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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Siebzehnte Vorlesung.

Andererseits müssen Sie festhalten, dass man, von be-
stimmten Voraussetzungen ausgehend, Fibrinexsudate an vielen
Punkten vermuthet hat, wo sie in der That gar nicht zu sehen
sind. Wenn man den Eiter aus einem fibrinösen Exsudat hat
hervorgehen lassen, und wenn man demnach an allen Stellen,
wo Eiter auftritt, ein fibrinöses Exsudat als den Ausgangs-
punkt betrachtet, so gehört doch eben keine grosse Beobach-
tungsgabe dazu, um sich zu überzeugen, dass dies ein Irrthum
ist. Nehmen Sie eine beliebige Ulcerationsfläche, wischen
Sie den Eiter ab und fangen Sie das auf, was hervorkommt,
so werden Sie entweder seröse Flüssigkeit oder Eiter haben,
aber Sie werden nicht sehen, dass sich die abgewischte
Fläche mit einer fibrinösen Schicht überzieht. Beschränkt
man sich also auf diejenigen Theile, wo Entzündungen mit
wirklichem, unzweifelhaftem fibrinösem Exsudat vorkommen,
so ist dies eine nahezu ebenso beschränkte Kategorie, wie
die der schleimigen Entzündungen. Hier stehen in erster
Linie die eigentlichen serösen Häute, welche bei leichtem
Entzündungsreiz gewöhnlich schon Fibrin hervorbringen; in
zweiter Linie gewisse Schleimhäute, an welchen die fibrinösen
Entzündungen in einer grossen Zahl von Fällen unverkenn-
bar als eine Steigerung aus schleimigen hervorgehen. Ein
gewöhnlicher Croup tritt in der Regel nicht von vornherein
als fibrinöser Croup auf; anfangs, zu einer Zeit, wo die Ge-
fahr schon eine sehr beträchtliche sein kann, findet sich oft
nichts weiter, als eine schleimige oder schleimig-eitrige Mem-
bran. Erst nach einer gewissen Zeit setzt die fibrinöse
Exsudation in der Weise ein, dass wir an derselben Pseudo-
membran die Uebergänge verfolgen können, so dass eine ge-
wisse Strecke deutlich Schleim, eine andere deutlich Fibrin
ist, während an einer dritten Stelle nicht mehr mit Sicherheit
zu sagen ist, ob das eine oder das andere vorhanden ist.
Hier treten also beide Stoffe wiederum als Substitute für ein-
ander auf. Wo der entzündliche Reiz grösser ist, sehen wir
Fibrin, wo er geringer ist, Schleim vorkommen.

Vom Schleim wissen wir aber, dass er im Blute nicht
existirt, wie Fibrin. Wenn auch eine Schleimhaut unglaublich
grosse Massen von Schleim in kurzer Zeit hervorbringt, so

Siebzehnte Vorlesung.

Andererseits müssen Sie festhalten, dass man, von be-
stimmten Voraussetzungen ausgehend, Fibrinexsudate an vielen
Punkten vermuthet hat, wo sie in der That gar nicht zu sehen
sind. Wenn man den Eiter aus einem fibrinösen Exsudat hat
hervorgehen lassen, und wenn man demnach an allen Stellen,
wo Eiter auftritt, ein fibrinöses Exsudat als den Ausgangs-
punkt betrachtet, so gehört doch eben keine grosse Beobach-
tungsgabe dazu, um sich zu überzeugen, dass dies ein Irrthum
ist. Nehmen Sie eine beliebige Ulcerationsfläche, wischen
Sie den Eiter ab und fangen Sie das auf, was hervorkommt,
so werden Sie entweder seröse Flüssigkeit oder Eiter haben,
aber Sie werden nicht sehen, dass sich die abgewischte
Fläche mit einer fibrinösen Schicht überzieht. Beschränkt
man sich also auf diejenigen Theile, wo Entzündungen mit
wirklichem, unzweifelhaftem fibrinösem Exsudat vorkommen,
so ist dies eine nahezu ebenso beschränkte Kategorie, wie
die der schleimigen Entzündungen. Hier stehen in erster
Linie die eigentlichen serösen Häute, welche bei leichtem
Entzündungsreiz gewöhnlich schon Fibrin hervorbringen; in
zweiter Linie gewisse Schleimhäute, an welchen die fibrinösen
Entzündungen in einer grossen Zahl von Fällen unverkenn-
bar als eine Steigerung aus schleimigen hervorgehen. Ein
gewöhnlicher Croup tritt in der Regel nicht von vornherein
als fibrinöser Croup auf; anfangs, zu einer Zeit, wo die Ge-
fahr schon eine sehr beträchtliche sein kann, findet sich oft
nichts weiter, als eine schleimige oder schleimig-eitrige Mem-
bran. Erst nach einer gewissen Zeit setzt die fibrinöse
Exsudation in der Weise ein, dass wir an derselben Pseudo-
membran die Uebergänge verfolgen können, so dass eine ge-
wisse Strecke deutlich Schleim, eine andere deutlich Fibrin
ist, während an einer dritten Stelle nicht mehr mit Sicherheit
zu sagen ist, ob das eine oder das andere vorhanden ist.
Hier treten also beide Stoffe wiederum als Substitute für ein-
ander auf. Wo der entzündliche Reiz grösser ist, sehen wir
Fibrin, wo er geringer ist, Schleim vorkommen.

