und thieriſche Organe werden verbunden, menſchliche vervielfältigt, gerade das Menſchlichſte am Menſchen, das Haupt, wird mit Vorliebe dem thieriſchen geopfert, wäh- rend der Grieche in den halbſymboliſchen Weſen, die er beibehielt, nie das Haupt, nur untergeordnete Organe mit thieriſchen vertauſchte. Die Fratze iſt im Orient allgemeines Vorrecht des Gottes. — Die Vergröße- rung über das natürliche Maaß haben wir in §. 609 als wohlbegründet im Weſen der Bildnerkunſt, doch das eigentlich Coloſſale nur unter ge- wiſſen Bedingungen als berechtigt erkannt; der Orient, aus dem ſchon in §. 430, 2. ausgeſprochenen Grunde, liebt die Coloſſe ohne beſonderes, in der Aufſtellung gegebenes Motiv und der quantitative Ausdruck für das qualitativ Bedeutendere (vergl. §. 626) tritt insbeſondere in der Rieſen- geſtalt der Könige als geiſtloſe Verwechslung der innern Würde mit blo- ßer Würde des Standes auf. Der Prunk ſtatt wahrer Erhabenheit wirft ſich theils auf die Darſtellung, theils auf ihr Material. Bei den Göt- terbildern iſt die erſtere Form der äußern Pracht ſtatt des Ausdrucks in- nern Adels ſchon dadurch motivirt, daß den fehlenden Ausdruck um ſo mehr äußere Zugaben der Bezeichnung erſetzen müſſen: reicher Schmuck und Putz aller Art; wo die Götter meiſt nackt oder in engen Gewändern gebildet ſind, in Aegypten, wenigſtens reicher Kopfputz; bei den menſch- lichen Darſtellungen ergibt ſich dieß ſchon aus der Prachtliebe des orien- taliſchen Lebens. Die andere Form ſucht abſichtlich die Schwierigkeiten auf, welche hartes Urgeſtein, Baſalt, Granit, Porphyr u. ſ. w. darbie- tet, prunkt mit dem Sieg und mit dem Stoff an ſich, anderswo mit edlen Metallen, Goldblech über einem hölzernen Kern u. ſ. w. Erzguß dage- gen iſt nicht ausgebildet. Wie der vorzügliche Beruf der ſymboliſchen Phan-
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ausſpannt; aber während Rumpf, Hand, Fuß lebt, Haltung und Bewe-
gung auf das Feinſte belauſcht iſt, iſt der Geſichtsausdruck immer der
gleiche; es iſt Copie des Lebens ohne Idee, ohne das Gefühl, daß es
der Nachbildung nur dann werth iſt, wenn der Künſtler ſeinen Vollge-
halt in die einzelne Erſcheinung zu legen weiß; ein reiches Genre ohne
Geiſt. Viele Darſtellungen ſind geſchichtlich, aber die Geſchichte erhebt
ſich nicht zu ihrer Würde, ſondern bleibt Chronik, bildlicher Erſatz für
die Buchſtabenſchrift. Man hat in Aegypten noch neuerdings eine Menge
ganz naturaliſtiſcher, überraſchend charakteriſtiſcher Werke der Plaſtik auf-
gefunden, wie man ſie neben den conventionellen Götterbildern gar nicht
für möglich halten ſollte. Mit beſonderem Verſtändniß und mit der naiv-
ſten Beobachtung ſind bei Aſſyrern, Perſern, Aegyptern namentlich auch
die Thiere aufgefaßt. — Nun aber äußert ſich die Symbolik, wie ſie auf
halbem Wege zum Mythus ſtehen bleibt, im Götterbilde auch poſitiv als
Häßlichkeit, vergl. §. 427 Anm. 2.: menſchliche und thieriſche Organe
werden verbunden, menſchliche vervielfältigt, gerade das Menſchlichſte am
Menſchen, das Haupt, wird mit Vorliebe dem thieriſchen geopfert, wäh-
rend der Grieche in den halbſymboliſchen Weſen, die er beibehielt, nie
das Haupt, nur untergeordnete Organe mit thieriſchen vertauſchte. Die
Fratze iſt im Orient allgemeines Vorrecht des Gottes. — Die Vergröße-
rung über das natürliche Maaß haben wir in §. 609 als wohlbegründet
im Weſen der Bildnerkunſt, doch das eigentlich Coloſſale nur unter ge-
wiſſen Bedingungen als berechtigt erkannt; der Orient, aus dem ſchon in
§. 430, 2. ausgeſprochenen Grunde, liebt die Coloſſe ohne beſonderes, in
der Aufſtellung gegebenes Motiv und der quantitative Ausdruck für das
qualitativ Bedeutendere (vergl. §. 626) tritt insbeſondere in der Rieſen-
geſtalt der Könige als geiſtloſe Verwechslung der innern Würde mit blo-
ßer Würde des Standes auf. Der Prunk ſtatt wahrer Erhabenheit wirft
ſich theils auf die Darſtellung, theils auf ihr Material. Bei den Göt-
terbildern iſt die erſtere Form der äußern Pracht ſtatt des Ausdrucks in-
nern Adels ſchon dadurch motivirt, daß den fehlenden Ausdruck um ſo
mehr äußere Zugaben der Bezeichnung erſetzen müſſen: reicher Schmuck
und Putz aller Art; wo die Götter meiſt nackt oder in engen Gewändern
gebildet ſind, in Aegypten, wenigſtens reicher Kopfputz; bei den menſch-
lichen Darſtellungen ergibt ſich dieß ſchon aus der Prachtliebe des orien-
taliſchen Lebens. Die andere Form ſucht abſichtlich die Schwierigkeiten
auf, welche hartes Urgeſtein, Baſalt, Granit, Porphyr u. ſ. w. darbie-
tet, prunkt mit dem Sieg und mit dem Stoff an ſich, anderswo mit edlen
Metallen, Goldblech über einem hölzernen Kern u. ſ. w. Erzguß dage-
gen iſt nicht ausgebildet. Wie der vorzügliche Beruf der ſymboliſchen Phan-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/145>, abgerufen am 30.07.2024.
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