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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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ästhetische Wirkung des Häßlichen ist sie großentheils verloren, weil sie einen
Eckel und Widerwillen erregt, der weder durch theilweise Furchtbarkeit, noch
2durch den dürftigen Anklang des Komischen sich überwinden läßt. Die unterste
Ordnung dieser Klasse, die der Pflanzenthiere, schreitet von der einfachen
Kugelform zu vielfach verschlungenen Gliederungen fort, welche theils durch die
hier noch herrschende peripherische Bildung, theils durch die Verästung ihrer
Gehäuse, womit sie, selbst der vollständigen Bewegung noch entbehrend, am
Grunde festsitzen, der Pflanzen- und Krystall-Form sich nähern und neben dem
Niedlichen, was diese Bildung hat, theilweise auch durch Farbe gefallen.

1. Diese ganze Klasse stellt die unreife, unausgebackene Vorstufe
des Thierreichs dar und ist im Allgemeinen häßlich, weil sie, absolut
höher als Pflanze und Stein, doch wieder zu diesen herabsinkt, wodurch
wieder der Satz §. 18, 1. sich bestätigt. Ein Baum ist ästhetisch etwas
ungleich Bedeutenderes, als eine Polype, eine Qualle u. s. w. (Am
wenigsten gilt diese niedrige Schätzung den Insekten, worüber nachher.)
Das ganze Geschmeiß ist eckelhaft. Wohl ist es zwar zum Theil auch
furchtbar, wie namentlich jene scheußliche Sepie, welche mit ihren Fang-
Armen selbst Menschen umklammert und zum Fraße in die Tiefe reißt,
wie unter den Krustenthieren der Scorpion, die Tarantel, und die eigent-
lichen Insecten, um sie soweit zum voraus anzuführen, durch ihren Stachel.
Allein nur in seltenen Verbindungen und Gegensätzen wird das Furchtbare
der Waffen dieser Thiere die Energie haben, das widerwärtig Lästige,
was vielmehr darin liegt, zu überwiegen. Ein Kampf mit einem Wolfe,
Bären kann für sich ein ästhetischer Stoff sein, ein Skorpionstich dagegen
nur, wenn er der Bedeutung einer menschlichen Situation positiv oder
negativ bezeichnend entspricht. Das ganze wimmelnde, krabbelnde, tappende
Reich, von dem hier die Rede ist, gehört größtentheils dem Schooße alles
Lebens, dem Wasser an; zusammengefaßt mit diesem, mit dem Meeres-
grunde, und vorgestellt in seiner unendlichen Menge verstärkt es freilich
das Unheimliche und Wilde des Abgrunds (Schillers Taucher). Auch
das Komische klingt an; denkt man, daß diese schwimmenden Säcke, Därme,
u. s. w. Thiere vorstellen sollen, legt man ihnen den wahren Thiertypus
oder gar den Menschentypus als Folie unter, so lacht man wohl über
die allerlei Kostgänger, die der liebe Gott hat. Bestimmtere Komik bieten
die wenig gefährlichen großen Waffen, die nach der Seite oder gar rück-
wärts gehende Bewegung mancher Crustaceen (Krabben, Krebse), das
Hüpfen, Kitzeln und der unschädlich unbequeme Biß des Flohs. Allein
auch der komische Stoff ist kärglich; es bleibt in der Wendung zum
Komischen wie zum Furchtbaren überall eine Apprehension, ein Eckel
unüberwunden zurück, den theils das Schleimige, Breiige, theils die

äſthetiſche Wirkung des Häßlichen iſt ſie großentheils verloren, weil ſie einen
Eckel und Widerwillen erregt, der weder durch theilweiſe Furchtbarkeit, noch
2durch den dürftigen Anklang des Komiſchen ſich überwinden läßt. Die unterſte
Ordnung dieſer Klaſſe, die der Pflanzenthiere, ſchreitet von der einfachen
Kugelform zu vielfach verſchlungenen Gliederungen fort, welche theils durch die
hier noch herrſchende peripheriſche Bildung, theils durch die Veräſtung ihrer
Gehäuſe, womit ſie, ſelbſt der vollſtändigen Bewegung noch entbehrend, am
Grunde feſtſitzen, der Pflanzen- und Kryſtall-Form ſich nähern und neben dem
Niedlichen, was dieſe Bildung hat, theilweiſe auch durch Farbe gefallen.

