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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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eigenen Leibe tragen, so ist es ja klar, daß es allerdings auf den
Gegenstand
, keineswegs nur auf das Subject des Künstlers, auf die
Behandlung ankommt. Hierin nun ist es, (vergl. §. 381 Anm. 2), wo
Rumohr, nebst schwankender Anerkennung des Gegenstands (z. B. a. a.
O. S. 156), ganz gegen seine Absicht in den leeren Idealismus geräth,
wenn er (S. 133) sagt, es heiße die Sache bei ihrem Ende ergreifen,
wenn man "sich damit begnüge," den Werth oder Unwerth des Gegen-
stands ermitteln zu wollen. Begnügen soll man sich allerdings nicht damit,
aber darum ist es keineswegs "nur" die Auffassung und Darstellung, auf
die es, wie er fortfährt, ankommen soll. Wenn von hundert Künstlern
jeder denselben Gegenstand auffaßt, so darf ihn doch jeder nur nach einer
Seite auffassen, die wirklich in ihm liegt, und ich erkenne aus der Ver-
schiedenheit dieser Auffassung allerdings, daß sich wesentlich "die Seele
des Künstlers im Kunstwerke zeigt" (Schelling in s. Rede), aber die Seele
des Künstlers, homogen zusammengegangen mit der gegebenen, freilich
verschiedene Seiten bietenden, innersten Natur des Gegenstands, oder
richtiger, der Gegenstand, eingegangen in die verwandte Seele des Künst-
lers. Hettner ist in den §. 236, 3. angeführten Sätzen Rumohr gefolgt,
mit ihm in Baumgartens aus Halbwahrheit unwahren Satz gerathen, die
Kunst könne auch Häßliches schön darstellen (possunt turpia pulcre cogi-
tari),
und steigert nun diesen Idealismus bis zu der Loosung: die Kunst
sei Ausdruck des Gedankens und nur dieses. Von dem Mißlichen, das
in der Bezeichnung "Gedanke" liegt, wollen wir absehen und nur fragen,
ob denn dieser Gedanke nicht für das jeweilige Kunstwerk eben der Ge-
danke dessen sein müsse, was im Gegenstande liegt? Und ob man dieß
in der Aufstellung eines Hauptsatzes weglassen dürfe, ohne jeder Willkühr
desselben vornehmen Gebahrens mit der Natur, wogegen Hettner auftritt,
Thür und Thor zu öffnen? In der Kritik einer neueren Kunstausstellung
zu Stuttgart las man, die Thiere seien als unreife Uebergangsform kein
Stoff der Darstellung für die Kunst, dann weiter: "da kann eine an-
dere Idee, als die ihrer eigenen Existenz, nicht durch sie zur
Erscheinung kommen, ohne in Conflict mit der Form zu ge-
rathen
." Hier, in diesem durch Gegentheil des Richtigen über das
Richtige sehr belehrenden Satze, hat man die Folgen der rein subjectiven
Ableitung des Schönen. Ein Gegenstand soll in dem Grade für die Kunst
tauglich sein, in welchem er zuläßt, eine andere Idee, als die seines eige-
nen Wesens, in ihn zu zwängen. Daraus folgt aber gerade, daß, je
ärmer ein Gegenstand, desto vortheilhafter er ist. Ein Thier läßt sich viel
eher gefallen, als Allegorie verwandt zu werden, als ein Mensch, und
eine Lichtscheere leidet es mit aller Geduld als Sinnbild der Aufklärung
das Ganze eines Kunstwerks abzugeben.


eigenen Leibe tragen, ſo iſt es ja klar, daß es allerdings auf den
Gegenſtand
, keineswegs nur auf das Subject des Künſtlers, auf die
Behandlung ankommt. Hierin nun iſt es, (vergl. §. 381 Anm. 2), wo
Rumohr, nebſt ſchwankender Anerkennung des Gegenſtands (z. B. a. a.
