stande, insgesammt eigennützig, hart, schneidend, greifen positiver in die Geschichte ein und gehen in blutigen Kriegen, wie jene in thatloserer Unterwerfung, an der freien Kraft der wahrhaft ethischen Völker zu Grunde.
1. Wir haben hier ein Verhältniß wie in §. 346. Aegypten gibt im Abschnitt von der Naturschönheit geringen Stoff, die Semiten reichen; im Abschnitte von der Phantasie wird es sich umgekehrt verhalten, denn Aegypten hat eine reichere Mythologie, auch seine realen Stoffe, so arm sie sind, hat es productiv selbst benützt, die Semiten dagegen haben gehandelt, aber eine arme Mythologie und ebenso arme künstlerische Phantasie entwickelt. Die Aegytier nehmen daher in dieser Gruppe eine Stellung ein, wie in jener die Indier, sie nähern sich diesen auch im Typus: ihr Gesicht zeigt kurze, nur wenig zurückweichende Stirne, die Nase tritt länglicht, kaum gebogen hervor, das Kinn tritt leise zurück. Sie waren Aethiopier, aber nicht Neger, sondern von kaukasischem, den Indiern verwandtem Stamme. Semitisches muß sich aber mit ihrem Blute verschmelzt haben und dieß gab ihnen die berechnende Verständigkeit, was der bekannte Charakter des Nilthals durch die Nothwendigkeit der Berechnungen, Messungen, Kanalbauten u. s. w. noch schärfte. Sie waren durch diese ihre Natur vorzugsweise das gewitzigte orientalische Volk. Aber sie wurden praktisch nur in der Sphäre des Zweckmäßigen, nicht groß im politischen Leben, beschleierten Geist haben sie trotz der ungleich größeren Bestimmtheit ihres Wesens wieder mit den Indiern gemein. Ihr schmal geschlitztes, an den äußeren Winkeln aufgezogenes Auge mit den entsprechenden Mundwinkeln erinnert sogar an Mongolisches und dessen Melancholie. Dieses sinnige Volk brütete still, bauend, messend, rathend in seinem Geheimnisse und blieb passiv in der Geschichte. Blos seine landschaftliche Natur und seine Sitten konnten oder können Stoff geben, kaum seine Thaten. Ein Priesterstaat mit fester Krystallisation der Kasten, einen eingeengten König an der Spitze, unterscheidet es sich von Indien durch den bedachteren, durchaus ceremoniösen und feierlichen Charakter. Fast geräuschlos fällt es Persern, Griechen, Römern in die Hände und bleibt ein wie Indien geheimnißvoll, wunderbar reizendes Bildungsland für die alte Welt.
2. Indier und Aegyptier scheuten das Meer, die Syrier und Phönizier sind kühne Seefahrer, diese gründen Karthago. Neben diesen Handels- völkern tritt in bekannter Eigenthümlichkeit das jüdische Volk hervor. Die Araber treten noch nicht in die Geschichte ein, zeigen aber noch heute wie Kurden und Juden das gemeinsame Gepräge des semitischen Stamms, den schärfsten Ausschnitt dessen, was in §. 343 als orientalisch bezeichnet wurde, die hohe, zurückfliegende Stirne, die schmale, gebogene, spitze
ſtande, insgeſammt eigennützig, hart, ſchneidend, greifen poſitiver in die Geſchichte ein und gehen in blutigen Kriegen, wie jene in thatloſerer Unterwerfung, an der freien Kraft der wahrhaft ethiſchen Völker zu Grunde.
1. Wir haben hier ein Verhältniß wie in §. 346. Aegypten gibt im Abſchnitt von der Naturſchönheit geringen Stoff, die Semiten reichen; im Abſchnitte von der Phantaſie wird es ſich umgekehrt verhalten, denn Aegypten hat eine reichere Mythologie, auch ſeine realen Stoffe, ſo arm ſie ſind, hat es productiv ſelbſt benützt, die Semiten dagegen haben gehandelt, aber eine arme Mythologie und ebenſo arme künſtleriſche Phantaſie entwickelt. Die Aegytier nehmen daher in dieſer Gruppe eine Stellung ein, wie in jener die Indier, ſie nähern ſich dieſen auch im Typus: ihr Geſicht zeigt kurze, nur wenig zurückweichende Stirne, die Naſe tritt länglicht, kaum gebogen hervor, das Kinn tritt leiſe zurück. Sie waren Aethiopier, aber nicht Neger, ſondern von kaukaſiſchem, den Indiern verwandtem Stamme. Semitiſches muß ſich aber mit ihrem Blute verſchmelzt haben und dieß gab ihnen die berechnende Verſtändigkeit, was der bekannte Charakter des Nilthals durch die Nothwendigkeit der Berechnungen, Meſſungen, Kanalbauten u. ſ. w. noch ſchärfte. Sie waren durch dieſe ihre Natur vorzugsweiſe das gewitzigte orientaliſche Volk. Aber ſie wurden praktiſch nur in der Sphäre des Zweckmäßigen, nicht groß im politiſchen Leben, beſchleierten Geiſt haben ſie trotz der ungleich größeren Beſtimmtheit ihres Weſens wieder mit den Indiern gemein. Ihr ſchmal geſchlitztes, an den äußeren Winkeln aufgezogenes Auge mit den entſprechenden Mundwinkeln erinnert ſogar an Mongoliſches und deſſen Melancholie. Dieſes ſinnige Volk brütete ſtill, bauend, meſſend, rathend in ſeinem Geheimniſſe und blieb paſſiv in der Geſchichte. Blos ſeine landſchaftliche Natur und ſeine Sitten konnten oder können Stoff geben, kaum ſeine Thaten. Ein Prieſterſtaat mit feſter Kryſtalliſation der Kaſten, einen eingeengten König an der Spitze, unterſcheidet es ſich von Indien durch den bedachteren, durchaus ceremoniöſen und feierlichen Charakter. Faſt geräuſchlos fällt es Perſern, Griechen, Römern in die Hände und bleibt ein wie Indien geheimnißvoll, wunderbar reizendes Bildungsland für die alte Welt.