1. Dieſe ganze Klaſſe ſtellt die unreife, unausgebackene Vorſtufe
des Thierreichs dar und iſt im Allgemeinen häßlich, weil ſie, abſolut
höher als Pflanze und Stein, doch wieder zu dieſen herabſinkt, wodurch
wieder der Satz §. 18, 1. ſich beſtätigt. Ein Baum iſt äſthetiſch etwas
ungleich Bedeutenderes, als eine Polype, eine Qualle u. ſ. w. (Am
wenigſten gilt dieſe niedrige Schätzung den Inſekten, worüber nachher.)
Das ganze Geſchmeiß iſt eckelhaft. Wohl iſt es zwar zum Theil auch
furchtbar, wie namentlich jene ſcheußliche Sepie, welche mit ihren Fang-
Armen ſelbſt Menſchen umklammert und zum Fraße in die Tiefe reißt,
wie unter den Kruſtenthieren der Scorpion, die Tarantel, und die eigent-
lichen Inſecten, um ſie ſoweit zum voraus anzuführen, durch ihren Stachel.
Allein nur in ſeltenen Verbindungen und Gegenſätzen wird das Furchtbare
der Waffen dieſer Thiere die Energie haben, das widerwärtig Läſtige,
was vielmehr darin liegt, zu überwiegen. Ein Kampf mit einem Wolfe,
Bären kann für ſich ein äſthetiſcher Stoff ſein, ein Skorpionſtich dagegen
nur, wenn er der Bedeutung einer menſchlichen Situation poſitiv oder
negativ bezeichnend entſpricht. Das ganze wimmelnde, krabbelnde, tappende
Reich, von dem hier die Rede iſt, gehört größtentheils dem Schooße alles
Lebens, dem Waſſer an; zuſammengefaßt mit dieſem, mit dem Meeres-
grunde, und vorgeſtellt in ſeiner unendlichen Menge verſtärkt es freilich
das Unheimliche und Wilde des Abgrunds (Schillers Taucher). Auch
das Komiſche klingt an; denkt man, daß dieſe ſchwimmenden Säcke, Därme,
u. ſ. w. Thiere vorſtellen ſollen, legt man ihnen den wahren Thiertypus
oder gar den Menſchentypus als Folie unter, ſo lacht man wohl über
die allerlei Koſtgänger, die der liebe Gott hat. Beſtimmtere Komik bieten
die wenig gefährlichen großen Waffen, die nach der Seite oder gar rück-
wärts gehende Bewegung mancher Cruſtaceen (Krabben, Krebſe), das
Hüpfen, Kitzeln und der unſchädlich unbequeme Biß des Flohs. Allein
auch der komiſche Stoff iſt kärglich; es bleibt in der Wendung zum
Komiſchen wie zum Furchtbaren überall eine Apprehenſion, ein Eckel
unüberwunden zurück, den theils das Schleimige, Breiige, theils die

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[118/0130] äſthetiſche Wirkung des Häßlichen iſt ſie großentheils verloren, weil ſie einen Eckel und Widerwillen erregt, der weder durch theilweiſe Furchtbarkeit, noch durch den dürftigen Anklang des Komiſchen ſich überwinden läßt. Die unterſte Ordnung dieſer Klaſſe, die der Pflanzenthiere, ſchreitet von der einfachen Kugelform zu vielfach verſchlungenen Gliederungen fort, welche theils durch die hier noch herrſchende peripheriſche Bildung, theils durch die Veräſtung ihrer Gehäuſe, womit ſie, ſelbſt der vollſtändigen Bewegung noch entbehrend, am Grunde feſtſitzen, der Pflanzen- und Kryſtall-Form ſich nähern und neben dem Niedlichen, was dieſe Bildung hat, theilweiſe auch durch Farbe gefallen. 1. Dieſe ganze Klaſſe ſtellt die unreife, unausgebackene Vorſtufe des Thierreichs dar und iſt im Allgemeinen häßlich, weil ſie, abſolut höher als Pflanze und Stein, doch wieder zu dieſen herabſinkt, wodurch wieder der Satz §. 18, 1. ſich beſtätigt. Ein Baum iſt äſthetiſch etwas ungleich Bedeutenderes, als eine Polype, eine Qualle u. ſ. w. (Am wenigſten gilt dieſe niedrige Schätzung den Inſekten, worüber nachher.) Das ganze Geſchmeiß iſt eckelhaft. Wohl iſt es zwar zum Theil auch furchtbar, wie namentlich jene ſcheußliche Sepie, welche mit ihren Fang- Armen ſelbſt Menſchen umklammert und zum Fraße in die Tiefe reißt, wie unter den Kruſtenthieren der Scorpion, die Tarantel, und die eigent- lichen Inſecten, um ſie ſoweit zum voraus anzuführen, durch ihren Stachel. Allein nur in ſeltenen Verbindungen und Gegenſätzen wird das Furchtbare der Waffen dieſer Thiere die Energie haben, das widerwärtig Läſtige, was vielmehr darin liegt, zu überwiegen. Ein Kampf mit einem Wolfe, Bären kann für ſich ein äſthetiſcher Stoff ſein, ein Skorpionſtich dagegen nur, wenn er der Bedeutung einer menſchlichen Situation poſitiv oder negativ bezeichnend entſpricht. Das ganze wimmelnde, krabbelnde, tappende Reich, von dem hier die Rede iſt, gehört größtentheils dem Schooße alles Lebens, dem Waſſer an; zuſammengefaßt mit dieſem, mit dem Meeres- grunde, und vorgeſtellt in ſeiner unendlichen Menge verſtärkt es freilich das Unheimliche und Wilde des Abgrunds (Schillers Taucher). Auch das Komiſche klingt an; denkt man, daß dieſe ſchwimmenden Säcke, Därme, u. ſ. w. Thiere vorſtellen ſollen, legt man ihnen den wahren Thiertypus oder gar den Menſchentypus als Folie unter, ſo lacht man wohl über die allerlei Koſtgänger, die der liebe Gott hat. Beſtimmtere Komik bieten die wenig gefährlichen großen Waffen, die nach der Seite oder gar rück- wärts gehende Bewegung mancher Cruſtaceen (Krabben, Krebſe), das Hüpfen, Kitzeln und der unſchädlich unbequeme Biß des Flohs. Allein auch der komiſche Stoff iſt kärglich; es bleibt in der Wendung zum Komiſchen wie zum Furchtbaren überall eine Apprehenſion, ein Eckel unüberwunden zurück, den theils das Schleimige, Breiige, theils die

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/130>, abgerufen am 21.11.2024.