muß also Gemüth, Güte, sittlichen Willen und somit einen Willen über- haupt, eine Person hinter dem suchen, worauf ihre Richtung geht, hinter der unpersönlichen Natur. Legt sie aber eine Seele in diese, so muß sie auch einen menschlichen Leib hineinlegen. Also muß sie sich freilich auch nach der menschlichen Gestalt umsehen und wenigstens einen Schatten von ihr jener Seele zulegen. Was haben wir nun? Ein Object aus der bewußtlosen Natur und dieses Object deutet symbolisch einen Gehalt an; aber zugleich steckt in ihm wie ein Saame in seiner Kapsel ein beseeltes persönliches Wesen mit einem Leib. Daß dieser Leib in dem nicht mensch- lichen Körper keinen Raum hat, das stört diese Phantasie so wenig, als noch heute der Aberglaube durch den körperlosen Körper seiner Gespenster in logische Verlegenheit gesetzt wird. Diese Seele mit ihrem Leibe, den keine Raumgesetze drücken, ist der Gott. Der Gott mit seiner Gestalt nun ist durchaus nicht mehr blos symbolisch. Man könnte zwar sagen, die Kluft zwischen der Gestalt und der Bedeutung sei nun in's Unend- liche erweitert, denn nun solle eine lebendige Person mit der reichen Concretion des Geistes, die sich in ihrer Gestalt ausdrückt, nur das Ab- stractum einer Naturkraft bedeuten. Wir haben vom Symbole gesagt, die Bedeutung sei zu weit, das Bild zu eng; wir hätten es auch um- gekehrt sagen können, denn das Bild hat viele Eigenschaften und nur Eine gilt, als tertium comparationis nämlich. Beides ist richtig, und so scheint es auch von der Göttergestalt gesagt werden zu müssen: sie ist zu reich für die abstracte Einfachheit der Bedeutung, also zu weit; sie ist aber individuell, die Naturkraft dagegen waltet weit in der Welt, jene fällt in diese wie in einen zu weiten Behälter; ist also zu eng. So haben nun wirklich Baur (a. a. O. Th. 1, S. 9), O. Müller, der doch (Pro- leg. S. 243) selbst sagt: "nicht die Kräfte der Natur wurden theoi ge- nannt, sondern die geglaubten Götter erschienen in der Natur lebendig," (a. a. O. S. 261), ja auch Hegel, der doch nachher den Götterglauben ganz anders auffaßt, (Aesth. Th. 1, S. 454) die Menschengestalt des Gottes für symbolisch erklärt. Allein in Wahrheit verändert sich, sobald diese eintritt, das symbolische Verhältniß: die Bedeutung ist zwar wohl abstract, aber der Gott nimmt sie als seinen Zweck und Willen in sich herein, er lebt, er erhebt sich über die kahle Einfachheit der Bedeutung, ist um seinetwillen da, fühlt, denkt, will, der Gehalt des Symbols ordnet sich ihm unter, erwärmt sich in seiner Brust zum Gefühlten, Gewollten. Der Wille wird That, der Gott handelt; dieß ist nothwendige Folge, sobald ein Gott gesetzt ist, denn mit dem Persönlichen ist die Thätigkeit, mit der menschlichen Gestalt der Gebrauch ihrer Organe schon gegeben. Die Idee, die hinter dem Symbole lag, wird also jetzt vom Gott als Handlung in der Succession der Zeit ausgeführt, sie wird ideale Geschichte
muß alſo Gemüth, Güte, ſittlichen Willen und ſomit einen Willen über- haupt, eine Perſon hinter dem ſuchen, worauf ihre Richtung geht, hinter der unperſönlichen Natur. Legt ſie aber eine Seele in dieſe, ſo muß ſie auch einen menſchlichen Leib hineinlegen. Alſo muß ſie ſich freilich auch nach der menſchlichen Geſtalt umſehen und wenigſtens einen Schatten von ihr jener Seele zulegen. Was haben wir nun? Ein Object aus der bewußtloſen Natur und dieſes Object deutet ſymboliſch einen Gehalt an; aber zugleich ſteckt in ihm wie ein Saame in ſeiner Kapſel ein beſeeltes perſönliches Weſen mit einem Leib. Daß dieſer Leib in dem nicht menſch- lichen Körper keinen Raum hat, das ſtört dieſe Phantaſie ſo wenig, als noch heute der Aberglaube durch den körperloſen Körper ſeiner Geſpenſter in logiſche Verlegenheit geſetzt wird. Dieſe Seele mit ihrem Leibe, den keine Raumgeſetze drücken, iſt der Gott. Der Gott mit ſeiner Geſtalt nun iſt durchaus nicht mehr blos ſymboliſch. Man könnte zwar ſagen, die Kluft zwiſchen der Geſtalt und der Bedeutung ſei nun in’s Unend- liche erweitert, denn nun ſolle eine lebendige Perſon mit der reichen Concretion des Geiſtes, die ſich in ihrer Geſtalt ausdrückt, nur das Ab- ſtractum einer Naturkraft bedeuten. Wir haben vom Symbole geſagt, die Bedeutung ſei zu weit, das Bild zu eng; wir hätten es auch um- gekehrt ſagen können, denn das Bild hat viele Eigenſchaften und nur Eine gilt, als tertium comparationis