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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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Das ist nun aber wirklich geschehen in jenen Grab- und Tempelhäusern,
die auf der Höhe der Teocalli, auf dem Denkmal des Cyrus stehen und
wohl auch auf den assyrischen Thürmen standen. Auf diesem Puncte
werden wir die Sache bei den Griechen wieder auffassen. -- Uebrigens
hat sich auch der pyramidale Bau als Grabdenkmal bei allen alten
Völkern erhalten, wie der Höhlenbau. Bei den Griechen und Römern
gliedern sich die so gestalteten Grabmäler wieder stufenförmig, gehen
aber im Grundriß auf die Kegelform zurück, d. h. sie sind rund; man
denke an die Gruppe abgestumpfter Kegel in Albano (Monument der
Curiatier), an das Grabmal Augusts und Hadrians in Rom, des He-
phästion in Babylon, das Mausoleum in Halikarnaß.

§. 582.

1.

Der ägyptische Geist bewährt sich als streng messender (vergl. §. 432),
indem er die widerstandslos in die Höhe strebende Form in einen fest an der
Erde gelagerten Langbau (§. 565) umwandelt, in welchem zugleich durch die
Gestalt der Säule und des Gebälks ein organisches Verhältniß zwischen
Kraft und Last einzutreten beginnt, der aber dadurch einseitiger Langbau
ist, daß in dem platten Dache der zusammenfassende Abschluß der schrägen
Linie ausbleibt, welche dafür als pyramidaler Nachklang in der Richtung der
2.Mauern auftritt. Auch die Glieder werden einfach und klar. Indem dieser
Bau die Gemeinde in seine vorbereitenden, Mauer-umschlossenen Theile, aber
nicht in sein Innerstes, das Heiligthum des verborgenen Gottes, aufnimmt,
erscheint er als unentschiedener Außenbau. Jene Theile: Sphinx-Alleen
mit Vorthoren, große Portale mit Flügelgebäuden, vielsäulige Vorhallen, weitere
Vorräume, in's Unbestimmte wiederholbar und dehnbar und dadurch allerdings
Ausdruck des fortdauernden Ungemessenen im Gemessenen, stehen in solchem
Mißverhältniß zu der kleinen und dunkeln Tempelzelle, daß der Grundcharakter
des Ganzen der des Empfangens, der Annäherung, der unbefriedigten Er-
wartung
ist.

1. Im ägyptischen Tempel ist der thurmartige Hochbau völlig nieder-
geschlagen und zu der beruhigenden Form des klaren Oblongums, das
sich bestimmt an den festen Boden der Erde hinlegt, umgewandelt. Dieses
Oblongum ist allerdings nicht im eigentlichen Tempelhaus zu suchen, son-
dern in einer Anreihung verschiedener Räume, die zum zweiten Theile
des §. näher zu erläutern ist. Verschwunden sind aber nicht nur die ge-
häuften Terrassen-Würfel, in welchen der assyrisch-persische Bau sich erhob,
sondern auch die Zusammenneigung zweier schrägen Linien zu einer Spitze,

Das iſt nun aber wirklich geſchehen in jenen Grab- und Tempelhäuſern,
die auf der Höhe der Teocalli, auf dem Denkmal des Cyrus ſtehen und
wohl auch auf den aſſyriſchen Thürmen ſtanden. Auf dieſem Puncte
werden wir die Sache bei den Griechen wieder auffaſſen. — Uebrigens
hat ſich auch der pyramidale Bau als Grabdenkmal bei allen alten
Völkern erhalten, wie der Höhlenbau. Bei den Griechen und Römern
gliedern ſich die ſo geſtalteten Grabmäler wieder ſtufenförmig, gehen
aber im Grundriß auf die Kegelform zurück, d. h. ſie ſind rund; man
denke an die Gruppe abgeſtumpfter Kegel in Albano (Monument der
Curiatier), an das Grabmal Auguſts und Hadrians in Rom, des He-
phäſtion in Babylon, das Mauſoleum in Halikarnaß.

§. 582.

1.

