Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
und kann sich die Auffassung, obwohl immer zunächst subjectiv, unbeschadet
und kann ſich die Auffaſſung, obwohl immer zunächſt ſubjectiv, unbeſchadet <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0132" n="120"/> und kann ſich die Auffaſſung, obwohl immer zunächſt ſubjectiv, unbeſchadet<lb/> der objectiven Durchdringung des Gegenſtands erhalten. Der ganze Geiſt<lb/> der Behandlung bekommt davon ſeine Färbung, daß der Künſtler von<lb/> dem oder jenem Puncte aus in den Gegenſtand eingedrungen iſt. Es<lb/> wird ſich dieß bei der Entwicklung des Stylbegriffs erklären. Nun können<lb/> aber zweierlei Fälle eintreten, in welchen ſtatt dieſer völligen Tilgung<lb/> des Gegenſatzes das ſubjective Moment im Uebergewicht erſcheint. Ent-<lb/> weder die Auffaſſung ſchreitet fort zur wirklichen Durchdringung des Objects,<lb/> aber die künſtleriſche Subjectivität iſt eine vergleichungsweis enge, beſchränkt<lb/> ſich auf ein kleines Gebiet des Naturſchönen und innerhalb deſſelben auf<lb/> einen engen Ausſchnitt von Erſcheinungen, Stimmungen, Tönen u. ſ. w.,<lb/> ſie iſt aber in ihrem engen Kreis objectiv: d. h. ſie faßt nur die Erſchei-<lb/> nungen auf, welche ihr diejenige äſthetiſche Wirkung wirklich entgegenbringen,<lb/> für die ſie hauptſächlich organiſirt iſt, läßt alles Andere liegen, was ſich<lb/> nicht in dieſer Stimmung, dieſem Lichte behandeln läßt, wenn man nicht<lb/> der Sache Gewalt anthun will, ſie wiederholt ſich in dieſer Weiſe beſtän-<lb/> dig, aber nie auf Koſten des Gegenſtandes, denn ſie ſchreitet zu jener innigen<lb/> Durchdringung des Objects fort, in welcher die Auffaſſung mit dem wirk-<lb/> lichen Leben deſſelben zuſammentrifft: die ſo beſchränkte Kunſtart, ſofern<lb/> ſie ſich in einer, der angewöhnten Auffaſſung entſprechenden Technik niederlegt,<lb/> heißt Manier im guten Sinne des Worts; man fühlt in ihren Werken<lb/> mehr den Künſtler, als den Gegenſtand, doch ohne daß eine Kluft des<lb/> Eigenſinns dieſen von jenem trennte; es iſt nicht die Mißbandlung des<lb/> Gegenſtands, ſondern die Enge des Wiederkehrens, was die ſubjective<lb/> Seite in den Vordergrund ſtellt. Man kann den Niederländern nicht vor-<lb/> werfen, daß ſie nicht mit inniger Liebe in ihren Gegenſtand eingehen,<lb/> aber Niemand wird ihre Auffaſſung und Ausführung Styl nennen, ſondern<lb/> es iſt Manier, aber das Wort ſchließt keinen Tadel ein, ſoweit ſie nicht<lb/> (was im Einzelnen allerdings geſchieht) den Gegenſtand nur als Mittel<lb/> aufſuchen, um ihre Gefühls- und Malweiſe daran glänzen zu laſſen. Der<lb/> andere Fall tritt ein, wenn die Subjectivität ſich auf Koſten des Objects<lb/> verengt. Hier iſt von vorneherein eine gewiſſe Schuld vorauszuſetzen: eine<lb/> urſprünglich elaſtiſchere Subjectivität rennt ſich aus Trägheit oder Eigen-<lb/> ſinn in die Enge einer Auffaſſungsweiſe feſt oder eine urſprünglich engere<lb/> verle<gap unit="chars" quantity="1"/>nt ihre Schranken. Zunächſt wird ſie noch die Stoffe ergreifen,<lb/> we<supplied>l</supplied>che die ihr zuſagende Wirkung ihr entgegenbringen, ſie wird aber ſchon<lb/> geneigt ſein, die mitwirkenden Seiten, welche von dem Grundtone mehr<lb/> oder minder, bis zum vollen Contraſt, abweichen, nicht in ihrer Berechtigung<lb/> aufzufaſſen, einen energiſchen, einen ſanften, einen düſtern Ton, ein roſiges<lb/> Licht, einen bläulichen Hauch u. ſ. w. über Alles zu ziehen, auch den<lb/> ſtarken Körper ſchlank und welch, den ſchlanken und weichen ſtark und<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0132]
