auf keinen Fall schon eigentliches künstlerisches Thun ist, bereits in der Sphäre der vorgefundenen Schönheit Schönes, Erhabenes und Komisches und ebenso erzeugt dann die eigentliche Kunst fortwährend sowohl die eine als die andere dieser Formen; also kann man nimmermehr sagen, die Thätigkeit, welche Schönes schafft, erhebe sich zu diesem Schaffen dadurch, daß sie vorher Erhabenes und Komisches schaffe. Dadurch entsteht ein Mißstand, den wir an Ruge's Entwicklung bereits gerügt haben, der nämlich, daß das Erhabene und Komische moralisirend gefaßt wird als eine Erhebung, ein Zurücksinken und eine zweite Aufhebung dieses Zurück- sinkens, wodurch so zu sagen die geistige Kraft erst auf ethischem Boden vorgeübt würde zum Acte der reinen Schönheit. Daher nennt er auch jedes "sich Hinaufkämpfen des endlichen Geistes in's Ewige", heiße es nun Frei- heit, Andacht, Begeisterung, Verklärung: Erhabenheit (S. 62. 68. 71). Zwar wird nun (S. 71) gesagt, die Erhabenheit sey ästhetische Erhaben- heit überall, wo sie als diese Thätigkeit sinnliche Erscheinung werde, allein nirgends ist mit voller Schärfe darauf gedrungen, daß dies Moment ganz absolut wesentlich ist, sonst müßte Ruge sich erinnern, daß die Erhabenheit überall das ganze Formwesen der Schönheit schon voraussetzt, also nicht der erst sich erzeugenden Schönheit angehört. An andern Stellen nun scheint Ruge ganz eine andere Ordnung im Auge zu haben. S. 63 unten und S. 64 werden die gegensätzlichen Formen des Schönen einfach wie von uns als ein Kampf der Momente in der lebendigen Einheit des Ganzen hingestellt und so das Erhabene und Komische als Gegensatz im Schönen abgeleitet: dies aber eben ist die Verwirrung.
Den Kampf im Schönen, der nun darzustellen ist, bezeichnet die Ueberschrift des Abschnitts durch: Widerstreit; der §. sagt, daß der Gegensatz nothwendig auch zum Widerspruch werde. Man hat bisher nur das Komische einen Widerspruch genannt; aber auch das Erhabene ist ein solcher, wie sich sogleich zeigen wird. In der Ueberschrift sollte aber dies nicht vorweggenommen seyn, das unbestimmtere "Widerstreit" soll daher beides ausdrücken, den Begriff des Gegensatzes sowohl als den des Widerspruchs.
Indem sich nun dieser Widerspruch im Schönen entbindet, so be- währt sich, was in §. 50 gesagt ist: dort war von der Incongruenz und dem Kampfe zwischen der Allgemeinheit und der Individualität zu- nächst in dem Zusammenhange die Rede, daß darzuthun war, warum dieser Widerspruch, wie er zunächst abgesehen vom Schönen vorkommt, kein Hinderniß des letzteren seyn könne; sogleich aber wurde hinzugesetzt,
auf keinen Fall ſchon eigentliches künſtleriſches Thun iſt, bereits in der Sphäre der vorgefundenen Schönheit Schönes, Erhabenes und Komiſches und ebenſo erzeugt dann die eigentliche Kunſt fortwährend ſowohl die eine als die andere dieſer Formen; alſo kann man nimmermehr ſagen, die Thätigkeit, welche Schönes ſchafft, erhebe ſich zu dieſem Schaffen dadurch, daß ſie vorher Erhabenes und Komiſches ſchaffe. Dadurch entſteht ein Mißſtand, den wir an Ruge’s Entwicklung bereits gerügt haben, der nämlich, daß das Erhabene und Komiſche moraliſirend gefaßt wird als eine Erhebung, ein Zurückſinken und eine zweite Aufhebung dieſes Zurück- ſinkens, wodurch ſo zu ſagen die geiſtige Kraft erſt auf ethiſchem Boden vorgeübt würde zum Acte der reinen Schönheit. Daher nennt er auch jedes „ſich Hinaufkämpfen des endlichen Geiſtes in’s Ewige“, heiße es nun Frei- heit, Andacht, Begeiſterung, Verklärung: Erhabenheit (S. 62. 68. 71). Zwar wird nun (S. 71) geſagt, die Erhabenheit ſey äſthetiſche Erhaben- heit überall, wo ſie als dieſe Thätigkeit ſinnliche Erſcheinung werde, allein nirgends iſt mit voller Schärfe darauf gedrungen, daß dies Moment ganz abſolut weſentlich iſt, ſonſt müßte Ruge ſich erinnern, daß die Erhabenheit überall das ganze Formweſen der Schönheit ſchon vorausſetzt, alſo nicht der erſt ſich erzeugenden Schönheit angehört. An andern Stellen nun ſcheint Ruge ganz eine andere Ordnung im Auge zu haben. S. 63 unten und S. 64 werden die gegenſätzlichen Formen des Schönen einfach wie von uns als ein Kampf der Momente in der lebendigen Einheit des Ganzen hingeſtellt und ſo das Erhabene und Komiſche als Gegenſatz im Schönen abgeleitet: dies aber eben iſt die Verwirrung.
