Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Künsten nebst dem darin begründeten Unterschiede der Technik. Alle daraus ent-2
stehenden Theilungsreihen der Kunst-Zweige verbinden sich nun so, daß, in
gewissen Grenzen, jede die einzelnen Glieder ihrer eigenen Reihe mischen, jede
mit den andern verschiedene Mischungsverhältnisse eingehen kann, was sich nur
in der speziellen Kunstlehre verfolgen läßt.

1. Wir gehen rückwärts die Eintheilungs-Reihen der Phantasie durch
und fassen so zunächst die in §. 403 auf den naturschönen Stoff begrün-
dete wieder auf: landschaftliche, thierische, menschliche und zwar
entweder rein menschliche oder geschichtliche Phantasie. Es ist klar, wie
durch diese Arten, indem sie in die bildende Phantasie eintreten, eine Linie
von Zweigen der Plastik und Malerei entsteht; es würde noch mehr einleuchten,
wenn nicht die zweite Stoffwelt, von der allgemeinen Phantasie eingeführt
(§. 417), alterirend auf diese Theilungs-Linie wirken würde. Daß und
warum sie nicht in allen Künsten gleich stark auftritt, wird sich in der
speziellen Kunstlehre zeigen. Ein weiteres Theilungsprinzip liegt in
den auf verschiedene Grundstimmung begründeten Arten der Phantasie,
der einfach schönen, erhabenen, komischen (§. 402), wie sie nun
auf dem Boden einer der Haupt-Arten (Künste) sich geltend macht. Ganz
unzweifelhaft Zweigbegründend wirkt dieser Theilungsgrund allerdings nur
in der dramatischen Poesie: Trauerspiel, Lustspiel. Die Künste verhalten
sich sehr verschieden zu ihm: die Architektur ist des einfach Schönen und
Erhabenen fähig, des Komischen gar nicht u. s. w. Wir greifen auch hier
nicht weiter vor. Nun treten zwei neue Eintheilungsgründe auf. Was
den ersten betrifft, Moment und Grad des Umfangs, in welchem
ein Stoff aufgenommen wird, so ist hier von der tiefern Quelle dieses
Unterschieds im Geiste des Künstlers zu abstrahiren und nur die Thatsache,
daß er besteht, aufzufassen; so können z. B. bedeutende geschichtliche
Charaktere in ruhiger Situation oder in figurenreicherer, bewegter Handlung
zusammengestellt werden und so entsteht die Eintheilung des historischen
Bilds in ein Situationsbild und in ein Handlungsbild. Endlich das
Material, die Möglichkeit der Wahl zwischen verschiedenen in einer und
derselben Kunst und die dadurch bedingte verschiedene Technik: Holzbau,
Steinbau, Backsteinbau, Stein oder Erz in der Plastik, Fresko oder
Oelfarbe in der Malerei, die verschiedenen Instrumente der Musik und
alle im Gegensatz gegen die menschliche Stimme (Instrumentalmusik, Ge-
sang); in der Poesie mag der Unterschied der rhythmischen Maaße als
dem analog betrachtet werden. Diese Unterschiede begründen Zweigthei-
lungen, die nach ihnen benannt werden, obwohl jedesmal auch der Geist
der Behandlung ein anderer ist.

2. Es ist noch ein vorläufiger Blick in die möglichen Verbindungen

Künſten nebſt dem darin begründeten Unterſchiede der Technik. Alle daraus ent-2
ſtehenden Theilungsreihen der Kunſt-Zweige verbinden ſich nun ſo, daß, in
gewiſſen Grenzen, jede die einzelnen Glieder ihrer eigenen Reihe miſchen, jede
mit den andern verſchiedene Miſchungsverhältniſſe eingehen kann, was ſich nur
in der ſpeziellen Kunſtlehre verfolgen läßt.

