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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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nöthig ist, geradezu hervorhebt, wenn er sich bescheidet, einen ländlich-
patriarchalischen Charakter zu entwickeln, so erfreut er durch seine primitive
Stimmung, seine Ursprünglichkeit, und zwar nicht nur im eigentlichen
Gebiete der ländlichen Baukunst, worin er allerdings einen alterthümlich
gemüthlichen Styl besonders im deutschen Hochgebirg und in der Schweiz
entwickelt hat, nicht nur in Structuren tüchtiger Gemeinnützlichkeit, wie
Eisenbahnschuppen und Anderes, nicht nur im Innern monumentaler Ge-
bäude, wie denn der offene Dachstuhl der Basilika so entsprechend dem
Sinne eines Urbaus ehrwürdig einfacher Religion wirkt, sondern auch
fortwährend und jederzeit in größeren Werken der politischen und reli-
giösen Baukunst sowohl, als im stattlichen Wohnhaus. Da erinnert man
sich, daß das Bauernleben, dem der Holzstyl besonders angemessen ist,
die ursprüngliche Form begründeten menschlichen Zusammenlebens ist, das
Einfache, Urgerüstartige, worin alles streng Constructive als solches her-
vortritt, erhält höhere, poetische Bedeutung. Nun, diese Bescheidung vor-
ausgesetzt, kommen erst die positiven Vortheile in Betracht. Man kann
jeden Raum überspannen und bei sehr ausgedehntem Umfang durch Hänge-
werk dennoch die Stütze entbehrlich machen, concentrische Ueberspannung
runder Gebäude, die dem Steinbalkenbau eigentlich widerspricht, ist da-
durch dem Holze noch natürlich, man kann mit verbundenen Bohlen,
deren Seitenschub ein Durchzug auffängt, rundbogig und spitzbogig wöl-
ben, man kann endlich Kuppeln herstellen. Und nun ist noch der große
Vortheil der leichten Schnitzung des Holzes zu erwägen, wodurch nicht
nur dieselbe Welt von Gliedern, die sich im Steinbau ausgebildet, sich
kräftig in ihm ausdrücken läßt, sondern wodurch dieses Material zugleich
das Motiv für die reichste ornamentistische Erfindung in sich enthält. Die
Zierlichkeit, die damit gegeben ist, widerspricht dem Charakter der das
Grundgerüste bloslegenden Ursprünglichkeit nicht; aber wo sie für sich
mit Verkennung des structiv Ausdrucksvollen, was in dem letzteren liegt,
spielend verfolgt wird, führt sie freilich in das Leere und Kindische. Die
nachdrücklich leitende Hand eines daneben entwickelten Steinbaus ist aber
bei glücklicher Ausbildung des Holzbaus immer vorausgesetzt; fehlt ihm
diese Anlehnung, so bleibt er bei den Motiven des Zeltes stehen, wie der
dünne Stangenbau der Chinesen mit den ausgeschweiften Dächern und
phantastischen Verzierungen. -- Das ächt monumentale Material ist aber
der gewachsene Stein. Dieser verhärtete Niederschlag der großen Erd-
Revolutionen, der an sich schon das feste Gerüste der Erde darstellt, hat
die nöthige Dauer und Tragkraft, um das ideale Abbild des Grundbaus
der Erde dauernd in ihm auszuführen, er enthält jenes Verhältniß zwi-
schen Kraft und Masse, wodurch dem Auge die großen Functionen der
structiven Theile überzeugend entgegentreten, und bietet sich ebensosehr zur

nöthig iſt, geradezu hervorhebt, wenn er ſich beſcheidet, einen ländlich-
patriarchaliſchen Charakter zu entwickeln, ſo erfreut er durch ſeine primitive
Stimmung, ſeine Urſprünglichkeit, und zwar nicht nur im eigentlichen
Gebiete der ländlichen Baukunſt, worin er allerdings einen alterthümlich
gemüthlichen Styl beſonders im deutſchen Hochgebirg und in der Schweiz
entwickelt hat, nicht nur in Structuren tüchtiger Gemeinnützlichkeit, wie
Eiſenbahnſchuppen und Anderes, nicht nur im Innern monumentaler Ge-
bäude, wie denn der offene Dachſtuhl der Baſilika ſo entſprechend dem
Sinne eines Urbaus ehrwürdig einfacher Religion wirkt, ſondern auch
fortwährend und jederzeit in größeren Werken der politiſchen und reli-
giöſen Baukunſt ſowohl, als im ſtattlichen Wohnhaus. Da erinnert man
ſich, daß das Bauernleben, dem der Holzſtyl beſonders angemeſſen iſt,
die urſprüngliche Form begründeten menſchlichen Zuſammenlebens iſt, das
Einfache, Urgerüſtartige, worin alles ſtreng Conſtructive als ſolches her-
vortritt, erhält höhere, poetiſche Bedeutung. Nun, dieſe Beſcheidung vor-
ausgeſetzt, kommen erſt die poſitiven Vortheile in Betracht. Man kann
jeden Raum überſpannen und bei ſehr ausgedehntem Umfang durch Hänge-
werk dennoch die Stütze entbehrlich machen, concentriſche Ueberſpannung
runder Gebäude, die dem Steinbalkenbau eigentlich widerſpricht, iſt da-
durch dem Holze noch natürlich, man kann mit verbundenen Bohlen,
