Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwanzigste Vorlesung.
einfacher Tuberkel betrachtet werden. Der Tuberkel bleibt
wirklich minimal oder, wie man zu sagen pflegt, miliar.
Selbst wenn sich an der Pleura neben ganz kleinen Kno-
ten grosse, wie aufgelagerte gelbe Platten finden, so sind
auch diese keine einfachen Tuberkel, sondern Zusammen-
setzungen aus einer ursprünglich grossen Summe gesonderter
Knötchen.

Hier, wie Sie sehen, hängt in der That Form und Wesen
mit einander untrennbar zusammen. Die Form ist bedingt da-
durch, dass der Tuberkel von einzelnen Elementen des Binde-
gewebes aus, durch die degenerative Entwickelung einzelner
Gruppen von Bindegewebskörperchen wächst. So kommt er
ohne alles Weitere als Korn hervor. Wenn er einmal
eine gewisse Grösse erreicht hat, wenn die Generationen von
neuen Elementen, die sich durch immer fortgehende Theilung
aus den alten Gewebselementen entwickeln, endlich so dicht
liegen, dass sie sich gegenseitig hemmen, die Gefässe des
Tuberkels allmählig zum Schwinden bringen, und sich dadurch
selbst die Zufuhr abschneiden, so zerfallen sie eben, sie ster-
ben ab, und es bleibt nichts weiter zurück, als Detritus, ver-
schrumpftes, zerfallenes, käsiges Material.

Die käsige Umbildung ist der regelrechte Ausgang der
Tuberkel, aber sie ist einerseits nicht der nothwendige Aus-
gang, denn es gibt seltene Fälle, wo die Tuberkel durch voll-
ständige fettige Metamorphose resorptionsfähig werden; anderer-
seits kommt dieselbe käsige Metamorphose anderen Formen
von zelligen Neubildungen zu: der Eiter kann käsig werden,
ebenso Krebs und Sarkom. Diese allgemeine Möglichkeit
kann man daher nicht wohl als das Kriterium für die Beur-
theilung eines bestimmten Gebildes, wie des Tuberkels, hin-
stellen; vielmehr gibt es gewisse Stadien der Rückbildung
desselben, wo man sich sagen muss, dass es nicht immer
möglich ist, ein Urtheil zu fällen. Legt Ihnen Jemand eine
Lunge, mit käsigen Massen durchsprengt, vor, und fragt: ist
das Tuberkel oder nicht? so werden Sie häufig nicht genau
sagen können, was die einzelnen Massen ursprünglich gewesen
sind. Es gibt Zeiten in der Entwickelung, wo man mit Be-
stimmtheit das Entzündliche und das Tuberkulöse von einander

Zwanzigste Vorlesung.
einfacher Tuberkel betrachtet werden. Der Tuberkel bleibt
wirklich minimal oder, wie man zu sagen pflegt, miliar.
Selbst wenn sich an der Pleura neben ganz kleinen Kno-
ten grosse, wie aufgelagerte gelbe Platten finden, so sind
auch diese keine einfachen Tuberkel, sondern Zusammen-
setzungen aus einer ursprünglich grossen Summe gesonderter
Knötchen.

Hier, wie Sie sehen, hängt in der That Form und Wesen
mit einander untrennbar zusammen. Die Form ist bedingt da-
durch, dass der Tuberkel von einzelnen Elementen des Binde-
gewebes aus, durch die degenerative Entwickelung einzelner
Gruppen von Bindegewebskörperchen wächst. So kommt er
ohne alles Weitere als Korn hervor. Wenn er einmal
eine gewisse Grösse erreicht hat, wenn die Generationen von
neuen Elementen, die sich durch immer fortgehende Theilung
aus den alten Gewebselementen entwickeln, endlich so dicht
liegen, dass sie sich gegenseitig hemmen, die Gefässe des
Tuberkels allmählig zum Schwinden bringen, und sich dadurch
selbst die Zufuhr abschneiden, so zerfallen sie eben, sie ster-
ben ab, und es bleibt nichts weiter zurück, als Detritus, ver-
schrumpftes, zerfallenes, käsiges Material.

Die käsige Umbildung ist der regelrechte Ausgang der
Tuberkel, aber sie ist einerseits nicht der nothwendige Aus-
gang, denn es gibt seltene Fälle, wo die Tuberkel durch voll-
ständige fettige Metamorphose resorptionsfähig werden; anderer-
seits kommt dieselbe käsige Metamorphose anderen Formen
von zelligen Neubildungen zu: der Eiter kann käsig werden,
ebenso Krebs und Sarkom. Diese allgemeine Möglichkeit
kann man daher nicht wohl als das Kriterium für die Beur-
theilung eines bestimmten Gebildes, wie des Tuberkels, hin-
stellen; vielmehr gibt es gewisse Stadien der Rückbildung
desselben, wo man sich sagen muss, dass es nicht immer
möglich ist, ein Urtheil zu fällen. Legt Ihnen Jemand eine
Lunge, mit käsigen Massen durchsprengt, vor, und fragt: ist
das Tuberkel oder nicht? so werden Sie häufig nicht genau
sagen können, was die einzelnen Massen ursprünglich gewesen
sind. Es gibt Zeiten in der Entwickelung, wo man mit Be-
stimmtheit das Entzündliche und das Tuberkulöse von einander

