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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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Stimme drückt nur in einzelneu Lauten das innere Leben der Thierseele aus,
welche nun die höchsten Stufen der ihr möglichen Vollkommenheit erreicht.

Es darf nicht übersehen werden, daß im Bau des Säugethiers, der
schon in §. 205 als der eigentliche Thiertypus aufgestellt ist, Vieles ver-
loren geht, was der Vogel an Schönheit besitzt. Der ächte Vogel steht
aufrecht, die Brust tritt hervor. Bei dem Säugethiere sinkt der Leib
horizontal auf die Vorderfüße herab, die Brust wird zwischen die Schulter-
blätter eingedrückt, der Kopf strebt horizontal ab oder bildet in edlerer und
höherer Form mit dem Halse einen Winkel, wo er freier vor sich und
um sich sieht; immer aber ist der Ausdruck, daß das Thier zur Erde sehe,
gerade den höchsten Thieren, den Säugethieren, weil sie dem Menschen
am nächsten stehen und der Gegensatz daher um so stärker auffällt, ent-
nommen. Der ganze Bau soll erst wieder aufgerichtet werden. Allerdings
aber entstehen mit diesem theilweisen Verluste neue Schönheiten. Der
Körper ist beweglicher und kann eine Menge von Stellungen annehmen,
die dem Vogel unmöglich sind: auf die Hinterfüße sitzen, wo denn die
Brust mehr hervortritt, auf den Bauch liegen, wo die Hinterbacken schön
heraustreten, die Vorderfüße dabei ausstrecken oder einziehen, auf die
Seite liegen u. s. w. Das reichere Skelett, die vielfachen Muskeln und
Sehnen bilden die verschiedensten Hebungen und Senkungen, plastische
Entwicklungen, wo der Vogel nur abwechslungslos runde Oberflächen
zeigt. Auch die Rückenwirbel sind beweglich, der kürzere Hals aber ungleich
weniger, als bei dem Vogel. Die geästete Feder ist zu dem fadenartigen,
der Haut mehr angehörigen Haare geworden; "die Elementarfarben fangen
an uns ganz zu verlassen, Weiß und Schwarz, Gelb, Gelbroth und
Braun wechseln auf mannigfaltige Weise, doch erscheinen sie niemals auf
eine solche Art, daß sie uns an die Elementarfarben erinnerten. Sie sind
alle vielmehr gemischte, durch organische Kochung bezwungene Farben.
Wenn bei Affen gewisse nackte Theile bunt, mit Elementarfarben erscheinen,
so zeigt dieß die weite Entfernung eines solchen Geschöpfs von der Voll-
kommenheit an: denn man kann sagen, je edler ein Geschöpf ist, desto
mehr ist alles Stoffartige in ihm verarbeitet, je wesentlicher seine Ober-
fläche mit dem Innern zusammenhängt, desto weniger können auf derselben
Elementarfarben erscheinen. Denn da, wo Alles ein vollkommenes Ganzes
ausmachen so, kann sich nicht hier und da etwas Spezifisches absondern"
(Göthe Farbenl. §. 662. 664. 666.). Ueber diese weichere Oberfläche
ist eine höhere Empfindung verbreitet, die sich in den Pfoten und im Munde,
vorzüglich wo er zum Rüßel verlängert ist, als Tastsinn concentrirt. Der
Hauptfortschritt aber liegt im Kopfe. Er ist überhaupt größer als bei
den Vögeln. Das Gehör erscheint zuerst jetzt als äußeres Ohr, das theils

Stimme drückt nur in einzelneu Lauten das innere Leben der Thierſeele aus,
welche nun die höchſten Stufen der ihr möglichen Vollkommenheit erreicht.

Es darf nicht überſehen werden, daß im Bau des Säugethiers, der
ſchon in §. 205 als der eigentliche Thiertypus aufgeſtellt iſt, Vieles ver-
loren geht, was der Vogel an Schönheit beſitzt. Der ächte Vogel ſteht
aufrecht, die Bruſt tritt hervor. Bei dem Säugethiere ſinkt der Leib
horizontal auf die Vorderfüße herab, die Bruſt wird zwiſchen die Schulter-
blätter eingedrückt, der Kopf ſtrebt horizontal ab oder bildet in edlerer und
höherer Form mit dem Halſe einen Winkel, wo er freier vor ſich und
um ſich ſieht; immer aber iſt der Ausdruck, daß das Thier zur Erde ſehe,
gerade den höchſten Thieren, den Säugethieren, weil ſie dem Menſchen
am nächſten ſtehen und der Gegenſatz daher um ſo ſtärker auffällt, ent-
nommen. Der ganze Bau ſoll erſt wieder aufgerichtet werden. Allerdings
aber entſtehen mit dieſem theilweiſen Verluſte neue Schönheiten. Der
Körper iſt beweglicher und kann eine Menge von Stellungen annehmen,
die dem Vogel unmöglich ſind: auf die Hinterfüße ſitzen, wo denn die
Bruſt mehr hervortritt, auf den Bauch liegen, wo die Hinterbacken ſchön
heraustreten, die Vorderfüße dabei ausſtrecken oder einziehen, auf die
Seite liegen u. ſ. w. Das reichere Skelett, die vielfachen Muskeln und
Sehnen bilden die verſchiedenſten Hebungen und Senkungen, plaſtiſche
Entwicklungen, wo der Vogel nur abwechslungslos runde Oberflächen
zeigt. Auch die Rückenwirbel ſind beweglich, der kürzere Hals aber ungleich
weniger, als bei dem Vogel. Die geäſtete Feder iſt zu dem fadenartigen,
der Haut mehr angehörigen Haare geworden; „die Elementarfarben fangen
an uns ganz zu verlaſſen, Weiß und Schwarz, Gelb, Gelbroth und
Braun wechſeln auf mannigfaltige Weiſe, doch erſcheinen ſie niemals auf
eine ſolche Art, daß ſie uns an die Elementarfarben erinnerten. Sie ſind
alle vielmehr gemiſchte, durch organiſche Kochung bezwungene Farben.
Wenn bei Affen gewiſſe nackte Theile bunt, mit Elementarfarben erſcheinen,
ſo zeigt dieß die weite Entfernung eines ſolchen Geſchöpfs von der Voll-
kommenheit an: denn man kann ſagen, je edler ein Geſchöpf iſt, deſto
mehr iſt alles Stoffartige in ihm verarbeitet, je weſentlicher ſeine Ober-
fläche mit dem Innern zuſammenhängt, deſto weniger können auf derſelben
Elementarfarben erſcheinen. Denn da, wo Alles ein vollkommenes Ganzes
ausmachen ſo, kann ſich nicht hier und da etwas Spezifiſches abſondern“
(Göthe Farbenl. §. 662. 664. 666.). Ueber dieſe weichere Oberfläche
iſt eine höhere Empfindung verbreitet, die ſich in den Pfoten und im Munde,
vorzüglich wo er zum Rüßel verlängert iſt, als Taſtſinn concentrirt. Der
Hauptfortſchritt aber liegt im Kopfe. Er iſt überhaupt größer als bei
den Vögeln. Das Gehör erſcheint zuerſt jetzt als äußeres Ohr, das theils

