Th. 1, S. 485) in das komische Gebiet übertritt, wird sie die Posse, den bildlichen Witz, den naiven Humor sich aneignen. Die erhabene Phan- tasie hat selten Sinn für das einfach Schöne; Schiller z. B. ist unglücklich im ächten weiblichen Ideal; zum Komischen hat sie zwar nur "einen Schritt", allein keineswegs vollzieht sie ihn darum immer selbst, nicht jeder erhaben Gestimmte vermag sich selbst zugleich zu ironisiren, häufig über- läßt er dieß, wie Klopstock ganz, Schiller zum Theil (denn einigen Ueber- gang zum Komischen hat er allerdings sehr glücklich vollzogen) der Phan- tasie eines Andern. Doch sie kann es und dann wird sie, wenn mehr auf das objectiv Erhabene eingeschränkt, dieselben Sphären des Komischen aufsuchen, wie die einfach schöne Phantasie, wenn mehr auf das Erha- bene des Subjects, den Witz, insbesondere den abstracten nebst der Ironie und den gebrochenen Humor, wenn aber mehr auf das Tragische, den freien Humor lieben. Die komische Phantasie wird sehr wenig Sinn für die ruhige und einfache Schönheit haben, doch eher noch, wenn sie von der burlesken Art ist, den bildlichen Witz und den naiven Humor anbaut. Sinn für das Erhabene setzt sie aber entschieden voraus, denn das ist ihr Stoff und Ausgang und das soll sie mitten im Lachen noch verehren, doch am wenigsten wird sie diesen vorausgesetzten Sinn besitzen, wenn sie auf den Witz, der lieblos das getroffene Subject stehen läßt, beschränkt ist. Der Humor aber wird vollen Sinn für das Erhabene hegen, der naive für ein handgreiflich vorliegendes, der gebrochene für das mehr innerlich Erhabene des Subjects und die negative, zerstörende Seite des Tragischen, der freie für das Erhabene des Subjects und das ganze Tragische.
§. 403.
Ein zweiter Theilungsgrund ist durch die verschiedenen Reiche des Natur-1 schönen gegeben: landschaftliche, thierische, menschliche und zwar entweder allgemein menschliche oder geschichtliche Phantasie. Auch diese Arten verzweigen sich zu einer reichen Reihe von Unterarten, die den engeren Kreisen dieser Reiche zugetheilt sind. Eine dreifache Reihe neuer2 Verbindungen entsteht hier theils dadurch, daß die einzelne Art und Unterart in die andere übergreift, theils durch die Vereinigung der Arten des vorhergehen- den §. mit den vorliegenden, theils durch die Uebergriffe der so verbundenen Arten und Unterarten ineinander. Auch hier umfaßt je die reichere Phantasie mehr Arten und Unterarten.
1. Schon hier erhalten wir eine der Grundlagen der verschiedenen Künste und Kunstzweige, was im vorh. §. noch nicht ebenso oder nur in schwacher Andeutung der Fall war, denn die Grundformen des Schönen
Th. 1, S. 485) in das komiſche Gebiet übertritt, wird ſie die Poſſe, den bildlichen Witz, den naiven Humor ſich aneignen. Die erhabene Phan- taſie hat ſelten Sinn für das einfach Schöne; Schiller z. B. iſt unglücklich im ächten weiblichen Ideal; zum Komiſchen hat ſie zwar nur „einen Schritt“, allein keineswegs vollzieht ſie ihn darum immer ſelbſt, nicht jeder erhaben Geſtimmte vermag ſich ſelbſt zugleich zu ironiſiren, häufig über- läßt er dieß, wie Klopſtock ganz, Schiller zum Theil (denn einigen Ueber- gang zum Komiſchen hat er allerdings ſehr glücklich vollzogen) der Phan- taſie eines Andern. Doch ſie kann es und dann wird ſie, wenn mehr auf das objectiv Erhabene eingeſchränkt, dieſelben Sphären des Komiſchen aufſuchen, wie die einfach ſchöne Phantaſie, wenn mehr auf das Erha- bene des Subjects, den Witz, insbeſondere den abſtracten nebſt der Ironie und den gebrochenen Humor, wenn aber mehr auf das Tragiſche, den freien Humor lieben. Die komiſche Phantaſie wird ſehr wenig Sinn für die ruhige und einfache Schönheit haben, doch eher noch, wenn ſie von der burlesken Art iſt, den bildlichen Witz und den naiven Humor anbaut. Sinn für das Erhabene ſetzt ſie aber entſchieden voraus, denn das iſt ihr Stoff und Ausgang und das ſoll ſie mitten im Lachen noch verehren, doch am wenigſten wird ſie dieſen vorausgeſetzten Sinn beſitzen, wenn ſie auf den Witz, der lieblos das getroffene Subject ſtehen läßt, beſchränkt iſt. Der Humor aber wird vollen Sinn für das Erhabene hegen, der naive für ein handgreiflich vorliegendes, der gebrochene für das mehr innerlich Erhabene des Subjects und die negative, zerſtörende Seite des Tragiſchen, der freie für das Erhabene des Subjects und das ganze Tragiſche.