deren Seitenſchub ein Durchzug auffängt, rundbogig und ſpitzbogig wöl-
ben, man kann endlich Kuppeln herſtellen. Und nun iſt noch der große
Vortheil der leichten Schnitzung des Holzes zu erwägen, wodurch nicht
nur dieſelbe Welt von Gliedern, die ſich im Steinbau ausgebildet, ſich
kräftig in ihm ausdrücken läßt, ſondern wodurch dieſes Material zugleich
das Motiv für die reichſte ornamentiſtiſche Erfindung in ſich enthält. Die
Zierlichkeit, die damit gegeben iſt, widerſpricht dem Charakter der das
Grundgerüſte bloslegenden Urſprünglichkeit nicht; aber wo ſie für ſich
mit Verkennung des ſtructiv Ausdrucksvollen, was in dem letzteren liegt,
ſpielend verfolgt wird, führt ſie freilich in das Leere und Kindiſche. Die
nachdrücklich leitende Hand eines daneben entwickelten Steinbaus iſt aber
bei glücklicher Ausbildung des Holzbaus immer vorausgeſetzt; fehlt ihm
dieſe Anlehnung, ſo bleibt er bei den Motiven des Zeltes ſtehen, wie der
dünne Stangenbau der Chineſen mit den ausgeſchweiften Dächern und
phantaſtiſchen Verzierungen. — Das ächt monumentale Material iſt aber
der gewachſene Stein. Dieſer verhärtete Niederſchlag der großen Erd-
Revolutionen, der an ſich ſchon das feſte Gerüſte der Erde darſtellt, hat
die nöthige Dauer und Tragkraft, um das ideale Abbild des Grundbaus
der Erde dauernd in ihm auszuführen, er enthält jenes Verhältniß zwi-
ſchen Kraft und Maſſe, wodurch dem Auge die großen Functionen der
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[211/0051] nöthig iſt, geradezu hervorhebt, wenn er ſich beſcheidet, einen ländlich- patriarchaliſchen Charakter zu entwickeln, ſo erfreut er durch ſeine primitive Stimmung, ſeine Urſprünglichkeit, und zwar nicht nur im eigentlichen Gebiete der ländlichen Baukunſt, worin er allerdings einen alterthümlich gemüthlichen Styl beſonders im deutſchen Hochgebirg und in der Schweiz entwickelt hat, nicht nur in Structuren tüchtiger Gemeinnützlichkeit, wie Eiſenbahnſchuppen und Anderes, nicht nur im Innern monumentaler Ge- bäude, wie denn der offene Dachſtuhl der Baſilika ſo entſprechend dem Sinne eines Urbaus ehrwürdig einfacher Religion wirkt, ſondern auch fortwährend und jederzeit in größeren Werken der politiſchen und reli- giöſen Baukunſt ſowohl, als im ſtattlichen Wohnhaus. Da erinnert man ſich, daß das Bauernleben, dem der Holzſtyl beſonders angemeſſen iſt, die urſprüngliche Form begründeten menſchlichen Zuſammenlebens iſt, das Einfache, Urgerüſtartige, worin alles ſtreng Conſtructive als ſolches her- vortritt, erhält höhere, poetiſche Bedeutung. Nun, dieſe Beſcheidung vor- ausgeſetzt, kommen erſt die poſitiven Vortheile in Betracht. Man kann jeden Raum überſpannen und bei ſehr ausgedehntem Umfang durch Hänge- werk dennoch die Stütze entbehrlich machen, concentriſche Ueberſpannung runder Gebäude, die dem Steinbalkenbau eigentlich widerſpricht, iſt da- durch dem Holze noch natürlich, man kann mit verbundenen Bohlen, deren Seitenſchub ein Durchzug auffängt, rundbogig und ſpitzbogig wöl- ben, man kann endlich Kuppeln herſtellen. Und nun iſt noch der große Vortheil der leichten Schnitzung des Holzes zu erwägen, wodurch nicht nur dieſelbe Welt von Gliedern, die ſich im Steinbau ausgebildet, ſich kräftig in ihm ausdrücken läßt, ſondern wodurch dieſes Material zugleich das Motiv für die reichſte ornamentiſtiſche Erfindung in ſich enthält. Die Zierlichkeit, die damit gegeben iſt, widerſpricht dem Charakter der das Grundgerüſte bloslegenden Urſprünglichkeit nicht; aber wo ſie für ſich mit Verkennung des ſtructiv Ausdrucksvollen, was in dem letzteren liegt, ſpielend verfolgt wird, führt ſie freilich in das Leere und Kindiſche. Die nachdrücklich leitende Hand eines daneben entwickelten Steinbaus iſt aber bei glücklicher Ausbildung des Holzbaus immer vorausgeſetzt; fehlt ihm dieſe Anlehnung, ſo bleibt er bei den Motiven des Zeltes ſtehen, wie der dünne Stangenbau der Chineſen mit den ausgeſchweiften Dächern und phantaſtiſchen Verzierungen. — Das ächt monumentale Material iſt aber der gewachſene Stein. Dieſer verhärtete Niederſchlag der großen Erd- Revolutionen, der an ſich ſchon das feſte Gerüſte der Erde darſtellt, hat die nöthige Dauer und Tragkraft, um das ideale Abbild des Grundbaus der Erde dauernd in ihm auszuführen, er enthält jenes Verhältniß zwi- ſchen Kraft und Maſſe, wodurch dem Auge die großen Functionen der ſtructiven Theile überzeugend entgegentreten, und bietet ſich ebenſoſehr zur

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/51>, abgerufen am 28.04.2024.