Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
zeigen. Unter die Palmen stellt Oken den Pandanus; sein Stamm wird Die hier verfolgte Eintheilung bindet sich nicht an den geographischen 2. Neben diesen strengen Formen schießt nun aber in den heißen Zonen
zeigen. Unter die Palmen ſtellt Oken den Pandanus; ſein Stamm wird Die hier verfolgte Eintheilung bindet ſich nicht an den geographiſchen 2. Neben dieſen ſtrengen Formen ſchießt nun aber in den heißen Zonen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0106" n="94"/> zeigen. Unter die Palmen ſtellt <hi rendition="#g">Oken</hi> den Pandanus; ſein Stamm wird<lb/> nicht hoch, dagegen iſt in der Spiral-Stellung der ſchwertförmigen Blätter<lb/> auf eigenthümlich ſtrenge Weiſe jener geometriſche Charakter ausgeprägt.<lb/> Nicht durch Höhe, aber durch ungeheure Dicke und Breite zeichnet ſich<lb/> der rieſenförmige Drachenbaum aus, der ebenfalls palmenartig, aber mit<lb/> überhängenden Schwertblättern ſeine Krone über einem Stamm ausbreitet,<lb/> welcher in dem berühmten Exemplare auf Teneriffa über der Wurzel 45 Fuß<lb/> im Umfange hat. Unter den dikotyledoniſchen Formen iſt die durch Blätter-<lb/> zeichnung am meiſten ſymmetriſche die gefiederte und beſonders zartgeficdert<lb/> ſind die von ſchirmartig verbreiteten Zweigen getragenen Blätter der<lb/> Mimoſen. Seltſame phantaſtiſche Formen ſind namentlich die Cactus-<lb/> Arten, bald kugelförmig, bald ſchlangenartig am Boden kriechend, bald<lb/> in ovalen flachen Gliedern im Zickzack geſpenſtiſche Arme ausſtreckend, bald<lb/> in vieleckigen Säulen hoch aufſteigend. Wie ſeltſam aber dieſe Bildungen<lb/> ſind, ſie tragen doch in ihrer fleiſchigen Maſſe, ihren feſten Umriſſen jenen<lb/> ſcharfen, allem Zerfloſſenen ſtreng entgegengeſetzten Charakter, von dem<lb/> hier die Rede iſt. Andere Formen erſcheinen äußerſt trocken und kahl, wie<lb/> die Caſuarinen mit ihren blätterloſen, mausſchwanzähnlichen Zweigen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die hier verfolgte Eintheilung bindet ſich nicht an den geographiſchen<lb/> Standpunkt. Es kommt nicht darauf an, die Pflanzenformen der heißen<lb/> Zonen durchzugehen, die ungeheuren Feigenbäume, Wollbäume, Affen-<lb/> brodbäume u. ſ. w. aufzuführen, ſondern den allgemeinen Typus zu ſchildern<lb/> und die ihn am eigenthümlichſten bezeichnenden Formen hervorzuheben.<lb/> Es war allerdings ſogleich zu bemerken, welche Sonne dieſe Formen<lb/> hervorbringt, allein dieſelbe Sonne ruft auch unzählige andere Gebilde<lb/> hervor, welche, nur nicht ſo üppig, nicht ſo groß, auch anderswo wachſen<lb/> und ebenda gewöhnlicher ſind. Umgekehrt wachſen die Pflanzen, welche<lb/> die heißen Länder vorzüglich charakteriſiren, auch in dem wärmeren Theile<lb/> der gemäßigten Zone, freilich ebenfalls nicht in derſelben Größe, Anzahl<lb/> der Arten u. ſ. w.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Neben dieſen ſtrengen Formen ſchießt nun aber in den heißen Zonen<lb/> eine duftberauſchende, farbenglühende, in unendlichen Formen wuchernde<lb/> Welt von Kräutern, Schlingpflanzen, Gräſern, Blüthen, Blumen (unter<lb/> denen wir nur die bunten Orchideen nennen) u. ſ. w. auf. Hier verſchwindet<lb/> die bindende Regel in ungemeſſener Ueppigkeit und führt das durch jene<lb/> Strenge gebundene Gemüth in heiße und ſchwelgeriſche Trunkenheit hinaus,<lb/> nicht in die gedankenreicheren Spiele der Empfindung, ſondern in Träume<lb/> der Wolluſt. Unfrei iſt der Geiſt hier wie dort. Wir werden dieſelben<lb/> Extreme im Naturell der Völker finden, welche in dieſer Pflanzenwelt<lb/> leben.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0106]
zeigen. Unter die Palmen ſtellt Oken den Pandanus; ſein Stamm wird
nicht hoch, dagegen iſt in der Spiral-Stellung der ſchwertförmigen Blätter
auf eigenthümlich ſtrenge Weiſe jener geometriſche Charakter ausgeprägt.
