Zufällig soll ein Naturschönes den Phantasiebegabten treffen und entzünden. Göthe sagt, jedes wahre Gedicht sei Gelegenheitsgedicht. Die Zufälligkeit, die wir bisher auf allen Punken festhalten mußten, geht hie- mit auch in das subjective Gebiet als Ausgangspunkt der Bewegung ein. Es folgt dieß nothwendig schon aus der eben aufgewiesenen Bedeutung des Gegenstands. Geht der erste Anstoß nicht von diesem aus, so erhal- ten wir immer einen Künstler, der einen Vorrath von Ideen fertig hat und herumsucht, in welche Körper er sie willkührlich lege. Die Persönlich- keit des Phantasiebegabten wird daher überhaupt etwas vom Charakter der Zufälligkeit annehmen; ein sich Gehenlassen, Warten auf gute Stoffe, periodische Unthätigkeit, dann gesteigerte Fruchtbarkeit werden ihn bezeichnen. Dennoch schließt der Begriff des Zufälligen gewisse Formen der Absicht nicht aus. Der Genius kann und muß nicht immer auf Stoffe warten, er muß sie aufspüren, suchen. Maler machen Wanderungen, Reisen, Dichter lesen Geschichtswerke, Novellen u. s. w.; absichtlich ist dabei nur die Durch- suchung des Gebiets, der gute Stoff findet sich dennoch zufällig, überrascht, erfaßt. Aehnlich verhält es sich mit der Bestellung. Die Phantasie, sagt man, läßt sich nicht commandiren. Allein sobald wir voraussetzen, das Bestellte sei ein guter Stoff, so ist die Bestellung nichts weiter als eine Hinweisung auf denselben und ebenso ein Zufall, wie wenn der Künstler den Stoff selbst gefunden hätte. Die erste Richtung seines Geistes auf denselben ist ein Willensact, allein dann wird die Natur des Stoffes selbst zu wirken beginnen und der unwillkührliche Fortgang, das einmal eröffnete Spiel seines Innern, wird den willkührlichen Anfang aufheben. Man muß ja hierin nicht zu haikel sein, Künstler sind gern weichlich, sie müssen geschoben werden, es schadet ihnen gar nicht, wenn sie mitunter invita Minerva an's Werk müssen; verwerflich und vom Künstlerstolze billig ab- gewiesen sind nur Bestellungen von Stoffen, welche ihnen nichts entgegen- bringen, d h. keine Naturschönheit enthalten, elend war die Gelegenheits- dichterei im früheren Sinne, das handwerksmäßige Verfertigen von Hoch- zeits-Tauf-Leichen-Carmina um's Geld. Wenn wir nun so von dem künstlerischen Schaffen die Absichtlichkeit, nur nicht allzuängstlich, ferne hal- ten, so ist damit keineswegs gesagt, daß dieses ganze, auf Zufall gestell- tes Thun nicht ein freies sei. Wir haben nur hier noch nicht zu unter- suchen, in welchem Sinn der Künstler frei handle, in welchem nicht; aber es versteht sich, daß, so wenig wir die eigene Idee des Künstlers aus- schließen, wenn wir auf den Gegenstand dringen, der ihm seinen Ideen- gehalt entgegenbringen soll, ebensowenig die Freiheit aufgehoben ist, wenn wir Zufälligkeit der Anregung verlangen; ein Gegebenes, Gefundenes umbilden beweist mehr Freiheit, als objectlos machen, was man mag. Dennoch dürfen wir die naheliegende Einwendung nicht überhören: kann