2. Indier und Aegyptier ſcheuten das Meer, die Syrier und Phönizier ſind kühne Seefahrer, dieſe gründen Karthago. Neben dieſen Handels- völkern tritt in bekannter Eigenthümlichkeit das jüdiſche Volk hervor. Die Araber treten noch nicht in die Geſchichte ein, zeigen aber noch heute wie Kurden und Juden das gemeinſame Gepräge des ſemitiſchen Stamms, den ſchärfſten Ausſchnitt deſſen, was in §. 343 als orientaliſch bezeichnet wurde, die hohe, zurückfliegende Stirne, die ſchmale, gebogene, ſpitze
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ſtande, insgeſammt eigennützig, hart, ſchneidend, greifen poſitiver in die Geſchichte
ein und gehen in blutigen Kriegen, wie jene in thatloſerer Unterwerfung, an
der freien Kraft der wahrhaft ethiſchen Völker zu Grunde.
1. Wir haben hier ein Verhältniß wie in §. 346. Aegypten gibt
im Abſchnitt von der Naturſchönheit geringen Stoff, die Semiten reichen;
im Abſchnitte von der Phantaſie wird es ſich umgekehrt verhalten, denn
Aegypten hat eine reichere Mythologie, auch ſeine realen Stoffe, ſo arm
ſie ſind, hat es productiv ſelbſt benützt, die Semiten dagegen haben
gehandelt, aber eine arme Mythologie und ebenſo arme künſtleriſche
Phantaſie entwickelt. Die Aegytier nehmen daher in dieſer Gruppe eine
Stellung ein, wie in jener die Indier, ſie nähern ſich dieſen auch im
Typus: ihr Geſicht zeigt kurze, nur wenig zurückweichende Stirne, die
Naſe tritt länglicht, kaum gebogen hervor, das Kinn tritt leiſe zurück.
Sie waren Aethiopier, aber nicht Neger, ſondern von kaukaſiſchem, den
Indiern verwandtem Stamme. Semitiſches muß ſich aber mit ihrem
Blute verſchmelzt haben und dieß gab ihnen die berechnende Verſtändigkeit,
was der bekannte Charakter des Nilthals durch die Nothwendigkeit der
Berechnungen, Meſſungen, Kanalbauten u. ſ. w. noch ſchärfte. Sie
waren durch dieſe ihre Natur vorzugsweiſe das gewitzigte orientaliſche
Volk. Aber ſie wurden praktiſch nur in der Sphäre des Zweckmäßigen,
nicht groß im politiſchen Leben, beſchleierten Geiſt haben ſie trotz der
ungleich größeren Beſtimmtheit ihres Weſens wieder mit den Indiern
gemein. Ihr ſchmal geſchlitztes, an den äußeren Winkeln aufgezogenes
Auge mit den entſprechenden Mundwinkeln erinnert ſogar an Mongoliſches
und deſſen Melancholie. Dieſes ſinnige Volk brütete ſtill, bauend, meſſend,
rathend in ſeinem Geheimniſſe und blieb paſſiv in der Geſchichte. Blos
ſeine landſchaftliche Natur und ſeine Sitten konnten oder können Stoff
geben, kaum ſeine Thaten. Ein Prieſterſtaat mit feſter Kryſtalliſation
der Kaſten, einen eingeengten König an der Spitze, unterſcheidet es ſich
von Indien durch den bedachteren, durchaus ceremoniöſen und feierlichen
Charakter. Faſt geräuſchlos fällt es Perſern, Griechen, Römern in die
Hände und bleibt ein wie Indien geheimnißvoll, wunderbar reizendes
Bildungsland für die alte Welt.
2. Indier und Aegyptier ſcheuten das Meer, die Syrier und Phönizier
ſind kühne Seefahrer, dieſe gründen Karthago. Neben dieſen Handels-
völkern tritt in bekannter Eigenthümlichkeit das jüdiſche Volk hervor. Die
Araber treten noch nicht in die Geſchichte ein, zeigen aber noch heute wie
Kurden und Juden das gemeinſame Gepräge des ſemitiſchen Stamms,
den ſchärfſten Ausſchnitt deſſen, was in §. 343 als orientaliſch bezeichnet
wurde, die hohe, zurückfliegende Stirne, die ſchmale, gebogene, ſpitze
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/243>, abgerufen am 16.02.2025.
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