1. Wir gehen rückwärts die Eintheilungs-Reihen der Phantaſie durch
und faſſen ſo zunächſt die in §. 403 auf den naturſchönen Stoff begrün-
dete wieder auf: landſchaftliche, thieriſche, menſchliche und zwar
entweder rein menſchliche oder geſchichtliche Phantaſie. Es iſt klar, wie
durch dieſe Arten, indem ſie in die bildende Phantaſie eintreten, eine Linie
von Zweigen der Plaſtik und Malerei entſteht; es würde noch mehr einleuchten,
wenn nicht die zweite Stoffwelt, von der allgemeinen Phantaſie eingeführt
(§. 417), alterirend auf dieſe Theilungs-Linie wirken würde. Daß und
warum ſie nicht in allen Künſten gleich ſtark auftritt, wird ſich in der
ſpeziellen Kunſtlehre zeigen. Ein weiteres Theilungsprinzip liegt in
den auf verſchiedene Grundſtimmung begründeten Arten der Phantaſie,
der einfach ſchönen, erhabenen, komiſchen (§. 402), wie ſie nun
auf dem Boden einer der Haupt-Arten (Künſte) ſich geltend macht. Ganz
unzweifelhaft Zweigbegründend wirkt dieſer Theilungsgrund allerdings nur
in der dramatiſchen Poeſie: Trauerſpiel, Luſtſpiel. Die Künſte verhalten
ſich ſehr verſchieden zu ihm: die Architektur iſt des einfach Schönen und
Erhabenen fähig, des Komiſchen gar nicht u. ſ. w. Wir greifen auch hier
nicht weiter vor. Nun treten zwei neue Eintheilungsgründe auf. Was
den erſten betrifft, Moment und Grad des Umfangs, in welchem
ein Stoff aufgenommen wird, ſo iſt hier von der tiefern Quelle dieſes
Unterſchieds im Geiſte des Künſtlers zu abſtrahiren und nur die Thatſache,
daß er beſteht, aufzufaſſen; ſo können z. B. bedeutende geſchichtliche
Charaktere in ruhiger Situation oder in figurenreicherer, bewegter Handlung
zuſammengeſtellt werden und ſo entſteht die Eintheilung des hiſtoriſchen
Bilds in ein Situationsbild und in ein Handlungsbild. Endlich das
Material, die Möglichkeit der Wahl zwiſchen verſchiedenen in einer und
derſelben Kunſt und die dadurch bedingte verſchiedene Technik: Holzbau,
Steinbau, Backſteinbau, Stein oder Erz in der Plaſtik, Fresko oder
Oelfarbe in der Malerei, die verſchiedenen Inſtrumente der Muſik und
alle im Gegenſatz gegen die menſchliche Stimme (Inſtrumentalmuſik, Ge-
ſang); in der Poeſie mag der Unterſchied der rhythmiſchen Maaße als
dem analog betrachtet werden. Dieſe Unterſchiede begründen Zweigthei-
lungen, die nach ihnen benannt werden, obwohl jedesmal auch der Geiſt
der Behandlung ein anderer iſt.