Nicht durch Höhe, aber durch ungeheure Dicke und Breite zeichnet ſich
der rieſenförmige Drachenbaum aus, der ebenfalls palmenartig, aber mit
überhängenden Schwertblättern ſeine Krone über einem Stamm ausbreitet,
welcher in dem berühmten Exemplare auf Teneriffa über der Wurzel 45 Fuß
im Umfange hat. Unter den dikotyledoniſchen Formen iſt die durch Blätter-
zeichnung am meiſten ſymmetriſche die gefiederte und beſonders zartgeficdert
ſind die von ſchirmartig verbreiteten Zweigen getragenen Blätter der
Mimoſen. Seltſame phantaſtiſche Formen ſind namentlich die Cactus-
Arten, bald kugelförmig, bald ſchlangenartig am Boden kriechend, bald
in ovalen flachen Gliedern im Zickzack geſpenſtiſche Arme ausſtreckend, bald
in vieleckigen Säulen hoch aufſteigend. Wie ſeltſam aber dieſe Bildungen
ſind, ſie tragen doch in ihrer fleiſchigen Maſſe, ihren feſten Umriſſen jenen
ſcharfen, allem Zerfloſſenen ſtreng entgegengeſetzten Charakter, von dem
hier die Rede iſt. Andere Formen erſcheinen äußerſt trocken und kahl, wie
die Caſuarinen mit ihren blätterloſen, mausſchwanzähnlichen Zweigen.
Die hier verfolgte Eintheilung bindet ſich nicht an den geographiſchen
Standpunkt. Es kommt nicht darauf an, die Pflanzenformen der heißen
Zonen durchzugehen, die ungeheuren Feigenbäume, Wollbäume, Affen-
brodbäume u. ſ. w. aufzuführen, ſondern den allgemeinen Typus zu ſchildern
und die ihn am eigenthümlichſten bezeichnenden Formen hervorzuheben.
Es war allerdings ſogleich zu bemerken, welche Sonne dieſe Formen
hervorbringt, allein dieſelbe Sonne ruft auch unzählige andere Gebilde
hervor, welche, nur nicht ſo üppig, nicht ſo groß, auch anderswo wachſen
und ebenda gewöhnlicher ſind. Umgekehrt wachſen die Pflanzen, welche
die heißen Länder vorzüglich charakteriſiren, auch in dem wärmeren Theile
der gemäßigten Zone, freilich ebenfalls nicht in derſelben Größe, Anzahl
der Arten u. ſ. w.
2. Neben dieſen ſtrengen Formen ſchießt nun aber in den heißen Zonen
eine duftberauſchende, farbenglühende, in unendlichen Formen wuchernde
Welt von Kräutern, Schlingpflanzen, Gräſern, Blüthen, Blumen (unter
denen wir nur die bunten Orchideen nennen) u. ſ. w. auf. Hier verſchwindet
die bindende Regel in ungemeſſener Ueppigkeit und führt das durch jene
Strenge gebundene Gemüth in heiße und ſchwelgeriſche Trunkenheit hinaus,
nicht in die gedankenreicheren Spiele der Empfindung, ſondern in Träume
der Wolluſt. Unfrei iſt der Geiſt hier wie dort. Wir werden dieſelben
Extreme im Naturell der Völker finden, welche in dieſer Pflanzenwelt
leben.
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