Zufällig ſoll ein Naturſchönes den Phantaſiebegabten treffen und entzünden. Göthe ſagt, jedes wahre Gedicht ſei Gelegenheitsgedicht. Die Zufälligkeit, die wir bisher auf allen Punken feſthalten mußten, geht hie- mit auch in das ſubjective Gebiet als Ausgangspunkt der Bewegung ein. Es folgt dieß nothwendig ſchon aus der eben aufgewieſenen Bedeutung des Gegenſtands. Geht der erſte Anſtoß nicht von dieſem aus, ſo erhal- ten wir immer einen Künſtler, der einen Vorrath von Ideen fertig hat und herumſucht, in welche Körper er ſie willkührlich lege. Die Perſönlich- keit des Phantaſiebegabten wird daher überhaupt etwas vom Charakter der Zufälligkeit annehmen; ein ſich Gehenlaſſen, Warten auf gute Stoffe, periodiſche Unthätigkeit, dann geſteigerte Fruchtbarkeit werden ihn bezeichnen. Dennoch ſchließt der Begriff des Zufälligen gewiſſe Formen der Abſicht nicht aus. Der Genius kann und muß nicht immer auf Stoffe warten, er muß ſie aufſpüren, ſuchen. Maler machen Wanderungen, Reiſen, Dichter leſen Geſchichtswerke, Novellen u. ſ. w.; abſichtlich iſt dabei nur die Durch- ſuchung des Gebiets, der gute Stoff findet ſich dennoch zufällig, überraſcht, erfaßt. Aehnlich verhält es ſich mit der Beſtellung. Die Phantaſie, ſagt man, läßt ſich nicht commandiren. Allein ſobald wir vorausſetzen, das Beſtellte ſei ein guter Stoff, ſo iſt die Beſtellung nichts weiter als eine Hinweiſung auf denſelben und ebenſo ein Zufall, wie wenn der Künſtler den Stoff ſelbſt gefunden hätte. Die erſte Richtung ſeines Geiſtes auf denſelben iſt ein Willensact, allein dann wird die Natur des Stoffes ſelbſt zu wirken beginnen und der unwillkührliche Fortgang, das einmal eröffnete Spiel ſeines Innern, wird den willkührlichen Anfang aufheben. Man muß ja hierin nicht zu haikel ſein, Künſtler ſind gern weichlich, ſie müſſen geſchoben werden, es ſchadet ihnen gar nicht, wenn ſie mitunter invita Minerva an’s Werk müſſen; verwerflich und vom Künſtlerſtolze billig ab- gewieſen ſind nur Beſtellungen von Stoffen, welche ihnen nichts entgegen- bringen, d h. keine Naturſchönheit enthalten, elend war die Gelegenheits- dichterei im früheren Sinne, das handwerksmäßige Verfertigen von Hoch- zeits-Tauf-Leichen-Carmina um’s Geld. Wenn wir nun ſo von dem künſtleriſchen Schaffen die Abſichtlichkeit, nur nicht allzuängſtlich, ferne hal- ten, ſo iſt damit keineswegs geſagt, daß dieſes ganze, auf Zufall geſtell- tes Thun nicht ein freies ſei. Wir haben nur hier noch nicht zu unter- ſuchen, in welchem Sinn der Künſtler frei handle, in welchem nicht; aber es verſteht ſich, daß, ſo wenig wir die eigene Idee des Künſtlers aus- ſchließen, wenn wir auf den Gegenſtand dringen, der ihm ſeinen Ideen- gehalt entgegenbringen ſoll, ebenſowenig die Freiheit aufgehoben iſt, wenn wir Zufälligkeit der Anregung verlangen; ein Gegebenes, Gefundenes umbilden beweiſt mehr Freiheit, als objectlos machen, was man mag. Dennoch dürfen wir die naheliegende Einwendung nicht überhören: kann
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><pbfacs="#f0055"n="341"/><p><hirendition="#et"><hirendition="#g">Zufällig</hi>ſoll ein Naturſchönes den Phantaſiebegabten treffen und<lb/>
entzünden. Göthe ſagt, jedes wahre Gedicht ſei Gelegenheitsgedicht. Die<lb/>
Zufälligkeit, die wir bisher auf allen Punken feſthalten mußten, geht hie-<lb/>
mit auch in das ſubjective Gebiet als Ausgangspunkt der Bewegung ein.<lb/>
