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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Schleim- und Eiterkörperchen.
perchen. Das ist etwas irrthümlich. Man kann nicht behaupten,
dass eine Zelle, die bis zu dem Punkte eines sogenannten
Schleimkörperchens als ein sphärisches Gebilde sich erhalten
hat, noch im Stande wäre, die typische Form des Epithels
anzunehmen, welches an der Stelle existiren sollte; eben so
wenig kann man sagen, dass ein Eiterkörperchen, nachdem es
sich regelmässig entwickelt hat, sich wieder in einen Entwicke-
lungsgang hineinzubegeben vermöchte, der ein relativ bleibendes
Element des Körpers herzustellen im Stande wäre. Die
Elemente, aus denen die Entwickelung überhaupt erfolgt, sind
junge Formen, aber sie sind keine Eiterkörperchen. Im Eiter
beginnt jede neue Zelle sehr früh, ihren Kern zu theilen; nach
kurzer Zeit erreicht die Kerntheilung einen hohen Grad, ohne
dass die Zelle selbst weiter wächst. Im Schleim pflegen die
Zellen sich einfach zu entwickeln und zum Theil sehr gross
zu werden, aber sie überschreiten nicht gewisse Grenzen, und
namentlich nehmen sie keine typische Gestalt an. Im Epithel
dagegen fangen die Elemente schon sehr früh an, ihre be-
sondere Gestalt zu erreichen, denn "was ein Haken werden
soll, das krümmt sich bei Zeiten". Die allerjüngsten Elemente,
welche unter pathologischen Verhältnissen gebildet werden,
kann man aber nicht Epithelzellen nennen, wenigstens sind
sie noch nicht typisch, sondern indifferente Bildungszellen,
welche auch zu Schleim- oder Eiterkörperchen werden könnten.
Eiter-, Schleim- und Epithelialzellen sind also pathologisch
äquivalente Theile, welche sich substituiren, aber nicht für
einander functioniren können.

Schon hieraus folgt, dass der gesuchte Unterschied zwischen
Schleim- und Eiterkörperchen, auf welchen man im vorigen
Jahrhundert Preise aussetzte, eigentlich nicht gefunden werden
konnte und dass die "Proben" immer unzureichend sein mussten,
insofern die Entwickelungen auf der Schleimhaut nicht immer
den rein puriformen, den rein mucösen oder den rein epithe-
lialen Character haben, vielmehr in der grossen Mehrzahl der
Fälle ein gemischter Zustand existirt. Fast jedesmal, wenn
auf einer grossen Schleimhaut, wie z. B. auf den Harnwegen
ein katarrhalischer Prozess sich entwickelt, entstehen puriforme
Massen, aber die Bildungsstätte derselben findet endlich irgend-

Schleim- und Eiterkörperchen.
perchen. Das ist etwas irrthümlich. Man kann nicht behaupten,
dass eine Zelle, die bis zu dem Punkte eines sogenannten
Schleimkörperchens als ein sphärisches Gebilde sich erhalten
hat, noch im Stande wäre, die typische Form des Epithels
anzunehmen, welches an der Stelle existiren sollte; eben so
wenig kann man sagen, dass ein Eiterkörperchen, nachdem es
sich regelmässig entwickelt hat, sich wieder in einen Entwicke-
lungsgang hineinzubegeben vermöchte, der ein relativ bleibendes
Element des Körpers herzustellen im Stande wäre. Die
Elemente, aus denen die Entwickelung überhaupt erfolgt, sind
junge Formen, aber sie sind keine Eiterkörperchen. Im Eiter
beginnt jede neue Zelle sehr früh, ihren Kern zu theilen; nach
kurzer Zeit erreicht die Kerntheilung einen hohen Grad, ohne
dass die Zelle selbst weiter wächst. Im Schleim pflegen die
Zellen sich einfach zu entwickeln und zum Theil sehr gross
zu werden, aber sie überschreiten nicht gewisse Grenzen, und
namentlich nehmen sie keine typische Gestalt an. Im Epithel
dagegen fangen die Elemente schon sehr früh an, ihre be-
sondere Gestalt zu erreichen, denn „was ein Haken werden
soll, das krümmt sich bei Zeiten“. Die allerjüngsten Elemente,
welche unter pathologischen Verhältnissen gebildet werden,
kann man aber nicht Epithelzellen nennen, wenigstens sind
sie noch nicht typisch, sondern indifferente Bildungszellen,
welche auch zu Schleim- oder Eiterkörperchen werden könnten.
Eiter-, Schleim- und Epithelialzellen sind also pathologisch
äquivalente Theile, welche sich substituiren, aber nicht für
einander functioniren können.