Der ägyptiſche Geiſt bewährt ſich als ſtreng meſſender (vergl. §. 432),
indem er die widerſtandslos in die Höhe ſtrebende Form in einen feſt an der
Erde gelagerten Langbau (§. 565) umwandelt, in welchem zugleich durch die
Geſtalt der Säule und des Gebälks ein organiſches Verhältniß zwiſchen
Kraft und Laſt einzutreten beginnt, der aber dadurch einſeitiger Langbau
iſt, daß in dem platten Dache der zuſammenfaſſende Abſchluß der ſchrägen
Linie ausbleibt, welche dafür als pyramidaler Nachklang in der Richtung der
2.Mauern auftritt. Auch die Glieder werden einfach und klar. Indem dieſer
Bau die Gemeinde in ſeine vorbereitenden, Mauer-umſchloſſenen Theile, aber
nicht in ſein Innerſtes, das Heiligthum des verborgenen Gottes, aufnimmt,
erſcheint er als unentſchiedener Außenbau. Jene Theile: Sphinx-Alleen
mit Vorthoren, große Portale mit Flügelgebäuden, vielſäulige Vorhallen, weitere
Vorräume, in’s Unbeſtimmte wiederholbar und dehnbar und dadurch allerdings
Ausdruck des fortdauernden Ungemeſſenen im Gemeſſenen, ſtehen in ſolchem
Mißverhältniß zu der kleinen und dunkeln Tempelzelle, daß der Grundcharakter
des Ganzen der des Empfangens, der Annäherung, der unbefriedigten Er-
wartung
iſt.

1. Im ägyptiſchen Tempel iſt der thurmartige Hochbau völlig nieder-
geſchlagen und zu der beruhigenden Form des klaren Oblongums, das
ſich beſtimmt an den feſten Boden der Erde hinlegt, umgewandelt. Dieſes
Oblongum iſt allerdings nicht im eigentlichen Tempelhaus zu ſuchen, ſon-
dern in einer Anreihung verſchiedener Räume, die zum zweiten Theile
des §. näher zu erläutern iſt. Verſchwunden ſind aber nicht nur die ge-
häuften Terraſſen-Würfel, in welchen der aſſyriſch-perſiſche Bau ſich erhob,
ſondern auch die Zuſammenneigung zweier ſchrägen Linien zu einer Spitze,

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[280/0120] Das iſt nun aber wirklich geſchehen in jenen Grab- und Tempelhäuſern, die auf der Höhe der Teocalli, auf dem Denkmal des Cyrus ſtehen und wohl auch auf den aſſyriſchen Thürmen ſtanden. Auf dieſem Puncte werden wir die Sache bei den Griechen wieder auffaſſen. — Uebrigens hat ſich auch der pyramidale Bau als Grabdenkmal bei allen alten Völkern erhalten, wie der Höhlenbau. Bei den Griechen und Römern gliedern ſich die ſo geſtalteten Grabmäler wieder ſtufenförmig, gehen aber im Grundriß auf die Kegelform zurück, d. h. ſie ſind rund; man denke an die Gruppe abgeſtumpfter Kegel in Albano (Monument der Curiatier), an das Grabmal Auguſts und Hadrians in Rom, des He- phäſtion in Babylon, das Mauſoleum in Halikarnaß. §. 582. Der ägyptiſche Geiſt bewährt ſich als ſtreng meſſender (vergl. §. 432), indem er die widerſtandslos in die Höhe ſtrebende Form in einen feſt an der Erde gelagerten Langbau (§. 565) umwandelt, in welchem zugleich durch die Geſtalt der Säule und des Gebälks ein organiſches Verhältniß zwiſchen Kraft und Laſt einzutreten beginnt, der aber dadurch einſeitiger Langbau iſt, daß in dem platten Dache der zuſammenfaſſende Abſchluß der ſchrägen Linie ausbleibt, welche dafür als pyramidaler Nachklang in der Richtung der Mauern auftritt. Auch die Glieder werden einfach und klar. Indem dieſer Bau die Gemeinde in ſeine vorbereitenden, Mauer-umſchloſſenen Theile, aber nicht in ſein Innerſtes, das Heiligthum des verborgenen Gottes, aufnimmt, erſcheint er als unentſchiedener Außenbau. Jene Theile: Sphinx-Alleen mit Vorthoren, große Portale mit Flügelgebäuden, vielſäulige Vorhallen, weitere Vorräume, in’s Unbeſtimmte wiederholbar und dehnbar und dadurch allerdings Ausdruck des fortdauernden Ungemeſſenen im Gemeſſenen, ſtehen in ſolchem Mißverhältniß zu der kleinen und dunkeln Tempelzelle, daß der Grundcharakter des Ganzen der des Empfangens, der Annäherung, der unbefriedigten Er- wartung iſt. 1. Im ägyptiſchen Tempel iſt der thurmartige Hochbau völlig nieder- geſchlagen und zu der beruhigenden Form des klaren Oblongums, das ſich beſtimmt an den feſten Boden der Erde hinlegt, umgewandelt. Dieſes Oblongum iſt allerdings nicht im eigentlichen Tempelhaus zu ſuchen, ſon- dern in einer Anreihung verſchiedener Räume, die zum zweiten Theile des §. näher zu erläutern iſt. Verſchwunden ſind aber nicht nur die ge- häuften Terraſſen-Würfel, in welchen der aſſyriſch-perſiſche Bau ſich erhob, ſondern auch die Zuſammenneigung zweier ſchrägen Linien zu einer Spitze,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/120>, abgerufen am 24.11.2024.