Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
drungenes spezifisch höher, durchaus ein Darstellen des Lebens in einem 2. Der Spieltrieb in der Form des Verschönerungstriebs scheint
drungenes ſpezifiſch höher, durchaus ein Darſtellen des Lebens in einem 2. Der Spieltrieb in der Form des Verſchönerungstriebs ſcheint <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0103" n="91"/> drungenes ſpezifiſch höher, durchaus ein Darſtellen des Lebens in einem<lb/> freien Scheine, um den Reiz des Ernſtes ohne den Druck des Ernſtes,<lb/> die Form ohne die pathologiſch materielle Schwere der Sache zu genießen,<lb/> ſich in die Spannung hineinzutäuſchen und die Täuſchung, indem ſie<lb/> erzeugt wird, wieder aufzulöſen. Aus der nachahmenden Form nehmen<lb/> wir als Beleg hiefür die Scheinkämpfe herauf, welche die allgemeinſte<lb/> Art auch des menſchlichen Spieles ſind. Faſt alle Spiele der Kinder und<lb/> der jugendlichen Völker ſind ſolche Scheinkämpfe, ſei es mehr im eigent-<lb/> lichen Sinne oder in dem des Wettkampfes. Die feineren geſelligen<lb/> Spiele der Erwachſenen und Gebildeten ſind Wettſtreite des Witzes und<lb/> Scharfſinns, wobei, um das Bild des Lebens vollſtändig zu machen, dem<lb/> Zufall ein Raum offen gelaſſen iſt. Es darf aber nicht um fühlbaren<lb/> Gewinn oder Verluſt gehen, ſonſt iſt das Spiel kein Spiel mehr, ſon-<lb/> dern artet in Häßlichkeit aus. Von dieſem ſtörenden Ernſte des Spiels,<lb/> der immer einen zerfreſſenen Zuſtand der Sitte anzeigt, ſind jedoch die<lb/> wirklichen Gefahren wohl zu unterſcheiden, die mit den Kampfſpielen der<lb/> Volksfeſte von jeher verbunden waren, denn hier liegt hinter dem Spiele<lb/> ein tiefer nationaler Ernſt, dem wohl bewußt iſt, daß, wer im Spiele<lb/> die Gefahr ſcheut, auch im Ernſte nicht wagt; die blutigen Gladiatoren-<lb/> ſpiele der Römer aber zeigen einen ſtarken, rohen Sinn an, dem das<lb/> ächte Spiel überhaupt fremd war. Es ſind nun die Hauptformen des<lb/> Spiels zu unterſcheiden.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Der Spieltrieb in der Form des Verſchönerungstriebs ſcheint<lb/> unter die obige Begriffsbeſtimmung nicht befaßt werden zu können.<lb/> Sieht man aber die zuerſt aufgeführte Form, die Verſchönerung eines<lb/> Products des Handwerks durch den Ueberfluß der Zierrath, näher an,<lb/> ſo leuchtet ein, daß durch dieſe Zuthat das Werk, das der äußern Zweck-<lb/> mäßigkeit dient, ein Ausſehen bekommen ſoll, als diene es nicht, ſondern<lb/> genieße ein eigenes, freies Daſein, wäre um ſeiner ſelbſt willen da.<lb/> Der Weg iſt daher hier nur ein anderer, der Sinn aber derſelbe, wie<lb/> in unſerer allgemeinen Auffaßung des Spiels: der ſtoffartige Ernſt des<lb/> Lebens wird nicht vorneherein frei fingirt, ſondern er iſt (in einem ſeiner<lb/> Zwecken dienenden Arbeitsproducte) wirklich da, aber er wird wieder<lb/> weggetäuſcht. Weil das Merkmal der urſprünglich freien Fiction<lb/> fehlt, iſt dieſe Form allerdings die untergeordnetſte, an ſich aber darf ihre<lb/> hohe Bedeutung nicht verkannt werden: ſie iſt es, durch die das Hand-<lb/> werk, wie ſchon zum vorherigen §. berührt iſt, den Uebergang zur<lb/> Kunſt macht, durch ſie arbeiten ſich die Völker aus der Barbarei heraus,<lb/> ſie begründet einen Theil der Sphären, welche als anhängende in das<lb/> Syſtem der Künſte einzureihen ſind, durch ſie ſchlingt ſich die Kunſt, den<lb/> Druck der Erdenſchwere löſend, mit dem Leben zuſammen. Ihre hohe<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0103]
