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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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hätte der Bau wie ein Baum, eine Blume durch innere Säftegährung
sich selbst gebildet und gebaut, schlägt sich sein inneres Geheimniß als
warmes Pigment auf der Oberfläche nieder. Es ist an sich kein nöthigender
Grund vorhanden, diesen Niederschlag auf die Stellen, an welchen das
innere Leben empfindungsvoller hervortritt, auf Glieder und Ornamente
zu beschränken; die Hauptflächen sind ja Momente der Gesammtgliederung,
also in die allgemeine Bewegung hineingezogen, sie müssen ihr, obwohl
weniger offenbares Leben, das an jenen Puncten nur stimmungsreicher her-
vorblüht, selbst auch in der Farbe aussprechen dürfen. Daraus ergibt sich
zunächst als einziges Gesetz, daß die Farbe dieses Leben nicht verdecke,
sondern hervorhebe, daß also die Glieder und Ornamente lebhafter, die
Hauptmassen nach dem Umfang ihrer Flächen einfacher, bescheidener, mit
gedämpften Tönen bemalt seien und daß die theilenden Felder, Linien-
züge u. s. w., womit die Malerei die Einförmigkeit der großen Flächen
bricht, ihren natürlichen Gliederungstheilen entsprechen. Allein es
kommt nun ein weiteres Moment in Betracht, das, zunächst äußerlich,
doch auf das Grundwesen der Baukunst zurückführt und allerdings eine
beschränkende Bestimmung mit sich bringt. Der Farbenauftrag kann den
Zerstörungen des Wetters nicht so dauernd widerstehen, wie die feste
Form; diese sind zwar geringer im glücklichen Himmelsstrich, doch müssen
wir auch an den griechischen Tempeln jetzt mühsam die Farbenspuren zu-
sammensuchen, im nordischen Klima aber sind sie so stark, daß die Farben
in der kürzesten Zeit verschwinden. Nun ist aber die Baukunst nicht nur
weil sie eben einmal das festeste Werk hinstellt, sondern an sich ihrem
ganzen Geiste nach dauernd, monumental; daher steht ein an sich ästhetisch
noch so wohl begründeter Anflug von höchst vergänglicher Natur mit ihrem
Wesen in Widerspruch und was an sich aus obigen innern Gründen wohl
zulässig wäre, unterliegt aus weiteren, physischen Gründen, die aber auch
zu innern Gründen werden, einer wesentlichen Einschränkung. Dieß trifft
auch die griechische Baukunst, deren Farben durch die Gunst des Klima's
nur relativ länger aushielten; der Süden kann weiter gehen in der Poly-
chromie, als der Norden, aber er ist zu weit gegangen und zwar auch
dann, als die anfangs nur aufgemalten "Ornamentschemata plastisch aus-
gesprochen wurden" (Bötticher a. a. O. Einl. S. 18), denn auch das
plastisch profilirte Ornament wurde noch überdieß bemalt und ebenso die
Hauptflächen immer wenigstens mit einem Farbenton überzogen. Hätten
die Griechen gewußt, daß einst ihre Tempel in der Naturfarbe des Ma-
terials dastehen werden und daß die spät nachfolgenden Geschlechter so
schwer sich entschließen können, zu glauben, daß der herrliche Marmor
einst über und über bemalt gewesen, so hätten sie wohl strenger den
Farbenschmuck auf die geschütztesten Stellen beschränkt. Diese Beschränkung

hätte der Bau wie ein Baum, eine Blume durch innere Säftegährung
ſich ſelbſt gebildet und gebaut, ſchlägt ſich ſein inneres Geheimniß als
warmes Pigment auf der Oberfläche nieder. Es iſt an ſich kein nöthigender
Grund vorhanden, dieſen Niederſchlag auf die Stellen, an welchen das
innere Leben empfindungsvoller hervortritt, auf Glieder und Ornamente
zu beſchränken; die Hauptflächen ſind ja Momente der Geſammtgliederung,
alſo in die allgemeine Bewegung hineingezogen, ſie müſſen ihr, obwohl
weniger offenbares Leben, das an jenen Puncten nur ſtimmungsreicher her-
vorblüht, ſelbſt auch in der Farbe ausſprechen dürfen. Daraus ergibt ſich
zunächſt als einziges Geſetz, daß die Farbe dieſes Leben nicht verdecke,
ſondern hervorhebe, daß alſo die Glieder und Ornamente lebhafter, die
Hauptmaſſen nach dem Umfang ihrer Flächen einfacher, beſcheidener, mit
gedämpften Tönen bemalt ſeien und daß die theilenden Felder, Linien-
züge u. ſ. w., womit die Malerei die Einförmigkeit der großen Flächen
bricht, ihren natürlichen Gliederungstheilen entſprechen. Allein es
kommt nun ein weiteres Moment in Betracht, das, zunächſt äußerlich,
doch auf das Grundweſen der Baukunſt zurückführt und allerdings eine
beſchränkende Beſtimmung mit ſich bringt. Der Farbenauftrag kann den
Zerſtörungen des Wetters nicht ſo dauernd widerſtehen, wie die feſte
Form; dieſe ſind zwar geringer im glücklichen Himmelsſtrich, doch müſſen
wir auch an den griechiſchen Tempeln jetzt mühſam die Farbenſpuren zu-
ſammenſuchen, im nordiſchen Klima aber ſind ſie ſo ſtark, daß die Farben
in der kürzeſten Zeit verſchwinden. Nun iſt aber die Baukunſt nicht nur
weil ſie eben einmal das feſteſte Werk hinſtellt, ſondern an ſich ihrem
ganzen Geiſte nach dauernd, monumental; daher ſteht ein an ſich äſthetiſch
noch ſo wohl begründeter Anflug von höchſt vergänglicher Natur mit ihrem
Weſen in Widerſpruch und was an ſich aus obigen innern Gründen wohl
zuläſſig wäre, unterliegt aus weiteren, phyſiſchen Gründen, die aber auch
zu innern Gründen werden, einer weſentlichen Einſchränkung. Dieß trifft
auch die griechiſche Baukunſt, deren Farben durch die Gunſt des Klima’s
nur relativ länger aushielten; der Süden kann weiter gehen in der Poly-
chromie, als der Norden, aber er iſt zu weit gegangen und zwar auch
dann, als die anfangs nur aufgemalten „Ornamentſchemata plaſtiſch aus-
geſprochen wurden“ (Bötticher a. a. O. Einl. S. 18), denn auch das
plaſtiſch profilirte Ornament wurde noch überdieß bemalt und ebenſo die
Hauptflächen immer wenigſtens mit einem Farbenton überzogen. Hätten
die Griechen gewußt, daß einſt ihre Tempel in der Naturfarbe des Ma-
terials daſtehen werden und daß die ſpät nachfolgenden Geſchlechter ſo
ſchwer ſich entſchließen können, zu glauben, daß der herrliche Marmor
einſt über und über bemalt geweſen, ſo hätten ſie wohl ſtrenger den
Farbenſchmuck auf die geſchützteſten Stellen beſchränkt. Dieſe Beſchränkung