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0446" n="424"/><fw place="top" type="header">Zwanzigste Vorlesung.</fw><lb/>
einfacher Tuberkel betrachtet werden. Der Tuberkel bleibt<lb/>
wirklich minimal oder, wie man zu sagen pflegt, <hi rendition="#g">miliar</hi>.<lb/>
Selbst wenn sich an der Pleura neben ganz kleinen Kno-<lb/>
ten grosse, wie aufgelagerte gelbe Platten finden, so sind<lb/>
auch diese keine einfachen Tuberkel, sondern Zusammen-<lb/>
setzungen aus einer ursprünglich grossen Summe gesonderter<lb/>
Knötchen.</p><lb/>
        <p>Hier, wie Sie sehen, hängt in der That Form und Wesen<lb/>
mit einander untrennbar zusammen. Die Form ist bedingt da-<lb/>
durch, dass der Tuberkel von einzelnen Elementen des Binde-<lb/>
gewebes aus, durch die degenerative Entwickelung einzelner<lb/>
Gruppen von Bindegewebskörperchen wächst. So kommt er<lb/>
ohne alles Weitere als Korn hervor. Wenn er einmal<lb/>
eine gewisse Grösse erreicht hat, wenn die Generationen von<lb/>
neuen Elementen, die sich durch immer fortgehende Theilung<lb/>
aus den alten Gewebselementen entwickeln, endlich so dicht<lb/>
liegen, dass sie sich gegenseitig hemmen, die Gefässe des<lb/>
Tuberkels allmählig zum Schwinden bringen, und sich dadurch<lb/>
selbst die Zufuhr abschneiden, so zerfallen sie eben, sie ster-<lb/>
ben ab, und es bleibt nichts weiter zurück, als Detritus, ver-<lb/>
schrumpftes, zerfallenes, käsiges Material.</p><lb/>
        <p>Die käsige Umbildung ist der regelrechte Ausgang der<lb/>
Tuberkel, aber sie ist einerseits nicht der nothwendige Aus-<lb/>
gang, denn es gibt seltene Fälle, wo die Tuberkel durch voll-<lb/>
ständige fettige Metamorphose resorptionsfähig werden; anderer-<lb/>
seits kommt dieselbe käsige Metamorphose anderen Formen<lb/>
von zelligen Neubildungen zu: der Eiter kann käsig werden,<lb/>
ebenso Krebs und Sarkom. Diese allgemeine Möglichkeit<lb/>
kann man daher nicht wohl als das Kriterium für die Beur-<lb/>
theilung eines bestimmten Gebildes, wie des Tuberkels, hin-<lb/>
stellen; vielmehr gibt es gewisse Stadien der Rückbildung<lb/>
desselben, wo man sich sagen muss, dass es nicht immer<lb/>
möglich ist, ein Urtheil zu fällen. Legt Ihnen Jemand eine<lb/>
Lunge, mit käsigen Massen durchsprengt, vor, und fragt: ist<lb/>
das Tuberkel oder nicht? so werden Sie häufig nicht genau<lb/>
sagen können, was die einzelnen Massen ursprünglich gewesen<lb/>
sind. Es gibt Zeiten in der Entwickelung, wo man mit Be-<lb/>
stimmtheit das Entzündliche und das Tuberkulöse von einander<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0446] Zwanzigste Vorlesung. einfacher Tuberkel betrachtet werden. Der Tuberkel bleibt wirklich minimal oder, wie man zu sagen pflegt, miliar. Selbst wenn sich an der Pleura neben ganz kleinen Kno- ten grosse, wie aufgelagerte gelbe Platten finden, so sind auch diese keine einfachen Tuberkel, sondern Zusammen- setzungen aus einer ursprünglich grossen Summe gesonderter Knötchen. Hier, wie Sie sehen, hängt in der That Form und Wesen mit einander untrennbar zusammen. Die Form ist bedingt da- durch, dass der Tuberkel von einzelnen Elementen des Binde- gewebes aus, durch die degenerative Entwickelung einzelner Gruppen von Bindegewebskörperchen wächst. So kommt er ohne alles Weitere als Korn hervor. Wenn er einmal eine gewisse Grösse erreicht hat, wenn die Generationen von neuen Elementen, die sich durch immer fortgehende Theilung aus den alten Gewebselementen entwickeln, endlich so dicht liegen, dass sie sich gegenseitig hemmen, die Gefässe des Tuberkels allmählig zum Schwinden bringen, und sich dadurch selbst die Zufuhr abschneiden, so zerfallen sie eben, sie ster- ben ab, und es bleibt nichts weiter zurück, als Detritus, ver- schrumpftes, zerfallenes, käsiges Material. Die käsige Umbildung ist der regelrechte Ausgang der Tuberkel, aber sie ist einerseits nicht der nothwendige Aus- gang, denn es gibt seltene Fälle, wo die Tuberkel durch voll- ständige fettige Metamorphose resorptionsfähig werden; anderer- seits kommt dieselbe käsige Metamorphose anderen Formen von zelligen Neubildungen zu: der Eiter kann käsig werden, ebenso Krebs und Sarkom. Diese allgemeine Möglichkeit kann man daher nicht wohl als das Kriterium für die Beur- theilung eines bestimmten Gebildes, wie des Tuberkels, hin- stellen; vielmehr gibt es gewisse Stadien der Rückbildung desselben, wo man sich sagen muss, dass es nicht immer möglich ist, ein Urtheil zu fällen. Legt Ihnen Jemand eine Lunge, mit käsigen Massen durchsprengt, vor, und fragt: ist das Tuberkel oder nicht? so werden Sie häufig nicht genau sagen können, was die einzelnen Massen ursprünglich gewesen sind. Es gibt Zeiten in der Entwickelung, wo man mit Be- stimmtheit das Entzündliche und das Tuberkulöse von einander

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/446
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/446>, abgerufen am 28.11.2024.