O. S. 156), ganz gegen ſeine Abſicht in den leeren Idealiſmus geräth,
wenn er (S. 133) ſagt, es heiße die Sache bei ihrem Ende ergreifen,
wenn man „ſich damit begnüge,“ den Werth oder Unwerth des Gegen-
ſtands ermitteln zu wollen. Begnügen ſoll man ſich allerdings nicht damit,
aber darum iſt es keineswegs „nur“ die Auffaſſung und Darſtellung, auf
die es, wie er fortfährt, ankommen ſoll. Wenn von hundert Künſtlern
jeder denſelben Gegenſtand auffaßt, ſo darf ihn doch jeder nur nach einer
Seite auffaſſen, die wirklich in ihm liegt, und ich erkenne aus der Ver-
ſchiedenheit dieſer Auffaſſung allerdings, daß ſich weſentlich „die Seele
des Künſtlers im Kunſtwerke zeigt“ (Schelling in ſ. Rede), aber die Seele
des Künſtlers, homogen zuſammengegangen mit der gegebenen, freilich
verſchiedene Seiten bietenden, innerſten Natur des Gegenſtands, oder
richtiger, der Gegenſtand, eingegangen in die verwandte Seele des Künſt-
lers. Hettner iſt in den §. 236, 3. angeführten Sätzen Rumohr gefolgt,
mit ihm in Baumgartens aus Halbwahrheit unwahren Satz gerathen, die
Kunſt könne auch Häßliches ſchön darſtellen (possunt turpia pulcre cogi-
tari),
und ſteigert nun dieſen Idealiſmus bis zu der Looſung: die Kunſt
ſei Ausdruck des Gedankens und nur dieſes. Von dem Mißlichen, das
in der Bezeichnung „Gedanke“ liegt, wollen wir abſehen und nur fragen,
ob denn dieſer Gedanke nicht für das jeweilige Kunſtwerk eben der Ge-
danke deſſen ſein müſſe, was im Gegenſtande liegt? Und ob man dieß
in der Aufſtellung eines Hauptſatzes weglaſſen dürfe, ohne jeder Willkühr
deſſelben vornehmen Gebahrens mit der Natur, wogegen Hettner auftritt,
Thür und Thor zu öffnen? In der Kritik einer neueren Kunſtausſtellung
zu Stuttgart las man, die Thiere ſeien als unreife Uebergangsform kein
Stoff der Darſtellung für die Kunſt, dann weiter: „da kann eine an-
dere Idee, als die ihrer eigenen Exiſtenz, nicht durch ſie zur
Erſcheinung kommen, ohne in Conflict mit der Form zu ge-
rathen
.“ Hier, in dieſem durch Gegentheil des Richtigen über das
Richtige ſehr belehrenden Satze, hat man die Folgen der rein ſubjectiven
Ableitung des Schönen. Ein Gegenſtand ſoll in dem Grade für die Kunſt
tauglich ſein, in welchem er zuläßt, eine andere Idee, als die ſeines eige-
nen Weſens, in ihn zu zwängen. Daraus folgt aber gerade, daß, je
ärmer ein Gegenſtand, deſto vortheilhafter er iſt. Ein Thier läßt ſich viel
eher gefallen, als Allegorie verwandt zu werden, als ein Menſch, und
eine Lichtſcheere leidet es mit aller Geduld als Sinnbild der Aufklärung
das Ganze eines Kunſtwerks abzugeben.


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[340/0054] eigenen Leibe tragen, ſo iſt es ja klar, daß es allerdings auf den Gegenſtand, keineswegs nur auf das Subject des Künſtlers, auf die Behandlung ankommt. Hierin nun iſt es, (vergl. §. 381 Anm. 2), wo Rumohr, nebſt ſchwankender Anerkennung des Gegenſtands (z. B. a. a. O. S. 156), ganz gegen ſeine Abſicht in den leeren Idealiſmus geräth, wenn er (S. 133) ſagt, es heiße die Sache bei ihrem Ende ergreifen, wenn man „ſich damit begnüge,“ den Werth oder Unwerth des Gegen- ſtands ermitteln zu wollen. Begnügen ſoll man ſich allerdings nicht damit, aber darum iſt es keineswegs „nur“ die Auffaſſung und Darſtellung, auf die es, wie er fortfährt, ankommen ſoll. Wenn von hundert Künſtlern jeder denſelben Gegenſtand auffaßt, ſo darf ihn doch jeder nur nach einer Seite auffaſſen, die wirklich in ihm liegt, und ich erkenne aus der Ver- ſchiedenheit dieſer Auffaſſung allerdings, daß ſich weſentlich „die Seele des Künſtlers im Kunſtwerke zeigt“ (Schelling in ſ. Rede), aber die Seele des Künſtlers, homogen zuſammengegangen mit der gegebenen, freilich verſchiedene Seiten bietenden, innerſten Natur des Gegenſtands, oder richtiger, der Gegenſtand, eingegangen in die verwandte Seele des Künſt- lers. Hettner iſt in den §. 236, 3. angeführten Sätzen Rumohr gefolgt, mit ihm in Baumgartens aus Halbwahrheit unwahren Satz gerathen, die Kunſt könne auch Häßliches ſchön darſtellen (possunt turpia pulcre cogi- tari), und ſteigert nun dieſen Idealiſmus bis zu der Looſung: die Kunſt ſei Ausdruck des Gedankens und nur dieſes. Von dem Mißlichen, das in der Bezeichnung „Gedanke“ liegt, wollen wir abſehen und nur fragen, ob denn dieſer Gedanke nicht für das jeweilige Kunſtwerk eben der Ge- danke deſſen ſein müſſe, was im Gegenſtande liegt? Und ob man dieß in der Aufſtellung eines Hauptſatzes weglaſſen dürfe, ohne jeder Willkühr deſſelben vornehmen Gebahrens mit der Natur, wogegen Hettner auftritt, Thür und Thor zu öffnen? In der Kritik einer neueren Kunſtausſtellung zu Stuttgart las man, die Thiere ſeien als unreife Uebergangsform kein Stoff der Darſtellung für die Kunſt, dann weiter: „da kann eine an- dere Idee, als die ihrer eigenen Exiſtenz, nicht durch ſie zur Erſcheinung kommen, ohne in Conflict mit der Form zu ge- rathen.“ Hier, in dieſem durch Gegentheil des Richtigen über das Richtige ſehr belehrenden Satze, hat man die Folgen der rein ſubjectiven Ableitung des Schönen. Ein Gegenſtand ſoll in dem Grade für die Kunſt tauglich ſein, in welchem er zuläßt, eine andere Idee, als die ſeines eige- nen Weſens, in ihn zu zwängen. Daraus folgt aber gerade, daß, je ärmer ein Gegenſtand, deſto vortheilhafter er iſt. Ein Thier läßt ſich viel eher gefallen, als Allegorie verwandt zu werden, als ein Menſch, und eine Lichtſcheere leidet es mit aller Geduld als Sinnbild der Aufklärung das Ganze eines Kunſtwerks abzugeben.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/54>, abgerufen am 21.11.2024.