Schon hieraus folgt, dass der gesuchte Unterschied zwischen
Schleim- und Eiterkörperchen, auf welchen man im vorigen
Jahrhundert Preise aussetzte, eigentlich nicht gefunden werden
konnte und dass die „Proben“ immer unzureichend sein mussten,
insofern die Entwickelungen auf der Schleimhaut nicht immer
den rein puriformen, den rein mucösen oder den rein epithe-
lialen Character haben, vielmehr in der grossen Mehrzahl der
Fälle ein gemischter Zustand existirt. Fast jedesmal, wenn
auf einer grossen Schleimhaut, wie z. B. auf den Harnwegen
ein katarrhalischer Prozess sich entwickelt, entstehen puriforme
Massen, aber die Bildungsstätte derselben findet endlich irgend-

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[399/0421] Schleim- und Eiterkörperchen. perchen. Das ist etwas irrthümlich. Man kann nicht behaupten, dass eine Zelle, die bis zu dem Punkte eines sogenannten Schleimkörperchens als ein sphärisches Gebilde sich erhalten hat, noch im Stande wäre, die typische Form des Epithels anzunehmen, welches an der Stelle existiren sollte; eben so wenig kann man sagen, dass ein Eiterkörperchen, nachdem es sich regelmässig entwickelt hat, sich wieder in einen Entwicke- lungsgang hineinzubegeben vermöchte, der ein relativ bleibendes Element des Körpers herzustellen im Stande wäre. Die Elemente, aus denen die Entwickelung überhaupt erfolgt, sind junge Formen, aber sie sind keine Eiterkörperchen. Im Eiter beginnt jede neue Zelle sehr früh, ihren Kern zu theilen; nach kurzer Zeit erreicht die Kerntheilung einen hohen Grad, ohne dass die Zelle selbst weiter wächst. Im Schleim pflegen die Zellen sich einfach zu entwickeln und zum Theil sehr gross zu werden, aber sie überschreiten nicht gewisse Grenzen, und namentlich nehmen sie keine typische Gestalt an. Im Epithel dagegen fangen die Elemente schon sehr früh an, ihre be- sondere Gestalt zu erreichen, denn „was ein Haken werden soll, das krümmt sich bei Zeiten“. Die allerjüngsten Elemente, welche unter pathologischen Verhältnissen gebildet werden, kann man aber nicht Epithelzellen nennen, wenigstens sind sie noch nicht typisch, sondern indifferente Bildungszellen, welche auch zu Schleim- oder Eiterkörperchen werden könnten. Eiter-, Schleim- und Epithelialzellen sind also pathologisch äquivalente Theile, welche sich substituiren, aber nicht für einander functioniren können. Schon hieraus folgt, dass der gesuchte Unterschied zwischen Schleim- und Eiterkörperchen, auf welchen man im vorigen Jahrhundert Preise aussetzte, eigentlich nicht gefunden werden konnte und dass die „Proben“ immer unzureichend sein mussten, insofern die Entwickelungen auf der Schleimhaut nicht immer den rein puriformen, den rein mucösen oder den rein epithe- lialen Character haben, vielmehr in der grossen Mehrzahl der Fälle ein gemischter Zustand existirt. Fast jedesmal, wenn auf einer grossen Schleimhaut, wie z. B. auf den Harnwegen ein katarrhalischer Prozess sich entwickelt, entstehen puriforme Massen, aber die Bildungsstätte derselben findet endlich irgend-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/421>, abgerufen am 27.04.2024.