§. 403.
Ein zweiter Theilungsgrund iſt durch die verſchiedenen Reiche des Natur-1 ſchönen gegeben: landſchaftliche, thieriſche, menſchliche und zwar entweder allgemein menſchliche oder geſchichtliche Phantaſie. Auch dieſe Arten verzweigen ſich zu einer reichen Reihe von Unterarten, die den engeren Kreiſen dieſer Reiche zugetheilt ſind. Eine dreifache Reihe neuer2 Verbindungen entſteht hier theils dadurch, daß die einzelne Art und Unterart in die andere übergreift, theils durch die Vereinigung der Arten des vorhergehen- den §. mit den vorliegenden, theils durch die Uebergriffe der ſo verbundenen Arten und Unterarten ineinander. Auch hier umfaßt je die reichere Phantaſie mehr Arten und Unterarten.
1. Schon hier erhalten wir eine der Grundlagen der verſchiedenen Künſte und Kunſtzweige, was im vorh. §. noch nicht ebenſo oder nur in ſchwacher Andeutung der Fall war, denn die Grundformen des Schönen
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Th. 1, S. 485) in das komiſche Gebiet übertritt, wird ſie die Poſſe, den
bildlichen Witz, den naiven Humor ſich aneignen. Die erhabene Phan-
taſie hat ſelten Sinn für das einfach Schöne; Schiller z. B. iſt unglücklich
im ächten weiblichen Ideal; zum Komiſchen hat ſie zwar nur „einen
Schritt“, allein keineswegs vollzieht ſie ihn darum immer ſelbſt, nicht jeder
erhaben Geſtimmte vermag ſich ſelbſt zugleich zu ironiſiren, häufig über-
läßt er dieß, wie Klopſtock ganz, Schiller zum Theil (denn einigen Ueber-
gang zum Komiſchen hat er allerdings ſehr glücklich vollzogen) der Phan-
taſie eines Andern. Doch ſie kann es und dann wird ſie, wenn mehr
auf das objectiv Erhabene eingeſchränkt, dieſelben Sphären des Komiſchen
aufſuchen, wie die einfach ſchöne Phantaſie, wenn mehr auf das Erha-
bene des Subjects, den Witz, insbeſondere den abſtracten nebſt der
Ironie und den gebrochenen Humor, wenn aber mehr auf das Tragiſche,
den freien Humor lieben. Die komiſche Phantaſie wird ſehr wenig Sinn
für die ruhige und einfache Schönheit haben, doch eher noch, wenn ſie
von der burlesken Art iſt, den bildlichen Witz und den naiven Humor
anbaut. Sinn für das Erhabene ſetzt ſie aber entſchieden voraus, denn
das iſt ihr Stoff und Ausgang und das ſoll ſie mitten im Lachen noch
verehren, doch am wenigſten wird ſie dieſen vorausgeſetzten Sinn beſitzen,
wenn ſie auf den Witz, der lieblos das getroffene Subject ſtehen läßt,
beſchränkt iſt. Der Humor aber wird vollen Sinn für das Erhabene
hegen, der naive für ein handgreiflich vorliegendes, der gebrochene für
das mehr innerlich Erhabene des Subjects und die negative, zerſtörende
Seite des Tragiſchen, der freie für das Erhabene des Subjects und das
ganze Tragiſche.
§. 403.
Ein zweiter Theilungsgrund iſt durch die verſchiedenen Reiche des Natur-
ſchönen gegeben: landſchaftliche, thieriſche, menſchliche und zwar
entweder allgemein menſchliche oder geſchichtliche Phantaſie. Auch
dieſe Arten verzweigen ſich zu einer reichen Reihe von Unterarten, die den
engeren Kreiſen dieſer Reiche zugetheilt ſind. Eine dreifache Reihe neuer
Verbindungen entſteht hier theils dadurch, daß die einzelne Art und Unterart
in die andere übergreift, theils durch die Vereinigung der Arten des vorhergehen-
den §. mit den vorliegenden, theils durch die Uebergriffe der ſo verbundenen
Arten und Unterarten ineinander. Auch hier umfaßt je die reichere Phantaſie
mehr Arten und Unterarten.
1. Schon hier erhalten wir eine der Grundlagen der verſchiedenen
Künſte und Kunſtzweige, was im vorh. §. noch nicht ebenſo oder nur
in ſchwacher Andeutung der Fall war, denn die Grundformen des Schönen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/87>, abgerufen am 16.02.2025.
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