in der Phantasie auf, welche mit reinen Gefühlen der Erinnerung und Sehnsucht unmittelbar verknüpft sind, eckelhafter Geruch kann am rechten Orte ein Grausen ästhetischer Art verstärken. Allein theils ist dabei der Geruch nur ein Mitwirkendes und nicht das Organ des Ganzen, theils fragt sich erst, ob in einem wahrhaft ästhetischen Zusammenhang ein wirklicher oder wirklich dargestellter Geruch vorkommen darf (wie z. B. das bei Darstellungen der Auferweckung des Lazarus häufig von Malern angebrachte Motiv, daß sich ein Zuschauer die Nase zuhält), ob nicht vielmehr nur ein innerlich vorgestellter; denn diesen Sinn wie alle andern werden wir als innerlich gesetzten wiederfinden.
Der Geschmack zersetzt, dient der Ernährung, ist unmittelbar mit sinn- licher Lust und Unlust verbunden; er kann in gewissen Verbindungen aller- dings auch in einem ästhetischen Ganzen mitwirken, aber nur unter denselben einschränkenden Bedingungen, wie der Geruch. Die Sinne sind überhaupt, wie bereits vom Tastsinn bemerkt ist, nichts Isolirtes, sie sind Zweige Eines Sinnes, können theilweise die Stelle von einander vertreten, klingt der eine an, so klingt der andere als Erinnerung, als beglei- tender Ton, als unsichtbare Symbolik mit, und so sind allerdings auch die unedleren derselben nicht ausgeschlossen. Uebrigens können diese stoffar- tigen Sinne, wie der Begierde und Abneigung, ebenso der wissenschaftlichen Zergliederung dienen, sind aber in beiden Fällen gleich außerästhetisch.
Die eigentlich ästhetischen Sinne aber sind Gesicht und Gehör. Sie lassen beide den Gegenstand in seiner Objectivität und ruhen nicht auf der dunkeln, stoffartigen Verwicklung des Subjects mit dem Object. "Die andringende Materie ist schon hinweggewälzt von den Sinnen und das Object entfernt sich von uns, das wir in den thierischen Sinnen unmittelbar berühren" (Schiller). Hegel nennt sie daher die theoretischen, Schleiermacher (Aesth. 93) willkürliche Sinne. Er versteht dies so, daß sie einer Thätigkeit, die von innen ausgeht, fähig und, ohne afficirt zu seyn, Gestalten und Töne zu pro- duciren im Stande seyen. Er sagt daher, es gebe ein inneres Sehen und Hören, von dem Riechen und Schmecken aber läugnet er zwar nicht schlechtweg, daß sie auch innerlich thätig seyn können, ebenso vom Tast- sinn, dessen innerliche Mitthätigkeit in der Sculptur er zugibt, dagegen spricht er ihnen die Fähigkeit ab, auf Geheiß des Willens von innen Gestalten- bildend thätig zu seyn. Je klarer nun in den zwei edleren Sinnen die Scheidung, um so tiefer auch das Eindringen, die Aufhebung der Fremd- heit zwischen Subject und Object; denn diese Aufhebung ist geistig, ist
in der Phantaſie auf, welche mit reinen Gefühlen der Erinnerung und Sehnſucht unmittelbar verknüpft ſind, eckelhafter Geruch kann am rechten Orte ein Grauſen äſthetiſcher Art verſtärken. Allein theils iſt dabei der Geruch nur ein Mitwirkendes und nicht das Organ des Ganzen, theils fragt ſich erſt, ob in einem wahrhaft äſthetiſchen Zuſammenhang ein wirklicher oder wirklich dargeſtellter Geruch vorkommen darf (wie z. B. das bei Darſtellungen der Auferweckung des Lazarus häufig von Malern angebrachte Motiv, daß ſich ein Zuſchauer die Naſe zuhält), ob nicht vielmehr nur ein innerlich vorgeſtellter; denn dieſen Sinn wie alle andern werden wir als innerlich geſetzten wiederfinden.
Der Geſchmack zerſetzt, dient der Ernährung, iſt unmittelbar mit ſinn- licher Luſt und Unluſt verbunden; er kann in gewiſſen Verbindungen aller- dings auch in einem äſthetiſchen Ganzen mitwirken, aber nur unter denſelben einſchränkenden Bedingungen, wie der Geruch. Die Sinne ſind überhaupt, wie bereits vom Taſtſinn bemerkt iſt, nichts Iſolirtes, ſie ſind Zweige Eines Sinnes, können theilweiſe die Stelle von einander vertreten, klingt der eine an, ſo klingt der andere als Erinnerung, als beglei- tender Ton, als unſichtbare Symbolik mit, und ſo ſind allerdings auch die unedleren derſelben nicht ausgeſchloſſen. Uebrigens können dieſe ſtoffar- tigen Sinne, wie der Begierde und Abneigung, ebenſo der wiſſenſchaftlichen Zergliederung dienen, ſind aber in beiden Fällen gleich außeräſthetiſch.