Es folgt dieß nothwendig ſchon aus der eben aufgewieſenen Bedeutung<lb/>
des Gegenſtands. Geht der erſte Anſtoß nicht von dieſem aus, ſo erhal-<lb/>
ten wir immer einen Künſtler, der einen Vorrath von Ideen fertig hat<lb/>
und herumſucht, in welche Körper er ſie willkührlich lege. Die Perſönlich-<lb/>
keit des Phantaſiebegabten wird daher überhaupt etwas vom Charakter<lb/>
der Zufälligkeit annehmen; ein ſich Gehenlaſſen, Warten auf gute Stoffe,<lb/>
periodiſche Unthätigkeit, dann geſteigerte Fruchtbarkeit werden ihn bezeichnen.<lb/>
Dennoch ſchließt der Begriff des Zufälligen gewiſſe Formen der Abſicht nicht<lb/>
aus. Der Genius kann und muß nicht immer auf Stoffe warten, er<lb/>
muß ſie aufſpüren, ſuchen. Maler machen Wanderungen, Reiſen, Dichter<lb/>
leſen Geſchichtswerke, Novellen u. ſ. w.; abſichtlich iſt dabei nur die Durch-<lb/>ſuchung des Gebiets, der gute Stoff findet ſich dennoch zufällig, überraſcht,<lb/>
erfaßt. Aehnlich verhält es ſich mit der Beſtellung. Die Phantaſie, ſagt<lb/>
man, läßt ſich nicht commandiren. Allein ſobald wir vorausſetzen, das<lb/>
Beſtellte ſei ein guter Stoff, ſo iſt die Beſtellung nichts weiter als eine<lb/>
Hinweiſung auf denſelben und ebenſo ein Zufall, wie wenn der Künſtler<lb/>
den Stoff ſelbſt gefunden hätte. Die erſte Richtung ſeines Geiſtes auf<lb/>
denſelben iſt ein Willensact, allein dann wird die Natur des Stoffes ſelbſt<lb/>
zu wirken beginnen und der unwillkührliche Fortgang, das einmal eröffnete<lb/>
Spiel ſeines Innern, wird den willkührlichen Anfang aufheben. Man<lb/>
muß ja hierin nicht zu haikel ſein, Künſtler ſind gern weichlich, ſie müſſen<lb/>
geſchoben werden, es ſchadet ihnen gar nicht, wenn ſie mitunter <hirendition="#aq">invita<lb/>
Minerva</hi> an’s Werk müſſen; verwerflich und vom Künſtlerſtolze billig ab-<lb/>
gewieſen ſind nur Beſtellungen von Stoffen, welche ihnen nichts entgegen-<lb/>
bringen, d h. keine Naturſchönheit enthalten, elend war die Gelegenheits-<lb/>
dichterei im früheren Sinne, das handwerksmäßige Verfertigen von Hoch-<lb/>
zeits-Tauf-Leichen-Carmina um’s Geld. Wenn wir nun ſo von dem<lb/>
künſtleriſchen Schaffen die Abſichtlichkeit, nur nicht allzuängſtlich, ferne hal-<lb/>
ten, ſo iſt damit keineswegs geſagt, daß dieſes ganze, auf Zufall geſtell-<lb/>
tes Thun nicht ein freies ſei. Wir haben nur hier noch nicht zu unter-<lb/>ſuchen, in welchem Sinn der Künſtler frei handle, in welchem nicht; aber<lb/>
es verſteht ſich, daß, ſo wenig wir die eigene Idee des Künſtlers aus-<lb/>ſchließen, wenn wir auf den Gegenſtand dringen, der ihm ſeinen Ideen-<lb/>
gehalt entgegenbringen ſoll, ebenſowenig die Freiheit aufgehoben iſt, wenn<lb/>
wir Zufälligkeit der Anregung verlangen; ein Gegebenes, Gefundenes<lb/>
umbilden beweiſt mehr Freiheit, als objectlos machen, was man mag.<lb/>
Dennoch dürfen wir die naheliegende Einwendung nicht überhören: kann<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[341/0055]
Zufällig ſoll ein Naturſchönes den Phantaſiebegabten treffen und
entzünden. Göthe ſagt, jedes wahre Gedicht ſei Gelegenheitsgedicht. Die
Zufälligkeit, die wir bisher auf allen Punken feſthalten mußten, geht hie-
mit auch in das ſubjective Gebiet als Ausgangspunkt der Bewegung ein.
