Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
Form die selbständige, eigentlich symbolische Architektur aufgestellt zu haben Vischer's Aesthetik. 3. Band. 18
Form die ſelbſtändige, eigentlich ſymboliſche Architektur aufgeſtellt zu haben Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 18
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Form die ſelbſtändige, eigentlich ſymboliſche Architektur aufgeſtellt zu haben
(Aeſth. B. II, S. 272. ff.). Die orientaliſche Baukunſt will durch ihre
Formen ohne ein Inneres oder abgeſehen von einem ſolchen ſprechen, ja
dieſer ſich ſelbſt noch unklare, aus der Natur erſt herausringende Geiſt
ſucht in dem Aufwühlen der Erde, in dem Aufthürmen der Maſſen, in
dieſem den großen Revolutionen, durch welche die Geſtalt unſeres Plane-
ten ſich zur Reife gegohren, ähnlichen Thun den Sinn des Lebensräthſels
zu finden: das Bauen iſt ein Rathen. Eine eigentliche Architektur, die
ganz ohne Inneres einen beſtimmten Sinn ausdrücken ſoll, kann es
aber nicht geben; wenn z. B. indiſche Tempelhäuſer aus dem Fels ge-
meiſelt in Mahamalaipur ohne alles Innere vorkommen, ſo iſt dieſe Wie-
derholung einer Form, die ſonſt immer ausgehöhlt, alſo mit einem Innern
auftritt, offenbar nicht als eine Verſchärfung ſymboliſcher Abſicht, ſondern
mehr als das Spiel eines äſthetiſchen Luxus zu verſtehen; wo das Innere
rein wegfällt, liegt ſonſt immer ein Hinübergriff in die Plaſtik vor und
die „zwiſchen Architektur und Sculptur ſchwänkenden“ Bauwerke ſind
daher die erſte, im engſten Sinn ſymboliſche Form, die hier aufzuführen
iſt. Es gibt nun kein anderes Beiſpiel, das ſo ganz in die Mitte dieſer
beiden Künſte fällt, als jene bergartig aus Erde aufgeworfenen Reliefs
in Nordamerika, im Ohio- und Wiſconſin-Staate: eine 700 F. lange
Schlange, Alligatoren, Molche, Schildkröten, Vögel, Füchſe oder Katzen-
Arten, ganze Reihen anderer vierfüßiger Thiere (Bären?), 30 bis über
200 Fuß lang, auch menſchliche Geſtalten 125 F. lang und 120 F. mit
ausgeſtreckten Armen breit. Auf dem Rücken dieſer ſeltſamen Werke der
Ureinwohner Amerikas befinden ſich, ein Beleg ihrer religiös ſymboliſchen
Bedeutung, Opferſtätten, Altäre; vergl. über ſie Smithsonian contributions
to Knowledge Vol. I. Dieß iſt nun wirklich gebaute Plaſtik, plaſtiſches
Bauen, rein ſchwankende Mitte zwiſchen Bau und Bildwerk. Senkrechte
Stellung eines Gebildes, worin individuelle Geſtalt nachgeahmt iſt, führt
bereits beſtimmter zur Plaſtik hinüber; am wenigſten, wenn dieß Gebilde
nur ſymboliſch iſt, d. h. noch nicht mythiſch-menſchliche Geſtalt nachahmt.
Zu ſolchen blos ſymboliſchen Gebilden würden die Obelisken gehören,
wenn erwieſen wäre, daß ſie nicht blos Denkpfeiler für Inſchriften ſind,
ſondern Sonnenſtrahlen bedeuten; möglich, daß ſie nur in künſtleriſcher
Zubereitung jene rohen Steinpfeiler des Nordens wiederholen, die vielleicht
das Bild einer Perſon vertreten (vergl. Kugler, Handbuch d. Kunſtgeſch.
S. 10). Dagegen iſt beſtimmt hieher der indiſche Dagop zu ſtellen,
ſofern er keineswegs immer einen hohlen Raum in ſeinem Innern für
Reliquien u. dgl. hat, ſondern meiſt ſolid iſt: auf cylindriſchem oder pyra-
midalem Unterſatz eine maſſiv gebaute Halbkugel, das Symbol der Waſſer-
blaſe (Bild der Hinfälligkeit des Lebens) darſtellend; das Ganze 50—70 F.
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