Vom Schleim wissen wir aber, dass er im Blute nicht
existirt, wie Fibrin. Wenn auch eine Schleimhaut unglaublich
grosse Massen von Schleim in kurzer Zeit hervorbringt, so

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[350/0372] Siebzehnte Vorlesung. Andererseits müssen Sie festhalten, dass man, von be- stimmten Voraussetzungen ausgehend, Fibrinexsudate an vielen Punkten vermuthet hat, wo sie in der That gar nicht zu sehen sind. Wenn man den Eiter aus einem fibrinösen Exsudat hat hervorgehen lassen, und wenn man demnach an allen Stellen, wo Eiter auftritt, ein fibrinöses Exsudat als den Ausgangs- punkt betrachtet, so gehört doch eben keine grosse Beobach- tungsgabe dazu, um sich zu überzeugen, dass dies ein Irrthum ist. Nehmen Sie eine beliebige Ulcerationsfläche, wischen Sie den Eiter ab und fangen Sie das auf, was hervorkommt, so werden Sie entweder seröse Flüssigkeit oder Eiter haben, aber Sie werden nicht sehen, dass sich die abgewischte Fläche mit einer fibrinösen Schicht überzieht. Beschränkt man sich also auf diejenigen Theile, wo Entzündungen mit wirklichem, unzweifelhaftem fibrinösem Exsudat vorkommen, so ist dies eine nahezu ebenso beschränkte Kategorie, wie die der schleimigen Entzündungen. Hier stehen in erster Linie die eigentlichen serösen Häute, welche bei leichtem Entzündungsreiz gewöhnlich schon Fibrin hervorbringen; in zweiter Linie gewisse Schleimhäute, an welchen die fibrinösen Entzündungen in einer grossen Zahl von Fällen unverkenn- bar als eine Steigerung aus schleimigen hervorgehen. Ein gewöhnlicher Croup tritt in der Regel nicht von vornherein als fibrinöser Croup auf; anfangs, zu einer Zeit, wo die Ge- fahr schon eine sehr beträchtliche sein kann, findet sich oft nichts weiter, als eine schleimige oder schleimig-eitrige Mem- bran. Erst nach einer gewissen Zeit setzt die fibrinöse Exsudation in der Weise ein, dass wir an derselben Pseudo- membran die Uebergänge verfolgen können, so dass eine ge- wisse Strecke deutlich Schleim, eine andere deutlich Fibrin ist, während an einer dritten Stelle nicht mehr mit Sicherheit zu sagen ist, ob das eine oder das andere vorhanden ist. Hier treten also beide Stoffe wiederum als Substitute für ein- ander auf. Wo der entzündliche Reiz grösser ist, sehen wir Fibrin, wo er geringer ist, Schleim vorkommen. Vom Schleim wissen wir aber, dass er im Blute nicht existirt, wie Fibrin. Wenn auch eine Schleimhaut unglaublich grosse Massen von Schleim in kurzer Zeit hervorbringt, so

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/372>, abgerufen am 24.11.2024.