nämlich. Beides iſt richtig, und ſo ſcheint es auch von der Göttergeſtalt geſagt werden zu müſſen: ſie iſt zu reich für die abſtracte Einfachheit der Bedeutung, alſo zu weit; ſie iſt aber individuell, die Naturkraft dagegen waltet weit in der Welt, jene fällt in dieſe wie in einen zu weiten Behälter; iſt alſo zu eng. So haben nun wirklich Baur (a. a. O. Th. 1, S. 9), O. Müller, der doch (Pro- leg. S. 243) ſelbſt ſagt: „nicht die Kräfte der Natur wurden ϑεοὶ ge- nannt, ſondern die geglaubten Götter erſchienen in der Natur lebendig,“ (a. a. O. S. 261), ja auch Hegel, der doch nachher den Götterglauben ganz anders auffaßt, (Aeſth. Th. 1, S. 454) die Menſchengeſtalt des Gottes für ſymboliſch erklärt. Allein in Wahrheit verändert ſich, ſobald dieſe eintritt, das ſymboliſche Verhältniß: die Bedeutung iſt zwar wohl abſtract, aber der Gott nimmt ſie als ſeinen Zweck und Willen in ſich herein, er lebt, er erhebt ſich über die kahle Einfachheit der Bedeutung, iſt um ſeinetwillen da, fühlt, denkt, will, der Gehalt des Symbols ordnet ſich ihm unter, erwärmt ſich in ſeiner Bruſt zum Gefühlten, Gewollten. Der Wille wird That, der Gott handelt; dieß iſt nothwendige Folge, ſobald ein Gott geſetzt iſt, denn mit dem Perſönlichen iſt die Thätigkeit, mit der menſchlichen Geſtalt der Gebrauch ihrer Organe ſchon gegeben. Die Idee, die hinter dem Symbole lag, wird alſo jetzt vom Gott als Handlung in der Succeſſion der Zeit ausgeführt, ſie wird ideale Geſchichte
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der unperſönlichen Natur. Legt ſie aber eine Seele in dieſe, ſo muß ſie
auch einen menſchlichen Leib hineinlegen. Alſo muß ſie ſich freilich auch
nach der menſchlichen Geſtalt umſehen und wenigſtens einen Schatten von
ihr jener Seele zulegen. Was haben wir nun? Ein Object aus der
bewußtloſen Natur und dieſes Object deutet ſymboliſch einen Gehalt an;
aber zugleich ſteckt in ihm wie ein Saame in ſeiner Kapſel ein beſeeltes
perſönliches Weſen mit einem Leib. Daß dieſer Leib in dem nicht menſch-
lichen Körper keinen Raum hat, das ſtört dieſe Phantaſie ſo wenig, als
noch heute der Aberglaube durch den körperloſen Körper ſeiner Geſpenſter
in logiſche Verlegenheit geſetzt wird. Dieſe Seele mit ihrem Leibe, den
keine Raumgeſetze drücken, iſt der Gott. Der Gott mit ſeiner Geſtalt
nun iſt durchaus nicht mehr blos ſymboliſch. Man könnte zwar ſagen,
die Kluft zwiſchen der Geſtalt und der Bedeutung ſei nun in’s Unend-
liche erweitert, denn nun ſolle eine lebendige Perſon mit der reichen
Concretion des Geiſtes, die ſich in ihrer Geſtalt ausdrückt, nur das Ab-
ſtractum einer Naturkraft bedeuten. Wir haben vom Symbole geſagt,
die Bedeutung ſei zu weit, das Bild zu eng; wir hätten es auch um-
gekehrt ſagen können, denn das Bild hat viele Eigenſchaften und nur
Eine gilt, als tertium comparationis nämlich. Beides iſt richtig, und ſo
ſcheint es auch von der Göttergeſtalt geſagt werden zu müſſen: ſie iſt zu
reich für die abſtracte Einfachheit der Bedeutung, alſo zu weit; ſie iſt
aber individuell, die Naturkraft dagegen waltet weit in der Welt, jene
fällt in dieſe wie in einen zu weiten Behälter; iſt alſo zu eng. So haben
nun wirklich Baur (a. a. O. Th. 1, S. 9), O. Müller, der doch (Pro-
leg. S. 243) ſelbſt ſagt: „nicht die Kräfte der Natur wurden ϑεοὶ ge-
nannt, ſondern die geglaubten Götter erſchienen in der Natur lebendig,“
(a. a. O. S. 261), ja auch Hegel, der doch nachher den Götterglauben
ganz anders auffaßt, (Aeſth. Th. 1, S. 454) die Menſchengeſtalt des
Gottes für ſymboliſch erklärt. Allein in Wahrheit verändert ſich, ſobald
dieſe eintritt, das ſymboliſche Verhältniß: die Bedeutung iſt zwar wohl
abſtract, aber der Gott nimmt ſie als ſeinen Zweck und Willen in ſich
herein, er lebt, er erhebt ſich über die kahle Einfachheit der Bedeutung,
iſt um ſeinetwillen da, fühlt, denkt, will, der Gehalt des Symbols ordnet
ſich ihm unter, erwärmt ſich in ſeiner Bruſt zum Gefühlten, Gewollten.
Der Wille wird That, der Gott handelt; dieß iſt nothwendige Folge,
ſobald ein Gott geſetzt iſt, denn mit dem Perſönlichen iſt die Thätigkeit,
mit der menſchlichen Geſtalt der Gebrauch ihrer Organe ſchon gegeben.
Die Idee, die hinter dem Symbole lag, wird alſo jetzt vom Gott als
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/135>, abgerufen am 08.07.2024.
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