Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Contagion in der Continuität der Theile.
die Erkrankung der nächsten Lymphdrüsen, welche in der
Richtung des von der erkrankten Stelle ausgehenden Lymph-
stromes liegen. Je mehr Anastomosen die Theile besitzen, um
so leichter erkranken sie, und umgekehrt. An dem Knorpel
sind die malignen Erkrankungen so selten, dass man in der
Regel annimmt, er sei ganz und gar unfähig dazu. So
findet man zuweilen an einem Gelenke noch den Knor-
pelüberzug, während alles andere zerstört ist. So sehen wir,
dass die fibrösen Theile, welche reich sind an elastischen
Elementen, sehr wenig Disposition zu contagiöser Erkrankung
haben. Dagegen, je weicher ein Grundgewebe ist, je besser
die Leitung stattfinden kann, um so sicherer können wir er-
warten, dass bei Gelegenheit in dem Theile neue Heerde der
Erkrankung auftreten werden. Ich habe deshalb geschlossen,
dass in einer nicht wohl anders zu begreifenden Weise die
Infection von dem bestehenden Heerde auf die anastomosiren-
den Nachbarelemente übertragen wird, ohne Dazwischenkunft
von Gefässen und Nerven. Freilich sind die Nerven oft die
besten Leiter für die Fortpflanzung von contagiösen Neubil-
dungen, aber nicht als Nerven, sondern als Theile mit weichem
Zwischengewebe.

Hier ergibt sich die Bedeutung der anastomosirenden
Elemente des Gewebes, der Werth der Cellular-Theorie auf
das Augenscheinlichste, und man kann hinwieder, wenn man
einmal diese Art der Leitung kennen gelernt hat, mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehen, wohin in gewissen
Theilen mit bekannter Art der Leitung die Richtung der Er-
krankung gehen werde, und wo endlich die grössere oder ge-
ringere Gefahr liege. Es ist bis jetzt unerweislich, ob in der-
selben Weise, wie die Infection der Nachbartheile durch eine
Saftleitung geschieht, auch die Infection entfernter Theile ge-
schehe, ob namentlich das Blut von dem Heerde aus etwas
Schädliches aufnimmt und einem entfernten Orte zuleitet. Ich
muss bekennen, dass ich in dieser Beziehung keine hinreichend
beweisenden Thatsachen kenne, und die Möglichkeit immer
noch zugeben muss, dass die Verbreitung durch Gefässe mög-
licher Weise auf einer Zerstreuung der Zellen aus den Ge-

Contagion in der Continuität der Theile.
die Erkrankung der nächsten Lymphdrüsen, welche in der
Richtung des von der erkrankten Stelle ausgehenden Lymph-
stromes liegen. Je mehr Anastomosen die Theile besitzen, um
so leichter erkranken sie, und umgekehrt. An dem Knorpel
sind die malignen Erkrankungen so selten, dass man in der
Regel annimmt, er sei ganz und gar unfähig dazu. So
findet man zuweilen an einem Gelenke noch den Knor-
pelüberzug, während alles andere zerstört ist. So sehen wir,
dass die fibrösen Theile, welche reich sind an elastischen
Elementen, sehr wenig Disposition zu contagiöser Erkrankung
haben. Dagegen, je weicher ein Grundgewebe ist, je besser
die Leitung stattfinden kann, um so sicherer können wir er-
warten, dass bei Gelegenheit in dem Theile neue Heerde der
Erkrankung auftreten werden. Ich habe deshalb geschlossen,
dass in einer nicht wohl anders zu begreifenden Weise die
Infection von dem bestehenden Heerde auf die anastomosiren-
den Nachbarelemente übertragen wird, ohne Dazwischenkunft
von Gefässen und Nerven. Freilich sind die Nerven oft die
besten Leiter für die Fortpflanzung von contagiösen Neubil-
dungen, aber nicht als Nerven, sondern als Theile mit weichem
Zwischengewebe.