drungenes ſpezifiſch höher, durchaus ein Darſtellen des Lebens in einem
freien Scheine, um den Reiz des Ernſtes ohne den Druck des Ernſtes,
die Form ohne die pathologiſch materielle Schwere der Sache zu genießen,
ſich in die Spannung hineinzutäuſchen und die Täuſchung, indem ſie
erzeugt wird, wieder aufzulöſen. Aus der nachahmenden Form nehmen
wir als Beleg hiefür die Scheinkämpfe herauf, welche die allgemeinſte
Art auch des menſchlichen Spieles ſind. Faſt alle Spiele der Kinder und
der jugendlichen Völker ſind ſolche Scheinkämpfe, ſei es mehr im eigent-
lichen Sinne oder in dem des Wettkampfes. Die feineren geſelligen
Spiele der Erwachſenen und Gebildeten ſind Wettſtreite des Witzes und
Scharfſinns, wobei, um das Bild des Lebens vollſtändig zu machen, dem
Zufall ein Raum offen gelaſſen iſt. Es darf aber nicht um fühlbaren
Gewinn oder Verluſt gehen, ſonſt iſt das Spiel kein Spiel mehr, ſon-
dern artet in Häßlichkeit aus. Von dieſem ſtörenden Ernſte des Spiels,
der immer einen zerfreſſenen Zuſtand der Sitte anzeigt, ſind jedoch die
wirklichen Gefahren wohl zu unterſcheiden, die mit den Kampfſpielen der
Volksfeſte von jeher verbunden waren, denn hier liegt hinter dem Spiele
ein tiefer nationaler Ernſt, dem wohl bewußt iſt, daß, wer im Spiele
die Gefahr ſcheut, auch im Ernſte nicht wagt; die blutigen Gladiatoren-
ſpiele der Römer aber zeigen einen ſtarken, rohen Sinn an, dem das
ächte Spiel überhaupt fremd war. Es ſind nun die Hauptformen des
Spiels zu unterſcheiden.
2. Der Spieltrieb in der Form des Verſchönerungstriebs ſcheint
unter die obige Begriffsbeſtimmung nicht befaßt werden zu können.
Sieht man aber die zuerſt aufgeführte Form, die Verſchönerung eines
Products des Handwerks durch den Ueberfluß der Zierrath, näher an,
ſo leuchtet ein, daß durch dieſe Zuthat das Werk, das der äußern Zweck-
mäßigkeit dient, ein Ausſehen bekommen ſoll, als diene es nicht, ſondern
genieße ein eigenes, freies Daſein, wäre um ſeiner ſelbſt willen da.
Der Weg iſt daher hier nur ein anderer, der Sinn aber derſelbe, wie
in unſerer allgemeinen Auffaßung des Spiels: der ſtoffartige Ernſt des
Lebens wird nicht vorneherein frei fingirt, ſondern er iſt (in einem ſeiner
Zwecken dienenden Arbeitsproducte) wirklich da, aber er wird wieder
weggetäuſcht. Weil das Merkmal der urſprünglich freien Fiction
fehlt, iſt dieſe Form allerdings die untergeordnetſte, an ſich aber darf ihre
hohe Bedeutung nicht verkannt werden: ſie iſt es, durch die das Hand-
werk, wie ſchon zum vorherigen §. berührt iſt, den Uebergang zur
Kunſt macht, durch ſie arbeiten ſich die Völker aus der Barbarei heraus,
ſie begründet einen Theil der Sphären, welche als anhängende in das
Syſtem der Künſte einzureihen ſind, durch ſie ſchlingt ſich die Kunſt, den
Druck der Erdenſchwere löſend, mit dem Leben zuſammen. Ihre hohe
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