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[249/0089] hätte der Bau wie ein Baum, eine Blume durch innere Säftegährung ſich ſelbſt gebildet und gebaut, ſchlägt ſich ſein inneres Geheimniß als warmes Pigment auf der Oberfläche nieder. Es iſt an ſich kein nöthigender Grund vorhanden, dieſen Niederſchlag auf die Stellen, an welchen das innere Leben empfindungsvoller hervortritt, auf Glieder und Ornamente zu beſchränken; die Hauptflächen ſind ja Momente der Geſammtgliederung, alſo in die allgemeine Bewegung hineingezogen, ſie müſſen ihr, obwohl weniger offenbares Leben, das an jenen Puncten nur ſtimmungsreicher her- vorblüht, ſelbſt auch in der Farbe ausſprechen dürfen. Daraus ergibt ſich zunächſt als einziges Geſetz, daß die Farbe dieſes Leben nicht verdecke, ſondern hervorhebe, daß alſo die Glieder und Ornamente lebhafter, die Hauptmaſſen nach dem Umfang ihrer Flächen einfacher, beſcheidener, mit gedämpften Tönen bemalt ſeien und daß die theilenden Felder, Linien- züge u. ſ. w., womit die Malerei die Einförmigkeit der großen Flächen bricht, ihren natürlichen Gliederungstheilen entſprechen. Allein es kommt nun ein weiteres Moment in Betracht, das, zunächſt äußerlich, doch auf das Grundweſen der Baukunſt zurückführt und allerdings eine beſchränkende Beſtimmung mit ſich bringt. Der Farbenauftrag kann den Zerſtörungen des Wetters nicht ſo dauernd widerſtehen, wie die feſte Form; dieſe ſind zwar geringer im glücklichen Himmelsſtrich, doch müſſen wir auch an den griechiſchen Tempeln jetzt mühſam die Farbenſpuren zu- ſammenſuchen, im nordiſchen Klima aber ſind ſie ſo ſtark, daß die Farben in der kürzeſten Zeit verſchwinden. Nun iſt aber die Baukunſt nicht nur weil ſie eben einmal das feſteſte Werk hinſtellt, ſondern an ſich ihrem ganzen Geiſte nach dauernd, monumental; daher ſteht ein an ſich äſthetiſch noch ſo wohl begründeter Anflug von höchſt vergänglicher Natur mit ihrem Weſen in Widerſpruch und was an ſich aus obigen innern Gründen wohl zuläſſig wäre, unterliegt aus weiteren, phyſiſchen Gründen, die aber auch zu innern Gründen werden, einer weſentlichen Einſchränkung. Dieß trifft auch die griechiſche Baukunſt, deren Farben durch die Gunſt des Klima’s nur relativ länger aushielten; der Süden kann weiter gehen in der Poly- chromie, als der Norden, aber er iſt zu weit gegangen und zwar auch dann, als die anfangs nur aufgemalten „Ornamentſchemata plaſtiſch aus- geſprochen wurden“ (Bötticher a. a. O. Einl. S. 18), denn auch das plaſtiſch profilirte Ornament wurde noch überdieß bemalt und ebenſo die Hauptflächen immer wenigſtens mit einem Farbenton überzogen. Hätten die Griechen gewußt, daß einſt ihre Tempel in der Naturfarbe des Ma- terials daſtehen werden und daß die ſpät nachfolgenden Geſchlechter ſo ſchwer ſich entſchließen können, zu glauben, daß der herrliche Marmor einſt über und über bemalt geweſen, ſo hätten ſie wohl ſtrenger den Farbenſchmuck auf die geſchützteſten Stellen beſchränkt. Dieſe Beſchränkung

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/89>, abgerufen am 25.11.2024.