Den Kampf im Schönen, der nun darzuſtellen iſt, bezeichnet die Ueberſchrift des Abſchnitts durch: Widerſtreit; der §. ſagt, daß der Gegenſatz nothwendig auch zum Widerſpruch werde. Man hat bisher nur das Komiſche einen Widerſpruch genannt; aber auch das Erhabene iſt ein ſolcher, wie ſich ſogleich zeigen wird. In der Ueberſchrift ſollte aber dies nicht vorweggenommen ſeyn, das unbeſtimmtere „Widerſtreit“ ſoll daher beides ausdrücken, den Begriff des Gegenſatzes ſowohl als den des Widerſpruchs.
Indem ſich nun dieſer Widerſpruch im Schönen entbindet, ſo be- währt ſich, was in §. 50 geſagt iſt: dort war von der Incongruenz und dem Kampfe zwiſchen der Allgemeinheit und der Individualität zu- nächſt in dem Zuſammenhange die Rede, daß darzuthun war, warum dieſer Widerſpruch, wie er zunächſt abgeſehen vom Schönen vorkommt, kein Hinderniß des letzteren ſeyn könne; ſogleich aber wurde hinzugeſetzt,
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und ebenſo erzeugt dann die eigentliche Kunſt fortwährend ſowohl die eine
als die andere dieſer Formen; alſo kann man nimmermehr ſagen, die
Thätigkeit, welche Schönes ſchafft, erhebe ſich zu dieſem Schaffen dadurch,
daß ſie vorher Erhabenes und Komiſches ſchaffe. Dadurch entſteht ein
Mißſtand, den wir an Ruge’s Entwicklung bereits gerügt haben, der
nämlich, daß das Erhabene und Komiſche moraliſirend gefaßt wird als eine
Erhebung, ein Zurückſinken und eine zweite Aufhebung dieſes Zurück-
ſinkens, wodurch ſo zu ſagen die geiſtige Kraft erſt auf ethiſchem Boden
vorgeübt würde zum Acte der reinen Schönheit. Daher nennt er auch jedes
„ſich Hinaufkämpfen des endlichen Geiſtes in’s Ewige“, heiße es nun Frei-
heit, Andacht, Begeiſterung, Verklärung: Erhabenheit (S. 62. 68. 71).
Zwar wird nun (S. 71) geſagt, die Erhabenheit ſey äſthetiſche Erhaben-
heit überall, wo ſie als dieſe Thätigkeit ſinnliche Erſcheinung werde, allein
nirgends iſt mit voller Schärfe darauf gedrungen, daß dies Moment ganz
abſolut weſentlich iſt, ſonſt müßte Ruge ſich erinnern, daß die Erhabenheit
überall das ganze Formweſen der Schönheit ſchon vorausſetzt, alſo nicht
der erſt ſich erzeugenden Schönheit angehört. An andern Stellen nun
ſcheint Ruge ganz eine andere Ordnung im Auge zu haben. S. 63 unten
und S. 64 werden die gegenſätzlichen Formen des Schönen einfach wie von
uns als ein Kampf der Momente in der lebendigen Einheit des Ganzen
hingeſtellt und ſo das Erhabene und Komiſche als Gegenſatz im Schönen
abgeleitet: dies aber eben iſt die Verwirrung.
Den Kampf im Schönen, der nun darzuſtellen iſt, bezeichnet die
Ueberſchrift des Abſchnitts durch: Widerſtreit; der §. ſagt, daß der
Gegenſatz nothwendig auch zum Widerſpruch werde. Man hat bisher
nur das Komiſche einen Widerſpruch genannt; aber auch das Erhabene
iſt ein ſolcher, wie ſich ſogleich zeigen wird. In der Ueberſchrift ſollte
aber dies nicht vorweggenommen ſeyn, das unbeſtimmtere „Widerſtreit“
ſoll daher beides ausdrücken, den Begriff des Gegenſatzes ſowohl als
den des Widerſpruchs.
Indem ſich nun dieſer Widerſpruch im Schönen entbindet, ſo be-
währt ſich, was in §. 50 geſagt iſt: dort war von der Incongruenz
und dem Kampfe zwiſchen der Allgemeinheit und der Individualität zu-
nächſt in dem Zuſammenhange die Rede, daß darzuthun war, warum
dieſer Widerſpruch, wie er zunächſt abgeſehen vom Schönen vorkommt,
kein Hinderniß des letzteren ſeyn könne; ſogleich aber wurde hinzugeſetzt,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/231>, abgerufen am 31.01.2025.
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