Es folgt dieß nothwendig ſchon aus der eben aufgewieſenen Bedeutung
des Gegenſtands. Geht der erſte Anſtoß nicht von dieſem aus, ſo erhal-
ten wir immer einen Künſtler, der einen Vorrath von Ideen fertig hat
und herumſucht, in welche Körper er ſie willkührlich lege. Die Perſönlich-
keit des Phantaſiebegabten wird daher überhaupt etwas vom Charakter
der Zufälligkeit annehmen; ein ſich Gehenlaſſen, Warten auf gute Stoffe,
periodiſche Unthätigkeit, dann geſteigerte Fruchtbarkeit werden ihn bezeichnen.
Dennoch ſchließt der Begriff des Zufälligen gewiſſe Formen der Abſicht nicht
aus. Der Genius kann und muß nicht immer auf Stoffe warten, er
muß ſie aufſpüren, ſuchen. Maler machen Wanderungen, Reiſen, Dichter
leſen Geſchichtswerke, Novellen u. ſ. w.; abſichtlich iſt dabei nur die Durch-
ſuchung des Gebiets, der gute Stoff findet ſich dennoch zufällig, überraſcht,
erfaßt. Aehnlich verhält es ſich mit der Beſtellung. Die Phantaſie, ſagt
man, läßt ſich nicht commandiren. Allein ſobald wir vorausſetzen, das
Beſtellte ſei ein guter Stoff, ſo iſt die Beſtellung nichts weiter als eine
Hinweiſung auf denſelben und ebenſo ein Zufall, wie wenn der Künſtler
den Stoff ſelbſt gefunden hätte. Die erſte Richtung ſeines Geiſtes auf
denſelben iſt ein Willensact, allein dann wird die Natur des Stoffes ſelbſt
zu wirken beginnen und der unwillkührliche Fortgang, das einmal eröffnete
Spiel ſeines Innern, wird den willkührlichen Anfang aufheben. Man
muß ja hierin nicht zu haikel ſein, Künſtler ſind gern weichlich, ſie müſſen
geſchoben werden, es ſchadet ihnen gar nicht, wenn ſie mitunter invita
Minerva an’s Werk müſſen; verwerflich und vom Künſtlerſtolze billig ab-
gewieſen ſind nur Beſtellungen von Stoffen, welche ihnen nichts entgegen-
bringen, d h. keine Naturſchönheit enthalten, elend war die Gelegenheits-
dichterei im früheren Sinne, das handwerksmäßige Verfertigen von Hoch-
zeits-Tauf-Leichen-Carmina um’s Geld. Wenn wir nun ſo von dem
künſtleriſchen Schaffen die Abſichtlichkeit, nur nicht allzuängſtlich, ferne hal-
ten, ſo iſt damit keineswegs geſagt, daß dieſes ganze, auf Zufall geſtell-
tes Thun nicht ein freies ſei. Wir haben nur hier noch nicht zu unter-
ſuchen, in welchem Sinn der Künſtler frei handle, in welchem nicht; aber
es verſteht ſich, daß, ſo wenig wir die eigene Idee des Künſtlers aus-
ſchließen, wenn wir auf den Gegenſtand dringen, der ihm ſeinen Ideen-
gehalt entgegenbringen ſoll, ebenſowenig die Freiheit aufgehoben iſt, wenn
wir Zufälligkeit der Anregung verlangen; ein Gegebenes, Gefundenes
umbilden beweiſt mehr Freiheit, als objectlos machen, was man mag.
Dennoch dürfen wir die naheliegende Einwendung nicht überhören: kann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/55>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.