Hier ergibt sich die Bedeutung der anastomosirenden
Elemente des Gewebes, der Werth der Cellular-Theorie auf
das Augenscheinlichste, und man kann hinwieder, wenn man
einmal diese Art der Leitung kennen gelernt hat, mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehen, wohin in gewissen
Theilen mit bekannter Art der Leitung die Richtung der Er-
krankung gehen werde, und wo endlich die grössere oder ge-
ringere Gefahr liege. Es ist bis jetzt unerweislich, ob in der-
selben Weise, wie die Infection der Nachbartheile durch eine
Saftleitung geschieht, auch die Infection entfernter Theile ge-
schehe, ob namentlich das Blut von dem Heerde aus etwas
Schädliches aufnimmt und einem entfernten Orte zuleitet. Ich
muss bekennen, dass ich in dieser Beziehung keine hinreichend
beweisenden Thatsachen kenne, und die Möglichkeit immer
noch zugeben muss, dass die Verbreitung durch Gefässe mög-
licher Weise auf einer Zerstreuung der Zellen aus den Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0429" n="407"/><fw place="top" type="header">Contagion in der Continuität der Theile.</fw><lb/>
die Erkrankung der nächsten Lymphdrüsen, welche in der<lb/>
Richtung des von der erkrankten Stelle ausgehenden Lymph-<lb/>
stromes liegen. Je mehr Anastomosen die Theile besitzen, um<lb/>
so leichter erkranken sie, und umgekehrt. An dem Knorpel<lb/>
sind die malignen Erkrankungen so selten, dass man in der<lb/>
Regel annimmt, er sei ganz und gar unfähig dazu. So<lb/>
findet man zuweilen an einem Gelenke noch den Knor-<lb/>
pelüberzug, während alles andere zerstört ist. So sehen wir,<lb/>
dass die fibrösen Theile, welche reich sind an elastischen<lb/>
Elementen, sehr wenig Disposition zu contagiöser Erkrankung<lb/>
haben. Dagegen, je weicher ein Grundgewebe ist, je besser<lb/>
die Leitung stattfinden kann, um so sicherer können wir er-<lb/>
warten, dass bei Gelegenheit in dem Theile neue Heerde der<lb/>
Erkrankung auftreten werden. Ich habe deshalb geschlossen,<lb/>
dass in einer nicht wohl anders zu begreifenden Weise die<lb/>
Infection von dem bestehenden Heerde auf die anastomosiren-<lb/>
den Nachbarelemente übertragen wird, ohne Dazwischenkunft<lb/>
von Gefässen und Nerven. Freilich sind die Nerven oft die<lb/>
besten Leiter für die Fortpflanzung von contagiösen Neubil-<lb/>
dungen, aber nicht als Nerven, sondern als Theile mit weichem<lb/>
Zwischengewebe.</p><lb/>
        <p>Hier ergibt sich die Bedeutung der anastomosirenden<lb/>
Elemente des Gewebes, der Werth der Cellular-Theorie auf<lb/>
das Augenscheinlichste, und man kann hinwieder, wenn man<lb/>
einmal diese Art der Leitung kennen gelernt hat, mit einer<lb/>
gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehen, wohin in gewissen<lb/>
Theilen mit bekannter Art der Leitung die Richtung der Er-<lb/>
krankung gehen werde, und wo endlich die grössere oder ge-<lb/>
ringere Gefahr liege. Es ist bis jetzt unerweislich, ob in der-<lb/>
selben Weise, wie die Infection der Nachbartheile durch eine<lb/>
Saftleitung geschieht, auch die Infection entfernter Theile ge-<lb/>
schehe, ob namentlich das Blut von dem Heerde aus etwas<lb/>
Schädliches aufnimmt und einem entfernten Orte zuleitet. Ich<lb/>
muss bekennen, dass ich in dieser Beziehung keine hinreichend<lb/>
beweisenden Thatsachen kenne, und die Möglichkeit immer<lb/>
noch zugeben muss, dass die Verbreitung durch Gefässe mög-<lb/>
licher Weise auf einer Zerstreuung der Zellen aus den Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[407/0429] Contagion in der Continuität der Theile. die Erkrankung der nächsten Lymphdrüsen, welche in der Richtung des von der erkrankten Stelle ausgehenden Lymph- stromes liegen. Je mehr Anastomosen die Theile besitzen, um so leichter erkranken sie, und umgekehrt. An dem Knorpel sind die malignen Erkrankungen so selten, dass man in der Regel annimmt, er sei ganz und gar unfähig dazu. So findet man zuweilen an einem Gelenke noch den Knor- pelüberzug, während alles andere zerstört ist. So sehen wir, dass die fibrösen Theile, welche reich sind an elastischen Elementen, sehr wenig Disposition zu contagiöser Erkrankung haben. Dagegen, je weicher ein Grundgewebe ist, je besser die Leitung stattfinden kann, um so sicherer können wir er- warten, dass bei Gelegenheit in dem Theile neue Heerde der Erkrankung auftreten werden. Ich habe deshalb geschlossen, dass in einer nicht wohl anders zu begreifenden Weise die Infection von dem bestehenden Heerde auf die anastomosiren- den Nachbarelemente übertragen wird, ohne Dazwischenkunft von Gefässen und Nerven. Freilich sind die Nerven oft die besten Leiter für die Fortpflanzung von contagiösen Neubil- dungen, aber nicht als Nerven, sondern als Theile mit weichem Zwischengewebe. Hier ergibt sich die Bedeutung der anastomosirenden Elemente des Gewebes, der Werth der Cellular-Theorie auf das Augenscheinlichste, und man kann hinwieder, wenn man einmal diese Art der Leitung kennen gelernt hat, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehen, wohin in gewissen Theilen mit bekannter Art der Leitung die Richtung der Er- krankung gehen werde, und wo endlich die grössere oder ge- ringere Gefahr liege. Es ist bis jetzt unerweislich, ob in der- selben Weise, wie die Infection der Nachbartheile durch eine Saftleitung geschieht, auch die Infection entfernter Theile ge- schehe, ob namentlich das Blut von dem Heerde aus etwas Schädliches aufnimmt und einem entfernten Orte zuleitet. Ich muss bekennen, dass ich in dieser Beziehung keine hinreichend beweisenden Thatsachen kenne, und die Möglichkeit immer noch zugeben muss, dass die Verbreitung durch Gefässe mög- licher Weise auf einer Zerstreuung der Zellen aus den Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/429
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/429>, abgerufen am 27.04.2024.