und kann ſich die Auffaſſung, obwohl immer zunächſt ſubjectiv, unbeſchadet
der objectiven Durchdringung des Gegenſtands erhalten. Der ganze Geiſt
der Behandlung bekommt davon ſeine Färbung, daß der Künſtler von
dem oder jenem Puncte aus in den Gegenſtand eingedrungen iſt. Es
wird ſich dieß bei der Entwicklung des Stylbegriffs erklären. Nun können
aber zweierlei Fälle eintreten, in welchen ſtatt dieſer völligen Tilgung
des Gegenſatzes das ſubjective Moment im Uebergewicht erſcheint. Ent-
weder die Auffaſſung ſchreitet fort zur wirklichen Durchdringung des Objects,
aber die künſtleriſche Subjectivität iſt eine vergleichungsweis enge, beſchränkt
ſich auf ein kleines Gebiet des Naturſchönen und innerhalb deſſelben auf
einen engen Ausſchnitt von Erſcheinungen, Stimmungen, Tönen u. ſ. w.,
ſie iſt aber in ihrem engen Kreis objectiv: d. h. ſie faßt nur die Erſchei-
nungen auf, welche ihr diejenige äſthetiſche Wirkung wirklich entgegenbringen,
für die ſie hauptſächlich organiſirt iſt, läßt alles Andere liegen, was ſich
nicht in dieſer Stimmung, dieſem Lichte behandeln läßt, wenn man nicht
der Sache Gewalt anthun will, ſie wiederholt ſich in dieſer Weiſe beſtän-
dig, aber nie auf Koſten des Gegenſtandes, denn ſie ſchreitet zu jener innigen
Durchdringung des Objects fort, in welcher die Auffaſſung mit dem wirk-
lichen Leben deſſelben zuſammentrifft: die ſo beſchränkte Kunſtart, ſofern
ſie ſich in einer, der angewöhnten Auffaſſung entſprechenden Technik niederlegt,
heißt Manier im guten Sinne des Worts; man fühlt in ihren Werken
mehr den Künſtler, als den Gegenſtand, doch ohne daß eine Kluft des
Eigenſinns dieſen von jenem trennte; es iſt nicht die Mißbandlung des
Gegenſtands, ſondern die Enge des Wiederkehrens, was die ſubjective
Seite in den Vordergrund ſtellt. Man kann den Niederländern nicht vor-
werfen, daß ſie nicht mit inniger Liebe in ihren Gegenſtand eingehen,
aber Niemand wird ihre Auffaſſung und Ausführung Styl nennen, ſondern
es iſt Manier, aber das Wort ſchließt keinen Tadel ein, ſoweit ſie nicht
(was im Einzelnen allerdings geſchieht) den Gegenſtand nur als Mittel
aufſuchen, um ihre Gefühls- und Malweiſe daran glänzen zu laſſen. Der
andere Fall tritt ein, wenn die Subjectivität ſich auf Koſten des Objects
verengt. Hier iſt von vorneherein eine gewiſſe Schuld vorauszuſetzen: eine
urſprünglich elaſtiſchere Subjectivität rennt ſich aus Trägheit oder Eigen-
ſinn in die Enge einer Auffaſſungsweiſe feſt oder eine urſprünglich engere
verle_nt ihre Schranken. Zunächſt wird ſie noch die Stoffe ergreifen,
welche die ihr zuſagende Wirkung ihr entgegenbringen, ſie wird aber ſchon
geneigt ſein, die mitwirkenden Seiten, welche von dem Grundtone mehr
oder minder, bis zum vollen Contraſt, abweichen, nicht in ihrer Berechtigung
aufzufaſſen, einen energiſchen, einen ſanften, einen düſtern Ton, ein roſiges
Licht, einen bläulichen Hauch u. ſ. w. über Alles zu ziehen, auch den
ſtarken Körper ſchlank und welch, den ſchlanken und weichen ſtark und
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