2. Es iſt noch ein vorläufiger Blick in die möglichen Verbindungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0167" n="155"/>
Kün&#x017F;ten neb&#x017F;t dem darin begründeten Unter&#x017F;chiede der Technik. Alle daraus ent-<note place="right">2</note><lb/>
&#x017F;tehenden Theilungsreihen der Kun&#x017F;t-Zweige verbinden &#x017F;ich nun &#x017F;o, daß, in<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Grenzen, jede die einzelnen Glieder ihrer eigenen Reihe mi&#x017F;chen, jede<lb/>
mit den andern ver&#x017F;chiedene Mi&#x017F;chungsverhältni&#x017F;&#x017F;e eingehen kann, was &#x017F;ich nur<lb/>
in der &#x017F;peziellen Kun&#x017F;tlehre verfolgen läßt.</hi> </p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">1. Wir gehen rückwärts die Eintheilungs-Reihen der Phanta&#x017F;ie durch<lb/>
und fa&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o zunäch&#x017F;t die in §. 403 auf den natur&#x017F;chönen Stoff begrün-<lb/>
dete wieder auf: <hi rendition="#g">land&#x017F;chaftliche, thieri&#x017F;che, men&#x017F;chliche</hi> und zwar<lb/>
entweder rein men&#x017F;chliche oder ge&#x017F;chichtliche Phanta&#x017F;ie. Es i&#x017F;t klar, wie<lb/>
durch die&#x017F;e Arten, indem &#x017F;ie in die bildende Phanta&#x017F;ie eintreten, eine Linie<lb/>
von Zweigen der Pla&#x017F;tik und Malerei ent&#x017F;teht; es würde noch mehr einleuchten,<lb/>
wenn nicht die zweite Stoffwelt, von der allgemeinen Phanta&#x017F;ie eingeführt<lb/>
(§. 417), alterirend auf die&#x017F;e Theilungs-Linie wirken würde. Daß und<lb/>
warum &#x017F;ie nicht in allen Kün&#x017F;ten gleich &#x017F;tark auftritt, wird &#x017F;ich in der<lb/>
&#x017F;peziellen Kun&#x017F;tlehre zeigen. Ein weiteres Theilungsprinzip liegt in<lb/>
den auf ver&#x017F;chiedene Grund&#x017F;timmung begründeten Arten der Phanta&#x017F;ie,<lb/>
der <hi rendition="#g">einfach &#x017F;chönen, erhabenen, komi&#x017F;chen</hi> (§. 402), wie &#x017F;ie nun<lb/>
auf dem Boden einer der Haupt-Arten (Kün&#x017F;te) &#x017F;ich geltend macht. Ganz<lb/>
unzweifelhaft Zweigbegründend wirkt die&#x017F;er Theilungsgrund allerdings nur<lb/>
in der dramati&#x017F;chen Poe&#x017F;ie: Trauer&#x017F;piel, Lu&#x017F;t&#x017F;piel. Die Kün&#x017F;te verhalten<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden zu ihm: die Architektur i&#x017F;t des einfach Schönen und<lb/>
Erhabenen fähig, des Komi&#x017F;chen gar nicht u. &#x017F;. w. Wir greifen auch hier<lb/>
nicht weiter vor. Nun treten zwei neue Eintheilungsgründe auf. Was<lb/>
den er&#x017F;ten betrifft, <hi rendition="#g">Moment und Grad des Umfangs</hi>, in welchem<lb/>
ein Stoff aufgenommen wird, &#x017F;o i&#x017F;t hier von der tiefern Quelle die&#x017F;es<lb/>
Unter&#x017F;chieds im Gei&#x017F;te des Kün&#x017F;tlers zu ab&#x017F;trahiren und nur die That&#x017F;ache,<lb/>
daß er be&#x017F;teht, aufzufa&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;o können z. B. bedeutende ge&#x017F;chichtliche<lb/>
Charaktere in ruhiger Situation oder in figurenreicherer, bewegter Handlung<lb/>
zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt werden und &#x017F;o ent&#x017F;teht die Eintheilung des hi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/>
Bilds in ein Situationsbild und in ein Handlungsbild. Endlich das<lb/><hi rendition="#g">Material</hi>, die Möglichkeit der Wahl zwi&#x017F;chen ver&#x017F;chiedenen in einer und<lb/>
der&#x017F;elben Kun&#x017F;t und die dadurch bedingte ver&#x017F;chiedene Technik: Holzbau,<lb/>
Steinbau, Back&#x017F;teinbau, Stein oder Erz in der Pla&#x017F;tik, Fresko oder<lb/>