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[142/0154] Stimme drückt nur in einzelneu Lauten das innere Leben der Thierſeele aus, welche nun die höchſten Stufen der ihr möglichen Vollkommenheit erreicht. Es darf nicht überſehen werden, daß im Bau des Säugethiers, der ſchon in §. 205 als der eigentliche Thiertypus aufgeſtellt iſt, Vieles ver- loren geht, was der Vogel an Schönheit beſitzt. Der ächte Vogel ſteht aufrecht, die Bruſt tritt hervor. Bei dem Säugethiere ſinkt der Leib horizontal auf die Vorderfüße herab, die Bruſt wird zwiſchen die Schulter- blätter eingedrückt, der Kopf ſtrebt horizontal ab oder bildet in edlerer und höherer Form mit dem Halſe einen Winkel, wo er freier vor ſich und um ſich ſieht; immer aber iſt der Ausdruck, daß das Thier zur Erde ſehe, gerade den höchſten Thieren, den Säugethieren, weil ſie dem Menſchen am nächſten ſtehen und der Gegenſatz daher um ſo ſtärker auffällt, ent- nommen. Der ganze Bau ſoll erſt wieder aufgerichtet werden. Allerdings aber entſtehen mit dieſem theilweiſen Verluſte neue Schönheiten. Der Körper iſt beweglicher und kann eine Menge von Stellungen annehmen, die dem Vogel unmöglich ſind: auf die Hinterfüße ſitzen, wo denn die Bruſt mehr hervortritt, auf den Bauch liegen, wo die Hinterbacken ſchön heraustreten, die Vorderfüße dabei ausſtrecken oder einziehen, auf die Seite liegen u. ſ. w. Das reichere Skelett, die vielfachen Muskeln und Sehnen bilden die verſchiedenſten Hebungen und Senkungen, plaſtiſche Entwicklungen, wo der Vogel nur abwechslungslos runde Oberflächen zeigt. Auch die Rückenwirbel ſind beweglich, der kürzere Hals aber ungleich weniger, als bei dem Vogel. Die geäſtete Feder iſt zu dem fadenartigen, der Haut mehr angehörigen Haare geworden; „die Elementarfarben fangen an uns ganz zu verlaſſen, Weiß und Schwarz, Gelb, Gelbroth und Braun wechſeln auf mannigfaltige Weiſe, doch erſcheinen ſie niemals auf eine ſolche Art, daß ſie uns an die Elementarfarben erinnerten. Sie ſind alle vielmehr gemiſchte, durch organiſche Kochung bezwungene Farben. Wenn bei Affen gewiſſe nackte Theile bunt, mit Elementarfarben erſcheinen, ſo zeigt dieß die weite Entfernung eines ſolchen Geſchöpfs von der Voll- kommenheit an: denn man kann ſagen, je edler ein Geſchöpf iſt, deſto mehr iſt alles Stoffartige in ihm verarbeitet, je weſentlicher ſeine Ober- fläche mit dem Innern zuſammenhängt, deſto weniger können auf derſelben Elementarfarben erſcheinen. Denn da, wo Alles ein vollkommenes Ganzes ausmachen ſo, kann ſich nicht hier und da etwas Spezifiſches abſondern“ (Göthe Farbenl. §. 662. 664. 666.). Ueber dieſe weichere Oberfläche iſt eine höhere Empfindung verbreitet, die ſich in den Pfoten und im Munde, vorzüglich wo er zum Rüßel verlängert iſt, als Taſtſinn concentrirt. Der Hauptfortſchritt aber liegt im Kopfe. Er iſt überhaupt größer als bei den Vögeln. Das Gehör erſcheint zuerſt jetzt als äußeres Ohr, das theils

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/154>, abgerufen am 23.11.2024.