Die eigentlich äſthetiſchen Sinne aber ſind Geſicht und Gehör. Sie laſſen beide den Gegenſtand in ſeiner Objectivität und ruhen nicht auf der dunkeln, ſtoffartigen Verwicklung des Subjects mit dem Object. „Die andringende Materie iſt ſchon hinweggewälzt von den Sinnen und das Object entfernt ſich von uns, das wir in den thieriſchen Sinnen unmittelbar berühren“ (Schiller). Hegel nennt ſie daher die theoretiſchen, Schleiermacher (Aeſth. 93) willkürliche Sinne. Er verſteht dies ſo, daß ſie einer Thätigkeit, die von innen ausgeht, fähig und, ohne afficirt zu ſeyn, Geſtalten und Töne zu pro- duciren im Stande ſeyen. Er ſagt daher, es gebe ein inneres Sehen und Hören, von dem Riechen und Schmecken aber läugnet er zwar nicht ſchlechtweg, daß ſie auch innerlich thätig ſeyn können, ebenſo vom Taſt- ſinn, deſſen innerliche Mitthätigkeit in der Sculptur er zugibt, dagegen ſpricht er ihnen die Fähigkeit ab, auf Geheiß des Willens von innen Geſtalten- bildend thätig zu ſeyn. Je klarer nun in den zwei edleren Sinnen die Scheidung, um ſo tiefer auch das Eindringen, die Aufhebung der Fremd- heit zwiſchen Subject und Object; denn dieſe Aufhebung iſt geiſtig, iſt
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in der Phantaſie auf, welche mit reinen Gefühlen der Erinnerung und
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Geruch nur ein Mitwirkendes und nicht das Organ des Ganzen, theils
fragt ſich erſt, ob in einem wahrhaft äſthetiſchen Zuſammenhang
ein wirklicher oder wirklich dargeſtellter Geruch vorkommen darf (wie
z. B. das bei Darſtellungen der Auferweckung des Lazarus häufig von
Malern angebrachte Motiv, daß ſich ein Zuſchauer die Naſe zuhält),
ob nicht vielmehr nur ein innerlich vorgeſtellter; denn dieſen Sinn wie
alle andern werden wir als innerlich geſetzten wiederfinden.
Der Geſchmack zerſetzt, dient der Ernährung, iſt unmittelbar mit ſinn-
licher Luſt und Unluſt verbunden; er kann in gewiſſen Verbindungen aller-
dings auch in einem äſthetiſchen Ganzen mitwirken, aber nur unter denſelben
einſchränkenden Bedingungen, wie der Geruch. Die Sinne ſind überhaupt,
wie bereits vom Taſtſinn bemerkt iſt, nichts Iſolirtes, ſie ſind Zweige
Eines Sinnes, können theilweiſe die Stelle von einander vertreten,
klingt der eine an, ſo klingt der andere als Erinnerung, als beglei-
tender Ton, als unſichtbare Symbolik mit, und ſo ſind allerdings auch
die unedleren derſelben nicht ausgeſchloſſen. Uebrigens können dieſe ſtoffar-
tigen Sinne, wie der Begierde und Abneigung, ebenſo der wiſſenſchaftlichen
Zergliederung dienen, ſind aber in beiden Fällen gleich außeräſthetiſch.
Die eigentlich äſthetiſchen Sinne aber ſind Geſicht und Gehör.
Sie laſſen beide den Gegenſtand in ſeiner Objectivität und ruhen
nicht auf der dunkeln, ſtoffartigen Verwicklung des Subjects mit
dem Object. „Die andringende Materie iſt ſchon hinweggewälzt von
den Sinnen und das Object entfernt ſich von uns, das wir in den
thieriſchen Sinnen unmittelbar berühren“ (Schiller). Hegel nennt
ſie daher die theoretiſchen, Schleiermacher (Aeſth. 93) willkürliche
Sinne. Er verſteht dies ſo, daß ſie einer Thätigkeit, die von innen
ausgeht, fähig und, ohne afficirt zu ſeyn, Geſtalten und Töne zu pro-
duciren im Stande ſeyen. Er ſagt daher, es gebe ein inneres Sehen
und Hören, von dem Riechen und Schmecken aber läugnet er zwar nicht
ſchlechtweg, daß ſie auch innerlich thätig ſeyn können, ebenſo vom Taſt-
ſinn, deſſen innerliche Mitthätigkeit in der Sculptur er zugibt, dagegen ſpricht
er ihnen die Fähigkeit ab, auf Geheiß des Willens von innen Geſtalten-
bildend thätig zu ſeyn. Je klarer nun in den zwei edleren Sinnen die
Scheidung, um ſo tiefer auch das Eindringen, die Aufhebung der Fremd-
heit zwiſchen Subject und Object; denn dieſe Aufhebung iſt geiſtig, iſt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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