Oelfarbe in der Malerei, die ver&#x017F;chiedenen In&#x017F;trumente der Mu&#x017F;ik und<lb/>
alle im Gegen&#x017F;atz gegen die men&#x017F;chliche Stimme (In&#x017F;trumentalmu&#x017F;ik, Ge-<lb/>
&#x017F;ang); in der Poe&#x017F;ie mag der Unter&#x017F;chied der rhythmi&#x017F;chen Maaße als<lb/>
dem analog betrachtet werden. Die&#x017F;e Unter&#x017F;chiede begründen Zweigthei-<lb/>
lungen, die nach ihnen benannt werden, obwohl jedesmal auch der Gei&#x017F;t<lb/>
der Behandlung ein anderer i&#x017F;t.</hi> </p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">2. Es i&#x017F;t noch ein vorläufiger Blick in die möglichen Verbindungen<lb/></hi> </p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0167] Künſten nebſt dem darin begründeten Unterſchiede der Technik. Alle daraus ent- ſtehenden Theilungsreihen der Kunſt-Zweige verbinden ſich nun ſo, daß, in gewiſſen Grenzen, jede die einzelnen Glieder ihrer eigenen Reihe miſchen, jede mit den andern verſchiedene Miſchungsverhältniſſe eingehen kann, was ſich nur in der ſpeziellen Kunſtlehre verfolgen läßt. 1. Wir gehen rückwärts die Eintheilungs-Reihen der Phantaſie durch und faſſen ſo zunächſt die in §. 403 auf den naturſchönen Stoff begrün- dete wieder auf: landſchaftliche, thieriſche, menſchliche und zwar entweder rein menſchliche oder geſchichtliche Phantaſie. Es iſt klar, wie durch dieſe Arten, indem ſie in die bildende Phantaſie eintreten, eine Linie von Zweigen der Plaſtik und Malerei entſteht; es würde noch mehr einleuchten, wenn nicht die zweite Stoffwelt, von der allgemeinen Phantaſie eingeführt (§. 417), alterirend auf dieſe Theilungs-Linie wirken würde. Daß und warum ſie nicht in allen Künſten gleich ſtark auftritt, wird ſich in der ſpeziellen Kunſtlehre zeigen. Ein weiteres Theilungsprinzip liegt in den auf verſchiedene Grundſtimmung begründeten Arten der Phantaſie, der einfach ſchönen, erhabenen, komiſchen (§. 402), wie ſie nun auf dem Boden einer der Haupt-Arten (Künſte) ſich geltend macht. Ganz unzweifelhaft Zweigbegründend wirkt dieſer Theilungsgrund allerdings nur in der dramatiſchen Poeſie: Trauerſpiel, Luſtſpiel. Die Künſte verhalten ſich ſehr verſchieden zu ihm: die Architektur iſt des einfach Schönen und Erhabenen fähig, des Komiſchen gar nicht u. ſ. w. Wir greifen auch hier nicht weiter vor. Nun treten zwei neue Eintheilungsgründe auf. Was den erſten betrifft, Moment und Grad des Umfangs, in welchem ein Stoff aufgenommen wird, ſo iſt hier von der tiefern Quelle dieſes Unterſchieds im Geiſte des Künſtlers zu abſtrahiren und nur die Thatſache, daß er beſteht, aufzufaſſen; ſo können z. B. bedeutende geſchichtliche Charaktere in ruhiger Situation oder in figurenreicherer, bewegter Handlung zuſammengeſtellt werden und ſo entſteht die Eintheilung des hiſtoriſchen Bilds in ein Situationsbild und in ein Handlungsbild. Endlich das Material, die Möglichkeit der Wahl zwiſchen verſchiedenen in einer und derſelben Kunſt und die dadurch bedingte verſchiedene Technik: Holzbau, Steinbau, Backſteinbau, Stein oder Erz in der Plaſtik, Fresko oder Oelfarbe in der Malerei, die verſchiedenen Inſtrumente der Muſik und alle im Gegenſatz gegen die menſchliche Stimme (Inſtrumentalmuſik, Ge- ſang); in der Poeſie mag der Unterſchied der rhythmiſchen Maaße als dem analog betrachtet werden. Dieſe Unterſchiede begründen Zweigthei- lungen, die nach ihnen benannt werden, obwohl jedesmal auch der Geiſt der Behandlung ein anderer iſt. 2. Es iſt noch ein vorläufiger Blick in die möglichen Verbindungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/167
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/167>, abgerufen am 21.11.2024.