als begründet auf das Innewerden einer Zweckmäßigkeit oder Unzweck- mäßigkeit fassen, allein dann ist der letztere Begriff in einer viel größeren Weite genommen, als bei Kant, und bezieht sich z. B. ebenso auf rein moralische Handlungen, wie auf das Schöne. Ueberdies wirft nun aber Kant ohne alles Recht die ästhetische Lust mit der Lust überhaupt zusammen; er, dessen bestes Verdienst darin besteht, die Reinheit des Wohlgefallens am Schönen von allen sinnlichen sowohl als specifisch sittlichen Motiven in's Licht gestellt zu haben, ist so ungenau, diese ganz besondere Art reiner Lust, die er in das Zusammenstimmen von Einbildungskraft und Verstand setzt, deßwegen mit der sinnlichen Empfindung unter Einem Namen (ästhetisch s. §. 1, 3) zu befassen, weil beide blos subjektiv sind ("was an der Vorstellung eines Objects blos subjectiv ist, d. h. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenstand ausmacht, ist die ästhetische Beschaffenheit derselben" u. s. w. Einl. z. Kr. d. Urtheilskraft XLII). Ferner bildet nun aber dies reine Wohlgefallen oder Mißfallen nicht den Uebergang zum sittlichen Wollen, wie ihn der senkrechte Fortgang in der zweiten Colonne parallel mit dem in der ersten voraussetzt. Kant ist in diesem Punkte zunächst mit sich selbst im Widerspruch. So nämlich, wie in der ersten Colonne das Gefühl der Lust und Unlust das Begehren vermittelt, kann nach seiner eigenen Meinung jenes rein contemplative Wohlgefallen nicht zur praktischen Sphäre hinüberführen: was soll aber dann der Parallelismus zwischen beiden Colonnen? Aber auch der mittel- bare Uebergang, den er von jenem reinen Wohlgefallen zum reinen Wollen zieht, ist zu verwerfen. Das Schöne ist allerdings nach einer Seite hin eine unabsichtliche Vorbereitung zum Guten; viel wichtiger aber ist die andere Seite, daß nämlich das Gute schon wirklich seyn muß, um als Schönes sich zu gestalten und gefühlt zu werden; und werfen wir von da einen Blick auf die dritte und vierte Colonne, so ist das Schöne eben die Darstellung des erreichten Endzwecks und der thätigen Freiheit, welche hier beide im dritten Gliede stehen. Zu allen diesen Einwürfen kommt nun noch der, daß ganz willkürlich die Urtheilskraft vom Verstande getrennt wird. Der Verstand ist begreifend durch seine Kategorieen und unter diese gehört die der Zweckmäßigkeit, urtheilend subsumirt er das Mannig- faltige unter dieselben, hat aber noch einen langen Weg zurückzulegen, bis er da ankommt, wo dieses als wahrhaft durchdrungen von dem All- gemeinen begriffen wird. Was dann in die Einbildungskraft und das Gefühl einströmt, um das Bild des Schönen zu erzeugen und dem Genusse zu übergeben, ist vielmehr wie sich an seinem Ort zeigen wird, die Idee
als begründet auf das Innewerden einer Zweckmäßigkeit oder Unzweck- mäßigkeit faſſen, allein dann iſt der letztere Begriff in einer viel größeren Weite genommen, als bei Kant, und bezieht ſich z. B. ebenſo auf rein moraliſche Handlungen, wie auf das Schöne. Ueberdies wirft nun aber Kant ohne alles Recht die äſthetiſche Luſt mit der Luſt überhaupt zuſammen; er, deſſen beſtes Verdienſt darin beſteht, die Reinheit des Wohlgefallens am Schönen von allen ſinnlichen ſowohl als ſpecifiſch ſittlichen Motiven in’s Licht geſtellt zu haben, iſt ſo ungenau, dieſe ganz beſondere Art reiner Luſt, die er in das Zuſammenſtimmen von Einbildungskraft und Verſtand ſetzt, deßwegen mit der ſinnlichen Empfindung unter Einem Namen (äſthetiſch ſ. §. 1, 3) zu befaſſen, weil beide blos ſubjektiv ſind („was an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. h. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche Beſchaffenheit derſelben“ u. ſ. w. Einl. z. Kr. d. Urtheilskraft XLII). Ferner bildet nun aber dies reine Wohlgefallen oder Mißfallen nicht den Uebergang zum ſittlichen Wollen, wie ihn der ſenkrechte Fortgang in der zweiten Colonne parallel mit dem in der erſten vorausſetzt. Kant iſt in dieſem Punkte zunächſt mit ſich ſelbſt im Widerſpruch. So nämlich, wie in der erſten Colonne das Gefühl der Luſt und Unluſt das Begehren vermittelt, kann nach ſeiner eigenen Meinung jenes rein contemplative Wohlgefallen nicht zur praktiſchen Sphäre hinüberführen: was ſoll aber dann der Parallelismus zwiſchen beiden Colonnen? Aber auch der mittel- bare Uebergang, den er von jenem reinen Wohlgefallen zum reinen Wollen zieht, iſt zu verwerfen. Das Schöne iſt allerdings nach einer Seite hin eine unabſichtliche Vorbereitung zum Guten; viel wichtiger aber iſt die andere Seite, daß nämlich das Gute ſchon wirklich ſeyn muß, um als Schönes ſich zu geſtalten und gefühlt zu werden; und werfen wir von da einen Blick auf die dritte und vierte Colonne, ſo iſt das Schöne eben die Darſtellung des erreichten Endzwecks und der thätigen Freiheit, welche hier beide im dritten Gliede ſtehen. Zu allen dieſen Einwürfen kommt nun noch der, daß ganz willkürlich die Urtheilskraft vom Verſtande getrennt wird. Der Verſtand iſt begreifend durch ſeine Kategorieen und unter dieſe gehört die der Zweckmäßigkeit, urtheilend ſubſumirt er das Mannig- faltige unter dieſelben, hat aber noch einen langen Weg zurückzulegen, bis er da ankommt, wo dieſes als wahrhaft durchdrungen von dem All- gemeinen begriffen wird. Was dann in die Einbildungskraft und das Gefühl einſtrömt, um das Bild des Schönen zu erzeugen und dem Genuſſe zu übergeben, iſt vielmehr wie ſich an ſeinem Ort zeigen wird, die Idee
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[18/0032]
als begründet auf das Innewerden einer Zweckmäßigkeit oder Unzweck-
mäßigkeit faſſen, allein dann iſt der letztere Begriff in einer viel größeren
Weite genommen, als bei Kant, und bezieht ſich z. B. ebenſo auf rein
moraliſche Handlungen, wie auf das Schöne. Ueberdies wirft nun aber
Kant ohne alles Recht die äſthetiſche Luſt mit der Luſt überhaupt zuſammen;
er, deſſen beſtes Verdienſt darin beſteht, die Reinheit des Wohlgefallens
am Schönen von allen ſinnlichen ſowohl als ſpecifiſch ſittlichen Motiven
in’s Licht geſtellt zu haben, iſt ſo ungenau, dieſe ganz beſondere Art reiner
Luſt, die er in das Zuſammenſtimmen von Einbildungskraft und Verſtand
ſetzt, deßwegen mit der ſinnlichen Empfindung unter Einem Namen
(äſthetiſch ſ. §. 1, 3) zu befaſſen, weil beide blos ſubjektiv ſind („was
an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. h. ihre Beziehung
auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche
Beſchaffenheit derſelben“ u. ſ. w. Einl. z. Kr. d. Urtheilskraft XLII).
Ferner bildet nun aber dies reine Wohlgefallen oder Mißfallen nicht den
Uebergang zum ſittlichen Wollen, wie ihn der ſenkrechte Fortgang in der
zweiten Colonne parallel mit dem in der erſten vorausſetzt. Kant iſt
in dieſem Punkte zunächſt mit ſich ſelbſt im Widerſpruch. So nämlich,
wie in der erſten Colonne das Gefühl der Luſt und Unluſt das Begehren
vermittelt, kann nach ſeiner eigenen Meinung jenes rein contemplative
Wohlgefallen nicht zur praktiſchen Sphäre hinüberführen: was ſoll aber
dann der Parallelismus zwiſchen beiden Colonnen? Aber auch der mittel-
bare Uebergang, den er von jenem reinen Wohlgefallen zum reinen Wollen
zieht, iſt zu verwerfen. Das Schöne iſt allerdings nach einer Seite hin
eine unabſichtliche Vorbereitung zum Guten; viel wichtiger aber iſt die
andere Seite, daß nämlich das Gute ſchon wirklich ſeyn muß, um als
Schönes ſich zu geſtalten und gefühlt zu werden; und werfen wir von
da einen Blick auf die dritte und vierte Colonne, ſo iſt das Schöne eben
die Darſtellung des erreichten Endzwecks und der thätigen Freiheit, welche
hier beide im dritten Gliede ſtehen. Zu allen dieſen Einwürfen kommt
nun noch der, daß ganz willkürlich die Urtheilskraft vom Verſtande getrennt
wird. Der Verſtand iſt begreifend durch ſeine Kategorieen und unter
dieſe gehört die der Zweckmäßigkeit, urtheilend ſubſumirt er das Mannig-
faltige unter dieſelben, hat aber noch einen langen Weg zurückzulegen,
bis er da ankommt, wo dieſes als wahrhaft durchdrungen von dem All-
gemeinen begriffen wird. Was dann in die Einbildungskraft und das
Gefühl einſtrömt, um das Bild des Schönen zu erzeugen und dem Genuſſe
zu übergeben, iſt vielmehr wie ſich an ſeinem Ort zeigen wird, die Idee
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/32>, abgerufen am 21.11.2024.
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